Urteil des LG Duisburg vom 16.03.2007

LG Duisburg: stromversorgung, abschlag, besitz, ratenzahlung, herausgabe, vorauszahlung, berufungssumme, mahnung, nichterfüllung, beschwerdeinstanz

Landgericht Duisburg, 13 T 18/07
Datum:
16.03.2007
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
13. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 T 18/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Dinslaken, 32 C 465/06
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
Amtsgerichts Dinslaken vom 12.01.2007 – 32 C 465/06 –, mit dem das
Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten abgelehnt worden ist,
abgeändert und der Beklagten mit Wirkung ab Antragstellung ratenfrei
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. aus beigeordnet.
Gründe:
1
I.
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Die Beklagte verfolgt mit ihrer sofortigen Beschwerde ihr vom Amtsgericht abgelehntes
Prozesskostenhilfegesuch zur Verteidigung gegen eine Klage auf Herausgabe eines
Stromzählers weiter.
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Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag zur Belieferung mit Elektrizität für den
Haushaltsbedarf. Nach einer Ablesung im Mai 2006 stellte die Klägerin der Beklagten
einen Betrag von 1.433,82 Euro in Rechnung. Die Höhe der zu zahlenden Abschläge
wurde auf 85 Euro geändert. Mit Schreiben vom 19.07.2006 bot die Klägerin der
Beklagten eine Ratenzahlungsvereinbarung an, die zum Inhalt hatte, dass die Beklagte
neben den Abschlägen Raten von 140 Euro zahlen sollte. Hiermit erklärte sich die
Beklagte mit der Begründung nicht einverstanden, mehr als 70 Euro könne sie pro
Monat neben den Abschlägen nicht zahlen. Hiermit erklärte sich die Klägerin nicht
einverstanden. In der Folgezeit beschränkte sich die Beklagte im wesentlichen auf die
Bedienung der monatlich zu zahlenden Abschläge. Der Forderungs- und
Zahlungsverlauf stellt sich wie folgt dar:
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Rechnung vom 28.06.2006
1.433,82 €
Abschlag vom 23.07.2006
170,00 €
Zahlung vom 22.08.2006
-170,00 €
Abschlag vom 23.08.2006
85,00 €
Zahlung vom 19.09.2006
-255,00 €
5
Abschlag vom 23.09.2006
85,00 €
Zahlung vom 19.10.2006
-88,80 €
Abschlag vom 23.10.2006
85,00 €
Zahlung vom 16.11.2006
-85,00 €
Abschlag vom 23.11.2006
85,00 €
1.345,02 €
Ferner macht die Klägerin eine Vorauszahlung von 85 Euro und Mahnkosten in Höhe
von 19 Euro geltend.
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Die Beklagte macht geltend, sie wohne mit zwei minderjährigen Kindern zusammen und
sei bereit zu einer Ratenzahlung. Deshalb sei es im Hinblick auf die Wichtigkeit der
Stromversorgung nicht hinzunehmen, dass sie von der Stromversorgung
ausgeschlossen werde.
7
II.
8
a)
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
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Insbesondere erreicht der Wert des Beschwerdegegenstandes gem. §§ 127 Abs. 2 Satz
2, 511 Abs. 2 ZPO den Wert der Berufungssumme.
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Dies folgt aus § 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift wird der Wert vom Gericht nach freiem
Ermessen festgesetzt. Dabei berechtigt diese Vorschrift das Gericht nicht, einen
beliebigen Streitwert anzusetzen; vielmehr geht es darum, dass der Streitwert nach
sachgerechten Kriterien ermittelt wird. Die sich dem Gericht stellende Aufgabe ist also,
das Interesse des Klägers am Streitgegenstand betragsmäßig zu erfassen. Dabei sind
in den §§ 6-9 ZPO ergänzende Vorschriften zur Bestimmung des Interesses
vorgesehen.
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Soweit es um die Bestimmung des Streitwerts bei einer Klage auf Herausgabe eines
Stromzählers geht, wird vertreten, dass sich der Streitwert nach dem Sachwert des
Zählers richtet (vgl. AG Königstein, Beschluss vom 25.04.2004 – 21 C 261/03-12 –
NJW-RR 2003,949), dass der Jahresbetrag der voraussichtlichen entstehenden
Energiekosten heranzuziehen sei (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 05.12.2005 – 5 W
1161/05 – ZMR 2006, 208; AG Neuruppin, Beschluss vom 28.07.2005 – 42 C 109/05 –
WuM 2005, 596; LG Hamburg, Beschluss vom 16.04.2004 – 309 T 39/04 – ZMR 2004,
586; AG Hamburg-Bergedorf, Beschluss vom 30.12.2003 – 409 C 550/03 – ZMR 2004,
273), dass die Hälfte des Jahresverbrauches maßgeblich sei (LG Berlin, Beschluss vom
13.05.2002 – 57 T 20/02, zitiert nach AG Neuruppin a.a.O.), dass die entstandenen
Rückstände zugrunde zu legen seien (LG Mainz nach AG Neuruppin a.a.O.) oder dass
auszugehen sei von dem Wert, der sich aus der Addition der Hälfte der Rückstände und
des künftigen Jahresverbrauches ergebe (LG Neuruppin, Urteil vom 30.11.2001 – 4 S
155/04, zitiert nach AG Neuruppin a.a.O.)
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Die Kammer ist der Auffassung, dass es auf eine Betrachtung im Einzelfall ankommt.
Auf den Wert des Zählers kann es dabei jedoch jedenfalls nicht ankommen. § 6 ZPO
ordnet insoweit an, dass der Wert durch den Wert der Sache bestimmt werde, wenn es
auf deren Besitz, und auf den Wert der Forderung ankomme, wenn es um die
Sicherstellung der Sache gehe. Um den Besitz des Zählers geht es in keinem Fall.
Hintergrund des Begehrens des Unternehmens ist schließlich nicht, dass sich das
Stromunternehmen wieder den Zähler beschaffen möchte; es geht vielmehr darum,
durch die Entfernung des Zählers die Stromversorgung zu unterbrechen. Daher spricht
wesentlich mehr dafür, auf den Wert der verfolgten Forderung abzustellen, wenn das
Stromunternehmen den Zähler zwecks Einstellung der Stromversorgung wegnehmen,
sprich: sicherstellen will. Wie hoch der Wert der verfolgten Forderung im Einzelfall ist,
kann nicht generell gesagt werden. Es mag angemessen sein, auch zukünftige
Forderungen wie die fällig werdenden Vorauszahlungen in Ansatz zu bringen, wenn der
Stromkunde diese nicht mehr bezahlt. Dabei mag als Zeitraum ein Jahr gewählt werden,
wenn man davon ausgeht, dass dies ein realistischer Zeitraum ist, bis die Einstellung
der Stromversorgung durchgesetzt ist (vgl. OLG Köln a.a.O.). Wenn sich jedoch das
Interesse des Stromunternehmens in erster Linie auf die Durchsetzung der Rückstände
bezieht, so erscheint es sachgerechter, diese zum Maßstab der Wertberechnung zu
machen.
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So liegt der Fall hier. Die Beklagte zahlt unstreitig zur Zeit die monatlich fällig
werdenden Abschläge. Damit richtet sich das Interesse der Klägerin auf die
Durchsetzung des Rückstandes, so dass dieser heranzuziehen ist. Der Rückstand
beträgt 1.345,02 Euro, der deswegen hier als Streitwert anzunehmen ist, welcher den
Wert der Berufungssumme übersteigt.
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b)
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Die sofortige Beschwerde ist zudem begründet. Denn die von der bedürftigen Beklagten
beabsichtigte Rechtsverteidigung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
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Maßstab für die Prüfung ist § 33 Abs. 2 der Elektrizitäts-Versorgungsbedingungen-
Verordnung (AVBEltV). Danach ist das Elektrizitätsversorgungsunternehmen gem. § 33
Abs. 2 Satz 1 AVBEltV bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung
berechtigt, die Versorgung 2 Wochen nach entsprechender Androhung einzustellen. In
diesem Fall entfällt für den Kunden das Recht zum Besitz am Stromzähler gem. § 986
BGB, so dass das Unternehmen nach § 985 BGB berechtigt ist, ihn herauszuverlangen.
§ 33 Abs. 2 Satz 2 AVBEltV schränkt dieses Recht des Stromversorgungsunternehmens
allerdings dadurch wieder ein, dass eine Einstellung der Versorgung nicht statthaft ist,
wenn der Kunde darlegt, dass die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere
der Zuwiderhandlung stehen, und hinreichende Aussicht besteht, dass der Kunde
seinen Verpflichtungen nachkommt.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
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Dass die Beklagte die fälligen Abschläge nicht bezahlt, ist derzeit nicht festzustellen.
Soweit die Klägerin darlegt, sie mache auch eine Vorauszahlung geltend, so handelt es
sich jeweils um die letzte Vorauszahlung, die jeweils in der Folgezeit von der Beklagten
bezahlt wurde. Es bleibt deshalb allein der aus der Ablesung folgende Rückstand.
Diesen Rückstand nicht zu bezahlen, stellt eine Verletzung der vertraglichen
Verpflichtungen durch die Beklagte dar.
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In der Gesamtschau ergibt sich jedoch, dass die Einstellung der Versorgung außer
Verhältnis zur Schwere dieser Zuwiderhandlung steht. Denn zum einen muss
berücksichtigt werden, dass nicht nur die Beklagte auf Stromversorgung angewiesen ist,
sondern auch ihre Kinder. Zum anderen hat die Beklagte angeboten, den Rückstand
nach Kräften durch Ratenzahlung zu begleichen, was ebenfalls die Schwere des
Verstoßes in einem milderen Licht erscheinen lässt. Dass die Klägerin die
Ratenvorstellungen der Beklagten verworfen hat, kann der Beklagten nicht zum Nachteil
gereichen, weil nicht ersichtlich ist, dass die Höhe der angebotenen Raten außer
Verhältnis zur tilgenden Schuld stand und die Einkommensverhältnisse der Beklagten
ihr höhere Raten erlaubten. Entsprechendes ist von der Klägerin nicht vorgetragen
worden und ergibt sich auch nicht aus den Angaben der Beklagten zu ihren
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, welche sie im Rahmen des
Prozesskostenhilfegesuchs gemacht hat. Aus diesem Grund schadet es der Beklagten
nicht, dass sie im Hinblick auf die Ablehnung der Ratenzahlung durch die Klägerin zur
Zeit den Rückstand nicht tilgt. Anders wäre es möglicherweise, wenn die Beklagte eine
angemessene Ratenzahlungsvereinbarung nicht eingehalten hätte. Ein solcher Fall ist
hier jedoch nicht gegeben. Das heißt nicht, dass die Kammer der Auffassung ist, ein
Stromversorgungsunternehmen müsse jedes noch so niedrige Ratenzahlungsangebot
eines Kunden annehmen; eine Ablehnung eines solchen Angebotes bedarf jedoch
einer Begründung auf der Grundlage der gegebenenfalls vom Kunden offenzulegenden
Einkommensverhältnisse, was hier nicht geschehen ist.
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Die Beklagte hat deshalb weiterhin ein Recht zum Besitz am Zähler und ist nicht zu
seiner Herausgabe verpflichtet.
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III.
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Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es im Prozesskostenhilfeverfahren auch in
der Beschwerdeinstanz nicht.
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