Urteil des LG Essen vom 20.09.1989

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Landgericht Essen, 19 O 295/89
Datum:
20.09.1989
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
19. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 O 295/89
Normen:
§§ 823, 847 BGB a. F.
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht Zivilrecht
Leitsätze:
Unfall auf einer Wasserrutsche im Hallenbad, Bruch des Nackenwirbels,
Schmerzensgeld
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe
von 25.000,-- DM (i.W.: fünfundzwanzigtausend Deutsche Mark) nebst 4
% Zinsen seit dem 4. August 1989 zu zahlen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 1.619,05 DM (i.W.:
eintausendsechshundertneunzehn 05/100 Deutsche Mark) nebst 4 %
Zinsen seit dem 4. August 1989 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger
sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem
Unfall vom 10.03.1989 zu erstatten, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar für den Kläger gegen
Sicherheitsleistung von 32.000,-- DM.
Die Sicherheitsleistung kann durch eine unbedingte, unbefristete,
unwiderrufliche selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und
Steuerbürge zugelassenen Kreditinstitutes in der Bundesrepublik
Deutschland erbracht werden.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Unfalls, den er am 10.
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Unfalls, den er am 10.
März 1989 gegen 14.30 Uhr in der Schwimmhalle "....." in H erlitten hat.
In der Schwimmhalle befindet sich eine kurvenreiche Wasserrutsche, die
unten in einem Tauchbecken mündet. Am Aufgang der Rutsche befindet
sich ein Hinweisschild, das die Benutzer auffordert, einen
hin¬reichenden Sicherheitsabstand zu Vorausrutschenden einzuhalten
und das Tauchbecken sofort zu verlassen.
Der damals leicht alkoholisierte Kläger, der am 15. Mai 1989 eine
Arbeitsstelle bei der .... AG antreten sollte, benutzte die Rutsche im
Schwimmbad. Hinter ihm rutschte der Beklagte, der mehr lag als saß.
Nachdem der Kläger in das Tauchbecken eingetaucht war, folgte der
Beklagte und fiel mit ausgestreckten Beinen in das Tauchbecken. Dabei
traf er den Kläger mit den Füßen im Nacken. Der Kläger erlitt einen
Bruch des zweiten Nackenwirbels. Mit Hilfe eines auf die Schultern
aufgesetzten Metallgestells wurde der Kopf des Klägers so fixiert, daß er
ihn nicht mehr bewegen konnte. Wegen einer Kobald-Nickel-Allergie trat
nach kurzer Zeit im Gesicht des Klägers ein Ausschlag auf, der ebenfalls
behandelt werden mußte. Der Kläger konnte mit diesem Fixiergestell nur
mit Hilfe von Schlaftabletten kurzfristig schlafen, er hatte er¬hebliche
Schmerzen, mußte völlig untätig sein und beim Waschen und Aufsuchen
der Toilette von seiner Frau unterstützt werden. Am 1.6.1989 wurde das
Gestell entfernt. Die über 2 1/2 Monate nicht benutzte Hals- und
Nackenmuskulatur mußte durch eine Schanz' scher Krawatte unterstützt
werden, die der Kläger noch heute trägt. Er ist bis heute zu 100 %
erwerbsunfähig. Ob und wann er wieder vollständig genesen sein wird,
ist nicht absehbar.
Der Kläger behauptet, der Beklagte sei unmittelbar hinter ihm
hergerutscht, ohne den notwendigen Sicherheitsabstand einzuhalten.
Sofort, nachdem er in das Tauchbecken eingetaucht sei, sei ihm der
Beklagte in den Nacken gefallen. Er habe gar keine Zeit gehabt, das
Becken vorher zu verlassen.
Angesichts der erlittenen Verletzungen und der Schmerzen und
Beschwerden während des Heilungsprozesses hält er ein
Schmerzensgeld von mindestens 20.000,-- DM für angemessen.
Bei der .... AG habe er bis zum 30.6.1989 mindestens brutto 4.689,28
DM verdienen können. Abzüglich Steuern hätte sich ein Nettoverdienst
von 3.249,05 DM ergeben. An Krankengeld habe er 1.640,-- DM
erhalten, so daß ein Verdienstausfall für die Zeit bis zum 30.6.1989 in
Höhe von 1.619,05 DM entstanden sei.
Da noch unsicher sei, ob er überhaupt jemals wieder körperlich arbeiten
könne, sei auch die Feststellung erforderlich, daß der Beklagte auch
künftige Schäden zu erstatten habe.
Die geringfügige Alkoholisierung habe, so meint der Kläger, mit dem
Unfall nichts zu tun.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein ange¬messenes
Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 10.3.1989 bis 1.6.1989 nebst 4 %
Zinsen ab Rechtshängigkeit (4.8.1989) zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von
1.619,05 DM für die Zeit vom 16.5.1989 bis 30.6.1989 nebst 4 % Zinsen
seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche
materiellen und immateriellen Schäden, soweit sie nach den in den
Anträgen zu 1) und 2) genannten Zeiträumen entstehen aus dem Unfall
vom 10.3.1989 zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er habe oben an der Rutsche gewartet, bis der
Kläger um die erste Kurve gerutscht sei. Länger, so meint er, habe er
nicht warten müssen. Das Tauchbecken sei vom oberen Ende der
Rutsche nicht einsehbar. Zu dem Unfall sei es gekommen, weil der
Kläger nicht sofort das Tauchbecken verlassen habe. Insofern habe der
Kläger sich selbst gefährdet, wahrscheinlich, so meint der Beklagte,
infolge seiner Alkoholisierung. Bei dem starken Andrang auf die Rutsche
habe er damit rechnen müssen, daß ein Benutzer kurz nach dem
anderen in das Tauchbecken fällt.
Der Beklagte hält das genannte Schmerzensgeld für übersetzt und
bestreitet den Verdienstausfall.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der
Zeugen G. H. und E. D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. September 1989 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger stehen gegen den
Beklagten gem. §§ 823 Abs. 1, 847 BGB die geltend gemachten
Ansprüche zu.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Beklagte dem Kläger im
Tauchbecken am Ende der Rutsche in den Nacken gefallen ist. Dadurch
ist der Kläger in erheblichem Maße körperlich verletzt worden. Diese
Verletzung indiziert die Rechts-widrigkeit. Der Kläger hat auch in
mehrfacher Hinsicht schuldhaft gehandelt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der
Kammer fest, daß die Rutsche auch nach der ersten Kurve noch
eingesehen werden kann. Es war nicht ausreichend, daß der Beklagte
wartete, bis der Kläger in der ersten Kurve ver¬schwunden war. Diese
Kurve ist etwa 4 bis 5 m vom Einstieg entfernt. Da der Beklagte in fast
liegender Position gerutscht ist, rutschte er verhältnismäßig schnell,
jedenfalls wesentlich schneller als eine aufrecht im Sitzen rutschende
Person. Der Beklagte mußte also damit rechnen, daß er bei seiner Art
des Rutschens schneller als sein Vordermann sein würde und diesen
deshalb bis zum Ende der Rutsche einholen würde. Da der Beklagte
aber vorhatte, fast liegend zu rutschen, mußte er einen erheblich
größeren Sicherheitsabstand zu dem Vordermann einhalten als einen
solchen von 4 bis 6 m. Zumindest aber hatte er am Ende der Rutsche
seine Geschwindigkeit abbremsen müssen, um dem möglicherweise
langsamer vor ihm rutschenden Kläger das gefahrlose Verlassen des
Tauchbeckens zu ermöglichen. Der Beklagte durfte nicht etwa 4 - 6 m
hinter dem Kläger in die Rutsche einsteigen, sich weitgehend auf den
Rücken legen um besonders schnell zu rutschen und dann ohne
Rücksicht auf seinen möglicherweise langsamer rutschenden
Vordermann in das Tauchbecken eintauchen.
Dieses schuldhafte Verhalten des Beklagten war auch ursächlich für den
eingetretenen Unfall. Aufgrund der Vernehmung des Zeugen D steht zur
Überzeugung der Kammer fest, daß der Kläger überhaupt keine
Gelegenheit hatte, das Tauchbecken zu verlassen, bevor der
nachfolgende Beklagte eintauchte. Die Wassertiefe in diesem Becken
beträgt, wie der Zeuge H ausgesagt hat, etwa 1 m. Als der Beklagte in
das Becken eintauchte, war der zuvor eingetauchte Kläger noch gar
nicht zum Stand gekommen. Er befand sich noch so im Wasser, wie er
von der Rutsche gefallen war und hatte noch keine Gelegenheit, sich
wieder hinzustellen um zur Seite zu gehen. Der Zeuge hat den Abstand
zwischen den Parteien als “Bruchteil einer Sekunde” bezeichnet.
Die Kammer sieht keinen Anlaß, an den Aussagen des Zeugen D zu
zweifeln. Dieser hatte bis zum Zeitpunkt des Unfalls die Rutsche noch
nicht benutzt, beabsichtigte aber, sie auszuprobieren. Aus diesem
Grunde hat er sich zunächst den Betrieb auf der Rutsche angesehen. Er
hat die Parteien auf der Rutsche herunterrutschen sehen. Gerade weil
der Zeuge sich die Rutsche angesehen hat, die er später selbst
benutzen wollte, hat er besonders genau hingesehen. Da er keinerlei
eigenes Interesse am Ausgang dieses Verfahrens hat, besteht deshalb
kein Anlaß, an der Richtigkeit seiner als Zeuge bekundeten
Feststellungen zu zweifeln.
Ein Mitverschulden des Klägers am Zustandekommen des Unfalls liegt
nicht vor. Insbesondere hat er sich nicht deshalb mitschuldig gemacht,
weil er trotz des Ansturms der Schwimmbadbenutzer auf die Rutsche
diese ebenfalls benutzt hat. Wenn zahlreiche Leute auf die Rutsche
drängen, ist vorhersehbar, daß die angesichts der unterschiedlichen
Geschwindigkeiten notwendigen Abstände beim Losrutschen nicht
eingehalten werden und deshalb bei einer stark benutzten Rutsche
immer die Gefahr besteht, daß jemand in das Becken eintaucht, bevor
sein Vordermann die Eintauchstelle vollständig geräumt hat. Bei einer
derartigen gefahrgeneigten Tätigkeit ist in besonderem Maße darauf zu
achten, sein eigenes Verhalten möglichst so zu gestalten, daß von ihm
ausgehende Gefahren für Dritte möglichst gering gehalten werden (vgl.
Münchener Kommentar, 2. Auflage 1986, Rdn. 330 zu § 823 BGB).
Jeder Teilnehmer an dieser Tätigkeit muß darauf vertrauen können, daß
andere Teilnehmer wie auch er selbst bemüht sind, Gefahren anderer
möglichst gering zu halten. Deshalb ist die Teilnahme an einer
gefährlichen Tätigkeit für sich allein noch kein Mitverschulden (vgl.
Münchener Kommentar, 2. Auflage 1985, Rdn. 37 zu § 254 BGB).
Etwas anderes gälte nur bei extrem gefährlichen Sportarten (etwa
Automobilrennen). Eine so extrem gefährliche Tätigkeit ist die
Benutzung einer Rutsche im Schwimmbad jedoch nicht. Auch die
Alkoholisierung des Klägers begründet kein Mitverschulden, weil
keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie mit ursächlich für den
Unfall war. Nach den Bekundungen des Zeugen D war der Abstand
zwischen den Parteien beim Eintauchen in das Becken so gering, daß
auch ein völlig nüchterner Schwimmbadbesucher nicht in der Lage
gewesen wäre, vor dem Eintauchen des Beklagten das Tauchbecken zu
räumen.
Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes hat die Kammer
nicht einen bestimmten Zeitraum berücksichtigt, sondern die weitere
voraussehbare Entwicklung. Sie geht dabei davon aus, daß der Kläger
bis heute arbeitsunfähig ist, jedoch in Zukunft wieder arbeitsfähig wird.
Unter Berücksichtigung dieser Zu-kunftsprognose, der erlittenen
Verletzungen und der besonderen Schmerzen während des
Heilungsprozesses halt die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von
25.000,-- DM für angemessen und erforderlich.
Der Anspruch auf Erstattung des entgangenen Verdienstes ist begründet
aus den
§§ 823 Abs. 1, 842 BGB. Der Kläger hat seinen Verdienstausfall
substantiiert im einzelnen dargelegt, und zwar unter Vorlage
entsprechender Unterlagen. Diesen substantiierten Vortrag zum
Verdienstausfall hat der Beklagte nicht hinreichend konkret bestritten.
Der Zinsanspruch ist begründet aus den §§ 291, 288 BGB.
Der Anspruch auf Feststellung, daß der Beklagte auch künftige Schäden
zu erstatten hat, ergibt sich aus den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Nach den
ärztlichen Stellungnahmen steht nicht fest, wann der Kläger wieder
arbeitsfähig wird. Es wird daher weiterer Verdienstausfall entstehen. Der
Kläger hat somit ein schützenswertes Interesse daran, daß die Haftung
des Beklagten für diese künftigen Schäden festgestellt wird.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO; die Entschei¬dung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.