Urteil des LG Essen vom 25.09.2001

LG Essen: pfändung, besondere härte, katze, auflösung, futter, sozialhilfe, kontrolle, haustier, zwangsvollstreckungsverfahren, aussichtslosigkeit

Landgericht Essen, 11 T 293/01
Datum:
25.09.2001
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 T 293/01
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen-Borbeck, 17 M 300/01
Normen:
765a ZPO
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Rechtskraft:
ja
Tenor:
hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht M.,
den Richter am Landgericht T.
und die Richterin am Amtgericht Dr. M.
auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom
0.409.2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Essen-Borbeck
vom 22.08.2001 – Az.: 17 M 300/01 – am 25.09.2001
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Gläubigerin mit der
Maßgabe zurückgewiesen, dass klargestellt wird, dass sich die
Einstellung der Zwangsvollstreckung nur auf die Pfändung der
Ansprüche aus dem bei der Drittschuldnerin geführten Girokonto
bezieht.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 600,- DM festgesetzt.
Gründe:
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I. Mit Beschluss vom 04.05..2001 hat die Gläubigerin die angeblichen Ansprüche der
Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin aus sämtlichen bei der Drittschuldnerin ge-
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führten Girokontokorrentkonten sowie die Ansprüche auf Auszahlung von Spargut-
haben gepfändet. Die 73jährige Schuldnerin hat beantragt, den Pfändungsbeschluss
aufzuheben und zur Begründung unter Vorlage des aktuellen Sozialhilfebescheides
ausgeführt, sie beziehe Altersruhegeld sowie ergänzende Sozialhilfe, so dass auf ihrem
Konto nur unpfändbare Beträge eingingen. Die Aufhebung der Pfändung sei geboten,
weil die Postbank bei deren Fortbestand mit der Auflösung des Kontos gedroht habe.
Die Gläubigerin hat hierzu vorgetragen, die ursprüngliche Haupt- forderung in Höhe von
2.399,24 DM resultiere bereits aus dem Jahr 1982 und die insgesamt geschuldete
Summe betrage nunmehr einschließlich Zinsen und Kosten 14.931,78 DM. Mehrfache
außergerichtliche Zahlungsaufforderungen sowie "über Jahre hinweg durchgeführte
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen" seien ohne Erfolg geblieben.
Das Amtsgericht Essen-Borbeck hat mit der angefochtenen Entscheidung die
Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Uberweisungsbeschluss eingestellt und
zur Begründung ausgeführt, die auf dem von der Drittschuldnerin geführten Konto
eingehenden Beträge seien unpfändbar. Hiergegen richtet sich die Gläubigerin mit ihrer
sofortigen Beschwerde, mit der sie neben grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen
unter anderem vorträgt, es sei unverantwortlich gegenüber den Gläubigern, dass die
vom Sozialamt lebende Schuldnerin das Futter für eine von ihr gehaltene Katze
finanziere. Darüber hinaus sei die Schuldnerin nicht schutzwürdig, da sie bei der
Darlehensaufnahme die Unterschrift ihres zwischenzeitlich verstorbenen Ehemannes
gefälscht habe, damit dieser als Gesamtschuldner für die Forderung hafte.
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II. Die gemäß § 793 ZPO statthafte und insgesamt zulässige sofortige Beschwerde hat
in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht den als Vollstreckungs-
schutzantrag gemäß § 765 a ZPO zu wertenden Antrag der Schuldnerin stattgegeben.
Aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Einstellung der
Zwangsvollstreckung sich lediglich auf die Pfändung der angeblichen Ansprüche aus
dem Giroverhältnis bezieht. Mit dieser Maßgabe war daher die sofortige Beschwerde
zurückzuweisen
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Die.Kammer teilt die Rechtsauffassung der Gläubigerin nicht, dass bei Pfändung von
Ansprüchen aus Giroverhältnissen Schuldner durch § 55 SGB und § 850 k ZPO
ausreichend und abschließend geschützt wären. Neben diesen Vorschriften findet
vielmehr § 765 a ZPO als allgemeine Schutzvorschrift des Vollstreckungsrechts
Anwendung (Stöber, Forderungspfändung, 12. Auflage Rz 1281). Danach kann eine
den Schuldner erheblich belastende Zwangsvollstreckungsmaßnahme, die bei
Ausschöpfung aller Schuldnerrechte erkennbar noch nicht einmal zu einer
nennenswerten Teil-Befriedigung des Gläubigers führt, gemäß § 765 a ZPO vom
uVollstreckungsgericht vorläufig eingestellt oder - falls keine Änderung zu erwarten ist
ganz aufgehoben werden kann (OLG Nürnberg, MDR 2001, 835). Wenn dem Schuldner
mit einer Kontenpfändung ein erheblicher Schaden zugefügt wird, ohne dass dem die
Chance einer auch nur geringfügigen Befriedigung des Gläubigers gegenübersteht,
kann sich der "Schuldner auf die allgemeine Härteklausel des § 765 a ZPO berufen
(OLG Frankfurt, OLGR 2000, 39; LG Osnabrück, NJW-RR 1996, 1456).
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Im vorliegenden Fall ergibt die Abwägung aller maßgeblichen Umstände, dass die
Pfändung der sich aus dem Giroverhältnis ergebenden Ansprüche für die Schuldnerin
eine besondere Härte darstellt, die auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich
vorrangigen Gläubigerinteressen nicht mit den guten Sitten vereinbar wäre. Der
Schuldnerin droht die Auflösung ihres Girokontos. Wegen des fehlenden
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Kontrahierungszwanges für Kreditinstitute (vgl. Köndgen, NJW 1996, 558, 559 f.) wäre
die Schuldnerin aufgrund ihrer beengten finanziellen Verhältnisse nicht un- erheblichen
Schwierigkeiten ausgesetzt, einen Girovertrag mit einem anderen Kreditinstitut
abzuschließen, das zu gegebener Zeit gleichfalls von seinem Kündigungsrecht
Gebrauch machen könnte. Faktisch kann diese Situation daher für die Schuldnerin dazu
führen, dass sie vom bargeldlosen Zahlungsverkehr abge-schnitten wäre. Es ist weder
für einen Renten- noch für einen Sozialhilfeempfänger zumutbar, Renten- bzw.
Sozialhilfeleistungen stets in bar entgegenzunehmen und ungesichert in vollem Umfang
zu Hause aufzubewahren (OLG Nürnberg a.a.O.).
Diesem erheblichen Eingriff in den Lebenskreis der Schuldnerin stehen keine
überwiegenden Gläubigerbelange gegenüber. Es ist gerade unter besonderer
Berücksichtigung des Sachvortrages der Gläubigerin nicht damit zu rechnen, dass sie
aufgrund der Pfändung der Ansprüche aus dem Giroverhältnis eine Befriedigung ihrer
Forderung erreichen wird. Nach dem Vortrag der Gläubigerin hat diese schon seit
mehreren Jahren erfolglos das Zwangsvollstreckungsverfahren betrieben und dadurch
einen Kostenaufwand produziert, der mehr als das Fünffache der Hauptforderung
beträgt. Worauf sich ihre Aussicht stützt, bei der 73 jährigen Schuldnerin durch die
Pfändung von Ansprüchen aus einem Giroverhältnis nunmehr eine Befriedigung ihrer
Forderung zu erreichen, ist nicht ersichtlich. Auf dem bei der Drittschuldnerin geführten
Girokonto gehen unstreitig nur unpfändbare Beträge ein.
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Neben der Sache liegt der Sachvortrag der Gläubigerin, die Schuldnerin sei in der Lage,
von der ergänzend bezogenen Sozialhilfe das Futter für ihre Katze zu finanzie- ren.
Wenn sich die Schuldnerin freiwillig einschränkt, um ein Haustier zu halten, kann ihr
dies nicht zu ihrem Nachteil gereichen. Denn die Kontrolle über die Verwendung der
Sozialhilfeleistungen obliegt weder dem Gericht noch der Gläubigerin.
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Unerheblich ist auch der Sachvortrag der Gläubigerin zu den Umständen bei Aufnahme
des Kreditvertrages. Abgesehen davon, dass nicht einmal dargetan ist, dass der Kredit
nicht gewährt worden wäre, wenn der Ehemann der Schuldnerin nicht mitverpflichtet
worden wäre, dürfte dieser Vortrag eher im Rahmen von materiellrechtlichen
Einwendungen Berücksichtigung finden, die im Zwangsvoll-streckungsverfahren
ohnehin nicht zu prüfen sind.
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Aus den vorgenannten Umständen ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten des
Pfändungs-Vollzuges in einem krassen Mißverhältnis zu den erheblichen Nachteilen
stehen, die der Schuldnerin drohen. Auch um zu vermeiden, dass eine von vorneherein
aussichtslose Pfändung als Druckmittel benutzt wird, um einen Schuldner, der vom
sozialhilferechtlichen Existenzminimum lebt, zu privatrechtlichen
Vergleichsabschlüssen zu bewegen, und damit zur Zahlung von Beträgen, die ihm nach
den gesetzlichen Vorschriften pfandfrei zu belassen sind, war im vorliegenden Fall die
angefochtene Entscheidung zu bestätigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. .1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwer-
dewerts gemäß § 3 ZPO berücksichtigt die erkennbare Aussichtslosigkeit der Pfändung.
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