Urteil des LG Frankfurt am Main vom 12.01.2011

LG Frankfurt: wirtschaftliches interesse, hinweispflicht, rechtshängigkeit, verjährungsfrist, anlageberatung, rückzahlung, gespräch, provision, sparkasse, erwerb

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Gericht:
LG Frankfurt 21.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-21 O 35/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 280 Abs 1 BGB
Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht wegen
fehlerhafter Anlageberatung beim Erwerb von Lehman
Brothers Zertifikaten
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit
sowie Zinsen in Höhe von 2 Prozent aus einem Betrag von 10,000,00 € für den
Zeitraum vom 15.1.2007 bis zum 22.12.2009 zu zahlen, Zug um Zug gegen
Übertragung von 10 Stück Lehman Brothers Zertifikaten (WKN AOLJV6).
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.591 ,00 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie
Zinsen in Höhe von 2 % für den Zeitraum vom 23.5.2008 bis zum 22.12.2009 zu
zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung derjenigen Endloszertifikate, die als
Ersatz für 20 Stück Zertifikate Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG (WKN
HV556F7) geliefert worden sind.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.196,43 € zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe von 409,00 € erledigt ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche wegen
fehlerhafter Anlageberatung geltend.
Die Zedentin und Zeugin S ist die Mutter der Klägerin. Die Zedentin war seit vielen
Jahren Kundin der Beklagten. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Käufe war
sie über 70 Jahre alt. Die Beklagte hat einen Depotvertrag aus dem Jahr 2004 zu
den Akten gereicht. Darin ist die Zedentin als Depotinhaberin ausgewiesen.
Das Vermögen der Zedentin belief sich zeitweilig auf ca. 150.000 €. In der
Vergangenheit hatte die Zedentin verschiedene Anlagen getätigt und
insbesondere Anleihen erworben.
Die Zedentin hatte in der Vergangenheit bei der Dresdner Bank Aktienfonds
erworben. Aufgrund von dadurch entstandenen Verlusten wollte sie über die
Beklagte unstreitig weder Aktien noch Aktienfonds erwerben.
Nach einem von der Beklagten zu den Akten gereichten WpHG-Bogen, der nicht
unterschrieben ist, war die Zedentin von der Beklagten in die Risikoklasse 4 (von 6)
eingestuft worden.
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Am 28. Dezember 2006 kam es zu einem Beratungsgespräch zwischen der
Zedentin einerseits und dem Berater B auf Seiten der Beklagten andererseits. Das
Gespräch fand in den Räumlichkeiten der Beklagten statt. Die Klägerin war
ebenfalls anwesend. Der Inhalt des Beratungsgesprächs ist zwischen den Parteien
umstritten. Am 3.1.2007 erteilte die Zedentin einen Kaufauftrag hinsichtlich der
streitgegenständlichen L Zertifikate. Es handelte sich um Alpha Express
Zertifikate. Diese waren so konzipiert, dass insbesondere dann Verluste entstehen
konnten, wenn es zu einer zu großen Underperformance des Euro Stoxx Select
Dividend 30 Index gegenüber dem DAX kommen sollte. Die Zedentin erwarb
Zertifikate zum Preis von 10.000 €. Die Kaufabrechnung datierte auf den
15.1.2007. Die Beklagte erzielte im Rahmen dieses Geschäfts eine Provision in
Höhe von 5 %, die sie vom Emittenten erhielt.
Am 15.5.2008 kam es erneut zu einer Beratung durch die Beklagte. Es wurde eine
Umschichtung empfohlen. Eine von der Zedentin gehaltene Adler-Spread-Anleihe
sollte veräußert werden. Der Berater empfahl den Erwerb eines Capped Bonus
Zertifikat der B-Bank. Der genaue Verlauf des Beratungsgesprächs ist auch hier
streitig. Das Zertifikat bezog sich auf den Dow Jones Euro Stoxx 50. Es wies eine
Sicherheitsbarriere auf. Bei einem Berühren oder Unterschreiten der
Sicherheitsbarriere konnten am Ende der Laufzeit u.U. Dow Jones Euro Stoxx 50
Endloszertifikate geliefert werden. Diese wurden zwischenzeitlich auch anstelle der
Capped Bonus Zertifikate ausgeliefert.
Die Beklagte erzielte im Zusammenhang mit diesem Geschäft eine Provision in
Höhe von 2,58 %, die sie vom Emittenten erhielt. Die Zedentin erwarb Zertifikate
zu einem Gesamtpreis von 20.000 €.
Am 8.1.2010 trat die Zedentin ihre Ansprüche an die Klägerin ab.
Mit Schreiben vom 21.10.2008 forderte die Zedentin Schadensersatz gegenüber
der Beklagten. Mit Schreiben vom 27.10.2008 sagte die Beklagte die Prüfung zu.
Mit Schreiben vom 17.3.2009 lehnte sie Schadensersatzansprüche ab. Wegen der
Einzelheiten der Schreiben wird auf Anlage K 10 Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Zedentin sei fehlerhaft beraten worden. Sie fordert
die Rückzahlung des Kaufpreises der Zertifikate zzgl. entgangenem Gewinn,
Zinsen und Rechtsanwaltskosten. Die Klägerin beruft sich insbesondere darauf,
dass keine Aufklärung über Kursrisiken, Funktionsweise der Zertifikate,
Bonitätsrisiko, Einlagensicherung und die von der Beklagten vereinnahmten
Provisionen erfolgt sei. Die Klägerin behauptet, die Zedentin habe in dem
Gespräch am 28.12.2006 gesagt, sie wolle ausschließlich in sichere und risikolose
Anlagen investieren. Sie habe betont, keinerlei Risiken eingehen zu wollen. Der
Berater habe gesagt, die Einlage sei 100% sicher. Ein Verlust des
Nominalbetrages sei nicht möglich. Allenfalls könne das Zinsniveau auf Sparniveau
fallen. Eine nachvollziehbare Erläuterung des Zertifikats sei nicht erfolgt. Es sei
nicht erwähnt worden, dass es sich um eine Inhaberschuldverschreibung handele,
dass die Emittentin L die Rückzahlung anstelle der Sparkasse schulde. Die
Zedentin habe gedacht, das Produkt sei ein solches der Sparkasse, welches L für
die Sparkasse aufgelegt habe. Ein Prospekt sei nicht ausgehändigt worden. In dem
zweiten Gespräch im Mai 2008 habe der Berater gesagt, die Papiere entsprächen
der konservativen Anlagestrategie der Klägerin. Da diese bereits zuvor gesagt
habe, dass kein Kapitalverlust auftreten solle, habe sie auf die Empfehlung des
Beraters vertraut. Anschließend sei es zum Kauf gekommen. Angaben zur
Provision habe die Beklagte nicht gemacht. Der Berater habe unzutreffender
Weise vor der Abgeltungssteuer gewahrt. Im Nachhinein habe sich herausgestellt,
dass die Zedentin gar nicht betroffen gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit
Rechtshängigkeit sowie 1.178,88 für entgangenen Zinsgewinn aus 10.000,00 € für
den Zeitraum vom 15.1.2007 bis zum 22.12.2009 Zug um Zug gegen
Übertragung von 10 Stück L Zertifikaten (WKN) Basket zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 19.591,00 € nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit sowie 1.273,33 € für entgangenen Zinsgewinn aus 20.000,00 €
für den Zeitraum vom 23.5.2008 bis zum 22.12.2009 zu zahlen Zug um Zug
gegen diejenigen Endloszertifikate, die für die 20 Stück Zertifikate B AG Bonuscap
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gegen diejenigen Endloszertifikate, die für die 20 Stück Zertifikate B AG Bonuscap
(WKN) geliefert worden sind, sowie weitere 1.505,35 zu zahlen.
Im Übrigen erklärt die Klägerin den Rechtsstreit in Höhe von 409,00 € für erledigt.
Die Beklagte widerspricht der Erledigungserklärung und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe die Zedentin ordnungsgemäß beraten. Der
Vortrag der Klägerin sei weitgehend unzutreffend. Die Zedentin sei keineswegs
sicherheitsorientiert gewesen. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der
streitgegenständlichen L Zertifikate am 3.1.2007 sei die Zedentin
chancenorientiert gewesen. Ihr Ziel habe darin bestanden, Zinsen und
Dividendenerträge zu erwirtschaften. Sie habe die Risikoklasse 4 (von 6)
aufgewiesen. Auch zum 15.5.2008 sei die Klägerin risikobewusst gewesen. In dem
Gespräch im Dezember 2006 habe der Berater die Klägerin ordnungsgemäß
beraten. Er habe der Zedentin einen Prospekt-Flyer angeboten. Darin sei ein
Hinweis auf die Risiken und auch auf die Provisionszahlung enthalten gewesen.
Anhand der Produktinformation habe der Berater das Zertifikat erklärt. Chancen
und Risiken seien ausführlich erläutert worden. Die Klägerin selbst habe das
Produkt der Zedentin in dem Sinne erklärt, dass sie den Index erläutert habe. Im
Übrigen bestehe keine Kausalität zwischen einem etwaigen Beratungsfehler und
dem Kauf der Zertifikate. Aufgrund der Steuervorteile hätte die Zedentin die
Anlage ohnehin erworben. Im Jahr 2007 sei anlässlich der MIFID-Umsetzung eine
Wertpapierbroschüre versandt worden. Auch in dieser seien Hinweise auf die
Erträge der Beklagten enthalten gewesen. Hinzu komme, dass die Zedentin
bereits im Jahr 2004 Basisinformationen zur Wertpapieranlage erhalten habe. Auch
die Beratung im Jahr 2008 sei ordnungsgemäß gewesen. Ohnehin habe bereits
vornherein keine Aufklärungspflicht hinsichtlich eines Emittentenrisikos, einer
Einlagensicherung, eines Totalverlustrisikos und der Provisionen der Beklagten
bestanden. Da kein Ausgabeaufschlag ausgewiesen sei, habe es sich von
vornherein nicht um aufklärungspflichtige Rückvergütungen im Sinne der BGH
Rechtsprechung gehandelt. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen S und B. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom
26.10.2010 und 23.11.2010 Bezug genommen (§ 313 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte eine Schadensersatzforderung aus
abgetretenem Recht wegen fehlerhafter Anlageberatung nach § 280 Abs. 1 BGB.
1. Die Zedentin und die Beklagte haben einen Anlageberatungsvertrag
geschlossen. Dieser kommt regelmäßig zumindest stillschweigend zustande, wenn
in Zusammenhang mit der Anlage eines Geldbetrages tatsächlich eine Beratung
stattfindet. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine
Haftung aus einem (stillschweigend abgeschlossenen) Beratungsvertrag immer
dann zu bejahen, wenn Auskünfte erteilt werden, die für den Empfänger erkennbar
von erheblicher Bedeutung sind und die dieser zur Grundlage wesentlicher
Entschlüsse oder Maßnahmen machen will. Das gilt insbesondere dann, wenn der
Auskunftsgeber für die Erteilung der Auskunft sachkundig ist oder wenn bei ihm ein
eigenes wirtschaftliches Interesse im Spiel ist. Das Fehlen sonstiger vertraglicher
Beziehungen schließt einen solchen haftungsbegründenden Auskunftsvertrag nicht
aus; dieser kommt gerade mit der Erteilung der Auskunft zustande (BGHZ 74,
103; juris). Der Vortrag der Klägerin lässt vorliegend die Bewertung zu, dass ein
Beratungsvertrag geschlossen wurde. Die Ausführungen hierzu werden von der
Beklagten nicht substantiell in Abrede gestellt. Vielmehr gehen beide Seiten davon
aus, dass die Klägerin von der Beklagten beraten wurde.
2. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des
Einzelfalles ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein. Maßgeblich
sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des
Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und
die Entwicklung des Kapitalmarktes, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den
besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Während die Aufklärung des
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besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Während die Aufklärung des
Kunden über diese Umstände richtig und vollständig zu sein hat, muss die
Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der
genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein. Das Risiko,
dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der
Kunde (BGH, Urteil vom 14.7.2009, Az XI ZR 152/08; juris).
3. Ausgehend von diesen Maßstäben liegt ein zum Schadensersatz
verpflichtendes Beratungsverschulden der Beklagten vor. Die Beklagte hat
dadurch gegen ihre Beratungspflichten verstoßen, dass sie die Zedentin nicht auf
das mit den Anlagen verbundene Emittentenrisiko hingewiesen hat.
Im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages ist eine Bank in der Regel nicht
verpflichtet, auf Risiken wie fehlende Einlagensicherung, Insolvenzrisiko,
Totalverlustrisiko und hinzuweisen. Es gibt insbesondere keine generelle Pflicht zur
Aufklärung über einen möglichen Totalverlust (OLG Frankfurt a.M., Urteil v.
15.10.2008, Az. 23 U 348/05). Hintergrund ist, dass es verschiedene
Anlageformen gibt, denen dieses Risiko immanent ist. Hierzu zählen nicht nur
Aktien und Zertifikate, sondern auch Anleihen selbst bonitätsstarker Emittenten.
Vor diesem Hintergrund darf eine Bank vom Grundsatz her davon ausgehen, dass
die genannten Risiken einem Kunden entweder bereits bekannt oder aber für ihn
unerheblich sind, weil sich andernfalls sein Anlageuniversum auf zu wenige
Produkte verengen würde.
Eine Aufklärungspflicht kann sich jedoch im Einzelfall ergeben, wenn besondere
Umstände diese begründen. Hierzu kann unter Umständen eine schlechte Bonität
des Emittenten, die Bildung eines Klumpenrisikos oder auch ein besonders
Sicherheitsbedürfnis des Kunden gehören. Wenn dem Kunden an einer sicheren
Anlage gelegen ist, ist dies dahin zu verstehen, dass jedenfalls das eingezahlte
Kapital erhalten bleiben sollte (vgl. BGH BB 2009, 1996-2001; Rn. 51; juris). Ein
solches Anlageziel ist mit einem Zertifikat nicht zu erreichen, denn das Zertifikat
ist nicht durch den Einlagensicherungsfonds abgesichert. In einem solchen Fall
entspricht die empfohlene Geldanlage dem Anlageziel des Kunden nicht und darf
ihm daher von vornherein nicht als für ihn geeignete Empfehlung angeboten
werden. Hat der Kunde - etwa wegen der attraktiven Ausschüttungen - gleichwohl
weiterhin Interesse an einer solchen Geldanlage, hat der Kundenberater
angesichts des hervorgehobenen Sicherungsbedürfnisses den Kunden
unmissverständlich auf eine im denkbaren Insolvenzfall fehlende
Einlagensicherung der Insolvenzschuldnerin hinzuweisen (vgl. BGH BB 2009, 1996-
2001; Rn. 51; juris).
4. Aufgrund der vorangegangenen Kriterien muss im vorliegenden Fall eine
Hinweispflicht der Beklagten auf ein Emittentenrisiko angenommen werden. Denn
aufgrund des Parteivortrags und auch aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme vom 23.11.2010 steht fest, dass die Klägerin zunächst vom
Grundsatz her Produkte ohne Kursverlustrisiko erwerben wollte. In diesem
Zusammenhang kann offen bleiben, inwieweit dieses Ergebnis auf die Aussage der
Zeugin S gestützt werden kann. Jedenfalls ergibt sich dies auch aus der Aussage
des Zeugen B. Denn dieser hat bekundet, dass die Zedentin keine Aktien oder
Aktienfonds erwerben wollte. Hintergrund seien die zuvor erlittenen Kursverluste
gewesen. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig. Aus diesem Umstand
heraus ist ersichtlich, dass es der Zedentin vom Grundsatz her darauf ankam,
Kursverluste zu vermeiden. Damit ist ein besonderes Sicherheitsbedürfnis des
Kunden gegeben, wie es Voraussetzung für eine Hinweispflicht auf das
Emittentenrisiko ist.
Dieses Sicherheitsbedürfnis ist vorliegend nicht aufgrund eines Wunsches der
Zedentin, steuergünstig anzulegen, in der Weise reduziert, dass es die genannte
Hinweispflicht der Beklagten entfallen lassen würde. Auf der Basis der Aussage der
Zeugin S ist dies von vornherein nicht der Fall, da sie bekundet hat, sicher anlegen
zu wollen. Auch der Basis der Bekundungen des Zeugen B wird das
Sicherheitsbedürfnis der Zedentin zwar dadurch relativiert, dass die Zedentin dazu
bereit gewesen sei, zu Erzielung von Steuervorteilen mehr Risiken einzugehen.
Dies führt jedoch nicht zu einer anderen Bewertung. Denn ein anderer Grund,
weshalb die Zedentin Risiken hätte eingehen wollen, als derjenige der
Steuerersparnis, ist vorliegend auch auf Basis des Vortrags des Zeugen B nicht
ersichtlich. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Zedentin ihr
Sicherheitsbedürfnis vom Grundsatz her beibehielt und allenfalls bereit war, es
aufgrund von Steuervorteilen teilweise aufzuweichen. Zwar war der Zeuge B ohne
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aufgrund von Steuervorteilen teilweise aufzuweichen. Zwar war der Zeuge B ohne
weiteres dazu berechtigt, auf etwaige Steuervorteile der Zertifikatsanlagen
aufmerksam zu machen und diese der Zedentin als Beimischung zu empfehlen.
Jedenfalls ergibt sich aus dem Sachverhalt der Parteien nichts Gegenteiliges.
Aufgrund des für ihn zugleich erkennbaren Wunsches der Zedentin, wegen der
negativen Erfahrungen mit Aktienfonds vom Grundsatz her Kursverluste zu
vermeiden, bestand jedoch zugleich eine Hinweispflicht auf diejenigen Risiken, die
zu Kursverlusten führen können. Denn dabei handelte es sich um für die Zedentin
erkennbar wesentliche Entscheidungsgrundlagen. Auch das Emittentenrisiko
gehört hierzu, weil es wie bei Aktien, welche die Zedentin nicht erwerben wollte, zu
einem Totalverlust führen kann. Ohne Kenntnis dieses Risikos ist keine
hinreichende Informationsbasis der Zedentin gegeben, auf der sie eine
angemessene Entscheidung zur Aufweichung des Sicherheitsbedürfnisses zwecks
Realisierung von Steuervorteilen hätte treffen können.
5. Erst recht ist eine Hinweispflicht der Beklagten auf ein Emittentenrisiko dann
anzunehmen, wenn man davon ausgeht, dass über das Emittentenrisiko
unabhängig von dem konkreten Emittenten dahingehend aufgeklärt werden muss,
dass bei einem Zertifikat im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Emittenten der
Totalverlust der Anlage droht, d.h. dass Zertifikate generell von der Bonität des
Emittenten abhängen (so die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M., WM 2010,
2111-2115; juris).
6. Die Beklagte ist dieser Hinweispflicht nicht nachgekommen. Nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme steht fest, dass die Beklagte in den beiden
Beratungsgesprächen am 28.12.2006 und am 15.5.2008 nicht auf das
Emittentenrisiko hingewiesen hat. Dies haben beiden Zeugen übereinstimmend
bekundet. Die Zeugin S hat bekundet, es sei nie darüber gesprochen worden, dass
das Geld „weg“ sein könne, wenn etwa die Emittentin L in Insolvenz gerate. Der
Zeuge B hat ebenfalls bekundet, auf ein Emittentenrisiko sei nicht hingewiesen
worden, weil dies damals generell nicht gemacht worden sei. Hintergrund sei das
Rating der Emittentin gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass beide Zeugen in diesem
Punkt die Unwahrheit gesagt haben könnten, sind für das Gericht nicht erkennbar,
so dass das Gericht davon auszugehen hat, dass jedenfalls nicht mündlich über
das Emittentenrisiko aufgeklärt worden ist.
Das Gericht hat ferner davon auszugehen, dass auch keine Aufklärung mit Hilfe
von schriftlichen Unterlagen zu den Zertifikaten erfolgt ist. Denn die Zeugin S hat
bekundet, es seien keine Unterlagen zum Zertifikat übergeben worden. Auch der
Zeuge B hat bekundet, dass die Unterlagen zwar zur Verfügung stünden, dass sie
der Kunde aber im Regelfall nicht haben wolle. Auch die Beklagte hat schriftsätzlich
vorgetragen, dass die Unterlagen zu den Zertifikaten lediglich angeboten worden
seien. Vor diesem Hintergrund besteht keinen Zweifel daran, dass die Zedentin
auch nicht durch schriftliche Prospekt-Flyer hinsichtlich der Beratung aufgeklärt
worden ist.
Eine Kenntnis der Zedentin über ein Emittentenrisiko lässt sich auch nicht aus der
Anlagehistorie herleiten. Denn es gibt keine konkreten Anhaltspunkte im
Vorbringen der Parteien dafür, dass es bei anderer Gelegenheit über eine
hinreichende Aufklärung über das Emittentenrisiko gekommen ist. Dergleichen
lässt sich auch nicht aus den Aussagen der Zeugen herleiten.
Eine etwaige Aufklärung in den AGB der Beklagte oder in allgemeinen schriftlichen
Informationen wäre vorliegend nicht ausreichend, weil sie keinen hinreichend
konkreten Bezug zur Beratungssituation hat.
Soweit der Zeuge B darauf hingewiesen hat, dass damals generell auf ein
Emittentenrisiko nicht hingewiesen worden sei, führt dies nicht zu einer anderen
Bewertung. Dies mag dazu führen, dass dem Zeugen B selbst keinen Vorwurf zu
machen ist. Dies ist jedoch nicht entscheidungserheblich, weil es nicht darauf
ankommt, aus welchen internen Gründen heraus der erforderliche Hinweis
unterblieben ist.
7. Offenbleiben kann, ob noch aus anderen Gründen heraus ein Beratungsfehler
anzunehmen ist, etwa wegen einer möglicherweise nicht hinreichenden Aufklärung
über die Rückzahlung in Form von Endloszertifikaten. Das OLG Frankfurt hat in der
Vergangenheit besondere Aufklärungspflichten hervorgehoben, wenn die
Möglichkeit der Lieferung von Ersatzzertifikaten besteht (OLG Frankfurt ZIP 2010,
567-571; juris). Der Zeuge B hat u.a. bekundet, er habe in der Lieferung des
Endloszertifikats ein zusätzliches Sicherheitsmerkmal gesehen. Offen bleiben kann
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Endloszertifikats ein zusätzliches Sicherheitsmerkmal gesehen. Offen bleiben kann
auch, ob ein Beratungsfehler anzunehmen ist – wie die Klägerin vorträgt – weil die
Zertifikate möglicherweise aufgrund des aktienorientierten Bezugswertes nicht zu
der Anlagestrategie der Klägerin gepasst hätten.
8. Als Rechtsfolge steht der Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises der
Zertifikate zu. Hiervon ist der von der Zedentin erhaltene Betrag in Höhe von 409
€ abzuziehen. Insoweit hat sich der Rechtsstreit nachträglich erledigt, woraufhin die
Erledigungsklärung des Klägervertreters in einem entsprechenden Antrag auf
Feststellung der Erledigung umzudeuten war. Die Klägerin hat der Beklagten im
Gegenzug die erlangten Wertpapiere bzw. die als Ersatz erlangten Endloszertifikate
Zug um Zug zurückzugeben.
9. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Dies gilt auch dann, wenn man mit der
Beklagten annimmt, dass die Verjährungsfrist bereits mit der Ordererteilung am
3.1.2007 zu laufen begann. Denn die Verjährungsfrist wurde durch die Anfrage der
Klägerin, welche Rückabwicklung bzw. Rückerstattung der 10.000 € begehrt hat,
gemäß § 203 BGB gehemmt. Der Begriff der Verhandlung in § 203 BGB ist weit
auszulegen. Der Gläubiger muss klarstellen, dass er einen Anspruch geltend
macht und worauf er ihn im Kern stützt. Anschließend genügt jeder
Meinungsaustausch über den Anspruch, es sei denn, dass der Schuldner sofort
erkennbar Verhandlungen ablehnt (Palandt/Ellenberger, BGB, 69. Aufl. 2010, § 203
Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn die Beklagte lehnte nicht
umgehend die Schadensersatzansprüche ab sondern teilte zunächst mit, dass sie
diese prüfen werde. Erst in einem späteren Schreiben wies sie die
Schadensersatzansprüche der Klägerin zurück. Dies genügte bereits, um eine
Hemmung nach § 203 BGB auszulösen mit der Folge, dass die Verjährungsfrist in
dieser Zeit gehemmt war. Die Klage ging bereits am 14. Januar 2010 bei Gericht
ein, so dass die Verjährungsfrist in jedem Fall gewahrt ist. Es kam auch nicht zu
einer durch Verschulden der Klägerseite begründeten verzögerten Zustellung der
Klage bei der Beklagten. Denn die Klägerseite hat den Vorschuss auf die
Gerichtsgebühren unverzüglich gezahlt. Die Gerichtsgebühren wurden mit
Vorschussanforderung vom 20.1.2010 angefordert, sie gingen bereits am
28.1.2010 bei Gericht ein. Soweit es zu Verzögerungen bei der Klagezustellung
gekommen ist, gingen diese also nicht auf die Klägerseite zurück.
10. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung auf Zinsen ab Rechtshängigkeit in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß §§ 291, 288
BGB.
Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf entgangenen Gewinn gemäß §§ 280,
252 BGB. Dieser war in Höhe von 2 % für den geltend gemachten Zeitraum
zuzusprechen. Vom Grundsatz her ist einem Kläger derjenige entgangene Gewinn
zu ersetzen, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit
zu erwarten wäre (§ 252 BGB). An die Darlegung des entgangenen Gewinns sind
keine strengen Anforderungen zu stellen, sondern der Klägerin sind - wie bei § 287
ZPO - gewisse Erleichterungen bei der Darlegungslast zugute zu halten. Die
Wahrscheinlichkeit einer Gewinnerzielung aufgrund einer zeitnahen alternativen
Investitionsentscheidung kann jedenfalls nach neuerer BGH-Rechtsprechung
grundsätzlich nur mit Hilfe einer konkreten Berechnung festgestellt werden (BGH
NJW 2004, 1868; juris). Auch das OLG Frankfurt a.M. hat sich dieser Ansicht
angeschlossen. Danach reicht die pauschale Darlegung, dass der investierten
Geldbetrag anderweitig angelegt worden wäre, nicht zur Begründung entgangenen
Gewinn aus (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.05.2009, Az. 23 U 162/07; juris). Die
bloße Behauptung, ein Kläger hätte sein Kapital anderweitig angelegt und eine
bestimmte Rendite p.a. erzielt, ist unzureichend (OLG Frankfurt, Urt. v.
08.07.2009, Az. 23 U 228/08; juris).
Ein Zinsschaden iHv 2 % ist hier unter besonderer Berücksichtigung des
Sicherheitsinteresses der Zedentin dem Grunde nach hinreichend dargelegt; er
ergibt sich typischerweise daraus, dass das angelegte Eigenkapital
erfahrungsgemäß nicht ungenutzt geblieben, sondern zu einem allgemein
üblichen Zinssatz angelegt worden wäre (OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 3.11.2010,
19 U 70/10; juris). Diesen nach §§ 280 Abs. 1, 252 BGB zu ersetzenden
Zinsschaden schätzt der erkennende Richter gemäß § 287 ZPO auf 2 % jährlich.
Darüber hinausgehende Zinsen konnten nicht zugesprochen werden.
Voraussetzung hierfür wäre nach der genannten Rechtsprechung, dass die
Klägerin konkret vorträgt und ggf. beweist, in welcher Anlageform ggf. angelegt
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Klägerin konkret vorträgt und ggf. beweist, in welcher Anlageform ggf. angelegt
worden wäre. Dies ist nicht erfolgt.
Die Klägerin kann ferner die angefallenen Rechtsanwaltskosten geltend machen,
soweit diese erforderlich und zweckmäßig gewesen sind. Diese können hier in
Höhe von 1,3 Gebühren aus einem Streitwert in Höhe von 30.000 € (= Kaufpreis
der Zertifikate) zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer geltend gemacht
werden. Daraus errechnet sich ein Betrag in Höhe von 1.196,43 €. Hinreichende
Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten weitere Rechtsanwaltskosten in
Rechnung gestellt werden könnten, sind aus dem Vortrag der Parteien nicht
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.