Urteil des LG Essen vom 14.09.2004

LG Essen: teleologische auslegung, schlichtungsverfahren, haftpflichtversicherung, halter, niederlassung, gesetzesentwurf, quelle, begriff, prozessvoraussetzung, datum

Landgericht Essen, 13 S 123/04
Datum:
14.09.2004
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
13. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 S 123/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Bottrop, 7 C 282/03
Schlagworte:
Prozessvoraussetzung, Erforderlichkeit des Schlichtungsverfahrens
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Rechtskraft:
ja
Tenor:
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Essen aufgrund der
mündlichen Verhandlung vom 14.09.2004 durch den Richter am
Landgericht Dr. P. als Vorsitzenden, den Richter am Landgericht I. und
die Richterin Dr. F.
f ü r R e c h t e r k a n n t:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 01.07.2004 verkündete
Teilurteil des Amtsgerichts Bottrop (8 C 282/04) aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen, dem
auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in
Höhe von 504,43 Euro.
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Der Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt Halter des Pkw Audi A4 und die Beklagte zu
2) die Beifahrerin. Bei der Beklagten zu 3) handelt es sich um die
Haftpflichtversicherung des Pkw`s Audi A4, die in 1. Instanz mitverklagt war.
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Vor der Klageerhebung fand kein Güteversuch statt.
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Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte zu 2) habe die Beifahrertüre des Pkw Audi A4
aufgerissen, ohne auf den Pkw der Klägerin zu achten; sie hat vertreten, ein
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Schlichtungsversuch sei im Falle der gesamtschuldnerischen Haftung von Halter,
Fahrer sowie Haftpflichtversicherung entbehrlich.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 504,43 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
11.04.2004 zu zahlen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Amtsgericht Bottrop hat die Klage gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) mit Urteil
vom 01.07.2004 abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
Klage sei unzulässig, da die Klägerin das gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 NRWGüSchlG
vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt habe.
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Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.07.2004 zugestellt
worden. Er hat am 22.07.2004 Berufung eingelegt und diese am selben Tag begründet.
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Klage sei zulässig; die Durchführung eines
Schlichtungsverfahrens sei gem. § 11 NRWGüSchlG entbehrlich, da die Beklagte zu 3)
ihren Sitz außerhalb des Landgerichtsbezirks Essen habe.
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Die Klägerin beantragt
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das erstinstanzliche Teilurteil des Amtsgerichts Bottrop vom 01.07.2004
aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Beweisaufnahme
an das Amtsgericht Bottrop zurückzuverweisen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagten zu 1) und zu 2) vertreten die Auffassung, das Amtsgericht habe die Klage
zu Recht abgewiesen, da bei einfachen Streitgenossen die
Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage gesondert zu prüfen seinen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig und begründet.
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I.
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Die Berufung ist zulässig.
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Die Beklagte hat innerhalb der Frist des § 517 ZPO Berufung eingelegt. Sie hat das
Rechtsmittel darüber hinaus fristgemäß begründet, § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO.
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II.
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Die Berufung ist begründet.
24
Die Klage ist zulässig.
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Die Prozessvoraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hätte vor der Klageerhebung kein
Schlichtungsverfahren gem. § 15a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 NRWGüSchG
durchführen müssen.
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Die Durchführung eines Schlichtungsversuches ist nicht erforderlich, wenn einer der
Beklagten (hier: Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung) in einem anderen
Landgerichtsbezirk als der Kläger ansässig ist (vgl. im Ergebnis AG Lüdenscheid, NJW
2002 S. 1279). Eine teleologische Auslegung des § 11 NRWGüSchG ergibt, dass der
Begriff Partei nicht nur das einzelne Prozessrechtsverhältnis betrifft, sondern die
Prozessbeteiligten als solche. Nach der genannten Vorschrift ist ein
Schlichtungsversuch nur erforderlich, wenn die Parteien in demselben
Landgerichtsbezirk wohnen oder ihren Sitz oder eine Niederlassung haben.
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Sinn und Zweck des NRWGüSchlG liegen darin, in vielen Fällen eine zeitnahe,
kostengünstige und den beiderseitigen Interessen entsprechende Konfliktlösung ohne
die Inanspruchnahme der Gerichte zu erzielen. Das Gesetz soll dazu beitragen,
Prozesse zu vermeiden. (Vgl. Begründung der Landesregierung zum Gesetzesentwurf
des NRWGüSchlG, S. 1 Quelle: www.streitschlichtung.nrw.de.Begruendung).
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Das NRWGüSchlG fügt sich in den Ansatz der Zivilprozessreform ein, möglichst viele
Streitigkeiten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt beizulegen (vgl. Dieckmann, NJW
2000, S. 2802). Der Gesetzgeber erwartet, eine gütlichen Einigung in einem frühzeitigen
Stadium –dem Schlichtungsverfahren- zu förden. Eine solche Erwartung ist allerdings
dann nicht gerechtfertigt, wenn eine dritte Person am Rechtsstreit beteiligt ist, die dem
Schlichtungsverfahren nicht unterliegt. Das gilt bei Verkehrsunfällen. Ein
Schlichtungsversuch ohne Beteiligung der letztlich eintrittspflichtigen
Haftpflichtversicherung ist nämlich faktisch aussichtslos.
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Die Forderung, auch im Rahmen von Verkehrsunfällen müsste der Klage ein
Güteverfahren vorausgehen, verkehrt das Ziel des NRWSchlG in sein Gegenteil. Eine
solche Verfahrensweise würde zusätzliche Kosten erzeugen und einen überflüssigen
personellen Mehraufwand hervorrufen. Die schlichtungsbedürftigen Beteiligten müssten
zunächst einen Schiedsmann bemühen. Nach der Durchführung des
Schlichtungsverfahrens müßte das Amtsgericht gleichwohl über den Rechtsstreit
entscheiden.
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III.
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Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.
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Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
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gez. I. gez. I. gez. Dr. F.
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für den urlaubsbedingt
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abwesenden Richter
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am LG. Dr. P.
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