Urteil des LG Frankfurt am Main vom 07.04.2009

LG Frankfurt: zedent, abtretung, wertpapierhandel, anwaltskosten, rückzahlung, geldanlage, beratungsvertrag, erwerb, index, gewinnausschüttung

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-19 O 211/08,
2/19 O 211/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 Abs 1 S 1 BGB, § 398
BGB
(Haftung der Bank aus Kapitalanlageberatung: Aufklärung
über die zukünftige Entwicklung eines Wertpapiers;
Bezeichnung der Laufzeit einer Geldanlage als kurzfristig)
Leitsatz
1. Der Kundenberater einer Bank darf eine bestimmte zukünftige Entwicklung eines
Wertpapiers nicht als nahezu sicher hinstellen, wenn die weitere Entwicklung des
Wertpapiers tatsächlich offen ist.
2. Eine auf eine Laufzeit von bis zu vier Jahren konzipierte Geldanlage kann nicht mehr
als kurzfristig bezeichnet werden.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.641,96 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. aus 50.000 € seit dem 04.03.2008
und aus 1.641,96 € seit dem 15.08.2008 zu zahlen, Zug um Zug gegen
Übertragung von 50 „Alpha-Expresszertifikaten 17.02.11 Basket“ der Lehman
Brothers Treasury Co. B.V. (ISIN DE000A0LJV62).
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Anlageempfehlung der Beklagten, wobei die
Klägerin aus abgetretenem Recht des Herrn XY (im Folgenden: Zedent) vorgeht.
Der Zedent hatte früher Telekom-Aktien und Anteile an einem Investmentfonds
erworben, über weitergehende Erfahrungen im Wertpapierhandel verfügte er nicht.
Er wandte sich im Dezember 2006 an die Beklagte, woraufhin es zu einem
Telefonat mit Herrn O., einem Mitarbeiter der Beklagten, kam. In diesem Telefonat
wurde auch über das „Alpha-Expresszertifikat“ der Lehman Brothers Treasury Co.
B.V. (ISIN DE000A0LJV62) gesprochen. Herr O. übersandte dem Zedenten am 28.
Dezember 2006 die Verkaufsunterlage für das Zertifikat („Der neue STAR BOND –
Das Alpha-Expresszertifikat 01/2007“ der ZS), auf die wegen der Einzelheiten
verwiesen wird (Bl. 33 ff. d.A.).
Mit dem Zertifikat wird auf das Verhältnis des Index „DJ EURO STOXX Select
Dividend 30“, der 30 nach der Dividendenrendite ausgewählte europäische Aktien
beinhaltet, zu dem DAX-Index spekuliert. An drei „Beobachtungstagen“, dem 11.
Februar 2008, dem 10. Februar 2009 und dem 10. Februar 2010 sowie einem
„abschließenden Bewertungstag“ am 10. Februar 2011 sollte das Verhältnis der
Wertentwicklung der Indizes geprüft werden. Wenn der „DJ EURO STOXX Select
Dividend 30“ sich besser entwickeln würde als der „DAX“, dann sollte das Zertifikat
vorzeitig zurückgezahlt werden, am ersten „Beobachtungstag“ mit mindestens 10
% Gewinn, am zweiten Beobachtungstag mit mindestens 20 % Gewinn und am
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% Gewinn, am zweiten Beobachtungstag mit mindestens 20 % Gewinn und am
dritten Beobachtungstag mit mindestens 30 % Gewinn. War dies nicht der Fall, so
sollte am „abschließenden Bewertungstag“ die Laufzeit enden. Sofern sich jetzt
der „DJ EURO STOXX Select Dividend 30“ besser als der „DAX“ entwickelt haben
würde, würde das Zertifikat mit mindestens 40 % Gewinn zurückgezahlt werden,
bei einer schlechteren Entwicklung nur mit dem Nennbetrag oder sogar weniger.
Am 9. Januar 2007 kam es zu einem weiteren Telefonat zwischen dem Zedenten
und Herrn O., in dem der Zedent Interesse an dem Zertifikat bekundete. Herr O.
füllte daraufhin ein Formular „X.–Wertpapierberatung“ aus, wobei er entsprechend
den Angaben des Zedenten eintrug, dass dieser eine „kurzfristige Anlage“
anstrebe. Herr O. erklärte dem Zedenten, die Anlage beinhalte lediglich ein
geringes Risiko.
Es sei nahezu gesichert, dass das Zertifikat bereits am ersten „Beobachtungstag“
im Februar 2008 zur Gewinnausschüttung führen werde. Der weitere Inhalt des
Gesprächs, der das Zertifikat betraf, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Zedent entschloss sich zum Erwerb von 50 Zertifikaten zum Preis von
insgesamt 50.000 €. Die Zertifikate wurden ihm am 15. Januar 2007
gutgeschrieben.
Im Februar 2008 kam es am ersten „Beobachtungstag“ nicht zur vorzeitigen
Rückzahlung des Zertifikats. Mit anwaltlichem Schreiben der jetzigen
Bevollmächtigten der Klägerin vom 18. Februar 2008 verlangte der Zedent von der
Beklagten die Rückabwicklung des Erwerbs der Zertifikate durch Zahlung von
50.000 € Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate unter Fristsetzung bis 3.
März 2008. An außergerichtlichen Anwaltskosten sind insoweit 1.641,96 €
angefallen und gezahlt worden.
Der Zedent und die Klägerin unterzeichneten eine „Abtretungsvereinbarung“,
wonach der Zedent die ihm gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche „aus dem
das dortige Konto Nr. 8007336673 betreffenden Wertpapierhandel – einschließlich
aller Nebenforderungen, Kosten, etc. –“ an die Klägerin abtrat. Die Unterschrift des
Zedenten ist datiert auf den 27. Juni 2008, die der Klägerin trägt kein Datum.
Wegen der Einzelheiten der Erklärung wird auf die „Abtretungsvereinbarung“
verwiesen (Anl. K1 = Bl. 8 d.A.). Auf dem in der Erklärung genannten Konto waren
die Zertifikate gutgeschrieben worden.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Zedent sei von der Beklagten fehlerhaft beraten
worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie Zug um Zug gegen Rückübertragung der 50
Wertpapierzertifikate der Lehman Bros. Treasury Company B.V., ISIN
DE000A0LJV62, WKN A0LJV6, gutgeschrieben auf dem Depot-Konto des Herrn XY.,
X., mit der Nummer 8007336673 per 15.01.2007, € 50.000,00 nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2008 sowie
außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von € 1.641,96 nebst Zinsen in Höhe von
5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 15.08.2008 zu
bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Abtretungsvereinbarung erfasse nicht den streitgegenständlichen
Anspruch. Die Abtretung sei auch unwirksam, da die Unterschrift der Klägerin kein
Datum trage und unleserlich sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin die
Zug-um-Zug-Leistung erbringen könne. Schließlich ist sie der Ansicht, die
Verkaufsunterlage enthalte alle wesentlichen Informationen über das Zertifikat, so
dass der Zedent nicht fehlerhaft beraten worden sei. Die Klage ist am 15. August
2008 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf
Zahlung von 50.000 € nebst Zinsen aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 398 BGB.
Zwischen dem Zedenten und der Beklagten bestand ein Beratungsvertrag
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Zwischen dem Zedenten und der Beklagten bestand ein Beratungsvertrag
hinsichtlich des Erwerbs der Zertifikate. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank
oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage
eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende
Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die
Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGHZ 123, 126, 128). Zwar
handelt es sich bei der Beklagten nicht um eine Bank im eigentlichen Sinne,
jedoch ist nach den Umständen offensichtlich, dass sie den Zedenten in gleicher
Weise wie eine Bank beraten wollte, was sich augenfällig in dem Formular
„Wertpapierberatung“ zeigt.
Aus dem Beratungsvertrag ergab sich für die Beklagte die Pflicht zur
objektgerechten Beratung (vgl. zuletzt BGHZ 178, 149, Rn. 10; BGH v. 05.03.2009
– III ZR 302/07 –). Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem ihr Mitarbeiter O.,
für den sie gemäß § 278 Satz 1 BGB einzustehen hat, dem Zedenten gegenüber
erklärte, es sei nahezu gesichert, dass das Zertifikat bereits am ersten
„Beobachtungstag“ zur Gewinnausschüttung führen werde. Diese Behauptung war
haltlos, da die weitere Entwicklung der dem Zertifikat zugrundeliegenden Indizes in
ihrem Verhältnis zueinander ganz offen war. Jedenfalls hat die Beklagte nicht
vorgetragen, worauf die Auffassung ihres Mitarbeiters fußte. Wenn er eine solche
Entwicklung für wahrscheinlich hielt, dann hätte er dies als seine persönliche
Meinung kenntlich machen müssen, er durfte sie aber nicht als „nahezu gesichert“
hinstellen.
Die fehlerhafte Beratung der Beklagten war kausal für den Erwerb der Zertifikate
durch den Zedenten. Hiervon ist auszugehen, da der Zedent ausdrücklich eine
„kurzfristige“ Anlage anstrebte. Wäre ihm bewusst gewesen, dass es keineswegs
unwahrscheinlich war, dass das Zertifikat nicht bereits am ersten
„Beobachtungstag“ zurückgezahlt werden würde, sondern womöglich erst nach
vier Jahren am „abschließenden Bewertungstag“, so hätte er ein solche, nicht
mehr als kurzfristig zu bezeichnende Anlage nicht getätigt.
Hieran ändert sich nichts dadurch, dass die Bedingungen des Zertifikats für den
Zedenten aus der Verkaufsunterlage ersichtlich waren. Der Beratungsfehler der
Beklagten liegt insoweit nicht in einer fehlerhaften Information über die
Bedingungen des Zertifikats, sondern in einer in ihrer Absolutheit unvertretbaren
Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Anlage.
Der Zedent hatte somit einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, der
gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Herstellung des Zustandes gerichtet war, der
bestanden hätte, wenn er zutreffend beraten worden wäre, also die Zertifikate
nicht erworben hätte. In diesem Fall hätte er über den Preis von 50.000 € noch
verfügt, nicht aber über die Zertifikate, so dass er Rückzahlung der 50.000 € Zug
um Zug gegen Herausgabe der Zertifikate verlangen konnte. Außerdem hätte er
sich keiner anwaltlichen Hilfe bedienen müssen, so dass ihm auch die
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.641,96 € erspart geblieben wären.
Diesen Anspruch hat der Zedent wirksam an die Klägerin abgetreten (§ 398 BGB).
Die Wirksamkeit der schriftlich erfolgten Abtretung wird weder durch die
unleserliche Unterschrift der Klägerin, noch das Fehlen einer Datumsangabe bei
ihrer Unterschrift in Frage gestellt. Selbst bei schriftformbedürftigen Erklärungen (§
126 Abs. 1 BGB) braucht die Unterschrift nicht lesbar zu sein (BGH NJW RR 2007,
351; stRspr), ebensowenig ist die Angabe der Zeit der Abfassung erforderlich
(Palandt-Ellenberger § 126 Rn. 2).
Die Abtretung erfasst auch den streitgegenständlichen Anspruch. Nach dem
Wortlaut der Urkunde werden Ansprüche „aus dem das […] Konto“ des Zedenten
betreffenden Wertpapierhandel abgetreten. Die Formulierung mag sprachlich nicht
sonderlich geglückt sein, sie macht aber hinreichend deutlich, dass es um
Ansprüche aus Wertpapiergeschäften geht, die über das genannte Konto
abgewickelt wurden, also auch den streitgegenständlichen einschließlich des
Anspruchs auf vorgerichtliche Anwaltskosten.
Dem Urteil steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Zug-um-Zug-Leistung nicht
erbringen könnte. Unabhängig von der Frage, welche Rechtsfolgen dies hätte, ist
nicht ersichtlich, wieso die Klägerin an einer Übertragung der Zertifikate gehindert
sein sollte. Wenn sich die Abtretung des Zedenten nicht ohnehin auf das Konto
selbst erstreckte, was hier nicht zu entscheiden ist, so kann die Klägerin jedenfalls
unter Mitwirkung des Zedenten die Herausgabe bewirken. Nachdem er ihr bereits
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unter Mitwirkung des Zedenten die Herausgabe bewirken. Nachdem er ihr bereits
seine Ansprüche abgetreten hat, ist naheliegend, dass er sie auch insoweit
unterstützen wird.
Der Zinsanspruch hinsichtlich der Hauptforderung ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1
Satz 1, 288 Abs. 1 BGB, wobei Verzug durch das Schreiben vom 18.02.2008
eintrat. Auch insoweit ist der Anspruch an die Klägerin abgetreten worden.
Hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten stützt sich der Zinsanspruch auf §§ 291, 288
Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Streitwert:
50.000 €
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.