Urteil des LG Essen vom 16.08.2010

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Landgericht Essen, 7 T 404/10
Datum:
16.08.2010
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 404/10
Normen:
§ 765 a ZPO
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht Zwangsvollstreckungsrecht
Leitsätze:
Tenor:
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht L, den Richter am
Landgericht I und den Richter am Landgericht M auf die sofortige
Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Essen vom 11.08.2010 (30 M 2013/09)
am 16.08.2010
b e s c h l o s s e n :
Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird die
Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des
Amtsgerichts Pirna vom 16.09.2002, Az. B 1803/2002, hinsichtlich eines
im Juli 2010 gepfändeten Forderungsbetrages in Höhe von 864,- € für
unwirksam erklärt.
Der der Schuldnerin zustehende unpfändbare Freibetrag gem. § 850k I
ZPO für den Monat August 2010 wird um 864,- € erhöht.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der
Nebenintervention trägt die Gläubigerin.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
I.
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Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus dem
Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Pirna vom 16.09.2002, Az. B 1803/2002. Auf
Antrag der Gläubigerin erließ das Amtsgericht Essen am 22.09.2009 einen Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss, welcher u.a. die Ansprüche der Schuldnerin gegen ihre
kontoführende Bank Sparkasse F, erfasst. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt
des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 22.09.2009 (Bl. 2-4 d.A.) Bezug
genommen.
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Nach Einführung des § 850k ZPO n.F. zum 1.7.2010 wurde das Konto der Schuldnerin
in ein Pfändungsschutzkonto umgewandelt. Der der Schuldnerin zustehende
Pfändungsfreibetrag beläuft sich auf 985,15 € zuzüglich Kindergeld.
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Im Monat Juli 2010 schöpfte die Schuldnerin den ihr zustehenden Pfändungsfreibetrag
voll aus. Nachfolgend gingen am 30.7.2010 auf dem bei der Drittschuldnerin geführten
Pfändungsschutzkonto Sozialleistungen in Höhe von 864,- € ein, die für das Bestreiten
des Lebensunterhaltes im August 2010 bestimmt waren.
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Die Drittschuldnerin verweigert eine Auszahlung von Kontoguthaben an die Schuldnerin
mit dem Hinweis auf den ausgeschöpften Pfändungsfreibetrag im Juli 2010.
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Die Schuldnerin, die diesen Geldbetrag unstreitig für das Bestreiten ihres
Lebensunterhalts im August 2010 benötigt, beantragte am 10.08.2010 die Aufhebung
der erfolgten Pfändung unter Hinweis auf § 765a ZPO.
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Mit Beschluss vom 11.08.2010 wies das Amtsgericht Essen diesen Antrag zurück. Zur
Begründung verwies das Amtsgericht Essen darauf, dass für die Schuldnerin die
erfolgte Pfändung schon deswegen keine sittenwidrige Härte darstellen könne, weil sie
aufgrund der gesetzlichen Neuregelung in § 850k I ZPO ohnehin bereits seit
Monatsbeginn wieder zur Verfügung über den monatlichen Pfändungsfreibetrag
berechtigt sei. Dass das zugrundeliegende Kontoguthaben aus Zahlungseingängen im
Juli 2010 resultiere, stünde dem nicht entgegen. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 11.08.2010 (Bl. 30-33 d.A.) verwiesen.
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Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Schuldnerin am 11.08.2010
"Rechtsmittel" ein. Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat noch am selben Tage dem
Begehren der Schuldnerin nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur
Entscheidung vorgelegt.
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Mit Schreiben vom 12.08.2010 hat die Gläubigerin der Drittschuldnerin den Streit
verkündet. Diese ist dem Zwangsvollstreckungsverfahren mit Schriftsatz vom
16.08.2010 auf Seiten der Vollstreckungsschuldnerin beigetreten.
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II.
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Das Amtsgericht hat zu Recht die durch die Schuldnerin am 11.08.2010 zu Protokoll der
Geschäftsstelle abgegebene Erklärung als sofortige Beschwerde ausgelegt. Erkennbar
verlangt die Schuldnerin eine Überprüfung der Entscheidung des Rechtspflegers. Dabei
ist im Zweifel der zulässige Rechtsbehelf gewollt. Gegen die ganze oder teilweise
Ablehnung seines Antrages nach § 765a ZPO steht dem Schuldner die sofortige
Beschwerde zu (Zöller/Stöber, ZPO, 26. Auflage 2007, § 765a Rn 23).
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Die nach § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über die die Kammer nach
Übertragung der Sache durch den Einzelrichter nach § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO zu
entscheiden hatte, ist zulässig, insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO
bestimmten Frist eingelegt worden.
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Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
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Das Amtsgericht hat den Antrag der Schuldnerin auf Gewährung von
Vollstreckungsschutz zu Unrecht zurückgewiesen. denn die Voraussetzungen des §
765a ZPO für die Gewährung von Vollstreckungsschutz liegen im vorliegenden Fall vor.
Dass die Schuldnerin allein wegen der vorlaufenden Gewährung von Sozialleistungen
am Ende des Vormonates nunmehr für den Monat August keine genügenden Geldmittel
zur Verfügung hat, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, stellt eine mit den guten
Sitten nicht zu vereinbarende Härte dar. Gleichzeitig werden schutzwürdige Interessen
der Gläubigerin nur unwesentlich beeinträchtigt, da nach der im gesamten
Zwangsvollstreckungsrecht erkennbaren gesetzgeberischen Grundwertung
Sozialleistungen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes dem Gläubigerzugriff im
Regelfall entzogen sein sollen.
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Dabei liegt entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts eine grobe Härte für die
Schuldnerin nicht schon deswegen nicht vor, weil diese trotz der im Juli 2010 erfolgten
Pfändung und Überweisung im Monat August 2010 im Rahmen des
Pfändungsfreibetrages wieder über das auf Eingängen des Vormonats basierende
Guthaben frei verfügen könnte. Dass dies der Fall wäre, folgt insbesondere nicht aus der
Regelung des § 850k I 1 ZPO n.F.. Hiernach kann ein Schuldner bis zum Ende eines
Kalendermonats in Höhe des monatlichen Freibetrages über sein Kontoguthaben frei
verfügen. Insoweit wird das Kontoguthaben von der Pfändung nicht erfasst. Dass einmal
gepfändete und durch gerichtlichen Beschluss bereits zur Einziehung überwiesenen
Forderungen also auch Zahlungen des Sozialhilfeträgers auf das Konto, die zur
Sicherung des Lebensunterhalts für den nächsten Monat bestimmt sind, nach Beginn
eines neuen Kalendermonats wieder an den Schuldner zurückfallen, so dass dieser in
die Lage versetzt wird, seinen monatlichen Freibetrag aus diesem ursprünglich
vorhandenen Guthabenanteil zu befriedigen, ergibt sich aus der Formulierung des
Gesetzes nicht § 55 Abs. 1-4 SGB I sind gem. § 55 Abs. 5 SGB I nicht anwendbar.. Auch
die Gesetzesmaterialien lassen insofern keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Zwar
findet sich etwa auf Seite 13 der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform
des Kontopfändungsschutzes (BT-Drs 16/7615) der Hinweis, dass das durch einen
Zahlungseingang entstandene Guthaben den Grundstock für den Freibetrag des
Folgemonats bilden kann. Dieser Hinweis steht jedoch im Zusammenhang mit
Ausführungen zu einer fehlenden Ausschöpfung des Freibetrages, sodass naheliegt,
dass der Gesetzgeber insofern lediglich die Berücksichtigungsfähigkeit solcher
Eingänge herausstellen wollte, die im Vormonat gerade nicht bereits der Pfändung
unterfallen sind.
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Berücksichtigt man weiter, dass ein Forderungsrückfall an den Schuldner nach Beginn
eines neuen Kalendermonats nicht nur dogmatisch äußerst bedenklich, sondern aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen wäre, kann jedenfalls der
derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht die Wertung entnommen werden, dass
Eingänge des Vormonates, die infolge einer vorherigen Ausschöpfung des
Pfändungsfreibetrages von der Wirkung eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses erfasst wurden, dem Schuldner im Folgemonat wieder zur
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Verfügung stehen (wohl a.A.: Stöber, Forderungspfändung, 15. Auflage 2010, Rn
1300c).
Dass die kontoführenden Kreditinstitute im Rahmen der Führung eines
Pfändungsschutzkontos nach § 850k ZPO verpflichtet wären, bestimmte
Zahlungseingänge danach zu überprüfen, ob deren Zweckbestimmung auf den
Folgemonat gerichtet ist, um diese dann ggf. erst für den Folgemonat zu
berücksichtigen, vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen. Zum einen würde
eine solche Regelung zu ganz erheblichen Umsetzungsproblemen und Haftungsrisiken
für die kontoführenden Kreditinstituten führen, zum anderen ergibt sich für eine derart
weitreichend Prüfungskompetenz und –verpflichtung der Kreditinstitute keinerlei
Anhaltspunkte aus dem Gesetz.
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Entsprechend dem erkennbaren Interesse der Schuldnerin war deren Antrag so
auszulegen, dass nicht nur die Feststellung der Unwirksamkeit der Pfändung im Monat
Juli, sondern auch die Nichtanrechnung des insofern freiwerdenden Betrages für den
Monat August verfahrensgegenständlich sein sollte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 I 1, 101 I ZPO.
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Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 574 II Nr. 1 ZPO zugelassen, da die
Sache von grundsätzlicher Bedeutung ist. Die nach Einführung der Regelung über das
Pfändungsschutzkonto zum 01.07.2010 entstandene vorliegende Rechtsfrage hat in
einer großen Vielzahl von bereits anhängigen und künftig noch zu erwartenden
Verfahren Bedeutung erlangt. Auch ist es für die Vollstreckungspraxis wichtig, möglichst
zeitnah eine einheitliche Vorgehensweise der Kreditinstitute herbeizuführen.
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