Urteil des LG Flensburg vom 29.03.2017

LG Flensburg: stationäre behandlung, mehrere unfälle, private unfallversicherung, invalidität, versicherungsdauer, versicherungsleistung, gebrechen, minderung, vollstreckung, versicherungsschutz

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Gericht:
LG Flensburg 1.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 S 1/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 3 AUB
Unfallversicherung: Anspruchsmindernde Berücksichtigung
von während der Versicherungsdauer eingetretener
früherer Unfälle
Leitsatz
Krankheiten sind in der Unfallversicherung als Vorschädigung auch dann
anspruchsmindernd zu berücksichtigen, wenn sie ihrerseits auf Unfällen während der
Versicherungsdauer beruhen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom 4.
Dezember 2006 - 63 C 76/06 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten um die Eintrittspflicht der Beklagten aufgrund eines privaten
Unfallversicherungsvertrages.
Aufgrund Versicherungsscheins vom 25. Juni 1999 (Blatt 42 f. d. A.) unterhielt der
Kläger bei der Beklagten eine private Unfallversicherung. Am 1. Juli 2000 erlitt er
einen Unfall und zog sich dabei einen Riss des vorderen Kreuzbandes zu. Eine
Leistung aus der Unfallversicherung beanspruchte der Kläger damals nicht, weil
keine Invalidität festgestellt worden war. Die ihm mit Schreiben vom 18. Juni 2001
von der Beklagten übersandten Blätter „
" sowie „ " sandte der
Kläger an die Beklagte nicht zurück. Die Beklagte erbrachte wegen des Unfalls
keine Versicherungsleistungen.
Im August 2003 beantragte der Kläger den Abschluss einer neuen
Unfallversicherung bei der Beklagten, die am 2. September 2003 einen
entsprechenden Versicherungsschein ausstellte (Blatt 72/73 d. A.). In dem
Versicherungsschein heißt es u. a. „
In diesen Vertrag einbezogen wurden die Allgemeinen
Unfallversicherungsbedingungen der Beklagten, die AUB 2000.
Am 20. April 2004 erlitt der Kläger erneut einen Unfall, bei dem er erheblich am
Knie verletzt wurde. Auf Antrag des Klägers rechnete die Beklagte mit Schreiben
vom 21. Dezember 2005 (Blatt 5 d. A.) über die von ihr wegen des Unfalls zu
erbringenden Versicherungsleistungen ab. In dieser Abrechnung nahm die
Beklagte unter Hinweis auf Ziffer 3 AUB 2000 wegen der Mitwirkung unfallfremder
Krankheiten einen Abzug in Höhe von 5,25 % der Grundinvaliditätssumme vor, was
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Krankheiten einen Abzug in Höhe von 5,25 % der Grundinvaliditätssumme vor, was
bei der vereinbarten Summe von 60.000 € einem Betrag von 3.150 € entsprach.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 16. Januar 2006 forderte der Kläger die
Beklagte auf, auch diesen Betrag an ihn auszuzahlen mit der Begründung, dass
die Mitverursachung durch einen früheren, dem Grunde nach ebenfalls
versicherten Unfall bei der Minderung des Invaliditätsgrades außer Betracht zu
bleiben habe. Mit Schreiben vom 24.04.2006 lehnte die Beklagte weitere
Versicherungsleistungen ab.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.150,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Januar 2006 sowie
186,82 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltkosten zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und gemeint, die Beklagte sei
berechtigt gewesen, die 3.150,00 € von der berechneten Invaliditätsleistung in
Abzug zu bringen. Dies ergebe sich aus Ziffer 3 AUB 2000, wonach sich im Falle
einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades entsprechend dem Anteil
der Krankheit oder des Gebrechens mindere, wenn Krankheiten oder Gebrechen
bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung mitgewirkt
hätten. Unstreitig habe sich der frühere Unfall aus dem Jahre 2000 mit einer Quote
von 25 % auf die jetzigen Beeinträchtigungen ausgewirkt, weshalb die Beklagte
einen entsprechenden Abzug von der Versicherungsleistung habe vornehmen
dürfen. Sinn und Zweck der Ziffer 3 der AUB 2000 sei, dass die Versicherung nur
für das einstehen müsse, wofür sie eintrittspflichtig sei. Daraus folge, dass frühere
Unfälle, für welche keine Eintrittspflicht bestanden habe, nicht im Nachhinein
aufgrund des späteren Unfalls so behandelt werden könnten, als habe von
vornherein eine Eintrittspflicht bestanden. Dies stehe im Einklang mit den von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Unfallversicherung, insbesondere
jenem Grundsatz, dass sämtliche Unfälle getrennt abzurechnen seien und nur
dann ein Zusammenwirken bejaht werde, wenn der spätere Unfall ursächlich durch
Folgen des ersten Unfalls herbeigeführt worden sei. Nur in diesem Fall könne der
erste Unfall erhöhend zur Invaliditätsquote beitragen. Dies gelte aber nicht bei
zwei voneinander unabhängigen Unfällen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen ursprünglichen
Klageantrag weiter verfolgt und die er wie folgt begründet:
Das Amtsgericht differenziere nicht hinreichend zwischen dem Versicherungsfall
und der Frage, ob der infolge des Versicherungsfalls eintrittspflichtige Versicherer
auch eine Versicherungsleistung zu erbringen habe. Bei dem ersten Unfall des
Klägers im Jahre 2000 habe eine Unfallversicherung bei der Beklagten bestanden.
Damit sei die Beklagte für diesen ersten Unfall eintrittspflichtig gewesen. Aus der
Entscheidung des OLG Koblenz, VersR 2001, 1150, ergebe sich, dass die Beklagte
in dem hier zu entscheidenden Fall wegen des ersten Unfalls keine Abzüge wegen
Vorerkrankungen machen dürfe. Die Invalidität des Klägers sei vollständig auf
Unfälle zurückzuführen, die sich während bestehender Versicherungen bei der
Beklagten ereignet hätten und daher Versicherungsfälle darstellten. Bei der
Anrechnungsvorschrift Ziffer 3 AUB 2000 gehe es darum, solche körperlichen
Schäden von der Entschädigungsleistung auszunehmen, die nicht auf die
Verwirklichung des versicherten Risikos zurückgingen. Der körperliche Zustand des
Klägers sei jedoch unstreitig vollständig auf Unfälle zurückzuführen, die während
bestehender Versicherung bei der Beklagten eingetreten seien. Der
Gesamtzustand des Klägers sei daher Folge der Verwirklichung des versicherten
Risikos, weshalb eine Kürzung ausscheide.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn
3.150,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 27. Januar 2006 sowie weitere 186,82 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und führt ergänzend aus, dass die AUB
2000 von ihrer Systematik her darauf abzielten, unfallfremde
Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Bemessung der Leistungspflicht außer
Betracht zu lassen. Führten solche bereits zu einer Vorinvalidität, gelte Ziffer 2
AUB 2000 mit der Folge, dass die Invalidität um die Vorinvalidität zu mindern sei.
Führten die unfallfremden Krankheiten oder Gebrechen nicht zur Begründung einer
Vorinvalidität, gelte Ziffer 3 AUB 2000 mit der Folge der Minderung des
Prozentsatzes des Invaliditätsgrades.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der
Sache hat sie keinen Erfolg.
Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte berechtigt
war, von der berechneten Invaliditätsleistung gemäß Ziffer 3 der AUB 2000 5,25 %
der Grundinvaliditätssumme in Abzug zu bringen. Zwischen den Parteien ist
aufgrund des Gutachtens des behandelnden Arztes Dr. D unstreitig, dass die
Funktionsbeeinträchtigung des linken Beines des Klägers nicht allein auf den Unfall
vom 20. April 2004, sondern zu 25 % mitwirkend aufgrund eines Vorschadens aus
dem Unfall vom Juni 2000 zurückzuführen war. Gemäß § 3 der AUB 2000, die
unstreitig Vertragsbestandteil geworden sind, hat sich dadurch der Prozentsatz
des Invaliditätsgrades entsprechend dem Anteil der Vorschädigung gemindert.
Ohne Rechtsfehler geht das Amtsgericht auch davon aus, dass die Beklagte für
den ersten Unfall nicht eintrittspflichtig war. Zwischen den Parteien ist unstreitig,
dass der Kläger seinerzeit geforderte Nachweise für die Invalidität nicht
beigebracht hatte und die Beklagte deshalb für den Unfall aus dem Jahre 2000
nicht eingetreten ist und nicht eintreten musste, da der Kläger zudem eingeräumt
hat, dass aufgrund des Unfalls im Jahre 2000 eine Invalidität nicht bestand.
Krankheiten und Gebrechen sind in der Unfallversicherung als Vorschädigung auch
dann anspruchsmindernd zu berücksichtigen, wenn sie ihrerseits auf Unfällen
beruhen. Dies gilt ohne Weiteres, wenn der erste Unfall vor Versicherungsbeginn
stattgefunden hat. Es muss aber auch dann gelten, wenn der erste Unfall während
der Versicherungsdauer eingetreten ist und - wie hier - die Fristen, sei es als
anspruchsbegründende Voraussetzung, sei es als Ausschlussfristen, für die
Geltendmachung von Ansprüchen bereits verstrichen sind ( ,
Unfallversicherung, 4. Aufl., S. 193). Die Beklagte hat vor diesem Hintergrund zu
Recht den Mitwirkungsanteil aus dem ersten Unfallereignis bei der Veranlagung
des zweiten Unfallereignisses leistungsmindernd im Sinne von Ziffer 3 AUB 2000
berücksichtigt.
Die vom Kläger in diesem Zusammenhang vorgenommene Differenzierung
zwischen der Eintrittspflicht des Versicherers und seiner Verpflichtung, eine
Versicherungsleistung zu erbringen, findet im Gesetz keine Stütze und wird dem
Sinn und Zweck der Vorschädigungsklausel nicht gerecht, die solche Ursachen
vom Versicherungsschutz abgrenzen will, die außerhalb der
anspruchsausfüllenden Kausalreihe zwischen Unfallereignis und
Gesundheitsschädigung liegen. Für bereits bestehende Gesundheitsschäden kann
ein Unfallereignis nie kausal sein ( , a. a. O., S. 190).
Andernfalls müsste die Beklagte im Nachhinein Invaliditätsleistungen für den Unfall
aus dem Jahre 2000 erbringen, die sie aufgrund des damaligen
Vertragsverhältnisses nicht zu erbringen verpflichtet war. Der Versicherungsschutz
des Klägers würde dadurch rückwirkend erweitert. Das wäre eine Folge, die Ziffer 3
der AUB 2000 vermeiden will, ohne dass die Kammer darin eine unangemessene
Benachteiligung des Klägers zu erblicken vermag. Es muss deshalb bei dem
Grundsatz verbleiben, dass mehrere Unfälle in der privaten Unfallversicherung
getrennt abzurechnen sind und im vorliegenden Fall von diesem Grundsatz keine
Ausnahme zu machen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10, 711
ZPO.
25 Die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergeht gemäß § 543 Abs. 2
Ziffer 2 ZPO, da eine höchstrichterliche Entscheidung zu der hier erheblichen
Rechtsfrage, ob frühere Unfälle auch dann anspruchsmindernd zu berücksichtigen
sind, wenn sie während der Versicherungsdauer eingetreten sind und die Fristen
für die Geltendmachung von Ansprüchen bereits verstrichen sind - soweit
ersichtlich -, noch nicht ergangen ist.