Urteil des LG Essen vom 17.03.1983

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Landgericht Essen, 16 O 44/83
Datum:
17.03.1983
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
16. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 O 44/83
Normen:
§ 847 BGB
Rechtskraft:
ja
Tenor:
hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 1983
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. O.
den Richter am Landgericht C.
und die Richterin am Landgericht W.
für R e c h t erkannt:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
1. 229,32 DM (i. W• zweihundertneunundzwanzig 32/100 Deutsche
Mark) nebst 4 % Zinsen seit 11. April 1982 zu zahlen.
2. ein weiteres Schmerzensgeld von l.000,-- DM
(i. W. eintausend Deutsche Mark) zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 2/3 und die Beklag-
ten zu 1/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 1.300,--DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in glei-
cher Höhe Sicherheit leistet, die Klägerin ist wegen der Kostenvoll-
streckung der Beklagten bei Sicherheitsleistung in Höhe von 500,-- DM
in gleicher Weise befugt.
Tatbestand
1
Die Klägerin, die Eigentümerin des Pkw Renault R 5 mit dem amtlichen Kennzeichen:
war, hatte ihr Fahrzeug am 29.06.81 auf dem Parkstreifen der dort 5,40 m breiten
Fischerstraße in Gelsenkirchen-Horst etwa 10 m nördlicher der Einmündung
Rothemannstraße geparkt. Als sie nach Beendigung ihres Dienstes in der ärztlichen
Praxis Dr. Q. nach Hause fahren wollte, stieß ihr Fahrzeug kurz nach dem Anfahren mit
dem entgegenkommenden Pkw BMW des Beklagten zu 1) mit dem amtlichen
Kennzeichen zusammen, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Das
Fahrzeug der Klägerin drehte sich infolge des Unfalls um die eigene Achse und stand
nachher in der Fahrtrichtung des Beklagten zu 1). Der Klägerin entstand bei dem Unfall
unstreitig Sachschaden in Höhe von 1.375,91 DM. Hierauf hat die Beklagte zu 2) nach
Klageerhebung 458,64 DM (1/3) gezahlt.
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Die Klägerin, die erst seit dem 25.04.81 in Besitz einer Fahrerlaubnis ist und zum
Unfallzeitpunkt keinen Sicherheitsgurt angelegt hatte, wurde bei dem Unfall verletzt. Sie
erlitt eine ausgedehnte skalpierende Stirnplatzwunde, beginnend in der Schläfe und
durch die Augenbraue bis über die Nasenwurzel hinauslaufend. Wegen der weiteren
Schnittverletzungen im einzelnen, die sämtlich Stirn und Augenoberlid der Klägerin be-
treffen, wird auf den vorgetragenen Inhalt des Arztberichtes von Dr. K. vom 22.05.82 (Bl.
6 und 7 d. Gerichtsakten) verwiesen. Die Klägerin befand sich mehrere Wochen in
stationärer und operativer Behandlung. Sie war bis zum 03.08.81 erwerbsunfähig.
Während die Schnittwunden zwischenzeitlich verheilt sind, ist es im obersten Abschnitt
des Wundgebietes zu Keloidbildungen gekommen, so daß eine chirurgische
Narbenkorrektur zur Verbesserung des kosmetischen Ergebnisses angezeigt ist.
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Zur Ausgleichung des von der Klägerin begehrten Ersatzes des immateriellen
Schadens hat die Beklagte zu 2) im Laufe des Rechtsstreits 2.000,--DM gezahlt.
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Die Klägerin behauptet, sie sei im spitzen Winkel vom Parkstreifen nach links auf die
Fahrbahn gefahren, um die Fahrt geradeaus fortzusetzen; dabei sei sie nicht über die
Fahrbahnmitte hinausgeraten. Der Wagen des Beklagten zu
Geschwindigkeit entgegengekommen, der Beklagte zu 1) habe dann spontan gebremst,
sein Wagen sei über die Fahrbahnmitte hinausgeraten und habe dort das Fahrzeug der
Klägerin erfaßt.
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Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in Höhe von 485,64 DM und
2.000,-- DM für erledigt erklärt haben, beantragt die Klägerin,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.375,91 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 11.04.82 abzüglich 458,64 DM zu zahlen.
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2. ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen,
abzüglich 2.000,-- DM.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen, soweit sie nicht für erledigt erklärt wurde.
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Sie machen geltend, die Klägerin sei beim Verlassen des Parkstreifens über die
Fahrbahnmitte hinausgeraten, der Zusammenstoß habe sich auf der Fahrbahnhälfte des
Beklagten zu 1), die dieser nicht verlassen habe, ereignet, der Beklagte zu 1) sei auch
nicht schneller als 50 km/h gefahren.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen I. und Q.
Das Gesicht der Klägerin ist in Augenschein genommen worden.
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Wegen des Inhalts der Aussagen und des Ergebnisses der Augenscheinseinnahme
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.03.83 (Bl. 31—39 der Gerichtsakten) Bezug
genommen. Die Strafakte 17 Ds 32 Js 11O7/81) Staatsanwaltschaft Essen (Amtsgericht
Gelsenkirchen-Buer) war Gegenstand des Beweises der mündlichen Verhandlung. Auf
ihren Inhalt wird verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Klageantrag zu 1) ist in Höhe des erkannten Betrages begründet.
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Die Klägerin kann die Beklagten gemäß der §§ 7, 17 StVG, 3
Pflichtversicherungsgesetz in Höhe der Hälfte des ihr entstandenen Schadens in
Anspruch nehmen.
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Beide Parteien haben den Unfall verschuldet.
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Zwar kann nicht festgestellt werden, welches der beteiligten Fahrzeuge über die
Fahrbahnmitte hinausgeraten ist. Der Zeuge Q. konnte keine Angaben dazu machen, ob
der Beklagte zu 1) die gedachte Mittellinie überfahren hat. Die Aussage der Zeugin I.,sie
meine, daß sich die beiden linken Räder des BMW bereits auf der Fahrbahnhälfte der
Klägerin befunden hätten, reicht für eine diesbezügliche Feststellung nicht aus. Die
Fahrbahnmitte ist nicht mit einer Mittellinie markiert, die Beurteilung, ob die Mitte
überschritten wurde, ist mithin besonders schwer. Demgemäß hat die Zeugin auch nur
bekundet, daß dies ihr Eindruck gewesen sei, als feststehend hat sie es nicht
dargestellt. Da die Zeugin auch in dem polizeilichen Anhörungsbogen hierzu nichts
geschildert hat, reicht ihre Aussage mehr als 1 1/2 Jahre nach dem Unfall in diesem
Punkt zur Überzeugungsbildung des Gerichts nicht aus.
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Desgleichen kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin beim Anfahren aus der
Parklücke die gedachte Mittellinie der Fahrbahn überschritten hat. Der Zeuge Q.hat das
Fahrzeug der Klägerin vor dem Unfall nicht wahrgenommen. Die Zeugin I. hat zwar bei
ihrer polizeilichen Anhörung 4 Tage nach dem Unfall erklärt, der Wagen der Klägerin sei
zu weit vom Parkplatz ausgeschert; sie hat dies im Termin zur mündlichen Verhandlung
auf einen entsprechenden Vorhalt des Prozeßbevollmächtjgten der Beklagten mit einer
Handbewegung verdeutlicht, die ein Überschreiten der Fahrbahn der Klägerin anzeigen
könnte. Bei ihrer zusammenhängenden Unfallschilderung zu Beginn ihrer Aussage hat
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die Zeugin aber bekundet, die Klägerin sei ganz spitzwinklig vom Parkstreifen
abgefahren, ihr Wagen sei bereits eingeordnet gewesen und habe sich auch schon
geradeausbewegt, als sich der Wagen des Beklagten zu 1) genähert habe. Da auch die
polizeiliche Unfallskizze keinen eindeutigen Schluß zuläßt, kann nicht festgestellt
werden, daß ein Überschreiten der Fahrbahnmitte durch die Klägerin unfallursächlich
geworden ist.
Dagegen hat die Beweisaufnahme ergeben, daß der Beklagte zu 1) unter Verstoß
gegen § 3 Abs. 3 und § 2 Abs. 2 StVO mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und
sich dabei auch nicht soweit rechts wie möglich gehalten hat. Er hat damit zur
Verursachung des Unfalls nicht unerheblich beigetragen.
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Die Zeugin I. und der Zeuge Q. schätzen die von ihm gefahrene Geschwindigkeit
unabhängig voneinander nahezu übereinstimmend auf 70—80 km/h bzw. 80 km/h. Zwar
ist einzuräumen, daß die Geschwindigkeit vorbeifahrender Fahrzeuge ohne technische
Hilfsmittel von Passanten nur schwer zu schätzen ist und solchen Passanten, die nicht
selbst im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, häufig die Erfahrungswerte für eine Schätzung
fehlen werden.
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Vorliegend wird aber die nahezu übereinstimmende Beurteilung der Zeugen dadurch
gestützt, daß sie, wie sie übereinstimmend bekundet haben, ein lautes Fahrgeräusch
vom BMW wahrgenommen haben, wodurch der Zeuge Q. auf den Wagen überhaupt
aufmerksam geworden ist. Desgleichen steht nach den glaubhaften Bekundungen der
Zeugen I. und Q. fest, daß der Beklagte zu 2) nicht so weit rechts gefahren ist, wie es
möglich gewesen und angesichts der nur 5,40 m breiten Straße auch erforderlich
gewesen wäre.
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Auch die Klägerin trifft an dem Unfall ein Verschulden. Wer von einem Parkstreifen auf
die Fahrbahn einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, daß eine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, § 10 StVO. Die Klägerin mußte
sicherstellen, daß auch entgegenkommende Fahrzeuge nicht gefährdet würden, dazu
hätte sie den entgegenkommenden Wagen des Beklagten zu 1) erforderlichenfalls
passieren lassen müssen, bevor sie mit dem Ausscheren begann.
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Das Maß der beiderseitigen Verursachung wiegt in etwa gleich schwer, so daß das
Gericht eine Schadensteilung auf hälftiger Grundlage für gerechtfertigt erachtet. Der
Beklagte zu 1), der im Strafverfahren selbst eingeräumt hat, die Klägerin aus einer
Entfernung von etwa 50 m gesehen zu haben, hätte sein Fahrzeug früher abbremsen
müssen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden; demgegenüber war die Klägerin beim
Anfahren vom Parkstreifen zu besonderer Vorsicht verpflichtet.
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Von dem unstreitig in Höhe von 1.375,91 DM entstandenen materiellen Schaden haben
die Beklagten somit 687,95 DM zu tragen. Abzüglich des Betrages von 458,64 DM, um
den die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt
haben, ergab sich der auf den Klageantrag zu 1) erkannte Betrag von 229,32 DM, den
die Beklagten gemäß der §§ 288 I, 284 I BGB mit 4 % zu verzinsen haben.
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Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ist gem. § 847 BGB in Höhe von weiteren
1.000,-- DM begründet.
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Die zum Unfallzeitpunkt 18 Jahre alte Klägerin ist bei dem Unfall erheblich verletzt
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worden, so daß sie mehrere Wochen stationär — auch operativ — behandelt werden
mußte und 7 Wochen arbeitsunfähig war. Wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat,
sind die Narben im Gesicht der Klägerin im Bereich der Stirn und der linken Augenbraue
noch deutlich sichtbar. Sie bedeuten eine fühlbare Beeinträchtigung ihrer körperlichen
Integrität und lassen ihren Wunsch nach operativer Behandlung verständlich
erscheinen, selbst wenn die Klägerin bei der von ihr derzeit gewählten Haartracht einen
Teil der Narben bedeckt hält. Unter weiterer Berücksichtigung der Einbuße an
Lebensfreude und der Heftigkeit der Schmerzen hält das Gericht einen
Schmerzensgeldbetrag von 8.000,-- DM für angemessen, der jedoch wegen des
mitwirkenden Verschuldens der Klägerin zu mindern ist, § 254 BGB. Dabei war zu
berücksichtigen, daß die Verletzungen der Klagerin, die unstreitig unter
Zuwiderhandlung gegen § 21 a StVO die Sicherheitsgurte nicht angelegt hatte, dem
typischen Verlauf nach dadurch entstanden sind, daß sie mit dem Kopf gegen die
Windschutzscheibe geriet. Dies ergibt sich auch aus dem von der Klägerin
eingereichten Arztbericht des Dr.K. vom 22.05.82. Insoweit hält das Gericht einen Abzug
von 25 % für gerechtfertigt. Von den verbleibenden 6.000,-- DM ist die Hälfte wegen des
bereits erörterten Mitverschuldens der Klägerin bei dem Zustandekommen des Unfalls
abzuziehen, so daß sich abzüglich des übereinstimmend für erledigt erklärten Betrages
von 2.000,-- DM eine noch zu zahlende Summe von
1.000,-- DM ergibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Ziff. 11, 711
ZPO.
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