Urteil des LG Essen vom 21.09.2007

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Landgericht Essen, 7 T 412/07
Datum:
21.09.2007
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 412/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 77 XVII M 1525
Normen:
§ 1896 BGB
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Rechtskraft:
nein
Tenor:
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht L.,
den Richter am Landgericht I.und die Richterin am Landgericht H. auf
die Beschwerde des Beteiligten zu 3) gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Essen vom 18. Juni 2007 (77 XVII M 1525) am 21. 09.
2007
b e s c h l o s s e n :
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
1
Die Beteiligten zu 2) und 3) sind geschiedene Eheleute. Der Beteiligte zu 1) ist ihr
gemeinsamer Sohn. Nach der Darstellung des Beteiligten zu 3) verbringt der Beteiligte
zu 1) seine Zeit im Wesentlichen damit, dass er vor dem Computer sitzt und sich mit PC-
Spielen beschäftigt. Dies führt dazu, dass der Beteiligte zu 1) seit 2 bis 3 Jahren kaum
noch sein Zimmer verlässt. Kontakte bestehen praktisch nur noch zu seiner jüngeren
Schwester, einer Tante und deren Sohn, also einem Cousin. Anlässlich eines
Hausbesuches durch den Mitarbeiter der Betreuungsbehörde äußerte sich der Beteiligte
zu 1) u.a. dahingehend, dass er die 9. Klasse der Hauptschule mit einem
Abgangszeugnis verlassen habe. Das reiche ihm. Er sehe keine Notwendigkeit zu
arbeiten. Er habe ein Dach über dem Kopf, der Kühlschrank sei voll und der PC habe
Strom. Für ihn sei das o.k. Es gebe keinen Grund, dies zu ändern. Er schlafe lange.
Dann koche er sich etwas, spiele viel am PC und beschäftige sich. Ansonsten verstehe
er sich mit seiner Schwester und habe Kontakt zum Cousin und seiner Tante. Andere
Bekannte habe er über das Internet, das genüge ihm an Unterhaltung. Zu den weiteren
Einzelheiten der Situation des Beteiligten zu 1) wird auf den Bericht der beteiligten
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Betreuungsstelle vom 11.06.2007 (Blatt 3-6 der Akte) Bezug genommen.
Nach den weiteren Angaben des Beteiligten zu 3) ist ungeklärt, ob der Beteiligte zu 1)
noch krankenversichert ist.
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Das Amtsgericht lehnte mit Beschluss vom 18.06.2007 nach Einholung dieses Berichtes
die Bestellung eines Betreuers ab. Zur Begründung der Entscheidung führte das Gericht
aus, der Beteiligte zu 1) könne seine Angelegenheiten selbst besorgen. Entsprechend
den Hinweisen der Betreuungsstelle in dem Bericht vom 11.06.2007 stünden im
Übrigen zu seiner Unterstützung zahlreiche Angebote zur Verfügung.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 3), der u.a.
unter Vorlage eines entsprechenden Zeitungsberichtes darauf verweist, dass bei
seinem Sohn eine Krankheit vorliegt. Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes
wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
5
II.
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Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 3) hat in der Sache keinen Erfolg. Das
Amtsgericht hat die Bestellung eines Betreuers zu Recht abgelehnt.
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Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise
nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1
BGB für ihn einen Betreuer. Gegen den freien Willen des Volljährigen darf der Betreuer
nicht bestellt werden ( § 1896 Abs. 1 a BGB). Ein Betreuer darf im Übrigen nur für
Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2
Satz 1 BGB). Aus der letztgenannten Vorschrift ergibt sich der Grundsatz der
Subsidiarität der Betreuung. Die Betreuung ist nachrangig gegenüber sonstigen Hilfen.
Eine Unterstützung eines Betroffenen durch Familienangehörige, Nachbarn und
Bekannte schließt deshalb die Betreuungsbedürftigkeit aus. Ein unstrukturierter
Tagesablauf allein rechtfertigt die Bestellung eines Betreuers nicht (vgl. zu allem
Palandt/Diederichsen, BGB, 2007, § 1896 Rdnr. 11 und 12).
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Offenbleiben kann im vorliegenden Fall, ob bei dem Beteiligten zu 1) die medizinischen
Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers vorliegen. Selbst wenn man davon
ausgeht, dass der übermäßige Computerkonsum des Beteiligten zu 1), also das
ständige Spielen von PC-Spielen oder das Surfen im Internet, als eine Suchterkrankung
und damit als eine psychische Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB
einzuordnen ist, und dass der Beteiligte zu 1) aufgrund dieser Erkrankung die Fähigkeit
zu einer eigenverantwortlichen Regelung seiner Angelegenheit verloren hat, ist eine
Betreuung nicht im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich.
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Aufgrund der Angaben des Beteiligten zu 3) und des Betreuungsberichts der beteiligten
Betreuungsstelle vom 11.06.2007 steht fest, dass der Beteiligte zu 1) weitgehend über
keine sozialen Kontakte mehr verfügt und die Anbindung an die Realität verloren hat. Er
ist damit zufrieden, ein Dach über dem Kopf zu haben, dass der Kühlschrank voll ist und
dass sein PC Strom hat. Er kümmert sich weder um eine Ausbildung noch um eine
berufliche Tätigkeit. Dies ist sicherlich eine Situation, die auch im Interesse des
Beteiligten zu 1) so schnell wie möglich geändert werden müsste. Möglichkeiten hierzu
sind u.a., dem Beteiligten den Strom von seinem Computer abzuklemmen oder ihn aus
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der mütterlichen Wohnung herauszuwerfen, wie wohl schon eine Mitarbeiterin des
allgemeinen Sozialdienstes der Stadt Essen der Beteiligten zu 2) vorgeschlagen hat.
Ein Betreuungsbedürfnis ergibt sich jedoch aus dieser Situation nicht, selbst wenn man
unterstellt, dass der Beteiligte zu 1) zur Zeit nicht krankenversichert ist. Durch die
Versorgung in der mütterlichen Wohnung ist der Lebensunterhalt des Beteiligten zu 1)
gesichert. Ein Fürsorge- bzw. Betreuungsbedürfnis im Sinne des § 1896 Abs. 2 BGB ist
deshalb nicht ersichtlich. Selbst wenn der Beteiligte zu 1) nicht krankenversichert sein
sollte, ist insoweit ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichts im Hinblick auf die
Subsidiarität der Betreuung nicht möglich, da im Krankheitsfall eine ausreichende
Behandlung der Erkrankung auf andere Weise -Sozialhilfemaßnahmen- sichergestellt
werden kann. Zutreffend ist in dem Bericht der Betreuungsbehörde vom 11.06.2007
insoweit angemerkt, das wohl eher ein Erziehungsproblem vorliegt, aus dem sich
jedoch kein Fürsorgebedürfnis im Sinne des § 1896 BGB herleiten lässt.