Urteil des LG Frankfurt am Main vom 09.01.2009

LG Frankfurt: abend, notfall, mitverschulden, pauschalreisevertrag, rückerstattung, schmerzensgeld, entschädigung, gesundheitszustand, koma, urlaub

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-19 O 153/08,
2/19 O 153/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 651d Abs 1 BGB, § 651f
BGB, § 823 Abs 1 BGB
Pauschalreisevertrag: Obhuts- und Fürsorgepflichten des
Reiseveranstalters; Hotelzimmerkontrolle
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin buchte bei der Beklagten eine Reise nach Scharm El-Scheich (Sharm
El Sheikh) in Ägypten in das Hotel ... für die Zeit vom 18. Mai bis 1. Juni 2007 zum
Preis von 568 Euro. Sie bewohnte dort ein Einzelzimmer.
Am 31. Mai fand kein Zimmerservice statt, weil die Klägerin an ihr Zimmer ein
"Don't disturb"-Schild gehängt hatte. Der Klägerin wurde ein Nachrichtenzettel
unter der Tür durchgeschoben, wonach ihr Ehemann angerufen habe und sich
Sorgen mache, da sie sich nicht gemeldet habe. Der Ehemann der Klägerin rief
auch die Beklagte selbst an, damit diese veranlasse, dass das Zimmer der
Klägerin überprüft werde. Zwei weitere Nachrichtenzettel, darunter eine Nachricht
des Hotels mit dem Hinweis, man habe versucht, sie zu erreichen, sie möge sich
dringend melden, wurden der Klägerin am 1. Juni unter der Tür durchgeschoben.
Das Schild "Don't disturb" hing an diesem Tag noch immer an der Zimmertür. Im
Laufe des Tages wurde das Hotelzimmer dann geöffnet. Die Klägerin lag mit einer
durch akutes Nierenversagen bedingten Harnvergiftung ohnmächtig auf dem Bett.
Sie wurde auf die Intensivstation eines Krankenhauses gebracht und befand sich
fünf Tage im Koma.
Die Klägerin war bis Ende November 2007 arbeitsunfähig. Sie leidet als Folge der
Harnvergiftung noch heute unter Problemen mit der Sprache.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2007 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten
Ansprüche geltend.
Die Klägerin behauptet, sie habe in dem Urlaub zuvor jeden Abend um 20 Uhr
ihren Ehemann angerufen. Am Abend des 30. Mai habe sie sich auf ihr Zimmer
begeben, weil sie sich nicht wohl gefühlt habe. Sie habe dann aufgrund einer
schweren Magen-Darm-Störung hohe Flüssigkeitsverluste erlitten und das
Bewusstsein verloren. Ihr Ehemann habe mindestens 20 Mal an der Hotelrezeption
angerufen und verlangt, ihr Zimmer zu kontrollieren, da ihr etwas zugestoßen sein
müsse. Hierzu behauptet die Klägerin weiter, dass dann, wenn die Hotelmitarbeiter
auf die Anrufe ihres Ehemannes reagiert hätten und sie bereits am 31. Mai
gefunden hätten, eine Infusion durch den Hotelarzt genügt hätte, um ihren
Gesundheitszustand wieder herzustellen.
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Weiter behauptet die Klägerin, sie sei als Folge des Vorfalls bis Ende September
2007 zu keiner Verrichtung von Haushaltstätigkeiten in der Lage gewesen. Im
Oktober und November 2007 sei ihre Fähigkeit zur Arbeit im Haushalt noch zu 50
% gemindert gewesen.
Mit der Klage (Antrag zu 1.) beansprucht die Klägerin die Rückerstattung des
Reisepreises, eine Entschädigung für nutzlos aufgewandte Urlaubszeit in Höhe von
216 Euro, die Erstattung diverser Kosten, die sie mit 1.745,86 Euro beziffert und
wegen derer bezüglich der Einzelheiten auf die Ausführungen in der Klageschrift S.
15-17 (Bl. 15-17 d.A.) verwiesen wird, sowie Ersatz eines
Haushaltsführungsschadens in Höhe von 3.780 Euro.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 2.529,86 nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.10.2007 sowie
weitere Euro 3.780,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.06.2008 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 24.10.2007 zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen weiteren
materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch noch
entsteht, dass die Beklagte erst am Nachmittag des 01.06.2007 ärztliche Hilfe für
sie geholt hat, obwohl sie bereits seit dem 30.05.2007 ohnmächtig in ihrem
Hotelzimmer gelegen hat;
4. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe
von Euro 1.196,43 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit 23.06.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Vorfall sei Teil des allgemeinen Lebensrisikos der Klägerin.
Dazu behauptet sie, der Zusammenbruch der Klägerin sei die Folge von
übermäßigem Alkoholkonsum gewesen. Im Hinblick auf den Zeitablauf müsse die
Klägerin bereits zuvor unter Niereninsuffizienz gelitten haben. Sie habe trotz
notwendig vorhandener Symptome jedoch keinen Arzt aufgesucht – insoweit
unstreitig –, was jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden begründe.
Abgesehen davon liege bereits keine Pflichtverletzung vor, denn es bestehe keine
Pflicht, ständig aufgrund vager Vermutungen Reisegäste zu überwachen und zu
kontrollieren. Es komme öfter vor, dass sich Reisende mit Urlaubsbekanntschaften
auf ihre Zimmer zurückzögen und nicht gestört werden wollten. Anrufe von
Ehegatten Alleinreisender, die mit fehlenden Rückrufen begründet werden, seien in
Hotels an der Tagesordnung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch
aus § 651d Abs. 1, § 651f oder § 823 BGB. Es liegt bereits kein Reisemangel und
damit auch keine deliktische Pflichtverletzung vor, so dass es auf die weiteren
Fragen, insbesondere nach der Kausalität des vermeintlichen Fehlverhaltens der
Hotelmitarbeiter für den Schaden und einem Mitverschulden der Klägerin, nicht
mehr ankommt.
Die Erkrankung der Klägerin an sich fällt in den Bereich des allgemeinen
Lebensrisikos. Anknüpfungspunkt für Ansprüche gegen die Beklagte könnte nur
der Umstand sein, dass trotz Anrufen des Ehemannes der Klägerin das
Hotelzimmer der Klägerin nicht früher geöffnet wurde. Hierzu waren die Mitarbeiter
des Hotels als Erfüllungsgehilfen der Beklagten jedoch nicht verpflichtet. Ebenso
wenig bestand Veranlassung für die Beklagte selbst, auf entsprechende
Maßnahmen seitens des Hotels hinzuwirken.
Den Reiseveranstalter treffen zwar Obhuts- und Fürsorgepflichten gegenüber dem
Reisenden (BGH NJW 2007, 2549, 2551). Diese gehen jedoch nicht so weit, auf
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Reisenden (BGH NJW 2007, 2549, 2551). Diese gehen jedoch nicht so weit, auf
Wunsch anderer Personen, sei es auch, wie hier, der – nicht mitreisende –
Ehegatte, ein mit dem Hinweis "Do not disturb" versehenes Hotelzimmer zu
öffnen, ohne dass hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Notfall
vorliegt. Darin läge ein massiver Eingriff in die Privatsphäre des Hotelgastes, der
ausdrücklich seinen Wunsch, nicht gestört zu werden, kundgetan hat. Vielmehr
würde umgekehrt ein solches Verhalten einen Reisemangel begründen. Eine
Situation, in der sich ein Hotelgast in seinem Zimmer in einer hilflosen Lage
befindet, ohne wenigstens zunächst noch die Möglichkeit zu haben, sich mit dem
im Zimmer vorhandenen Telefon oder auch unmittelbar akustisch bemerkbar zu
machen, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Der bloße – durch einen Dritten
behauptete – Umstand, dass sich ein Hotelgast entgegen seiner sonstigen
Gewohnheit nicht gemeldet habe und keine Anrufe entgegen nehme, stellt keinen
hinreichenden Anhaltspunkt für einen solchen Notfall dar.
Erst als sich das "Do not disturb"-Schild auch am zweiten Tag hintereinander an
der Tür befand und die Klägerin auch auf die Bitte des Hotels um Meldung nicht
reagiert hatte, bestand Veranlassung, das Hotelzimmer zu öffnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Streitwert: 27.309,86 Euro (2.529,86 Euro + 3.780 Euro Antrag zu 1.; gemäß
Angabe Klägerin 14.000 Euro Antrag zu 2.; gemäß Angabe Klägerin 7.000 Euro
Antrag zu 3.)
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.