Urteil des LG Essen vom 29.06.2007

LG Essen: dispositives recht, europäisches recht, stiftung, aktionär, satzung, wahlrecht, aufsichtsrat, rechtskraft, gesellschaft, nichtigkeit

Landgericht Essen, 45 T 1/07
Datum:
29.06.2007
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
5. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
45 T 1/07
Normen:
§§ 101, 53 a, 243 AktG
Sachgebiet:
Handelsrecht
Tenor:
hat die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht M.
und den Handelsrichtern Dr. H. und L.
am 29.06.2007 beschlossen:
Auf die Beschwerde vom 25.04.2007 gegen den Beschluss des AG
Essen vom 29.03.07 wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und
das AG Essen angewiesen, das Verfahren zur Eintragung der
Satzungsänderung zu § 9 der Satzung der Beschwerdeführerin mit der
Maßgabe fortzusetzen, dass von der Rechtmäßigkeit des in der
Hauptversammlung vom 19.01.07 zum TOP 8 gefassten Beschluss
auszugehen ist.
Gründe:
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Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Antrag vom 22.01.2007 die Eintragung der in der
Hauptversammlung vom 19.01.07 beschlossenen Änderung des § 9 der Satzung
begehrt. Das AG Essen hat das Verfahren zunächst bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist
am 19.01.07 und dann - nach Bekanntwerden der anhängigen Anfechtungsklagen –
durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 127 FGG bis zur rechtskräftigen
Entscheidung der Anfechtungsklagen ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat die
Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdeschrift werden die bereits
in 1. Instanz vorgetragenen Rechtsansichten weiter ausgeführt.
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Die zulässige Beschwerde ist zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung begründet
und führt daher zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
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Die 5. Kammer für Handelssachen des LG Essen hat inzwischen als erstinstanzliche
Kammer durch Urteil die Anfechtungsklagen abgewiesen. Die Kammer hält die gegen
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die Satzungsänderung ( Gewährung eines Entsenderechtes von 3 Mitgliedern in den
20-köpfigen Aufsichtsrat – darunter 10 Mitglieder der Anteilseigner – bei Innehaltung
eines Kapitalanteiles von 25,1% ) erhobenen Anfechtungsgründe für nicht überzeugend.
Ein Entsenderecht von Mitgliedern in den Aufsichtsrat ist in § 101 (2) AktG ausdrücklich
normiert. Diese Regelung verstößt auch nicht gegen europäisches Recht, da dieses
Sonderrecht nicht durch eine staatliche Gewalt bzw. durch ein Gesetz eingeräumt
worden ist. Vielmehr kann dieses Sonderrecht nur durch die Hauptversammlung der AG
eingeräumt werden, also nach Prüfung und Wertung durch die Aktionäre. Der Umstand,
dass Aktionäre bzw. die Mehrheit der Hauptversammlung auf eigene Rechte ( hier: das
Wahlrecht, ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen ) verzichten, führt nicht zur Nichtigkeit
bzw. Anfechtbarkeit.
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Ebenso kann die Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit nicht dadurch begründet werden, dass
der Umfang des Entsenderechtes nicht dem Kapitalanteil des bevorrechtigten Aktionärs
entspricht. Abgesehen davon, dass die Stärkung der größten Aktionärin - die Stiftung x (
im Folgenden: Stiftung ) durch den vorliegenden Hauptversammlungsbeschluss nur
geringfügig vom Verhältnis Kapitalanteil – Mitgliederanzahl ( 25,1% entsprechen 2,51
Aufsichtsratsmitglieder, 30% entsprechen 3 Aufsichtsratsmitgliedern ) abweicht, ist
daraufhin zu weisen, dass der Kapitalanteil der Stiftung nicht proportional in ganze
Zahlen bzw. Personen umgerechnet werden kann. Die "Ungleichgewichtung" wäre
somit nur dann erheblich, wenn gleichzeitig ein Verstoß gegen § 53 a AktG gegeben
wäre. Ein derartiger Verstoß liegt nicht vor, da § 53 a AktG dispositives Recht ist ( Hüffer
Aktiengesetz, 7. Aufl. § 53 a AktG ) und die Hauptversammlung durch die
Beschlussfassung ihre Rechte aufgegeben hat.
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Im Übrigen erscheint eine Bevorzugung der Stiftung gerechtfertigt. Nach ihrer Satzung
hat die Stiftung auf die Einheit der AG, auf den Erhalt des Unternehmens hinzuwirken.
Sie ist daher mehr als jeder andere Aktionär dem Wohl der AG verpflichtet.
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Aus dem Vorstehenden folgt, das auch ein Verstoß gegen § 243(2) AktG nicht gegeben
ist. Da die Stiftung für die bisherige Zielsetzung der AG einzutreten hat, kann sich die
strittige Satzungsänderung nicht zum Schaden der Gesellschaft auswirken. Auch die
einzelnen Aktionäre sind in ihren allgemeinen Rechten nicht beeinträchtigt. Es ist zwar
zutreffend, dass sie in einem gewissen Umfang ein eng eingegrenztes Wahlrecht
verlieren. Wenn man jedoch das Entsenderecht gemäß den §§ 53 a, 101 AktG für
zulässig erachtet, dann kann der Verzicht auf dieses Wahlrecht nicht im Sinne des § 243
(2) AktG einen Schaden für den Aktionär bedeuten.
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Die Stiftung unterlag bei der Abstimmung in der Hauptversammlung auch keinem
Stimmrechtsverbot. Die im § 136 AktG aufgeführten Fälle, unter deren Voraussetzungen
ein Stimmrechtsverbot eintritt, sind nicht gegeben. Eine Analogie zu § 136 AktG
verbietet sich. Das Aktiengesetz ist erst vor kurzer Zeit neu normiert worden. Der
Gesetzgeber hat hinsichtlich der Annahme eines Stimmrechtsverbotes bewusst auf eine
Generalklausel verzichtet und hat lediglich einzelne Fallgruppen normiert.
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Auch die weiteren, in den Anfechtungsklagen vorgetragenen formalen Gesichtspunkte
greifen nicht durch. Dem Einladungsschreiben lag der Beschlussentwurf im vollen
Umfang bei. Wenn in einzelnen Punkten eine kleine Differenz zwischen der
Beschlussbegründung und dem Beschlussentwurf gegeben sein sollte, sind diese
Differenzen so geringfügig, dass sie das Beschlussverfahren nicht unwirksam oder
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anfechtbar machen. Im Übrigen hätte man dem Beschlussentwurf den endgültigen
Beschlusswortlaut entnehmen können.
Die Aktionäre sind weder durch die Einladung als auch die Berichte und Diskussion in
der Hauptversammlung in die Irre geführt worden. Der Beschlussentwurf ist ausgiebig
vorgestellt und diskutiert worden. Dass möglicherweise die Rechtsfolgen des
Entsendrechtes ( Stichwort: Ewigkeitsrecht ) nicht deutlich dargelegt worden sind, führt
nicht zu einem Anfechtungsrecht. Es ist ausreichend, wenn die Tatsachen von der
Gesellschaft vorgetragen werden. Eine Bewertung hat jeder Aktionär für sich
vorzunehmen, notfalls hat er sich rechtskundig zu machen.
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Im Übrigen wird auf das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des LG Essen vom
29.06.07 ( Az. 45 O 15/07 ) Bezug genommen.
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Das Vorstehende ist im Rahmen der Aussetzungsentscheidung nach § 127 FGG mit zu
berücksichtigen. Inzwischen ist in 1. Instanz über die Rechtmäßigkeit der
Satzungsänderung zugunsten der Beschwerdeführerin entschieden worden. Durch
Vornahme der Eintragung vor Rechtskraft des Urteils entstehen dem Rechtsverkehr
bzw. dem einzelnen Aktionär keine überaus großen Nachteile. Zwar besteht die Gefahr,
dass die Eintragung wieder von Amts wegen zu löschen ist, wenn das 1. instanzliche
Urteil aufgehoben wird. Die Nachteile sind jedoch eng begrenzt. Ein Nachteil würde nur
dann eintreten, wenn bis zur Rechtskraft der Fall eintreten sollte, dass ein
Aufsichtsratsmitglied zu bestellen ist. Dann würde dieses Aufsichtsratsmitglied
gegebenenfalls unter später für unwirksam erachteten Voraussetzungen wirksam
Mitglied des Aufsichtsrates. Selbst wenn dieser Fall eintreten sollte, ist die Bestimmung
des neuen Aufsichtsratsmitgliedes nicht endgültig, sondern könnte zeitnah gemäß § 103
(2) AktG rückgängig gemacht werden. Berücksichtigt man daneben das unstreitig
vorliegende große Interesse der Beschwerdeführerin an einer schnellen Eintragung der
Satzungsänderung, so ist nach Ansicht der Beschwerdekammer eine Aussetzung des
Eintragungsvefahrens zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gerechtfertigt.
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