Urteil des LG Essen vom 14.09.2007

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Landgericht Essen, 6 StVK W 140/07
Datum:
14.09.2007
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
6. Strafvollstreckungskammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 StVK W 140/07
Normen:
§ 42 S. 1 StVollzG
Sachgebiet:
Strafrecht
Rechtskraft:
ja
Tenor:
In der Strafvollstreckungssache
weitere Beteiligte:
1) der Leiter der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen
2) der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen
wegen: Freistellung von der Arbeitspflicht
hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung
hat die 6. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen durch den
Richter am Landgericht V. am 14.09.2007 beschlossen:
Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom
25.08.2007 werden der Bescheid der Justizvollzugsanstalt
Gelsenkirchen vom 25.06.2007 und der Widerspruchsbescheid des
Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordhein-Westfalen vom
09.08.2007 aufgehoben.
Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen wird verpflichtet, den
Antragsteller 13 Werktage von der Arbeitspflicht freizustellen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Antragstellers nach einem Gegenstandswert von 250 Euro trägt die
Landeskasse.
Gründe
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2
I.
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Der Antragsteller ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen. Dort
arbeitete er zunächst vom 27.03.2006 bis 26.06.2006 und nach seiner Verlegung in die
JVA Geldern dort weiter vom 03.07.2006 bis zu seiner Rückverlegung in die JVA
Gelsenkirchen am 03.05.2007, wobei ihm bereits am 01. und 02.05.2007 in der JVA
Geldern zwei Freistellungstage gewährt wurden. Seit dem 03.05.2007 ist der
Antragsteller in der JVA Gelsenkirchen ohne Arbeit. Er beantragte am 25.06.2007 die
Gewährung von 13 Freistellungstagen. Diesen Antrag lehnte die JVA Gelsenkirchen am
gleichen Tage ab, was dem Antragsteller am 2606.2007 eröffnet wurde. Zur
Begründung führte die JVA Gelsenkirchen aus, dass der Gefangene zwar noch einen
Freistellungsanspruch gemäß § 42 StVollzG von 13 Tagen habe und die Freistellung
bis einschließlich 26.03.2008 genommen worden sein müsse. Derzeit könne ihm aber
keine Freistellung gewährt werden, da er seit dem 03.05.2007 ohne Arbeit sei und ihm
Freistellung nur gewährt werden könne, wenn er nicht nur 1 Jahr lang die ihm
zugewiesene Tätigkeit ausgeübt habe, sondern auch noch in Arbeit stehe und vor und
nach der Freistellung die ihm zugewiesenen Tätigkeiten auch ausüben könne.
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Gegen den ihm am 26.06.2007 eröffneten Bescheid hat der Antragsteller unter dem
28.06.2007 Widerspruch eingelegt, der durch Bescheid des Präsidenten des
Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen vom 09.08.2007 als unbegründet
zurückgewiesen wurde. Zur Begründung nahm der Präsident des
Landesjustizvollzugsamtes vollumfänglich auf die vorstehend wiedergegebene
Begründung der JVA Gelsenkirchen Bezug. Der Bescheid vom 09.08.2007 wurde dem
Antragsteller am 20.08.2007 zugestellt.
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Mit am 28.08.2007 bei dem Landgericht Essen eingegangenen Schreiben vom
25.08.2007 hat der Antragsteller "Widerspruch gegen die Entscheidung vom
26.06.2007" erhoben, mit dem er die Gewährung von 13 Freistellungstagen begehrt. Zur
Begründung verweist der Antragsteller darauf, dass – auch wenn er nicht in Arbeit stehe
– seine grundsätzliche Arbeitspflicht weiter bestehe, von der er freigestellt werden wolle.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der
vorgenannten Schriftstücke Bezug genommen (115 I S.3 StVollzG).
7
II.
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Die Kammer hat den "Widerspruch" des Verurteilten gegen den Bescheid des
Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes vom 09.08.2007 als gemäß § 109 I S.1
StVollzG allein zulässiges Rechtsmittel des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, den
Leiter der JVA Gelsenkirchen zu verpflichten, ihn 13 Werktage von der Arbeitspflicht
freizustellen, ausgelegt.
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Der so verstandene Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere
gemäß § 112 I S.2 StVollzG fristgerecht.
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Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.
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Die JVA Gelsenkirchen hat dem Gefangenen zu Unrecht die begehrte Freistellung von
der Arbeitspflicht versagt. Denn gemäß § 42 I S.1 StVollzG kann der Gefangene, der ein
Jahr lang zugewiesene Tätigkeiten (...) ausgeübt hat, beanspruchen achtzehn Werktage
von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden.
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Damit ergeben sich aus dem Wortlaut des Gesetz lediglich zwei Erfordernisse für die
Gewährung der Freistellung und zwar zum einen die einjährigen Ausübung der dem
Gefangenen zugewiesenen Tätigkeiten und eine jedenfalls derzeit bestehende
Arbeitspflicht. Beider Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Für die Annahme der JVA Gelsenkirchen, über die vorgenannten Voraussetzungen
hinaus sei zusätzlich erforderlich, dass der Gefangene zur Zeit der Antragstellung nicht
nur grundsätzlich arbeitspflichtig sei, sondern auch tatsächlich in Arbeit stehe, bietet das
Gesetz keine Anhaltspunkte. Schließlich ergibt sich diese zusätzliche Voraussetzung
auch nicht im Wege einer etwaigen Auslegung des § 42 I S.1 StVollzG. Denn es fehlt
bereits an mehreren Voraussetzungen einer Auslegung des Gesetzes, nämlich u.a. an
einer regelungsbedürftigen Lücke, die der Gesetzgeber versehentlich ungeregelt
gelassen hat. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Der Gesetzgeber hat gerade nicht den
Begriff der Freistellung von der "Arbeit", sondern von der "Arbeitspflicht" verwendet.
Diese Arbeitspflicht ist zunächst einmal abstrakt und als solche in § 41 I S.1 StVollzG
auch geregelt, in dem dem Gefangenen grundsätzlich eine Arbeitspflicht auferlegt wird,
auch wenn sie möglicherweise im Einzelfall nicht zum Tragen kommt.
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Dabei verkennt die Kammer nicht, dass in der Rechtsprechung und in der Literatur
teilweise – ebenso wie von der JVA Gelsenkirchen - vertreten wird, dass einen
Anspruch auf Freistellung nur derjenige Gefangene habe, der in Arbeit stehe (vgl.
Calliess/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 10. Aufl., § 42, Rn. 3; LG Regensburg,
NStZ 1990, 303 f.).
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Allerdings ist der von dem Landgericht Regensburg entschiedenen Fall mit der hier
vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar, da es in dem dort entschiedenen Fall
entscheidend um die Frage der Gewährung von Freistellung für einen Gefangenen ging,
der sich aus eigenem Entschluss der Arbeit verweigerte. Auch wenn das Landgericht
Regensburg in seiner Entscheidung vom 23.01.1990 ausgeführt hat, dass § 42 StVollzG
so zu lesen sei, dass nur derjenige Gefangene einen Freistellungsanspruch habe, der in
Arbeit stehe und vor und nach der Freistellung erneut die ihm zugewiesenen Tätigkeiten
ausüben wolle, so wird die Entscheidung in dem dort entschiedenen Fall gerade nicht
davon getragen, ob der Gefangene in Arbeit steht, sondern vielmehr ob er dazu selbst
bereit ist.
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Aber auch soweit in der Kommentarliteratur im Ergebnis das Gleiche – im Übrigen unter
Hinweis auf die Entscheidung aus Regensburg - vertreten wird, so vermag auch das
nicht zu überzeugen und zwar auch nicht, soweit weiter ausgeführt wird, dass die
Freistellung voraussetze, dass eine Arbeitspflicht bestehe, wobei es daran fehlen soll,
wenn die Vollzugsbehörde dem Gefangenen mangels Beschäftigungsmöglichkeit keine
Arbeit zuweisen konnte (Calliess/Müller-Dietz, a.a.O.).
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Gerade in der Annahme dieser Verknüpfung von Arbeitspflicht und
Beschäftigungsmöglichkeit geht die Ansicht nach Auffassung der Kammer fehl. Der
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Wortlaut bietet dafür eben keinen Anhaltspunkt.
In diesem Zusammenhang sieht die Kammer schließlich sehr wohl den Sinn und Zweck
des Freistellungsanspruchs, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung vom 21.02.1984 (2 BvR 1242/80) dargestellt hat. Dabei hat das
Bundesverfassungsgericht aber gerade die Doppelfunktion des Freistellungsanspruchs
hervorgehoben, der nicht nur in der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft
besteht – ein Aspekt, der hier sicher nicht vorliegt – sondern der auch u.a. dazu dient bei
dem Gefangenen durch Gewährung von Gegenleistungen für die Ausübung abhängiger
Tätigkeit eine positive Einstellung zur Arbeit zu erzeugen.
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Auch wenn die Kammer sieht, dass dem Gefangenen derzeit mangels Arbeit keine
Gegenleistungen gewährt werden, so ist doch nicht zu verkennen, dass der - auch vom
Bundesverfassungsgericht angesprochene monetäre Aspekt – vorliegend gerade
dadurch Bedeutung hat, dass dem Gefangenen für seine – hier ja bereits geleistete
Arbeit – bei einer Freistellung auch ein Anspruch auf Weiterzahlung der zuletzt
gezahlten Bezüge gemäß § 42 III StVollG zusteht, der wiederum gerade ein Anreiz sein
kann weiterer, möglicher Beschäftigung in Zukunft nachzugehen und auch insoweit eine
positive Einstellung zu gewinnen.
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Die Kammer hat schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gefangene
verschuldet ohne Arbeit ist.
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Abschließend sieht die Kammer – abgesehen von dem Argument des Wortlautes und
dem nach hier vertretener Ansicht auch nach wie vor greifenden Argument des Sinns
und Zwecks der Freistellung – auch nicht, was im Übrigen der Gewährung des
Freistellungsanspruchs und dessen Sinn und Zweck entgegen stehen sollte. Denn der
Gefangene ist derzeit gemäß § 41 I S.1 StVollzG grundsätzlich zur Arbeit verpflichtet.
Wenn ihm jetzt der begehrte Freistellungsanspruch gewährt wird, so findet dies de facto
zunächst nur Niederschlag in einem entsprechenden Vermerk in der
Gefangenenpersonalakte und bedeutet, dass der Gefangene selbst wenn nunmehr
Arbeit für ihn vorhanden wäre, dieser Arbeit für die Zeit der Freistellung nicht nachgehen
muss. Weiter führt dies aber auch dazu, dass nach Ablauf der Freistellung der
Gefangene ohne weiteren Freistellungsanspruch uneingeschränkt zu möglicherweise
bestehenden Arbeiten herangezogen werden kann. Es ist aus Sicht der Kammer reiner
Formalismus, dem Gefangenen die Freistellung unter Hinweis darauf zu versagen, dass
er derzeit keine Arbeit habe, wobei klar ist, dass ihm grundsätzlich die Freistellung sofort
gewährt werden müsste, wenn er auch nur einen Tag wieder Arbeit hat.
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Da die Sache keiner weiteren Aufklärung bedarf und spruchreif ist, hatte die Kammer
nach § 121 IV S.1 StVollzG auch selbst zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 IV StVollzG i.V.m. § 467 I StPO analog.
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