Urteil des LG Essen vom 09.09.2010

LG Essen (kläger, eintritt des versicherungsfalles, zpo, eintritt des versicherungsfalls, wiederbeschaffungswert, schätzung, schiedsspruch, überwiegende wahrscheinlichkeit, höhe, obmann)

Landgericht Essen, 10 S 159/10
Datum:
09.09.2010
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 159/10
Normen:
§§ 12, 13 I a AKB, 287, 529 ZPO
Sachgebiet:
Privatversicherungsrecht Sonstiges Zivilprozessrecht
Leitsätze:
Schätzung des Schadens, Überprüfung in der 2. Instanz
Tenor:
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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A.
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Der Kläger ist Eigentümer eines PKW Daimler Benz (Erstzulassung: 08.01.2004) mit
dem amtlichen Kennzeichen ........, der bei der Beklagten kaskoversichert ist. Am
01.10.2008 brachen unbekannte Täter in das abgestellte Fahrzeug ein und
entwendeten das Bedienelement zum serienmäßig eingebauten Navigationsgerät
"Command APS".
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Im weiteren Verlauf zeigte der Kläger bei der Beklagten den Einbruch sowohl mündlich
als auch schriftlich an. Am 02.08.2008 führte er den PKW der Daimler Benz
Niederlassung in E vor. Am 08.10.2008 erteilte diese dem Kläger eine
Reparaturrechnung über 4.535,32 Euro netto bzw. 5.397,03 Euro brutto. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der genannten Rechnung – Anlage K2, Bl. 8 f.
GA – verwiesen. Die Beklagte holte unter dem 31.10.2008 eine Auskunft ein, wonach
sich der Wiederbeschaffungswert für das entwendete Navigationsgerät auf 1.449,00
Euro beläuft (vgl. Anlage K4, Bl. 11 GA). In der Folgezeit regulierte sie den Schaden des
Klägers teilweise, wobei sie bezüglich des Navigationsgeräts den genannten Betrag
von 1.449,00 Euro ansetzte. Der Kläger ließ die Beklagte unter Fristsetzung zum
16.12.2008 – wenngleich vergeblich – auffordern, einen weiteren Betrag von 2.654,56
Euro hinsichtlich des gestohlenen Navigationsgeräts zu zahlen.
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Im weiteren Verlauf führten die Parteien ein sog. Sachverständigenverfahren nach § 14
AKB durch. Der eingesetzte Obmann kam in seinem Schiedsspruch vom 25.05.2009 zu
dem Ergebnis, dass die Beklagte für das Navigationsgerät den Neupreis von 4.103,56
Euro erstatten müsse. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ablichtung des
Schiedsspruchs vom 25.05.2009 (Anlage K7, Bl. 15 ff. GA) Bezug genommen.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm für das
Navigationsgerät weitere 2.654,56 Euro erstatten. Er hat behauptet, für derartige Geräte
existiere kein Gebrauchtmarkt; jedenfalls werde das entsprechende Gerät nicht
vorgehalten. Er ist der Ansicht gewesen, er habe keine weiteren (Internet-) Recherchen
anstellen müssen; überdies sei der Schiedsspruch vom 25.05.2009 für die Beklagte
verbindlich.
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Die Beklagte hat die Meinung vertreten, der o. g. Schiedsspruch binde sie nicht, weil der
Obmann sich von falschen rechtlichen Überlegungen habe leiten lassen. Sie hat zudem
behauptet, es gebe einen Markt für gebrauchte Navigationsgeräte; im Zeitpunkt des
Vorfalls seien zahlreiche gleichwertige Geräte angeboten worden, die der Kläger als
Ersatz hätte erwerben können. Sie ist der Ansicht gewesen, in jedem Fall ihre
Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag erfüllt zu haben, da der Kläger sich
ohnehin einen Abzug "neu für alt" gefallen lassen müsse.
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Mit am 22.10.2010 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Schiedsspruch vom 25.05.2009
entfalte keine Bindungswirkung, da die Feststellungen des Obmanns von der wirklichen
Sachlage erheblich abwichen. Der Wiederbeschaffungswert des entwendeten
Navigationsgeräts sei nach gerichtlicher Schätzung mit lediglich 1.449,00 Euro zu
bewerten. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den tatsächlichen Feststellungen und
zur Begründung des amtsgerichtlichen Urteils wird auf den Inhalt der angefochtenen
Entscheidung verwiesen (Bl. 123 ff. GA).
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Das Urteil ist dem Kläger am 14.04.2010 zugestellt worden. Er hat dagegen am
12.05.2010 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel zugleich begründet. Im Rahmen
der Berufung verfolgt er seinen Zahlungsantrag in Höhe von 2.654,56 Euro weiter und
nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug,
das er vertieft und ergänzt. Er meint, der Schiedsspruch vom 25.05.2009 entfalte volle
Wirksamkeit zwischen den Parteien; überdies komme ein Abzug von "neu für alt" für das
Gerät nicht in Betracht.
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Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist ebenfalls in weiten
Teilen auf ihren bisherigen Vortrag. Sie vertritt insbesondere die Auffassung, mit
Zahlung der 1.449,00 Euro den Wiederbeschaffungswert für das entwendete Gerät
vollständig erstattet zu haben. Es sei dem Amtsgericht ferner unbenommen gewesen,
die Höhe des zu erstattenden Wertes durch Schätzung zu ermitteln; der Einholung eines
Sachverständigengutachtens habe es insoweit nicht bedurft.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
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B.
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Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, in der Sache allerdings erfolglos; die
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zulässige Klage ist nämlich nicht begründet. Im Einzelnen:
I. §§ 12, 13 Ia AKB der Beklagten
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 2.654,56 Euro gegen die Beklagte aus
§§ 12, 13 Ia AKB.
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1.
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Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag bezüglich einer Fahrzeugversicherung,
wobei die Beklagte nach den genannten Vorschriften der GKA AKB verpflichtet ist, bei
Eintritt des Versicherungsfalles den Schaden bis zur Höhe des
Wiederbeschaffungswertes zu regulieren. Dieser bestimmt sich nach der Höhe der
Aufwendungen, die der Versicherungsnehmer für der Erwerb gleichwertiger Teile
aufwenden muss, § 13 Ia Satz 2 AKB. § 13 AKB stellt somit auf einen gleichwertigen
Ersatz ab, also gerade nicht auf einen neuwertigen (vgl. auch Urteil der Kammer vom
28.01.2010, Az.: 10 S 379/09).
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2.
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Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich der
Wiederbeschaffungswert für das entwendete Navigationsgerät auf allenfalls 1.449,00
Euro belaufe, was sich nach einer gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO ergebe.
Das vom Kläger zum Preis von 4.103,56 Euro erworbene Ersatzgerät sei nicht
gleichwertig im o. g. Sinn.
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a) Nach § 529 I Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Feststellungen des
erstinstanzlichen Spruchkörpers grundsätzlich gebunden und kann lediglich überprüfen,
ob die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 I ZPO gewahrt und eingehalten
wurden. Da die Schätzung i. S. d. § 287 ZPO nach richterlichem Ermessen erfolgt, kann
das Rechtsmittelgericht lediglich überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung
ermessensfehlerfrei getroffen wurde; hierbei gelten dieselben Maßstäbe wie bei einer
Beweiswürdigung i. S. d. § 286 ZPO (Zöller/Greger, 28. Auflage, § 287 ZPO, Rdnr. 8).
Es dürfen hiernach keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder
Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Die
Ermessensausübung / Schätzung des erstinstanzlichen Gerichts darf nicht in sich
widersprüchlich sein, keinen Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen
zuwiderlaufen und muss insbesondere Kriterien der Schätzgrundlage erkennen lassen
(vgl. zu den Grundsätzen der Beweiswürdigung BGH NZG 2008, 588 ff.; BGH NJW –
RR 2005, 558 f.; BGH NJW – RR 2004, 425 f.; BGH WM 1999, 1889 f.; Zöller/Heßler §
529 ZPO, Rdnr. 7 ff.). Zweifel im oben genannten Sinne liegen jedoch erst dann vor,
wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende –
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die erstinstanzlichen Feststellungen keinen
Bestand haben, sich also ihre Unrichtigkeit herausstellen wird (BGH NJW 2004, 2828
ff.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält die amtsgerichtliche Schätzung /
Ermessensausübung einer Überprüfung durch die Kammer stand. Das Amtsgericht hat
nachvollziehbar und unter Rückgriff auf den Inhalt des Schiedsspruch begründet, dass
für Navigationsgeräte ein Gebrauchtmarkt existiere, weswegen es ermessensfehlerfrei
war, von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen. Hinzu kommt,
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dass das Amtsgericht mehrere Internetangebote ausgewertet hat, die für ein
vergleichbares Ersatzgerät einen maximalen Verkaufspreis von 1.099,00 Euro
vorgesehen haben. Von der Richtigkeit dieser Angaben durfte das Amtsgericht um so
mehr ausgehen, als sie von Seiten Klägers nicht substantiiert bestritten worden ist und
sich die Unrichtigkeit auch nicht aus den sonstigen Umständen des Falles ergibt.
Zudem ist gerichtsbekannt, dass technische Einrichtungen wie Navigationsgeräte einem
erheblichen Wertverfall unterliegen, woraus ebenfalls gefolgert werden kann, dass der
Wiederbeschaffungswert eines Geräts, das im Jahr 2004 über 4.000,00 Euro gekostet
haben mag, heute erheblich geringer zu bemessen ist. Entgegen der Auffassung des
Klägers kommt es zudem nicht darauf an, ob er im Sinne einer Obliegenheit nach § 254
BGB gehalten gewesen wäre, sich nach dem Wert vergleichbarer Ersatzgeräte – ggf.
durch Internetrecherchen o. ä. – zu erkundigen oder nicht. Allein entscheidend ist, dass
die Beklagte nach dem unmissverständlichen Wortlaut der §§ 12, 13 AKB, der die
Grenze der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB bildet, lediglich verpflichtet ist, bei Eintritt
des Versicherungsfalls den Wiederbeschaffungswert zu ersetzen, hingegen nicht – wie
bereits ausgeführt – den Neuwert. Es kommt nach den o. g. Grundsätzen ferner nicht
darauf an, ob das Amtsgericht zur Frage der Höhe des Wiederbschaffungswerts ein
Sachverständigengutachten hätte einholen können. Die Kammer hat ausschließlich zu
prüfen, ob das Amtsgericht die Grenzen der Ermessensausübung gewahrt hat, als es
seine Entscheidung auf eine Schätzung nach § 287 ZPO gestützt hat. Wie dargestellt,
sind dem Amtsgericht insofern keine Ermessensfehler unterlaufen.
3.
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Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Obmann in seinem Schiedsspruch vom
25.05.2009 zu dem Ergebnis gelangt ist, der Kläger habe keine Alternative zur
Anschaffung eines Neugeräts gehabt, so dass die Beklagte den Neupreis von 4.103,56
Euro brutto zu erstatten habe. Es kann dahinstehen, ob dieser Schiedsspruch im
Rahmen eines Sachverständigenverfahrens nach § 84 VVG ergangen ist, da die
getroffene Feststellung nicht verbindlich ist, § 84 I Satz 1 VVG. Sie weicht nämlich
offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich ab. Der Obmann sollte lediglich
ermitteln, wie hoch der Wiederbeschaffungswert für das entwendete Gerät anzusetzen
ist. Obwohl er zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, es sei ein Gebrauchtmarkt
für derartige Geräte vorhanden, beantwortet er nunmehr nicht die an ihn gestellte Frage,
sondern kommt nach umfangreichen rechtlichen Erwägungen zu dem Ergebnis, der
Kläger könne den Neupreis ersetzt verlangen. Es gehörte allerdings nicht zu den
Aufgaben des Obmanns, derartige rechtliche Erwägungen anzustellen, deren
Richtigkeit überdies zweifelhaft ist. Denn wie ausgeführt, ist nicht entscheidend, ob der
Kläger gegen etwaige Schadensminderungspflichten verstoßen hat oder nicht, sondern
schlichtweg, ob sich ein Wiederbeschaffungswert i. S. d. §§ 12, 13 AKB ermitteln lässt.
Da der Kläger in der Berufungsbegründung zudem keine Argumente vorbringt, mit
denen sich das Amtsgericht in den Entscheidungsgründes des angefochtenen Urteils
noch nicht auseinandergesetzt hat, kann die Kammer zur Vermeidung von
Wiederholungen auf diese Bezug nehmen.
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4.
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Da der erstattungsfähige Wiederbeschaffungswert sich auf allenfalls 1.449,00 Euro
beläuft, ist der Anspruch des Klägers infolge der Zahlung der Beklagten in vollem
Umfang erloschen, § 362 I BGB.
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II. Nebenforderungen
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Da der Kläger mit der Hauptforderung unterliegt, hat er ferner keinen Anspruch auf
Zahlung von Verzugszinsen oder auf Erstattung von Anwaltskosten aus §§ 280 ff., 286,
288, 249 ff. BGB gegen die Beklagte.
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C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 II ZPO liegen nicht vor.
Die Rechtssache besitzt weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich.
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