Urteil des LG Frankfurt am Main vom 28.11.2008

LG Frankfurt: persönliche verhältnisse, index, beratungsvertrag, anlageberater, fonds, kapitalanlage, gefahr, bonität, rückzahlung, form

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-19 O 62/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 280 BGB
Beratungsvertrag: Schadensersatzanspruch wegen nicht
erfolgter Beratung hinsichtlich eines Totalverlustrisikos
Leitsatz
Eine Bank muss im Rahmen eines Beratungsgespräches einen Kunden umso deutlicher
auf das Risiko eines Totalverlustes einer von ihr empfohlenen Anlage hinweisen, je
realer die Gefahr ist, dass sich dieses Risiko verwirklicht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits zu je 1/2.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des
Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Kläger waren Inhaber von 1.010 Stück Anteilen eines F.-Aktienfonds. Im
Dezember 2006 empfahl Herr X, ein Anlageberater der Beklagten, den Klägern,
ihre Anteile an dem Fonds zu verkaufen und schlug ihnen die Neuanlage des
Erlöses vor. Am 15. Dezember 2006 kam es deshalb zu einem Beratungsgespräch
mit den Klägern. Dabei empfahl Herr X den Klägern den Erwerb eines Zertifikats,
bezeichnet als „XY“, mit dem auf das Verhältnis des DJ EURO STOXX Select
Dividend 30-Index, der die 30 dividendenstärksten Titel Europas beinhaltet, zu dem
DAX-Index spekuliert wurde. Emittentin des Zertifikats war die Z, Garantiegeberin
die XZ. Herr X wies in dem Gespräch nicht ausdrücklich auf ein Totalverlustrisiko
hin. Er gab den Klägern zu dem Zertifikat eine Verkaufsunterlage mit. Wegen der
Einzelheiten der Verkaufsunterlage und der darin enthaltenen Bedingungen des
Zertifikats wird auf die Verkaufsunterlage „Der neue XY“ der Beklagten verwiesen
(Bl. 39 ff. d.A.). Am 18. Dezember 2006 verkauften die Kläger die Anteile an dem
F.-Fonds für 12.362,40 €. Am 28. Dezember 2006 erteilten sie die Order für den
Kauf von 12 Stück des Zertifikats zum Preis von je 1.000 €. Sie erhielten die
Papiere zum Ablauf der Zeichnungsfrist am 12. Januar 2007. Die XZ ist seit
September 2008 insolvent, ebenso in der Folge auch die Z. Ein Handel mit dem
Zertifikat findet nicht mehr statt, es ist wertlos geworden. Die Kläger zahlten an
ihre jetzigen Bevollmächtigten an vorgerichtlichen Anwaltskosten 837,52 €. Die
Kläger behaupten, sie hätten eine sichere und jederzeit liquide Kapitalanlage
gewünscht. Herr X habe ihnen erklärt, es handele sich um eine sichere
Kapitalanlage, ein Verlust sei völlig ausgeschlossen. Die Kläger meinen, durch die
Beklagte grob fehlerhaft beraten worden zu sein. Es habe sich tatsächlich nicht um
ein sicheres Finanzprodukt gehandelt. Sie hätten über das Totalverlustrisiko
aufgeklärt werden müssen. Außerdem sei das Zertifikat auch nicht jederzeit
veräußerbar. Die Verkaufsunterlage informiere über die Entwicklung der Basiswerte
in der Vergangenheit nur unzureichend. Weiter seien sie nicht ausreichend über
Kosten und Gebühren aufgeklärt worden. Überhaupt sei die Verkaufsunterlage als
Informationsquelle unzureichend, der darin enthaltene Hinweis auf den Prospekt
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Informationsquelle unzureichend, der darin enthaltene Hinweis auf den Prospekt
genüge nicht. Die Kläger behaupten, sie hätten die Fondsanteile in jedem Fall
verkauft. Wären sie zutreffend und vollständig über das Zertifikat informiert
worden, hätten sie dieses jedoch nicht erworben.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übertragung von 12
Zertifikaten der Z, Kenn-Nr./ISIN XXXXX an sie als Gesamtgläubiger € 12.000,--
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2007 zu zahlen;
ergänzend ihnen die Kosten für die außergerichtlich entstandenen Kosten in Höhe
von € 837,52 nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit 21.04.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, Herr X habe bei dem Beratungsgespräch über etwa mit dem
Zertifikat verbundene Risiken aufgeklärt, abgesehen von dem Totalverlustrisiko.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte
wegen des Erwerbs des XY-Zertifikats. Eine fehlerhafte Beratung der Beklagten ist
nicht ersichtlich. Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag jedenfalls über
die Anlage des Erlöses aus der Veräußerung des F.-Fonds zustande gekommen.
Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an
einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden
bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines
Beratungsvertrags stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs
angenommen (BGHZ 123, 126, 128). Ob sich der Beratungsvertrag auch auf die
Veräußerung des F.-Fonds erstreckte, kann dahinstehen, da die Kläger insoweit
keine Vorwürfe gegen die Beklagte erheben. Aus dem Beratungsvertrag war die
Beklagte zu einer anleger- und objektgerechten Beratung der Kläger verpflichtet
(vgl. BGHZ 175, 276, 284 f.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieser
Anforderung nicht nachgekommen wäre. Eine Beratung ist anlegergerecht, wenn
die empfohlene Anlage auf das Anlageziel des Kunden und dessen persönliche
Verhältnisse zugeschnitten ist (vgl. BGHZ 123, 126, 129; BGH NJW RR 2008, 1365,
1369). Bereits nach dem eigenen Vortrag der Kläger über ihre Anlagewünsche
entsprach das empfohlene Zertifikat diesen Anforderungen. Es war frei
veräußerbar, da es einen Börsenkurs hatte. Es bot auch eine verhältnismäßig
sichere Anlage, da abgesehen von dem Bonitätsrisiko der Emittentin ein Verlust
nur eintreten konnte, wenn bei drei aufeinander folgenden Terminen in den Jahren
2008, 2009 und 2010 die Entwicklung des DJ EURO STOXX Select Dividend 30-Index
jeweils schlechter als die Entwicklung des DAX-Index sein würde und im Jahr 2011
die Performance des DJ EURO STOXX Select Dividend 30-Index mehr als 40 %
unter der des DAX-Index liegen würde, insgesamt ein unwahrscheinliches Szenario.
Das Bonitätsrisiko der Emittentin und der Garantiegeberin, der US-amerikanischen
Investmentbank XZ und ihres Tochterunternehmens Z, war aus damaliger Sicht
Ende des Jahres 2006 vernachlässigbarer, theoretischer Natur. Die Beratung der
Kläger war auch objektgerecht. Eine objektgerechte Beratung erfordert, dass der
Anleger über die für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstände
wahrheitsgemäß, richtig und vollständig aufgeklärt wird (BGHZ 123, 126, 129; BGH
NJW 2006, 2041). Dies ist hier geschehen, wobei zu beachten ist, dass die
Aufklärungspflicht auch durch die Übergabe von schriftlichen Unterlagen erfüllt
werden kann (vgl. BGH NJW RR 2006, 1345, 1346). Hier wurde seitens der
Beklagten die Verkaufsunterlage übergeben, aus der sich in komprimierter Form
die wesentlichen Informationen über das Zertifikat ergaben. Soweit danach noch
Unklarheiten blieben, verwies die Verkaufsunterlage, der Vorschrift des § 15 Abs. 2
WpPG entsprechend, auf den regulären Prospekt und gab an, wo dieser bezogen
werden konnte (S. 14; Bl. 46 d.A.). Außerdem hatten die Kläger die Möglichkeit,
Fragen an den Anlageberater der Beklagten zu richten. Der Anlageberater der
Beklagten durfte die Kläger freilich nicht mündlich falsch informieren. Die
behauptete Äußerung, ein Verlust sei bei der in Rede stehenden Kapitalanlage
völlig ausgeschlossen, wäre bei wörtlichem Verständnis eine Falschinformation
gewesen. Für die Kläger ersichtlich war diese Äußerung, wenn sie denn so gefallen
sein sollte, aber nicht als Behauptung, ein Verlust sei theoretisch vollkommen
ausgeschlossen, zu verstehen, sondern als subjektive Einschätzung des
Anlageberaters, der einen Verlust nach den Emissionsbedingungen für sehr
unwahrscheinlich hielt. Diese durchaus vertretbare Beurteilung stellte keine
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unwahrscheinlich hielt. Diese durchaus vertretbare Beurteilung stellte keine
Falschberatung dar. Im Übrigen haben die Kläger für die behauptete Äußerung des
Anlageberaters auch keinen tauglichen Beweis angeboten. Die übrigen relevanten
Informationen ergaben sich aus der Verkaufsunterlage. Auf S. 5 (Bl. 41 d.A.)
enthält die Verkaufsunterlage eine grafische Gegenüberstellung der historischen
Entwicklung der Basiswerte des DJ EURO STOXX Select Dividend 30 und des DAX
der letzten acht Jahre, verbunden mit der Anmerkung, dass historische Daten
keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung der Indizes zuließen. Diese
Information genügte als Ausgangspunkt für gegebenenfalls weitere Fragen. Die
Kläger wurden auch in ausreichender Form über das Totalverlustrisiko der Anlage
informiert. In Fn. 2 auf S. 5 der Verkaufsunterlage (Bl. 41 d.A.) wird darauf
hingewiesen, dass die Rückzahlung am Ende der Laufzeit von der Bonität der
Emittentin bzw. Garantin abhängt. Dieser Hinweis wird in Fn. 5 auf S. 11 der
Verkaufsunterlage nochmals wiederholt. Die Möglichkeit von Verlusten aufgrund
der Entwicklung der Indizes ergibt sich bereits aus den Bedingungen des
Zertifikats, wie oben beschrieben. Auf S. 14 der Verkaufsunterlage (Bl. 46 d.A.)
wird gleichwohl nochmals ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen. Diese
Informationen waren ausreichend, insbesondere auch im Hinblick auf die
Möglichkeit einer Insolvenz von XZ. Es besteht keine generelle Pflicht zur
Aufklärung über die Möglichkeit eines Totalverlustes (OLG Frankfurt v. 15.10.2008 –
23 U 348/05 –). Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Hinweis gegeben
werden muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei der Hinweis
umso deutlicher und unmissverständlicher sein muss, desto realer die Gefahr
eines tatsächlich eintretenden Totalverlustes ist. Wie bereits oben angemerkt, war
es im Dezember 2006, einige Zeit vor Ausbruch der sogenannten „Subprime“-
Krise, eine ausgesprochen fernliegende Möglichkeit, dass die große renommierte
Investmentbank XZ insolvent werden könnte. Dementsprechend bedurfte es auch
keiner besonders hervorgehobenen Warnung in der Verkaufsunterlage, so dass die
kurzen Hinweise auf die Abhängigkeit der Rückzahlung von der Bonität des
Emittenten und Garantiegebers ausreichend waren. Aus der Verkaufsunterlage
ergab sich auch, dass der Erwerb des Zertifikats mit Kosten und Gebühren
verbunden ist (S. 14 = Bl. 46 d.A.). Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass es
möglich ist, dass die „Vertriebsgesellschaft“ das Zertifikat zu einem reduzierten
Ausgabepreis erwirbt oder dass sie eine Vertriebsgebühr erhält, die von dem
Kunden zusätzlich zu weiteren Verkaufsprovisionen und Verkaufskosten getragen
werden müssen (S. 15 = Bl. 46 d.A.). Sofern die Kläger aufgrund dieser Hinweise
nähere Informationen wünschten, etwa über die genaue Höhe der Kosten oder weil
sie die Objektivität der Beratung der Beklagten durch an diese gezahlte
Provisionen gefährdet sahen, hatten sie auch hier die Möglichkeit zu weiteren
Nachfragen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1
ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.
11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO. Neuer Vortrag in dem nach Schluss der
mündlichen Verhandlung eingegangenen und nicht nachgelassenen Schriftsatz
der Kläger vom 30.10.2008 kann gemäß § 296a ZPO nicht mehr berücksichtigt
werden. Der Schriftsatz gibt keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der
Verhandlung.
Streitwert: 12.000 €.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.