Urteil des LG Essen vom 10.02.2006

LG Essen: verfügung, treu und glauben, mehrarbeit, aktiengesellschaft, aktiven, zusage, aufsichtsrat, vergütung, notlage, beendigung

Landgericht Essen, 45 O 88/05
Datum:
10.02.2006
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
5. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
45 O 88/05
Normen:
87 AktG
Sachgebiet:
Handelsrecht
Rechtskraft:
nein
Tenor:
hat die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2006
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht M.
und die Handelsrichter Dr. F. und L.
für R e c h t erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bei
Bedarf einen Firmenwagen einschließlich Fahrer
- zeitlich uneingeschränkt - auf Kosten der
Beklagten zur Verfügung zu stellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung von
20.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der 70-jährige Kläger war zunächst bei der Karstadt AG, nach deren Verschmelzung mit
der Schickedanz Handelswerte GmbH & Co. KG im Jahre 1999, bei der Beklagten
insgesamt ca. 35 Jahre beschäftigt. Von 1969 bis zum Jahr 2000 war er Mitglied des
Vorstandes, ab 1985 bis zu seinem Ausscheiden Vorsitzender des Vorstandes.
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Während seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender stand dem Kläger bei Bedarf ein
Firmenwagen mit Fahrer sowohl zur dienstlichen als auch privaten Nutzung - ohne
jegliche Einschränkung - zur Verfügung. Im Laufe des Jahres 2000 verständigten sich
die Parteien auf ein Ausscheiden des Klägers zum 30.09.2000. Am 19.07.2000 fasste
der ständige Ausschuss des Aufsichtsrates der Beklagten einen Beschluss über die
Modalitäten des Ausscheidens (K 1, Bl. 6 der Akten). Unter anderem ist im Beschluss
unter c) ausgeführt: "Sie (gemeint ist der Kläger) behalten - wie dies in vielen größeren
Unternehmen üblich ist - auch nach Ihrem Aus- scheiden aus dem Vorstand, und zwar
solange Sie leben, einen Firmenwagen einschließlich Fahrer, so wie Ihnen dies bisher
zur Verfügung stand." Dieser Beschluss wurde dem Kläger mit dem Schreiben des
Aufsichtsratsvorsitzenden vom 04.01.2001 (Bl. 6 der Akten) mitgeteilt. Des Weiteren ist
in dem Schreiben u.a. vermerkt (Bl. 8 der Akten): "Mit dieser Vereinbarung sind mit
Ausnahme der Pensions- ansprüche alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bisherigen
Dienstverhältnis und dessen Beendigung abgegolten." Nach dem Ausscheiden stellte
die Beklagte bei Bedarf dem Kläger einen Firmenwagen mit Fahrer - zeitlich
uneingeschränkt - zur Verfügung. Soweit für den Fahrer eine Vergütung für Mehrarbeit
anfiel, wurde diese von der Beklagten getragen. Der Kläger weist darauf hin, dass die
jeweiligen Einsatzzeiten zwischen dem Fahrer und ihm verabredet worden seien.
Mehrarbeit sei nur in Einzelfällen aufgetreten. Mit dem Schreiben eines
Vorstandsmitgliedes vom 14.03.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte ab
sofort die bei der Nutzung des Firmenwagens anfallende Vergütung für Mehrarbeit des
Fahrers nicht mehr ausgleichen werde. Im Schreiben (Bl. 14 der Akten) ist unter
anderem ausgeführt: "... Wir haben im Zuge der notwendigen Restrukturierungs-
anstrengungen im Konzern konsequent alle Kostenpositionen adressiert und - wo immer
möglich - angepasst. Dies gilt unter anderem auch für den in Summe sehr hohen
Kostenblock bei Mehrarbeitszuschlägen. Der Aufstellung von Mehrarbeitszuschlägen für
Vorstands- fahrer entnehme ich, dass für den Ihnen durch das Unter- nehmen zur
Verfügung gestellten Fahrer ... Mehrarbeits- zuschläge ... gezahlt wurden. Dies ist in der
jetzigen Situation nicht tragbar, da wir mit Rundschreiben vom 04.02.2005 generell
festgelegt haben, dass wir Über- stunden nicht mehr finanziell ausgleichen ...." Mit der
Klage begehrt der Kläger, dass ihm ein Firmenwagen wie bisher zur Verfügung gestellt
werde. Er hat zunächst beantragt, ihm entsprechend der "Vereinbarung" vom
04.01.2001 einen Firmenwagen einschließlich Fahrer "wie bisher" und damit wie zu
seiner aktiven Zeit als Vorstandsvorsitzender zur Verfügung zu stellen. Nach Hinweis
der Kammer stellte der Kläger seinen Antrag um. Der Kläger beantragt nunmehr, dem
Kläger bei Bedarf einen Firmenwagen einschließlich Fahrer - zeitlich uneingeschränkt -
auf Kosten der Beklagten zur Verfügung zu stellen, hilfsweise beantragt er, dem dem
Kläger zur Verfügung stehenden Fahrer zu gestatten, im Rahmen des gesetzlich
Zulässigen Überstunden zu leisten, und diese finanziell abzugelten. Die Beklagte
beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass der ursprünglich
gestellte Hauptantrag zu unbestimmt sei. Er sei nicht vollstreckbar, da aus ihm nicht
hervorgehe, für wie viele Stunden der Fahrer dem Kläger zur Verfügung zu stellen sei.
Daher sei der Antrag unzulässig. Auch der Hilfsantrag sei unzulässig, da der Kläger
seinen Anspruch zeitlich nicht genügend konkretisiere. Des Weiteren ist die Beklagte
der Ansicht, dass die Firmenwagenregelung zwischen den Parteien gegen das
Arbeitszeitgesetz verstoße. Da dieses Gesetz ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134
BGB sei, sei die Firmenwagenregelung nichtig. Folglich stünde dem Kläger eine zeitlich
uneingeschränkte Nutzung des Firmenwagens nicht zu. Nach § 3 Arbeitszeitgesetz sei
die zulässige normale werktägliche Arbeitszeit für einen Arbeitnehmer 8 Stunden. Diese
Arbeitszeit kann nur in Ausnahmefällen auf bis zu 10 Stunden verlängert werden. Dass
ein Fahrer jederzeit abrufbar sein müsse, verstoße im Übrigen gegen § 5
Arbeitszeitgesetz.
Zudem sei die dem Kläger im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden erteilte
"Zusage" vom 04.01.2001 unwirksam, da diese Regelung eine nachträgliche, zeitnah
zum Zeitpunkt des Ausscheidens vorgenommene Änderung des Dienstvertrages vom
20.11.1989 (Anlage B 1, Bl. 38 ff.) bedeute, auf die der Kläger keinen Anspruch gehabt
habe. Bei derartigen Regelungen habe der Aufsichtsrat auch die
Unternehmensinteressen angemessen zu berücksichtigen. Die dem Kläger zusätzlich
kurz vor seinem Ausscheiden gemachte Zusage sei sittenwidrig und daher nichtig.
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Entscheidungsgründe:
das Klagebegehren des Klägers konkret ersichtlich. Es ist auf die zeitlich unbefristete
Zurverfügungstellung eines Firmenwagens mit Fahrer gerichtet. Der Antrag ist zudem
hinreichend bestimmt, sodass eine Vollstreckung gemäß § 887 ZPO möglich ist. Der
Hauptantrag ist auch begründet. Die Beklagte hat dem Kläger bei Bedarf auf ihre Kosten
einen Firmenwagen mit Fahrer - und zwar zeitlich unbegrenzt - zur Verfügung zu stellen.
Rechtliche Grundlage für diesen Anspruch ist die im Beschluss des Aufsichtsrates vom
19.07.2000 dem Kläger gemachte Zusage. Wie sich aus dem Wortlaut des Beschlusses
ergibt, sollte dem Kläger nach seinem Ausscheiden auf Lebenszeit ein Firmenwagen
mit Fahrer zur täglichen, uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Die
zwischen den Parteien zustande gekommene Regelung ist nicht nichtig. Sie stellt keine
unangemessene, die Unternehmensinteressen außer Acht lassende Vereinbarung dar.
Anhaltspunkte für eine nicht ausgewogene, gar sittenwidrige Regelung sind nicht
gegeben. Allein der Umstand, dass sich die im Streit befindliche Firmenwagen -
Regelung für die Beklagte nachteilig auswirkt, rechtfertigt die Annahme der
Sittenwidrigkeit nicht. Der sich aus der Zusage ergebende, finanzielle Vorteil des
Klägers macht nur einen kleinen Bruchteil seiner Ruhestandsvergütung aus. Es kann
nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger im Zuge der Umstrukturierung des
Konzerns der Beklagten entgegengekommen ist und vorzeitig ausschied. Berücksichtigt
man ferner, dass auch andere Vorstandsmitglieder seitens der Beklagten einen
Dienstwagen gestellt bekommen haben, ist nicht ersichtlich, dass der dem Kläger
gewährte Vorteil als unangemessen einzustufen ist.
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Die Firmenwagen - Regelung ist auch nicht infolge eines Verstoßes gegen das
Arbeitszeitgesetz nichtig. Zwar hat der Kläger eine zeitlich uneingeschränkte, tägliche
Nutzungsmöglichkeit zugesichert erhalten. Eine derartige Nutzungsmöglichkeit führt
jedoch nicht zwangsläufig zur Mehrarbeit eines Mitarbeiters der Beklagten. Da die
Beklagte den Fahrer zu stellen hat, fällt es in ihren Organisationsbereich, die Arbeitszeit
bzw. den Arbeitsumfang des Fahrers festzulegen. Wenn die Beklagte Mehrarbeit
vermeiden möchte, könnte sie dem Kläger einen anderen Fahrer ihres Unternehmens
zur Verfügung stellen. Die Firmenwagen - Regelung ist auch nicht durch das Schreiben
vom 14.03.2005 wirksam gekündigt worden. Diese Regelung ist keine Vereinbarung sui
generes, sondern Bestandteil der mit dem Kläger getroffenen Ruhestandsvereinbarung.
Die zwischen den Parteien im Juli 2000 bzw. Januar 2001 zustande gekommene
Regelung ist eine schriftliche Ergänzung des Dienstvertrages vom 20.11.1999. Die
Firmenwagen - Regelung sollte für den Kläger auf Lebenszeit und gerade für die Zeit
nach dem Ausscheiden des Klägers gelten. Im Schreiben der Beklagten vom
04.01.2001 ist ausdrücklich festgestellt, dass mit Ausnahme der Pensionsansprüche
alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bisherigen Dienstverhältnis und dessen
Beendigung abgegolten sind. Da die Beklagte dem Kläger auch nach dessen
Ausscheiden bereitwillig den Dienstwagen in entsprechender Weise zur Verfügung
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gestellt hat, ist auch die Beklagte von einer Ruhestandsvereinbarung ausgegangen.
Daher richtet sich die Kündigungs- bzw. Abänderungsmöglichkeit nicht nach den
allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern nach § 87 Abs. 1,
Abs. 2 Aktiengesetz. Danach hätte allein der Aufsichtsrat (Hüffer, AktG, 6. Auflage 2004,
§ 87, 7) unter den weiteren Voraussetzungen des § 87 AktG die Möglichkeit zur
Abänderung der vertraglichen Grundlagen gehabt. Das Kündigungsschreiben vom
14.03.2005 ist jedoch nicht vom Aufsichtsrat verfasst worden, sondern von einem nicht
zuständigen Vorstandsmitglied. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 87 AktG
liegen nicht vor. Gemäß § 87 Abs. 2 AktG kann zwar die Vergütung für aktive
Vorstandsmitglieder grundsätzlich in angemessener Weise herabgesetzt werden, wenn
eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Aktiengesellschaft
eintritt, dass die Weitergewährung der Bezüge eine schwere Unbilligkeit für die
Aktiengesellschaft darstellen würde. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der
Aktiengesellschaft allein geben kein Recht zur Herabsetzung. Auch die Veräußerung
von einzelnen Betriebsteilen ist kein ausreichendes Indiz für eine wesentliche
Verschlechterung der Geschäftslage (Münchener Kommentar zum Aktiengesetz,
Hefermehl, Spindler, § 87 Rdn. 41). Die Gesellschaft müsste sich vielmehr in einer
Notlage befinden, die die wirtschaftliche Existenz ernstlich bedroht. Nach dem
Sachvortrag der Beklagten kann von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht
ausgegangen werden. Zudem bezieht sich das Abänderungsrecht des Aufsichtsrates
nicht auf die im § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG genannten Ruhestandsgehälter,
Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art (Höffer, Aktiengesetz, § 87 - 6).
Dies ergibt sich daraus, dass der Absatz 2 des § 87 AktG keine die im Absatz 1 Satz 2
entsprechende Regelung enthält. Andererseits stehen auch pensionierte
Vorstandsmitglieder noch in einem, wenn auch im Vergleich zu den aktiven
Vorstandsmitgliedern lockeren Treueverhältnis zur Aktiengesellschaft. Daher ist
allgemein anerkannt (Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Hefermehl, Spindler, §
87 Rdn. 62), dass bei einem Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§
242 BGB) im Einzelfall eine Herabsetzung der Ruhestandsvergütung gerechtfertigt sein
könnte. Ein derartiger Eingriff in eine gesicherte Rechtsposition der ausgeschiedenen
Vorstandsmitglieder muss allerdings sehr strengen, engen Voraussetzungen
unterliegen. Neben der prekären wirtschaftlichen Situation, die zur Bestandsgefährdung
der Gesellschaft führen könnte, sind daher auch die Leistungen des pensionierten
Vorstandsmitgliedes während seiner aktiven Tätigkeit mit zu berücksichtigen. Ob
tatsächlich eine wirtschaftliche Notlage der Beklagten im Sinne des § 87 AktG gegeben
ist, bzw. die dem Kläger zugesicherten Ruhestandsbezüge im groben Missverhältnis zu
seinen Leistungen während seiner aktiven Tätigkeit stehen, kann aufgrund des
Sachvortrages der Parteien nicht beurteilt werden. Gerade im Hinblick darauf, dass der
strittige Vermögensvorteil des Klägers lediglich ein kleiner Bruchteil seiner übrigen
Ruhestandsvergütung ausmacht, erscheint die seitens der Beklagten vorgenommene
Kürzung als nicht angemessen. Über den gestellten Hilfsantrag war nicht zu
entscheiden, da der Hauptantrag begründet gewesen ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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