Urteil des LG Essen vom 13.05.2004

LG Essen: ausbildung, psychologie, vergütung, informatik, betriebswirtschaftslehre, soziologie, medizin, wirtschaftsrecht, fachhochschule, schuldrecht

Landgericht Essen, 7 T 10/04
Datum:
13.05.2004
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 10/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Gladbeck, 3 XVII G 128
Normen:
§§ 1908; 1836, 1836a BGB
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Leitsätze:
Betreuervergütung, besondere Kenntnisse
Rechtskraft:
ja
Tenor:
In dem Betreuungsverfahren
hier: Festsetzung der aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung für
die
Tätigkeit der Betreuerin in der Zeit vom 01. 01. bis 30. 09. 2003,
Beteiligte:
1) die Betreuerin, - Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ,
2) die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem
Landgericht
Essen, z. Z.: 560 GLD/478,
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichtes Essen
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht L.,
den Richter am Landgericht I. und
die Richterin am Landgericht H.
auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1)
gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Gladbeck
vom 22. 10. 2003 (3 XVII G 128) am 13. 05. 2004
b e s c h l o s s e n :
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 56 g Abs. 5 S. 1, 69 e S. 1
FGG statthaft und auch im übrigen zulässig.
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In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat bei der
Festsetzung der Vergütung der Beteiligten zu 1) zu Recht und mit zutreffender
Begründung einen Stundensatz von 23,00 € zugrunde gelegt.
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Die Beteiligte zu 1) kann für ihre Tätigkeit als Berufsbetreuerin aufgrund der
Mittellosigkeit der Betroffenen eine Vergütung aus der Staatskasse beanspruchen (§
1908 i, 1836, 1836a BGB). Nach § 1 des Gesetzes über die Vergütung von
Berufsvormündern (BVormVG) beträgt die aus der Staatskasse zu gewährende
Vergütung für jede der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen
Zeit 18,00 €. Nach Satz 2 der Vorschrift erhöht sich diese Vergütung, wenn der Betreuer
über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind:
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1. auf 23,00 €, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine
vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind;
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2. auf 31,00 €, wenn die Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer
Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.
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Für die Führung der Betreuung nutzbar sind Fachkenntnisse dann, wenn sie den
Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu
erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Es ist nicht erforderlich, dass die
Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken. Angesichts des
Wesens der Betreuung als rechtliche Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt rechtlichen
Kenntnissen grundlegende Bedeutung zu, insbesondere Kenntnissen im Gesundheits-,
Zivil-, Sozialleistungs- und Versorgungsrecht sowie im Verwaltungs- und Steuerrecht
einschließlich der jeweiligen Verfahrensrechte. Betreuungsrelevant sind darüber hinaus
Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik,
Soziologie und Wirtschaft. Besondere Kenntnisse liegen nur dann vor, wenn die
Hochschulausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung der
betreuungsrelevanten Kenntnisse gerichtet ist, wie dies bei den Studiengängen
Rechtswissenschaft, Rechtspflege, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit,
Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. BayObLG, FGPrax 2000, 22;
aM bzgl. Betriebswissenschaft wohl BGH, FamRZ 2003, 1653) der Fall ist.
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Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die von der Beteiligten zu 1) im Rahmen ihrer
Ausbildung zur Diplom-Informatikerin erworbenen betreuungsrelevanten Kenntnisse
zum Kernbereich des Studiums gehört haben müssen (vgl. OLG Hamm Beschluss v. 08.
01. 2004, 15 W 259/03). Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) ist es insoweit
nicht ausreichend, dass Kenntnisse vorhanden sind, die betreuungsrelevant sind und
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die durch ein Studium erworben sind. Das Gesetz verlangt insoweit in § 1 Abs. 1 S. 2,
BVormVG, dass der Betreuer über besondere Kenntnisse verfügt, die darüber hinaus
durch eine abgeschlossene Lehre oder durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer
Hochschule oder jeweils eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sein
müssen. Dass diese Anknüpfung an die formelle berufliche Qualifikation des Betreuers
verfassungskonform ist, ergibt sich aus der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes vom 16. 03. 2000 (NJW - RR 2000, 1241). Durch die hier
vorgenommene Auslegung der Vorschrift, die der allgemeinen Auffassung entspricht,
wird also entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) der Schutzbereich des Artikel
12 GG nicht berührt. Vielmehr ist eine eher enge Auslegung des Gesetzes geboten, um
dem Anliegen des Gesetzgebers gerecht zu werden, der durch die Einführung fester
Stundensätze die Kostenbelastung der öffentlichen Haushalte eindämmen und durch
die Vereinfachung zugleich die Vergütungsstreitigkeiten begrenzen wollte (vgl. OLG
Hamm, Beschluss vom 12. 02. 2004 , 15 W 249/03). Soweit die Beteiligte zu 1) sich zur
Begründung ihrer Auffassung darauf beruft, dass sie im Rahmen des Studienganges
Informatik an der Fachhochschule Dortmund besondere Kenntnisse in der
Betriebswissenschaft und auch in der Psychologie erworben hat, vermag die Kammer
dies an Hand der von der Beteiligten zu 1) eingereichten Unterlagen nicht
nachzuvollziehen. Die von der Beteiligten zu 1) überreichten Unterlagen belegen
vielmehr, dass ihr Studiengang im wesentlichen darauf ausgerichtet war, Kenntnisse in
der Informatik zu vermitteln. Dass Kenntnisse im Bereich der Psychologie vermittelt
wurden ergibt sich lediglich aus der Bescheinigung vom 01. 07. 2003 (Professor Dr. B.)
und dem Notenspiegel vom 13. 11. 1996. Im Diplomzeugnis vom 16. 06. 1998 wird das
Fach Psychologie nicht aufgeführt. Die Vermittlung von Grund-Kenntnissen im Bereich
der Psychologie kann deshalb nicht zum Kernbereich eines Informatikstudiums
gerechnet werden. Insoweit liegen bei der Beteiligten zu 1) keine besonderen
Kenntnisse vor, die die Anhebung des Stundensatzes auf 31,00 € rechtfertigen.
Dies gilt im Ergebnis auch für die im Rahmen des Studiums erworbenen Kenntnisse im
Bereich der Betriebswirtschaftslehre. Insoweit läßt sich zwar den von der Beteiligten zu
1) überreichten Unterlagen entnehmen, dass im Rahmen des Grundstudiums
Kenntnisse in der Betriebswirtschaftslehre, in der Volkswirtschaftslehre und im
Wirtschaftsrecht vermittelt worden sind. Dies waren 3 Fächer im Rahmen des
Grundstudiums neben Mathematik, angewandter Mathematik/Statistik, Grundlagen der
Informatik, Programmierung und Rechnungswesen. Schon aus dieser Aufteilung ergibt
sich, dass Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht einschließlich
Wirtschaftsprivatrecht und Schuldrecht nicht zu dem Kernbereich des Studiums
gehörten. Auch nach dem Prüfungsnachweis war die Betriebswirtschaftslehre nur eins
von zehn Fächern im Grundstudium. Im Hauptstudium wurde ausweislich des
Diplomprüfungszeugnisses kein Fach mehr gelehrt, das auch nur ansatzweise
betreuungsrelevante Kenntnisse vermittelt hat. Selbst wenn man abweichend von der
Auffassung des Bundesgerichtshofes (s.o.) die Auffassung vertritt, dass
betriebswirtschaftliche Kenntnisse zumindest im Aufgabenkreis der
vermögensrechtlichen Angelegenheiten - der Aufgabenkreis der Beteiligten zu 1)
umfasst im vorliegenden Fall u. a. die Wahrnehmung der vermögensrechtlichen
einschließlich sozialhilferechtlichen, versicherungsrechtlichen und
versorgungsrechtlichen Angelegenheiten - betreuungsrelevant sind, sind die von der
Beteiligten zu 1) im Rahmen des Studiums erworbenen betriebswirtschaftlichen
Kenntnisse nicht ausreichend, um die Anhebung des Stundensatzes auf 31,00 € zu
rechtfertigen, da im Rahmen des von der Beteiligten zu 1) absolvierten Studiums der
Informatik die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich der Betriebswirtschaft nicht zum
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Kernbereich des Studiums gehörte. Ihr Studiengang war vielmehr ausgerichtet auf die
Vermittlung mathematischer Kenntnisse und von Kenntnissen im Bereich der Informatik.
Die Kammer verkennt bei dieser Entscheidung nicht, dass zumindest in früheren
Entscheidungen entgegen den oben dargelegten Grundsätzen ein eher großzügiger
Maßstab angelegt worden ist und dass deshalb andere Studiengänge, auf die die
Beteiligte zu 1) zu Recht hinweist, als betreuungsrelevant anerkannt worden sind. Dies
trifft jedoch aus den dargelegten Gründen für den Studiengang Informatik nicht zu, der
insbesondere im Hauptstudium keine betreuungsrelevanten Kenntnisse mehr vermittelt
hat.
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Eine Kostenentscheidung war nicht veranlaßt.
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Die Kammer hat die sofortige weitere Beschwerde nicht zugelassen. Die Frage,
inwieweit einzelne Fächer betreuungsrelevante Kenntnisse vermitteln, hängt im
wesentlichen vom Einzelfall ab. Die Beurteilung ist dem Tatrichter vorbehalten (OLG
Hamm, a. a. O.).
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