Urteil des LG Essen vom 28.01.2010

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Landgericht Essen, 10 S 379/09
Datum:
28.01.2010
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 379/09
Normen:
§ 13 I a S. 2 AKB
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht Privatversicherungsrecht Zivilrecht
Leitsätze:
Schadensumfang, Grundsätze der Beweiswürdigung
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 13.11.2009 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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A.
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Der Kläger ist Eigentümer eines PKW Mercedes, in den seit dem 05.10.2001 das Radio
– Navigationsgerät Philipps Carin Sy 522 eingebaut war. Die Parteien haben einen
Vertrag über eine Teilkaskoversicherung geschlossen, wobei für den Kläger eine
Selbstbeteiligung in Höhe von 500,00 Euro besteht.
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Am 28. / 29.11.2007 brachen unbekannte Täter das Fahrzeug des Klägers auf und
entwendeten das o. g. Navigationsgerät. Der Kläger schaffte sich in der Folgezeit ein
Ersatzgerät zum Preis von 1.169,68 brutto an. Gegenüber der Beklagten verlangte er in
einem Schreiben vom 13.12.2007 die Erstattung von insgesamt 1,899,57 Euro. Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des entsprechenden Schreibens – Bl. 8 f.
der Akte – verwiesen. Die Beklagte zahlte dem Kläger unter Berücksichtigung seiner
Selbstbeteiligung einen Betrag von 627,89 Euro, lehnte allerdings eine darüber hinaus
gehende Zahlung ab.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm ausweislich ihrer AKB
zum Ersatz des vollständigen Wiederbeschaffungswertes des Navigationsgeräts
verpflichtet; er hat behauptet, der aufgewandte Kaufpreis von 1.169,68 Euro für das
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Ersatzgerät entspreche der Höhe des Wiederbeschaffungswerts.
Die Beklagte hat behauptet, der Wiederbeschaffungswert des entwendeten
Navigationscomputers betrage allenfalls 450,00 Euro. Sie ist der Ansicht gewesen, dem
Kläger stünden infolge der geleisteten Zahlung keine weiteren Ersatzansprüche mehr
zu.
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Das Amtsgericht hat Beweis durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf den Inhalt des Gutachtens des Dipl. Ing. Q vom 24.04.2009 verwiesen. Mit am
31.07.2009 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
stehe fest, dass sich der Wiederbeschaffungswert für das entwendete Navigationsgerät
auf lediglich 450,00 Euro belaufe. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den
tatsächlichen Feststellungen und zur Begründung des amtsgerichtlichen Urteils wird auf
den Inhalt der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Bl. 109 ff. der Akte).
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Das Urteil ist dem Kläger am 06.08.2009 zugestellt worden. Er hat mit Schriftsatz vom
24.08.2009 – bei Gericht am 26.08.2009 eingegangen – Berufung eingelegt und das
Rechtsmittel am 05.10.2009 begründet. Im Rahmen der Berufung verfolgt er seinen
erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter und nimmt im Wesentlichen auf sein bisheriges
Vorbringen Bezug, das er vertieft und ergänzt. Er meint, das Amtsgericht habe den Inhalt
des Gutachtens fehlerhaft gewürdigt, was um so mehr gelte, als der Sachverständige die
Beweisfrage gar nicht abschließend beantwortet habe.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und verweist ebenfalls in weiten Teilen
auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ist der Auffassung, das Amtsgericht sei unter
Berücksichtigung des Inhalts des Sachverständigengutachtens zu Recht davon
ausgegangen, dass sie ihre Erstattungspflicht in vollem Umfang erfüllt habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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B.
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Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, in der Sache allerdings erfolglos; die
zulässige Klage ist nämlich nicht begründet. Im Einzelnen:
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I. §§ 12, 13 Ia AKB der Beklagten
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 771,68 Euro gegen die Beklagte aus
§§ 12, 13 Ia AKB.
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1.
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Zwischen den Parteien besteht ein Versicherungsvertrag, wobei die Beklagte nach den
genannten Vorschriften verpflichtet ist, bei Eintritt des Versicherungsfalles den Schaden
bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu regulieren. Dieser bestimmt sich nach
der Höhe der Aufwendungen, die der Versicherungsnehmer für der Erwerb
gleichwertiger Teile aufwenden muss, § 13 Ia Satz 2 AKB. § 13 AKB stellt somit auf
einen gleichwertigen Ersatz ab, also gerade nicht auf einen neuwertigen.
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2.
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Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich der
Wiederbeschaffungswert für das entwendete Navigationsgerät auf lediglich 450,00 Euro
belaufe, was sich aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Q ergebe. Das
vom Kläger zum Preis von 1.169,68 erworbene Ersatzgerät sei nicht gleichwertig im o.
g. Sinn. Nach § 286 I ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts
der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung
zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung wahr oder unwahr ist (BGH NZG
2008, 588 ff.; Zöller/Heßler, 27. Auflage, § 529 ZPO, Rdnr. 3 ff.). Nach § 529 I Nr. 1 ZPO
ist das Berufungsgericht an die Feststellungen des erstinstanzlichen Spruchkörpers
grundsätzlich gebunden und kann lediglich überprüfen, ob die Voraussetzungen und
Grenzen des § 286 I ZPO gewahrt und eingehalten wurden. Es dürfen keine konkreten
Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Die Beweiswürdigung des
erstinstanzlichen Gerichts darf nicht in sich widersprüchlich sein, keinen Denkgesetzen
oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderlaufen und muss alle wesentlichen Teile
des Beweisergebnisses berücksichtigen (zu diesen Kriterien vgl. BGH NZG 2008, 588
ff.; BGH NJW – RR 2005, 558 f.; BGH NJW – RR 2004, 425 f.; BGH WM 1999, 1889 f.;
Zöller/Heßler § 529 ZPO, Rdnr. 7 ff.). Zweifel im oben genannten Sinne liegen jedoch
erst dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig
überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der (erneuten)
Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben, sich also
ihre Unrichtigkeit herausstellen wird (BGH NJW 2004, 2828 ff.).
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a) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht
zu beanstanden. Es hat sich mit dem Inhalt des Sachverständigengutachtens
ausführlich auseinandergesetzt und ihn bei der Entscheidungsfindung in vollem Umfang
berücksichtigt. Die Ausführungen des Gutachters sind in sich schlüssig und plausibel.
Er hat insbesondere erläutert, wie er die Wertermittlung vorgenommen hat; er hat sich
nach den Verkaufspreisen für typgleiche Geräte erkundigt und ferner nachvollziehbar
erläutert, warum ein Gerät wie das vom Kläger ursprünglich erworbene einen
erheblichen Wertverfall erlitten habe; es habe im Laufe der letzten Jahre nämlich ein
"rasanter" technischer Fortschritt auf dem Gebiet der Navigationscomputer
stattgefunden. Die Kammer verkennt nicht, dass eine Wertermittlung grundsätzlich
erfordert, dass Preise für vergleichbare Gegenstände ermittelt werden, die sich auf
einem "seriösen Markt" erzielen lassen und dass die Einholung von
Vergleichsangeboten auf der Internet – Plattform "Ebay" nicht notwendig als "seriös" in
diesem Sinne anzusehen ist. Entscheidend ist allerdings, dass der Gutachter gleichwohl
plausibel und schlüssig begründen konnte, dass der Wiederbeschaffungswert des
Navigationsgeräts mit 450,00 Euro "großzügig" bemessen sei. Er hat sich hinsichtlich
der Abwertung von Automobilsonderzubehör auf eine Auskunft der "Deutsche
Automobil Treuhand" gestützt, die zu den führenden Marktforschungsinstituten
bezüglich des Gebrauchtwagenmarktes gehört.
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b) Vor diesem Hintergrund hatte das Amtsgericht keine Veranlassung, den Gutachter zu
dem im klägerischen Schriftsatz vom 13.07.2009 gestellten Fragen ergänzend zu
vernehmen. Ob es "im Allgemeinen" – die Frage ist bereits im Wege eines
Ausforschungsbeweises formuliert – einen Gebrauchtmarkt für das hier in Rede
stehende Navigationsgerät gibt, ist nach den obigen Ausführungen nicht
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entscheidungsrelevant, da der Wiederbeschaffungswert mit Blick auf die Anschaffung
eines gleichwertigen Gegenstands zu ermitteln ist. Ob der Kläger das erworbene
Ersatzgerät anderswo billiger hätte erwerben können, hat auf die Erfolgsaussichten
seiner Klage gleichfalls keinen Einfluss, denn es oblag dem Gutachter lediglich – wie
ausgeführt –, den Wert für (irgend) ein vergleichbares Ersatzgerät zu ermitteln, nicht
hingegen zu untersuchen, ob der Kläger den angeschafften Navigationscomputer zu
einem günstigen Preis erworben oder ob er für ihn mehr als den Verkehrswert entrichtet
hat.
3.
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Der grundsätzlich erstattungsfähige Schaden des Klägers beläuft sich auf lediglich
609,89 Euro und ermittelt sich wie folgt:
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Reparatur Seitenscheibe: 294,56 Euro
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Ersatznavigationsgerät: 450,00 Euro
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Kosten für Aus- und Einbau: 365,33 Euro
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abzüglich Selbsthalt: 500,00 Euro
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Gesamt: 609,89 Euro.
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Fahrtkosten sind nicht erstattungsfähig, wobei der Kläger das Urteil insofern ohnehin
nicht angegriffen hat. Sein Anspruch ist vollständig gem. § 362 I BGB erloschen, da die
Beklagte unstreitig 627,89 Euro gezahlt hat.
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II. Nebenforderung
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Da der Kläger mit der Hauptforderung unterliegt, hat er weder einen Anspruch auf
Zahlung von außergerichtlichen Anwaltskosten noch auf Zahlung von Verzugszinsen,
§§ 280 ff., 286, 288, 249 ff. BGB.
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C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 II ZPO liegen nicht vor.
Die Rechtssache besitzt weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich.
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