Urteil des LG Frankfurt am Main vom 14.03.2017

LG Frankfurt: wesentliche veränderung, therapie, geschäftsführung ohne auftrag, werbung, diagnose, migräne, energie, tinnitus, schlaflosigkeit, missverhältnis

Gericht:
LG Frankfurt 6.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-06 O 218/06, 2-6
O 218/06, 2/06 O
218/06, 2/6 O
218/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
EWGRL 42/93, § 3 Nr 1
HeilMWerbG, § 4 Nr 11 UWG
Wettbewerbsverstoß durch irreführende
gesundheitsbezogene Werbung: Werbung für Hopi-
Ohrkerzen mit wissenschaftlich ungesicherten
Wirkungsbehauptungen
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für
jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis
zur Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem
Geschäftsführer, zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für "Original Ohrkerzen von B" zu werben:
1. "DIAGNOSE
Kopfschmerz
THERAPIE
natürlich heilen!"
2. "DIAGNOSE
Sinusitis
THERAPIE
natürlich heilen!"
3. "DIAGNOSE
Ohrschmerzen
THERAPIE
natürlich heilen!"
4. "DIAGNOSE
Tinnitus
THERAPIE
natürlich heilen!"
5. "DIAGNOSE
Hyperaktivität
1
2
3
THERAPIE
natürlich heilen!"
6. "DIAGNOSE
Migräne
THERAPIE
natürlich heilen!"
7. "DIAGNOSE
Nervosität
THERAPIE
natürlich heilen!"
8. "DIAGNOSE
Erkältung
THERAPIE
natürlich heilen!"
9. "DIAGNOSE
Ohrdruck
THERAPIE
natürlich heilen!"
10. "DIAGNOSE
Schlaflosigkeit
THERAPIE
natürlich heilen!"
gemäß Anlage K 2.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 43.500,00
vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf EUR 40.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Unterlassung verschiedener
Werbeaussagen für sog. "H-Ohrkerzen".
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben
die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die
Achtung der Regeln des lauteren Wettbewerbs gehört. Gemäß § 1 Ziff. 4 UKlaV ist
er als branchenübergreifend und überregional tätiger Wettbewerbsverband im
Sinne von § 13 Abs. 5 Nr. 2 des Unterlassungsklagegesetzes festgestellt.
Die Beklagte warb unter anderem in der Zeitschrift C – Das Fachmagazin für
Complementär-Medizin, Ausgabe 1/2006 für die von ihr hergestellten und
vertriebenen "B H-Ohrkerzen" mit den aus dem Tenor ersichtlichen Angaben als
Therapiemittel gegen Kopfschmerzen, Sinusitis, Ohrschmerzen, Tinnitus,
Hyperaktivität, Migräne, Nervosität, Erkältung, Ohrdruck und Schlaflosigkeit
(Anlage K 2). Bei den Ohrkerzen handelt es sich um aus Leinengewebe
bestehende und in verschiedene Stoffe, insbesondere Bienenwachs getränkte
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
bestehende und in verschiedene Stoffe, insbesondere Bienenwachs getränkte
Hohlkörper, die auf das Außenohr aufgesetzt und entzündet werden.
Der Kläger behauptet, eine Wirksamkeit der "H-Ohrkerzen" sei nicht gegeben. Die
von der Beklagten beanspruchten physikalischen Wirkungen könnten beim
Abbrennen einer ins Ohr gesteckten Kerze schon denklogisch nicht eintreten. Auch
enthalte keines der Standardlexika (Roche Lexikon Medizin; Zetkin/Schaldach,
Wörterbuch der Medizin; Pschyrembel, klinisches Wörterbuch; Stiftung Warentest,
Handbuch Selbstmedikation; A Dictionary of Natural Produkts, Anlagen K 6 – K 11)
einen Eintrag über H-Ohrkerzen.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt die fehlende Aktivlegitimation des Klägers. Sie behauptet, der
Kläger sei sachlich und personell nicht in der Lage, seine satzungsgemäßen
Aufgaben wahrzunehmen. Die Abmahntätigkeit des Klägers diene nur dazu, ihren
Prozessbevollmächtigten Einnahmen zu verschaffen. Die Hopi-Ohrkerzen würden
bei der Anwendung einen leichten Unterdruck (Kamineffekt) und Vibrationswellen
erzeugen, wodurch eine sanfte Massage des Trommelfells bewirkt werde. Insofern
seien die Ohrkerzen als Therapiemittel gegen Kopfschmerzen, Sinusitis,
Ohrschmerzen, Tinnitus, Hyperaktivität, Migräne, Nervosität, Erkältung, Ohrdruck
und Schlaflosigkeit wirksam. Die Beklagte beruft sich insoweit auf eine
Untersuchung des Dr. R aus dem Jahr 1996 (Anlage B 9), auf eine Studie der Dr. R
in der Zeitschrift C 11/1999 (Anlage B 10), eine Veröffentlichung von Dr. J in der
Zeitschrift N aus dem Jahr 1999 (Anlage B 11), eine Untersuchung des Dr. H aus
dem Jahr 2000 (Anlage B 12), eine Datenerhebung der Beklagten aus dem
Frühjahr 2005 (Anlage B 16, B 17), eine Anwendungsbeobachtung des Dr. S
(Anlage B 18), einer "Thermografieuntersuchung" aus Mai 2005 (Anlage B 19),
Berichte der Q-BBM GmbH vom 31.05.2005 und vom 21.04.2001 (Anlagen B 20, B
21) und eine Untersuchung der Fa. M BBM GmbH (Anlage B 27).
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze sowie auf die zur Akte gelangten Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten Unterlassung der angegriffenen
Werbeaussagen für ihre "B-Ohrkerzen" gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, UWG, 3 Ziff. 1 HWG
verlangen.
Der Kläger ist aktivlegitimiert. Die Aktivlegitimation ergibt sich nicht schon aus §§ 3
Nr. 1, 4 UKlaG. Danach sind qualifizierte Einrichtungen anspruchsberechtigt, die
nach einem Verzeichnis der EU-Kommission bzw. in einer Liste des
Bundesverwaltungsamts geführt werden. Das Prozessgericht hat in diesem Fall die
Eintragungsvoraussetzungen nicht zu prüfen, sondern ist an die Eintragung
gebunden (vgl. Palandt/Bassenge, 65. Aufl., § 3 UKlaG, Rn. 4, § 4 UKlaG, Rn. 3). Die
Eintragung in die Liste nach § 4 UKlaG ist vorliegend nicht dargelegt. Der Kläger ist
gemäß § 1 Ziff. 4 der Unterlassungsklageverordnung vom 3.7.2002 lediglich als
Wettbewerbsverband im Sinne von § 13 Abs. 5 Nr. 2 des
Unterlassungsklagegesetzes festgestellt (Anlage K 1). Hierbei handelt es sich um
die Anspruchsberechtigung für einen Auskunftsanspruch gegenüber
Telekommunikationsanbietern.
Die Aktivlegitimation kann sich also nur aus § 3 Nr. 2 UKlaG oder § 8 III Nr. 2 UWG
ergeben. Die Voraussetzungen beider Vorschriften sind nahezu identisch.
Zunächst muss die Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher
Interessen satzungsmäßige Zielsetzung des Vereins sein. Gewerblichen Interessen
dient auch die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (BGH GRUR 1990, 282, 284 –
Wettbewerbsverein IV). Zu den satzungsgemäßen Aufgaben des Klägers gehört
die Achtung der Regeln des lauteren Wettbewerbs.
Die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs darf allerdings nicht nur ein Vorwand
15
16
17
18
19
Die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs darf allerdings nicht nur ein Vorwand
sein, um sich selbst oder Anwälten Einnahmen zu verschaffen
(Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 24. Aufl., § 8 UWG, Rn. 3.34). Nicht jedes Bestreben
eines Verbandes, durch die Gestaltung seines Vorgehens gegen
Wettbewerbsverstöße auch "Einnahmen" in Form von Abmahnkostenerstattungen
und/oder Vertragsstrafen zu erzielen, ist in diesem Sinne schädlich. Entscheidend
ist, ob solche Überlegungen und Verhaltensweisen so bestimmend in den
Vordergrund treten, dass der angebliche Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel
zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen werden muss (BGH GRUR
1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV). Gegen einen Einnahmeerzielungsvorwand
spricht es, wenn der Kläger seine Tätigkeit nicht auf Abmahnungen und die
Verfolgung von eigenen Vertragsstrafeansprüchen beschränkt, sondern Verstöße
in nicht unbeträchtlichem Umfang auch durch Anträge auf Erlass einstweiliger
Verfügungen und, soweit erforderlich, im Klagewege durch mehrere Instanzen
verfolgt und wenn er bei Verstößen gegen gerichtliche Titel
Ordnungsmittelverfahren betreibt (BGH a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Abmahntätigkeit des Klägers
nicht nur als Vorwand angesehen werden, um sich selbst oder seinen
Prozessbevollmächtigten Einnahmen zu verschaffen. Unstreitig geht der Kläger
gegen die Abgemahnten notfalls gerichtlich vor und hat bereits zahlreiche
höchstrichterliche Entscheidungen erwirkt. Ebenso unstreitig betreibt der Kläger
gerichtliche Ordnungsmittelverfahren. Soweit die Beklagte geltend macht, der
Kläger habe sich in der Vergangenheit nach erstinstanzlichen, vorläufig
vollstreckbaren Urteilen sein Stillhalten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung
abkaufen lassen, beruht ihre Behauptung auf einer nicht ausreichenden
Tatsachengrundlage. Nach Angaben des Klägers kam es zum Beispiel im Jahr
2004 gegenüber insgesamt 1388 Abmahnfällen nur in 7 Fällen zu einer Lösung
dergestalt, dass der Kläger eine Aufbrauchfrist gewährte und der Schuldner im
Gegenzug eine Zahlung an den Kläger leistete. Diese wenigen Fälle sind nicht
ausreichend, um generell eine missbräuchliche Abmahntätigkeit anzunehmen. Die
Beklagte hat selbst keinen konkreten Fall vorgetragen, in dem in dieser Weise
verfahren wurde.
Ein ausreichendes Indiz dafür, dass der angebliche Vereinszweck als
vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen
werden könnte, kann auch nicht aus dem von der Beklagten angeführten Fall der
Fa. L GmbH abgeleitet werden. Der Kläger bot der Fa. L GmbH die Rücknahme
eines Ordnungsmittelantrags gegen Zahlung des hälftigen Ordnungsgeldes an den
Kläger an. Die beschriebene Verfahrensweise erscheint nicht unbedenklich, wenn
sie ungeachtet der Umstände des konkreten Falls stets angewendet wird. Der
Kläger macht jedoch geltend, eine solche Verfahrensweise werde vom ihm nur in
geeigneten Fällen praktiziert (Schriftsatz vom 27.11.2006, S. 13). Bei
Vergleichsvorschlägen in der beschriebenen Art würden die konkreten Umstände
des Falls berücksichtigt. In dem Fall der Fa. L GmbH habe die finanzielle Situation
der Antragsgegnerin eine Rolle gespielt. Diesen Vortrag konnte die Beklagte nicht
widerlegen. Das Herausgreifen weniger Einzelfälle reicht ohnehin nicht aus, um die
umfangreiche Tätigkeit des Klägers als generell missbräuchlich erscheinen zu
lassen.
Soweit die Beklagte behauptet, die Prozessbevollmächtigten des Klägers würden
gegenüber den Abmahngegnern Gebühren nach dem RVG abrechnen, ohne zu
berücksichtigen, dass der Kläger für jede Abmahnung an die
Prozessbevollmächtigten pauschal EUR 17,90 bezahlt und dass die Anwaltskosten
bereits in der Abmahnkostenpauschale des Klägers enthalten sind, erfolgt ihr
Vortrag ins Blaue hinein und ist deshalb unbeachtlich. Der angebotene
Zeugenbeweis ist unzulässig, weil er auf eine Ausforschung hinausliefe. Das
gleiche gilt für die angebotene Parteivernehmung. Der Antrag auf Beiziehung von
Akten des OLG Hamm ist ohne genaue Bezugnahme auf konkrete Dokumente
ebenfalls unzulässig. Nach Angaben des Klägers wird die pauschale
Beratungsgebühr bereits bei der Kalkulation der niedrigen Abmahnpauschale in
Höhe von EUR 140,00 berücksichtigt. Es bestehen deshalb keine ausreichenden
Anhaltspunkte dafür, dass die Abmahntätigkeit des Klägers nur ein Vorwand zur
Einnahmeerzielung ist.
Nach § 8 III Nr. 2 UWG muss der Verein sachlich, finanziell und personell in der
Lage sein, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder
selbständiger beruflicher Interessen wahrzunehmen. Zur erforderlichen finanziellen
Ausstattung des Verbandes gehört es, dass er in der Lage ist, seine Fixkosten aus
20
21
22
23
Ausstattung des Verbandes gehört es, dass er in der Lage ist, seine Fixkosten aus
der Existenz, Grundausstattung und Grundbetätigung abzudecken (BGH GRUR
1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV). Dies bedeutet, dass sich der Verein nicht
weit überwiegend aus Abmahnpauschalen finanzieren darf. Die
Abmahnpauschalen dürfen nicht in einem krassen Missverhältnis zu den sonstigen
Einnahmen stehen (BGH GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter
Unterlassungsantrag III). Anders als – ihrem Wesen nach als Aufwendungsersatz
gemäß Geschäftsführung ohne Auftrag ertragsneutral zu gestaltende –
Abmahnpauschalen sind Eingänge von Vertragsstrafen echte Einnahmen, deren
Heranziehung zur Mitfinanzierung der Verbandstätigkeit grundsätzlich nicht zu
beanstanden ist (BGH GRUR 1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV).
Die als Anlage B 1 vorgelegte Gewinn- und Verlustrechnung des Klägers aus dem
Jahr 2004 spricht nicht für ein solches Missverhältnis. Zwar sind die Einnahmen aus
Mitgliedsbeiträgen bei weitem niedriger als die Einnahmen aus Abmahnungen und
Vertragsstrafen. Dies spricht jedoch nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nicht zwingend für ein Missverhältnis. Die vom Kläger
gegenüber Verletzern geltend gemachte Abmahnpauschale beträgt nach den
unwidersprochenen Angaben des Klägers EUR 140,00. Dem stehen Kosten von
EUR 163,04 gegenüber. Zur Finanzierung des Vereins tragen die
Abmahnpauschalen also nichts bei. Die Vertragsstrafen, die in der Gewinn- und
Verlustrechnung für 2004 insgesamt EUR 336.537,21 ausmachen, übersteigen die
Mitgliedsbeiträge um mehr als das Dreifache. Dies ist aber gerade nicht zu
beanstanden, da Vertragsstrafen zur Mitfinanzierung des Vereins herangezogen
werden dürfen. Ein Missverhältnis ergibt sich auch nicht aus der Position
"zweckbestimmte Zuwendungen" (EUR 297.225,00). Die Angabe des Klägers, dass
sich hinter der Position im Wesentlichen einvernehmlich geregelte Vertragsstrafen
und Ordnungsmittelverfahren verbergen, wird von der Beklagten bestritten. Die
Beklagte konnte jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte vorbringen, die gegen
diese Angabe sprechen. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass der Kläger
wirtschaftlich in der Lage ist, seine Fixkosten aus der Existenz, Grundausstattung
und Grundbetätigung abzudecken und damit seine satzungsmäßigen Aufgaben
wahrzunehmen.
Der Kläger ist auch personell in der Lage, die satzungsmäßigen Aufgaben
wahrzunehmen. Zur erforderlichen personellen Ausstattung gehört es, dass der
Kläger über eigenes Personal zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen verfügt.
Er darf diese Aufgabe nicht komplett auf Anwälte auslagern (BGH GRUR 1994, 831
– Verbandsausstattung I). Insofern kommt allerdings eine tatsächliche Vermutung
dafür in Betracht, dass er seine satzungsgemäßen Aufgaben auch wirklich erfüllt,
wenn er jahrelang unbeanstandet als klagebefugt angesehen worden ist (vgl. BGH
GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung I; BGH GRUR 1986, 320, 321 –
Wettbewerbsverein I). Der Kläger hat zahlreiche BGH-Entscheidungen zitiert, in
denen die Anspruchsberechtigung bejaht wird und die sich über einen langen
Zeitraum erstrecken. Der Beklagten ist es nicht gelungen, an der personellen
Ausstattung ernsthafte Zweifel zu erwecken. Die Beklagte hat vorgetragen, die
Position "Prozesskostenfond II. 5, Verbindlichkeit Anwaltskosten" (EUR 24.845,20)
in der Gewinn- und Verlustrechnung 2004 enthalte pauschale Beratungsgebühren
in Höhe von EUR 17,90 für alle 1.388 ausgesprochenen Abmahnungen. Dies
spreche dafür, dass der Kläger seine Tätigkeit komplett auf seine
Prozessbevollmächtigten übertragen habe und nicht nur – wie der Kläger
behauptet – in schwierigen Fällen rechtlicher Rat eingeholt werde. Dieser Schluss
ist nicht gerechtfertigt. Der Kläger hat plausibel dargelegt, dass sich die Tätigkeit
seiner Prozessbevollmächtigten in vielen Fällen nur auf
Unterstützungshandlungen, z. B. bei der Antragsfassung beschränkt. Für eine nur
unterstützende Tätigkeit der Anwälte spricht insbesondere die geringe Höhe der
veranschlagten Gebühr. Für eine eigene Tätigkeit des Klägers spricht auch, dass
nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die Firmen A Wellness GmbH und G
Natur GmbH von der Geschäftsführerin des Klägers persönlich rechtlich beraten
wurden (vgl. Schriftsatz vom 18.10.06).
Soweit die Beklagte vorträgt, dem Kläger fehle die nötige Fachkompetenz, weil in
zwei Fällen Mitglieder des Klägers abgemahnt wurden, obwohl sie zuvor die
fragliche Werbung beim Kläger auf rechtliche Unbedenklichkeit überprüfen ließen,
kann sie kein Gehör finden. Die zwei genannten Fälle sind angesichts von 1.388
Abmahnungen pro Jahr nicht geeignet, grundsätzliche Zweifel zu wecken.
Die angegriffene Werbung verstößt gegen § 3 HWG. Gemäß § 1 Nr. 1a HWG findet
das Gesetz unter anderem auf Medizinprodukte Anwendung, zu denen die
24
25
26
27
28
das Gesetz unter anderem auf Medizinprodukte Anwendung, zu denen die
Ohrkerzen unstreitig gehören. Unerheblich ist, dass sich die Werbung an
Fachkreise richtet. § 3 HWG findet auch bei Werbemaßnahmen gegenüber
Fachkreisen Anwendung.
Gemäß § 3 Ziff. 1 HWG ist eine Werbung irreführend und deshalb unzulässig, mit
der Gegenständen und anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder
Wirkungen beigemessen wird, die sie nicht haben. Nach ständiger Rechtsprechung
trifft bei der Frage einer irreführenden Werbung zwar grundsätzlich den Kläger die
Darlegungs- und Beweislast für die Unrichtigkeit der Werbebehauptung (BGH GRUR
1985, 140, 142 – Größtes Teppichhaus der Welt). Ist Gegenstand der Werbung
jedoch eine fachlich umstrittene Meinung, ohne dass die Gegenmeinung erwähnt
wird, ist der Beklagte für die Richtigkeit der Werbeaussage darlegungs- und
beweispflichtig. Der Werbende übernimmt in einem derartigen Fall dadurch, dass
er eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für ihre Richtigkeit, die er im
Streitfall auch beweisen muss (vgl. grundlegend BGH GRUR 1958, 485, 486 –
Odol). Dies gilt vor allem auch bei gesundheitsbezogenen Werbeaussagen, bei
denen sich Irreführungen des Verkehrs besonders schädlich auswirken können und
deshalb ein strenger Maßstab an den Wahrheitsgehalt anzulegen ist. Wenn die
gesundheitsfördernde Wirkung eines Produkts umstritten ist, darf die Wirkung nicht
beworben werden (BGH GRUR 2002, 273, 274 – Eusovit;
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 5 UWG, Rn. 4.178). Es reicht deshalb aus, wenn
der Kläger substantiiert behauptet, einer von ihm als irreführend angegriffenen
gesundheitsbezogenen Werbung fehle die wissenschaftliche Grundlage. Es ist dann
Sache der Beklagte, die wissenschaftliche Absicherung der umstrittenen
Werbeaussage zu beweisen (vgl. BGH GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II).
Ob die physikalischen Wirkungen eines Unterdrucks und einer Vibrationswelle beim
Abbrennen der ins Ohr gesteckten Kerze überhaupt eintreten können, kann
dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist es wissenschaftlich ungesichert, dass diese
unterstellten Effekte die dargestellten Krankheiten heilen oder lindern können.
Dass eine Wirkung der H-Ohrkerzen als Therapiemittel gegen Kopfschmerzen,
Sinusitis, Ohrschmerzen, Tinnitus, Hyperaktivität, Migräne, Nervosität, Erkältung,
Ohrdruck und Schlaflosigkeit wissenschaftlich ungesichert ist, hat der Kläger
substantiiert dargelegt. Er hat ausgeführt, dass in der anerkannten
wissenschaftlichen Fachliteratur (Anlagen K 6 – K 11) die Ohrkerzen nicht einmal
erwähnt werden. Dies ist ein starkes Indiz gegen die wissenschaftliche
Absicherung. Der Beklagten ist es nicht gelungen, die wissenschaftliche
Absicherung gleichwohl zu belegen.
Unerheblich ist, dass die Ohrkerzen vom Regierungspräsidium G als aktives
Medizinprodukt der Klasse Ila nach der Richtlinie 93/42/EWG zertifiziert sind.
Voraussetzung für die Zertifizierung ist, dass bei einem Produkt, das zur
Übertragung von Energie ... zwischen einem aktiven Medizinprodukt und dem
Patienten eingesetzt wird, eine wesentliche Veränderung von Energie ... eintritt.
Bei den Ohrkerzen tritt eine wesentliche Veränderung von Energie ein, weil die
Energie der Kerze durch das Abbrennen in Wärme umgewandelt wird. Über die
medizinische Wirksamkeit sagt dies nichts aus.
In der Regel bedarf es zum Nachweis der Wirksamkeit von Medikamenten und
Therapien klinischer Studien. Klinische Studien sehen in der Phase III eine große
Zahl von Versuchspatienten (100 bis 1000) vor, die sorgfältig ausgewählt werden
müssen und bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Die Patienten werden in zwei
Gruppen aufgeteilt, wobei die eine Gruppe konventionell behandelt wird und die
andere Gruppe mit der neuen Therapie. Gibt es gegen eine Krankheit noch keine
Therapie, muss die Vergleichsgruppe mit einem Scheinmedikament (Plazebo)
behandelt werden (vgl. z. B. Broschüre "klinische Studien" der Deutschen
Krebshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft, www.krebshilfe.de). Keine der von
der Beklagten vorgelegten Untersuchungen genügt diesen Anforderungen oder
nähert sich ihnen wenigstens an. Insbesondere wurden keine Vergleichsgruppen
gebildet. Deshalb lässt sich nicht der sog. Plazebo-Effekt ausschließen, bei dem
eine Besserung des Befindens nur deshalb eintritt, weil den Patienten suggeriert
wird, wirksam behandelt zu werden.
Die Untersuchung des Dr. R aus dem Jahr 1996 (Anlage B 9) ist zum Nachweis der
Wirksamkeit der Ohrkerzen schon deshalb ungeeignet, weil in Verbindung mit der
Ohrkerzentherapie eine chinesische Akupunktur angewandt wurde (Sog.
"Kombinationstherapie") und deshalb unklar ist, welche Therapie die angeblichen
Wirkungen erzielt hat.
29
30
31
32
33
Der Studie von Dr. R in der Zeitschrift C 11/1999 (Anlage B 10) kommt wegen der
angewandten Untersuchungsmethode keine wissenschaftliche Bedeutung zu. Der
Kläger hat durch Vorlage entsprechender Artikel aus Standardwerken hinreichend
belegt, dass das in der Studie angewandte Diagnoseverfahren der
"Elektroakupunktur nach Voll" wissenschaftlich ungesichert ist (Anlage K 26, K 28).
Die Untersuchung von Jung in der Zeitschrift "Naturheilpraxis" (Anlage B 11)
genügt nicht den medizinwissenschaftlichen Anforderungen, weil die Untersuchung
nicht von einem Mediziner, sondern von einem Heilpraktiker durchgeführt wurde.
Der Ohrkerzentherapie ist lediglich ein Absatz gewidmet. Andere Absätze widmen
sich zweifelhaften Methoden wie z. B. dem "Aderlass". Die
Anwendungsbeobachtung von Dr. Heidl (Anlagen B 12 – B 17) begegnet schon
deshalb Zweifeln, weil sie nicht unabhängig erstellt wurde, sondern von der
Beklagten in Auftrag gegeben und finanziert wurde.
Die aus den Anlagen B 18, B 19, B 20 und B 27 ersichtlichen Untersuchungen
beschreiben körperliche Auswirkungen der Ohrkerzen. Der Patient erfahre bei der
Ohrkerzenbehandlung ein Entspannungsgefühl, eine Erwärmung oder eine
Vibration des Trommelfells. Selbst wenn diese Wirkungen zutreffend sind, ist nicht
ersichtlich, wie diese von den Patienten als angenehm empfundenen
Auswirkungen Krankheiten wie Erkältungen, Sinuitis , Ohrenschmerzen oder
Migräne heilen sollen. Die Untersuchungen sind deshalb für den medizinischen
Nachweis ungeeignet.
Dem Beweisantritt eines Sachverständigengutachtens zu der streitigen
Wirksamkeit muss nicht nachgegangen werden. Die wissenschaftliche
Ungesichertheit der behaupteten Wirkungen steht bereits fest. Der Kläger hat zwar
keine Literatur vorgelegt, aus der hervorgeht, dass Wissenschaftler der Therapie
explizit kritisch gegenüberstehen. Aus der fehlenden Befassung wissenschaftlicher
Standardwerke mit der Ohrkerzentherapie ergibt sich gleichwohl die fehlende
wissenschaftliche Grundlage, die durch ein gerichtliches
Sachverständigengutachten nicht ersetzt werden kann. Der Beklagte hätte
deshalb seine Behauptung, die Ohrkerzen seien für die angegebenen Indikationen
wirksam, wissenschaftlich untermauern müssen. Die vorgelegten "Studien" reichen
aus den dargelegten Gründen nicht aus. Der angebotene Sachverständigenbeweis
würde vor diesem Hintergrund auf eine Ausforschung hinauslaufen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß §§ 63 II
GKG, 3 ZPO festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.