Urteil des LG Essen vom 12.03.2004

LG Essen: schmerzensgeld, persönliche verhältnisse, arbeitsunfähigkeit, kausalzusammenhang, verkehrsunfall, gewissheit, rechtshängigkeit, verdienstausfall, behandlung, zukunft

Landgericht Essen, 12 O 170/02
Datum:
12.03.2004
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
12. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 O 170/02
Normen:
§§ 823, 847 BGB a. F.
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht Zivilrecht
Leitsätze:
Schmerzensgeld, Dauerschaden, Kniegelenk, Verkehrsunfall
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Am 27.03.2000 befand sich der Kläger mit seinem Motorrad auf dem Gelände der F-
Tankstelle an der X-straße in ... . Zur selben Zeit befuhr der Beklagte zu 1.) mit einem
Pkw, der bei dem Beklagten zu 2.) haftpflichtversichert ist, das Tankstellengelände. Bei
Verlassen der Tankstelle befuhr der Beklagte zu 1.) auf das Motorrad des Klägers auf.
Dieses geriet zunächst ins Wanken und kippte sodann um. Dabei knickte der Kläger mit
dem rechten Bein um und zog sich einen Innenmeniskusriss zu. Am 13.04.2000 wurde
eine Arthroskopie vorgenommen.
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Wegen der erlittenen Verletzungen führte der Kläger vor dem Amtsgericht Essen (Az.:
29 C 311/00) einen Rechtsstreit auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes. Am
20.09.2000 verurteilte das Amtsgericht Essen die Beklagten, an den Kläger über den
vorprozessual bereits gezahlten Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 1.500,00 DM ein
weiteres Schmerzensgeld von 3.500,00 DM zu zahlen. Daneben wurde in dem Urteil
festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, dem Kläger
jeden weiteren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 27.03.2000 zu
ersetzen.
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In der Folgezeit befand sich der Kläger in ständiger ärztlicher Behandlung. Mit
Schreiben vom 25.02.2001 teilte er den Beklagten mit, dass bei ihm infolge des Unfalls
ein Dauerschaden eingetreten sei und ein weiteres Schmerzensgeld geltend gemacht
werde. Der Beklagte zu 2.) zahlte in der Folgezeit noch ein weiteres Schmerzensgeld in
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Höhe von 5.000,00 DM, weigerte sich allerdings trotz entsprechender Aufforderung,
weitere (Schmerzensgeld-)Zahlungen zu leisten.
Der Kläger behauptet, er habe infolge des Unfalls einen Dauerschaden erlitten. Es
bestehe ein persistierendes Streckdefizit im Bereich des rechten Kniegelenks. Eine
Verschlechterung des Streckdefizits bzw. eine Zunahme von Beschwerden könnten
zukünftig nicht ausgeschlossen werden. Es sei in Zukunft weiter von unfallbedingten
Behinderungen auszugehen, die sich sowohl im privaten als auch im beruflichen
Bereich auswirken würden.
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Der Kläger vertritt die Auffassung, infolge dieser Komplikationen stehe ihm wegen des
Unfalls ein Gesamtschmerzensgeld von 50.000,00 DM (= 25.564,59 €) zu. Er behauptet
außerdem, ohne das Unfallereignis hätte er seinen Beruf als Kfz.-Mechaniker ohne
weiteres ausüben können. Insofern sei ihm ein Verdienstausfall von insgesamt
24.332,40 € entstanden.
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Der Kläger beantragt, 1. die Beklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen,
an ihn an- lässlich des Verkehrsunfalls vom 27.03.2000 ein über bereits
gezahlte 5.112,92 € hinaus weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit (13.06.2002); 2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu
verurteilen, an ihn weitere 24.332,40 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von
5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (13.06.2002); 3.
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm
jeglichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm noch
anlässlich des Verkehrsunfalls vom 27.03.2000 entstehen wird, soweit kein
Forderungsübergang besteht.
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Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
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Sie behaupten, der Kläger leide nicht mehr unter unfallbedingten Schmerzen im Bereich
des rechten Knies. Bei ihm seien gar keine Beschwerde mehr vorhanden, die in
irgendeiner Weise kausal auf das Unfallgeschehen und eine erlittene Knieverletzung
zurückzuführen seien. Der Kläger sei darüber hinaus arbeitsfähig bzw. eine etwa
vorhandene Arbeitsunfähigkeit sei nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die
Arbeitsunfähigkeit beruhe vielmehr darauf, dass der Kläger am 02.03.1999 - unstreitig -
massive Verletzungen an der rechten Hand erlitten habe.
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Die Beklagten meinen, sie würden dem Kläger keinen weiteren Schadensersatz bzw.
kein weiteres Schmerzensgeld schulden; beim Kläger liege vielmehr eine sogenannte
Rentenneurose vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der jeweiligen
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens, eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens und durch
Vernehmung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S vom 05.04.2003,
das schriftliche Ergänzungsgutachten desselben Sachverständigen vom 14.03.2003
und auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2004 verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, allerdings in vollem Umfang unbegründet. Im einzelnen:
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A Antrag zu 1.): Schmerzensgeld
Beklagten auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes aus §§ 823 Abs. 1; 847 Abs.
1 BGB a.Fassung; Art. 229 §§ 5; 8 EGBGB i.V..m. § 3 Nr. 1 PflVG.
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1. Infolge des Unfallereignisses vom 27.03.2000 hat der Kläger eine Körperverletzung
bzw. eine Gesundheitsbeschädigung erlitten. Er zog sich einen Innenmeniskusriss zu,
aufgrund dessen am 13.04.2000 eine Arthroskopie vorgenommen werden musste.
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2. Diese Verletzung verursachte der Beklagte zu 1.) rechtswidrig und schuldhaft. Er fuhr
fahrlässig im Sinne des § 276 BGB auf das Motorrad des Klägers auf, so dass dieses
umkippte.
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3. Zwar steht dem Kläger infolge der erlittenen Verletzungen ein angemessenes
Schmerzensgeld zu, doch ist sein Anspruch gem. § 362 Abs. 1 BGB in vollem Umfang
erloschen, da die Beklagte zu 2.) mittlerweile 10.000,00 DM (=5.112,92 €) an den Kläger
gezahlt hat. Die Höhe des Schmerzensgeldes ist nämlich nach Billigkeitserwägungen
festzusetzen (§ 287 ZPO), vgl. Palandt/Heinrichs, 62. Auflage, § 253 BGB, Rdnr. 18. Als
Bemessungsgrundlagen sind dabei auf Seiten des Verletzten zu berücksichtigen:
Ausmaß und Schwere der psyischen und physischen Störungen, Alter, persönliche
Verhältnisse, Maß der Lebensbeeinträchtigung , Heftigkeit und Dauer der Schmerzen,
Dauer der stationären Behandlung, der Arbeitsunfähigkeit und ähnliches, Fraglichkeit
der endgültigen Heilung, Bestehenbleiben von dauernden Behinderungen usw.
(Palandt/Heinrichs § 253 BGB Rdnr. 19 m.w.Nachweisen).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stand dem Kläger kein höheres
Schmerzensgeld als 10.000,00 DM zu. Die unstreitig erlittenen Verletzungen -
Innenmeniskusriss mit notwendiger Operation - sind mit der Zahlung der 5.112,92 €
abgegolten.
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Der Kläger hat nunmehr nicht den Beweis mit der gem. § 286 ZPO notwendigen
Gewissheit geführt, dass ihm infolge des Unfalls weitere
Gesundheitsbeeinträchtigungen entstandenen sind. Er hat nicht mit der für eine
Verurteilung notwendigen Gewissheit beweisen können, dass er nach wie vor an
belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich des rechten Kniegelenks leidet bzw. hier
ein Streckdefizit vorliegt, was zu einer dauernden Arbeitsunfähigkeit führt. Im einzelnen:
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Der Sachverständige Prof.Dr. S hat in seinem Gutachten vom 05.04.2003 festgestellt,
dass der Kläger barfuß problemlos ohne Unterarmgehstütze habe gehen können. Es
lasse sich kein Hinken oder Einknicken feststellen. Der Schritt sei sicher und federnd.
Der Kläger könne die Sprung- und Kniegelenke beidseits seitengleich bewegen.
Insbesondere lasse sich rechts
kein
Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks angegeben. Diese seien auf einem
bestehenden Knorpelschaden zurückzuführen, bei dem es sich um einen Dauerzustand
handele, dessen Verschlechterung für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden könne.
Diese Verletzungen seien allerdings nicht auf den Verkehrsunfall vom 27.03.2000
zurückzuführen. Insofern lasse sich kein Kausalzusammenhang erkennen.
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Die Feststellungen des Sachverständigen erschienen dem Gericht plausibel, so dass es
sie in vollem Umfang bei der Urteilsfindung berücksichtigt hat. Das Gericht hatte zudem
keinen Zweifel an der Sachkunde des Gutachters, zumal er die getroffenen
Feststellungen im Rahmen des Ergänzungsgutachtens vom 14.07.2003 ergänzend
begründet hat. Auch im Rahmen seiner Anhörung, die am 12.03.2004 stattgefunden hat,
ist der Sachverständige uneingeschränkt bei dem Ergebnis geblieben, dass er in
seinem Gutachten vom 05.04.2003 formuliert hat. Der Sachverständige hat das
gewonnene Ergebnis ergänzend erläutert und vertiefend begründet. Zwar hat er
eingeräumt, dass ein Teil der Beschwerden möglicherweise auf eine Komplikation
infolge des Unfallereignisses zurückgeführt werden könne. Mit dieser Feststellung allein
ist dem Kläger allerdings nicht der Beweis im Sinne des § 286 ZPO gelungen. Denn es
kann nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mit einer Sicherheit, die
vernünftigen Zweifel Schweigen gebietet, festgestellt werden, dass der entsprechende
Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Beschwerden des Klägers besteht.
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Hinzu kommt, dass der Sachverständige erklärt hat, dass auch der Knorpelschaden
nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden könne. Die Knorpelschädigungen
seien vielmehr degenerativer Natur; sie würden also auf Verschleißerscheinungen
beruhen. Das Unfallereignis habe die entsprechenden Verschleißerscheinungen weder
hervorgerufen noch beschleunigt.
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Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der für eine Verurteilung
notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann, dass die vom Kläger geschilderten
Beschwerden vorliegen bzw. dass ein Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis
besteht, war dem Kläger kein weiteres Schmerzensgeld zuzusprechen.
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4. Da der Kläger mit der Hauptforderung unterliegt, hat er weiterhin keinen Anspruch auf
Zahlung von Verzugszinsen aus §§ 284 ff.; 288; 291 BGB a.Fassung.
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B Antrag zu 2.): Schadensersatz:
Anspruch auf Zahlung von 24.332,40 € aus § § 7 Abs. 1; 9 ff.; 17 StVG; 823 ff. BGB; Art.
229 §§ 5; 8 EGBGB i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der oben zitierten Vorschriften
dem Grunde nach gegeben sind, da der Kläger nicht den Beweis im Sinne des § 286
ZPO geführt hat, dass eine etwaige Arbeitsunfähigkeit, auf Grund derer er einen
Verdienstausfall erlitten haben mag, auf dem streitgegenständlichen Unfallereignis
beruht. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auf die Ausführungen
zu A 3. in vollem Umfang Bezug. Der Sachverständige hat zusammenfassend
festgestellt, dass beim Kläger kein Streckdefizit im Bereich des rechten Knies vorliege.
Die Beschwerden des Klägers seien darüber hinaus nicht auf das Unfallereignis
zurückzuführen, sondern würden allenfalls auf degenerativen Knorpelschäden beruhen.
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Da der Kläger mit dem Hauptantrag unterliegt, hat er wiederum keinen Anspruch auf
Zahlung von Verzugszinsen aus §§ 284 ff.; 288; 291 BGB.
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C Antrag zu 3.): Feststellungsantrag
das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO verfügt. Er hat
substantiert dargelegt, dass auf Grund des Unfallereignisses eine
Vermögensgefährdung möglich ist (vgl. dazu Zöller/Greger § 256 ZPO, Rdnr. 8a).
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Allerdings ist der Feststellungsantrag unbegründet, da die Beklagten nach dem oben
Gesagten dem Kläger keinen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen haben, da es
an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen den behaupteten Beschwerden
des Klägers und dem Unfallereignis fehlt.
D
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.
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