Urteil des LG Flensburg vom 14.03.2017

LG Flensburg: treu und glauben, grundstück, eigentümer, regen, unterlassen, wohngebäude, eigentum, foto, besitzer, zustandsstörer

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Gericht:
LG Flensburg 1.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 S 46/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 1004 Abs 1 S 2
BGB, § 26 Abs 1 NachbG SH
Nachbarrecht: Unterlassung der Beeinträchtigung des
Nachbargrundstücks durch Traufwasser von einem
Reetdach in Schleswig-Holstein; Haftung für einen vom
Rechtsvorgänger geschaffenen Zustand des Grundstücks
Leitsatz
1. Kann Traufwasser nur bei seltenen Naturereignissen auf das Nachbargrundstück
gelangen, verstößt ein Unterlassungsbegehren unter Umständen gegen Treu und
Glauben, besonders bei Reetdächern in Schleswig-Holstein.
2. Ausschluss der Zustandshaftung für Vorgänger.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Husum vom
21.04.2006 - Az.: 2 C 1179/04 - geändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger nach einem Streitwert erster
Instanz von 4.600,00 € und zweiter Instanz von 3.066,00 €.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, vier Leitungen, die vom Grundstück
des Beklagten auf das der Kläger führen, zu entfernen und es zu unterlassen, dass
Traufwasser auf das Grundstück der Kläger übertritt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte und macht geltend, die
Rohrleitungen seien vom früheren Eigentümer des klägerischen und des beklagten
Grundstücks verlegt worden, als dieses noch eines gewesen sei. Zum Zeitpunkt
des Eigentumserwerbs des Grundstücks durch ihn, den Beklagten, seien sie schon
ohne Funktion gewesen. Er, der Beklagte, sei deshalb weder Handlungs- noch
Zustandsstörer.
Er habe nur die beiden Schläuche auf dem Foto K 7.1 oben rechts (Bl. 3 h d. A. =
Anlage zum Urteil des Amtsgerichts Husum) verlegt, die aber bereits im Rahmen
eines Ortstermins entfernt worden seien. Letzteres ist unstreitig.
Eine Verpflichtung, den Übertritt von Traufwasser auf das Grundstück der Kläger zu
verhindern, bestehe nicht, weil nach dem Gutachten des Sachverständigen ein
solches Geschehen nur bei einer völlig ungewöhnlichen Naturkatastrophe möglich
sei, wenn sintflutartiger Regen auf gefrorenen Boden falle. Auch habe er, der
Beklagte, inzwischen am Fuß des Steinwalls eine Drainage auf einer Länge von 14
Metern verlegt, durch die jetzt jegliches Traufwasser von den Dächern der
Wohngebäude über eine Regenrinne in ein Auffangbecken abgeleitet und von dort
in das Regensiel gepumpt werde.
Die Kläger verteidigen das amtsgerichtliche Urteil.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Amtsgerichts Husum vom
21.04.2006 sowie die Berufungsbegründung des Beklagten vom 26.06.2006 (Bl.
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21.04.2006 sowie die Berufungsbegründung des Beklagten vom 26.06.2006 (Bl.
244 bis 247 d. A.) und die Erwiderung der Kläger vom 18.07.2006 (Bl. 254 bis 257
d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat insgesamt Erfolg.
Der Beklagte ist zunächst nicht gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Beseitigung
von vier Drainagerohren im südlichen Teil des Grundstücks der Kläger in Höhe des
Teiches verpflichtet.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Beklagte hinsichtlich der vier
verbliebenen Drainagerohre, die von seinem Grundstück auf jenes der Kläger
führen, nicht Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Ein Störer ist er von vornherein nicht insoweit, als er diese Rohre nach der
Behauptung der Kläger selbst verlegt haben soll. Denn dabei handelt es sich um
eine Behauptung ins Blaue hinein. Die Kläger können nicht "mit Nichtwissen"
bestreiten, dass die Rohre "vom Rechtsvorgänger im Eigentum" verlegt worden
seien (Schriftsatz vom 10.12.2004, Bl. 18 d. A.), sondern sie müssten schon
konkret darlegen, zu welcher Zeit und unter welchen Umständen die fraglichen
Rohre vom Beklagten oder von ihm beauftragten Handwerkern verlegt worden sein
sollen. Soweit der Klägervertreter im Termin zwei Fotos vorgelegt hat, auf denen
eine gelbe Drainageleitung erkennbar ist, hat der Beklagte persönlich glaubhaft
versichert, es habe sich hier nur um Baumaßnahmen auf seinem Grundstück
gehandelt und dies im Einzelnen erläutert. Auch hinsichtlich dieser Fotos hat die
Klägerseite im übrigen keine näheren Angaben gemacht, insbesondere zum
Zeitpunkt und Gegenstand der Baumaßnahmen. Jedenfalls sind hinsichtlich der
behaupteten baulichen Aktivitäten des Beklagten keine Beweisangebote erfolgt,
sodass die Kläger insoweit als beweisfällig angesehen werden müssen.
Allerdings geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass ein
Grundstückseigentümer auch dann als Störer angesehen werden kann, wenn der
Zustand von seinem Rechtsvorgänger herbeigeführt wurde. Dabei haftet der neue
Eigentümer nicht deshalb, weil sein Vorgänger verpflichtet war, sondern weil die
störende Sache ihm gegenwärtig zugeordnet ist und er deshalb durch sie in die
fremde Eigentumssphäre hineinwirkt. Die Haftung des neuen Besitzer oder
Eigentümers entsteht also originär (Grunsky, in: Staudinger, Kommentar zum
BGB, 3. Buch, Sachenrecht, 2006, § 1004 Rdnr. 132 und 133; Pikart, in: RGRK, Bd.
III 1. Teil, 12. Auflage, 1979, § 1004 Rdnr. 74; BGH, NJW 1968, 1327, 1328, jeweils m
. w. N.). Hervorzuheben ist dabei, dass in diesen Fällen der Beklagte als neuer
Eigentümer für die von dem Zustand seines Grundstücks ausgehenden
Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks verantwortlich ist, weil er kraft seines
Eigentums zur Beseitigung der Störungsquelle in der Lage ist (OLG Frankfurt,
OLGZ 1982, 352, 354 f). Da Gegner des aus § 1004 BGB gegebenen
Abwehranspruchs nur derjenige ist, auf dessen Willen die Beeinträchtigung des
fremden Eigentums zurückzuführen ist, muss zwischen seiner Willensbetätigung
und der Beeinträchtigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, der
allerdings kein unmittelbarer zu sein braucht. Das ist deshalb auch der Fall, wenn
Anlagen errichtet worden sind, von denen unter dem Spiel der Naturkräfte
Störungen fremden Eigentums ausgehen (RGZ 149, 205, 210 f, RGZ 134, 281, 283
f). Fehlt aber jeder Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Zustand der
Parzellen und einer Willensbetätigung des beklagten Grundstückseigentümers,
kommt ein Abwehranspruch nicht in Betracht (RGZ 134, 231, 285). So liegen die
Dinge hier. Die in Rede stehenden Drainagerohre sind nämlich nach den
Feststellungen des Sachverständigen heute ohne jede Funktion. Von ihnen wird
keinerlei Flüssigkeit mehr vom Grundstück des Beklagten auf jenes der Kläger
zugeführt. Insofern handelt es sich nicht mehr um störende Anlagen, sondern geht
es nur noch um die Rohre selbst als in den Grundstücken der Kläger und des
Beklagten verbliebene naturfremde Gegenstände. Diese Fremdkörper stellen aber
keine Anlage auf dem Grundstück des Beklagten mehr dar, durch die das
Grundstück der Kläger in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird. Es handelt sich nur
noch um die Fremdkörper als solche, die das Grundstück der Kläger- und der
Beklagtenseite gleichermaßen beeinträchtigen bzw. nicht beeinträchtigen, weil
Störungen durch sie in keiner Weise dargelegt werden oder erkennbar sind. Sie
befinden sich schließlich in einer Böschung, deren gärtnerische Nutzung durch sie
in keiner Weise eingeschränkt wird. Es kommt hinzu, dass nach dem nicht
substantiiert bestrittenen Vortrag des Beklagten diese Rohre vom früheren
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substantiiert bestrittenen Vortrag des Beklagten diese Rohre vom früheren
Eigentümer beider Grundstücke verlegt worden sind, als es sich noch um ein
gemeinschaftliches Grundstück handelte. Insoweit kann umso weniger davon
ausgegangen werden, dass durch diese Rohre bzw. Rohrenden ein Grundstück
zugunsten des Nachbargrundstücks beeinträchtigt würde. Dass die Kläger
berechtigt sind, die auf ihrem Grundstück verbliebenen Rohrenden zu beseitigen,
wird vom Beklagten im Übrigen nicht bestritten, sondern ausdrücklich
zugestanden.
Erfolg hat die Berufung weiter, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, es zu
unterlassen, Traufwasser auf das Grundstück der Kläger übertreten zu lassen.
Dass die Kläger grundsätzlich einen solchen Anspruch gegen den Beklagten aus §
1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Nachbargesetz Schleswig-
Holstein haben können, hat das Amtsgericht zutreffend dargelegt.
Eine Einschränkung dieses Anspruchs ergibt sich hier aber ausnahmsweise aus
Treu und Glauben (§ 242 BGB). Denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts
kann ein Übertreten von Traufwasser nur im Falle besonders ungünstiger
Bedingungen, d. h. bei starkem Platzregen sowie gefrorenem Boden erfolgen.
Zwar führen solch seltene Wetterereignisse zu einer Beeinträchtigung des
Grundstücks der Kläger, weil der Beklagte dann nicht alles Traufwasser von den
Gebäudedächern auf seinem Grundstück auffängt und in die Kanalisation ableitet.
Das ist indessen darauf zurückzuführen, dass der Beklagte die Gebäude mit Reet
gedeckt hat. Solche Dächer haben aber im Gegensatz zu Hartdächern keine
Dachrinnen. Zum ausreichenden Auffangen des Traufwassers auch bei stärkstem
Regen hat der Beklagte indessen auf seinem Grundstück ein umfangreiches
Drainagesystem errichtet. Da Reetdächer für den Landesteil Schleswig typisch, ihr
Bau und Erhalt wünschenswert sind, verstößt ein Nachbar gegen Treu und
Glauben, wenn er das bei solchen Gebäuden für den Fall äußerst seltener
Naturereignisse mögliche Übertreten von Traufwasser ebenfalls verbieten will. Das
gilt hier umso mehr, als das Wasser dann lediglich in einen Tümpel auf dem
klägerischen Grundstück läuft, das Haus hingegen nicht betroffen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 und 97 ZPO, jene über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.