Urteil des LG Duisburg vom 30.11.2009

LG Duisburg (stpo, interesse, akteneinsicht, rechtlich geschütztes interesse, staatsanwaltschaft, öffentliches interesse, antrag, verfolgung, internet, umstände)

Landgericht Duisburg, 34 AR 3/09
Datum:
30.11.2009
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
4. Strafkammer des Landgerichts Duisburg als Wirtschaftsstrafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
34 AR 3/09
Tenor:
Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der O-GmbH wird die
Entscheidung der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 24. Juni 2009
aufgehoben.
Die Sache wird an die Staatsanwaltschaft Duisburg zur weiteren Ver-
anlassung und Neuentscheidung über das Einsichtsgesuch
zurückgegeben.
Die durch diese Entscheidung entstandenen Kosten und die der O-
GmbH entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur
Last.
G r ü n d e
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I. Die O-GmbH (im Folgenden Verletzte genannt) erstattete mit anwaltlichem Schriftsatz
vom 03.01.2008 bei der Staatsanwaltschaft Detmold wegen Verletzung ihrer Rechte an
urheberrechtlich geschützten Werken Strafanzeige gegen drei Unbekannte und stellte
Strafantrag. Nach der Durchführung von Ermittlungen und Übernahme von der
Staatsanwaltschaft Detmold stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg das Verfahren am
06.02.2008 gemäß § 153 Abs. 1 StPO aufgrund der Geringfügigkeit des Schadens und
mangelndes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ein.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15.06.2009 bat die Verletzte um die Gewährung von
Einsicht in die Ermittlungsakte. Unter dem 24.06.2009 teilte die Staatsanwaltschaft
Duisburg der Verletzten mit, sie komme dem Akteneinsichtsgesuch aus
datenschutzrechtlichen Gründen nicht nach. Bei dem ermittelten Anschlussinhaber
handele es sich nicht zwangsläufig um den zu ermittelnden Täter. Daneben bestehe
auch kein ausreichendes Interesse an einer Akteneinsicht, weil das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung des Anschlussinhabers vorgehe. Jedenfalls
überwiege nicht das Interesse des Antragstellers. Weitere Ermittlungen seien
unverhältnismäßig.
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Gegen die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft richtet sich der Antrag der
Verletzten auf gerichtliche Entscheidung. Ihrer Ansicht nach fehle es an einem
überwiegenden schutzwürdigen Interesses des Anschlussinhabers. Im Übrigen macht
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sie in Anlehnung an verschiedene gerichtliche Entscheidungen umfängliche
Ausführungen zu ihrem Interesse an der begehrten Akteneinsicht.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg lehnt eine Akteneinsicht mit Verfügung vom
08.09.2009 weiterhin ab und verweist ergänzend darauf, dass dem
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin im Zuge der Übersendung des
Einstellungsbescheides bereits der Name und die Adresse des Anschlussinhabers
mitgeteilt worden sei und deshalb kein Hindernis mehr an der Verfolgung zivilrechtlicher
Ansprüche bestehe.
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II. 1. Der Antrag der Verletzten auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 406 e Abs. 4
Satz 2 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Trotz der Mitteilung des Namens
eines Anschlussinhabers und dessen Adresse (im Einstellungsbescheid) besteht
weiterhin ein Rechtsschutzinteresse für die begehrte Akteneinsicht. Die Strafanzeige
vom 03.01.2008 richtet sich gegen drei verschiedene, unbekannte Täter mit drei
verschiedenen IP-Adressen. Da nach dem Inhalt des Einstellungsbescheides noch
keine Zuordnung zu einer der drei in der Strafanzeige aufgeführten IP-Adressen
hinreichend möglich ist, ist das Informationsinteresse der Verletzten noch nicht
hinreichend erfüllt.
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2. Der Antrag hat in der Sache in dem aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen
Umfang Erfolg. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 24.06.2009, mit
der die Staatsanwaltschaft die Gewährung von Akteneinsicht an die Verletzte abgelehnt
hat, ist rechtsfehlerhaft und unterliegt aus diesem Grunde der Aufhebung.
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a) Nach § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO hat der durch eine Straftat Verletzte jedenfalls dann
einen grundsätzlichen Anspruch auf Akteneinsicht durch einen von ihm beauftragten
Rechtsanwalt, wenn er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Hierfür ist nach dem
Willen des Gesetzgebers die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche durch den Verletzten
einer Straftat ausreichend (vgl. BVerfG NJW 2007, 1052). Vorliegend macht die
Verletzte jedenfalls auch geltend, dass sie gegen den beschuldigten Inhaber des
Internet-Anschlusses einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch unter
dem Gesichtspunkt der Störerhaftung habe. Das Bestehen eines entsprechenden
Anspruchs ist für vergleichbare Fallkonstellation in der Rechtsprechung anerkannt (vgl.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.05.2009, I-20 W 146/08). Zur Verfolgung dieses
Anspruchs ist die Anzeigenerstatterin darauf angewiesen, die Identität und
ladungsfähige Anschrift des von den Ermittlungsbehörden ermittelten Beschuldigten
und die ermittelten näheren Umstände der Verbreitungshandlung zu erfahren, was
vorliegend nur durch eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakte erfolgen kann.
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Die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs der Anzeigenerstatterin
gemäß § 101 Abs. 1 UrhG gegen den Internet-Provider des Beschuldigten auf
Auskunfterteilung schränkt das Akteneinsichtsrecht nicht ein. Im vorliegenden Fall sind
bereits die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch nicht erfüllt, da die
Rechtsverletzung durch eine einmalige Verbreitung des Filmwerks über den Anschluss
des Beschuldigten noch keinen Urheberrechtsverstoß von "gewerblichem Ausmaß" im
Sinne von § 101 Abs. 1 UrhG darstellt.
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b) Nach § 406 e Abs. 2 Satz 1 StPO ist die begehrte Akteneinsicht zu versagen, soweit
ihr überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen
entgegenstehen. Zu den schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten zählen auch
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sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sein hierdurch rechtlich
geschütztes Interesse an der Geheimhaltung persönlicher Daten. Dieses schutzwürdige
Interesse des Beschuldigten steht der Gewährung von Akteneinsicht an den Verletzten
indes nur dann entgegen, wenn es das Informationsinteresse des Verletzten überwiegt
(vgl. BVerfG a.a.O.). Dies tut es indes nicht generell (vgl. BVerfG a.a.O.), da ansonsten
die Regelung in § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO nahezu vollständig ausgehöhlt und
sinnentleert würde. Aus diesem Grunde hat die über die Gewährung von Akteneinsicht
an den Verletzten entscheidende Stelle die gegenläufigen Interessen des Verletzten
und des Beschuldigten gegeneinander abzuwägen, um hierdurch festzustellen,
welchem Interesse im konkret zu beurteilenden Einzelfall der Vorzug gebührt. Daher
darf das Akteneinsichtsgesuch entgegen dem insoweit rechtlich unzutreffenden Ansatz
der staatsanwaltlichen Entscheidung vom 24.06.2009 nicht schon deshalb
zurückgewiesen werden, weil das Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse
nicht überwiegt. Es muss vielmehr umgekehrt das Geheimhaltungsinteresse das
Informationsinteresse überwiegen, um den Antrag zurückweisen zu können. Sind beide
Interessen nahezu gleich groß, ist nach der gesetzlichen Wertung dem
Informationsinteresse der gesetzliche Vorrang einzuräumen und Akteneinsicht zu
gewähren.
Demgegenüber lässt die ablehnende staatsanwaltliche Entscheidung keine Gründe
erkennen, welche ein Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses des
Anschlussinhabers rechtfertigen könnte. Das Geheimhaltungsinteresse überwiegt – wie
bereits ausgeführt – das Informationsinteresse nicht generell, so dass weitere Umstände
hinzutreten müssen, um ein Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses rechtfertigen zu
können.
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Hierfür ist nicht schon die abstrakte Möglichkeit, dass der Beschuldigte nach erfolgter
Akteneinsichtnahme durch die Anzeigenerstatterin zivilrechtlich als Störer in Anspruch
genommen werden kann, ausreichend. Die Offenbarung der Identität und Anschrift des
Beschuldigten ist vielmehr die notwendige Folge des Umstands, dass die Verfolgung
zivilrechtlicher Ansprüche ein berechtigtes Interesse des Verletzten im Sinne von § 406
e Abs. 1 StPO begründet.
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Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten wird, im Rahmen der
Interessenabwägung sei die Stärke des Tatverdachts zu berücksichtigen (vgl. LG
Darmstadt, MMR 2009, 579; LG Saarbrücken, MMR 2009, 639), kann dem nach Ansicht
der Kammer nicht gefolgt werden. Auch wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen
zweifelhaft ist, ob überhaupt der Nachweis einer Straftat geführt werden kann, führt ein
fehlender Tatverdacht nicht ohne weiteres dazu, dass das stets zu berücksichtigende
allgemeine Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten gegenüber dem berechtigten
Auskunftsinteresse des Verletzten überwiegt. Anderenfalls würde die Regelung des
§ 406 e Abs. 1 S. 1 StPO in den Fällen, in denen das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2
StPO wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt worden ist, nahezu vollständig
ausgehöhlt. Es ist indes anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht
insbesondere auch dann besteht, wenn sie der Prüfung der Frage dienen soll, ob eine
Einstellungsbeschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO oder ein Klageerzwingungsantrag
gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt werden soll (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl.,
§ 406 e Rn. 3).
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Auch das in diesem Fall möglicherweise relativ geringe Ausmaß der Rechtsverletzung
durch die einmalige Verbreitung des urheberrechtlich geschützten Werkes über den
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Internet-Anschluss des Beschuldigten führt nicht dazu, dass sein allgemeines
Geheimhaltungsinteresse gegenüber dem berechtigten Interesse der Verletzten
überwiegt. Zwar wird in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten, dass dem
verletzten Rechteinhaber die Akteneinsicht jedenfalls dann zu versagen ist, wenn es
sich um eine bagatellartige Rechtsverletzung handelt (LG Darmstadt, a.a.O.; LG
Saarbrücken a.a.O.). Für eine solche Gewichtung der Rechtsverletzung, die in den
Fällen von Urheberrechtsverstößen eine Bewertung der zivilrechtlichen Ansprüche des
Rechteinhabers voraussetzt, gibt es jedoch de lege lata keine Grundlage. Zwar sieht
§ 406 e Abs. 1 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 395 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor, dass der
Verletzte kein berechtigtes Interesse zur Akteneinsicht darlegen muss, wenn es um
Taten nach §§ 108 a, 108 b Abs. 3 UrhG, also um ein gewerbsmäßiges Handeln, geht.
Für den Regelfall des § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO, der vorliegend
Urheberrechtsverstöße unterhalb der Schwelle der Gewerbsmäßigkeit betrifft, ist es
erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Verletzte ein berechtigtes Interesse
darlegt. Dieses Interesse ergibt sich – wie oben ausgeführt – bereits aus der Verfolgung
zivilrechtlicher Ansprüche des Verletzten, ohne dass eine weitere Einschränkung, etwa
anhand des Gegenstandswertes, gesetzlich normiert ist. Auch lässt sich § 406 e Abs. 2
StPO nicht entnehmen, dass das allgemeine Geheimhaltungsinteresse des
Beschuldigten bei nur geringen Rechtsverletzungen gegenüber dem
Aufklärungsinteresse des Verletzten überwiegen soll. Vielmehr ist im Rahmen der
vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass bei geringen
Rechtsverletzungen das wirtschaftliche Risiko für den Beschuldigten und damit
einhergehend die Folgen eines Eingriffs in sein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung im Falle einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme ebenfalls reduziert
sind. Dem geringeren Aufklärungs- und Informationsinteresse des Verletzten steht
mithin auch nur ein geringeres, jedenfalls nicht überwiegendes
Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten gegenüber.
Eine darüber hinausgehende Einschränkung des strafprozessualen
Akteneinsichtsrechts – etwa auf die Fälle, in denen ein gewerbliches Ausmaß im Sinne
von § 101 Abs. 1 UrhG erreicht wird – hat der Gesetzgeber bislang nicht normiert. Das
Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums
(BGBl. 2008, 1191 ff), durch das der urheberrechtliche Auskunftsanspruch u.a. gegen
den Internet-Provider gemäß § 101 Abs. 1 UrhG mit Wirkung zum 01.09.2008 eingeführt
worden ist, enthält keine das Strafprozessrecht einschränkenden Regelungen.
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c) Soweit nach derzeitigem Stand keine durchgreifenden Umstände für die Annahme
eines überwiegenden Geheimhaltungsinteresses des Anschlussinhabers erkennbar
sind, kann eine abschließende Entscheidung der Kammer über das Einsichtsgesuch
gleichwohl nicht erfolgen.
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Da eine Gewährung der Akteneinsicht die Grundrechtssphäre des Anschlussinhabers
betrifft, muss dieser vor einer Gewährung angehört werden (vgl. BVerfG a.a.O.). Dabei
ist dem Anschlussinhaber Gelegenheit zu geben, etwaige neue, bislang unbekannt
gebliebene Umstände vorzubringen, welche das Geheimhaltungsinteresse überwiegen
lassen könnten. Erst danach kann eine abschließende Interessenabwägung
vorgenommen werden. Im Zuge der Aufhebung der rechtsfehlerhaften Entscheidung
erhält die Staatsanwaltschaft nunmehr Gelegenheit, die fehlende Anhörung
nachzuholen und sodann eine neue Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch der
Verletzten zu treffen.
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III. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechender Anwendung
der §§ 464 Abs. 2, 467 Abs. 1 StPO.
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