Urteil des LG Duisburg vom 28.11.2008

LG Duisburg: treu und glauben, zahlungsunfähigkeit, dispositionsfreiheit, glaubhaftmachung, verfügungsbeschränkung, deckung, privatvermögen, verdacht, anfechtbarkeit, abgabe

Landgericht Duisburg, 7 T 231/08
Datum:
28.11.2008
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 231/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg, 64 IN 153/08
Normen:
InsO § 1, § 4, § 13 II, § 21 II Nr. 2, § 24 I; ZPO § 91a, § 303
Leitsätze:
1. Das Insolvenzgericht kann durch eine Zwischenentscheidung (§ 303
ZPO, § 4 InsO) die Unwirksamkeit einer Erledigungserklärung des
antragstellenden Gläubigers fest-stellen. Gegen die Entscheidung steht
dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
2. Die Erledigungserklärung eines antragstellenden Gläubigers, der trotz
einer vom In-solvenzgericht angeordneten Verfügungsbeschränkung
eine Zahlung des Schuldners angenommen hat, ohne dass er
hinreichenden Grund zu der Annahme hat, die Zah-lungsunfähigkeit des
Schuldners sei entfallen, ist wegen Rechtsmissbrauchs unwirk-sam und
damit prozessual unbeachtlich.
3. Der Gläubiger darf in dieser Situation eine später als inkongruente
Deckung an-fechtbare Leistung zurückweisen.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Duisburg vom 17.09.2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Schuldnerin
auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 2000,- €.
I.
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Mit einem am 28.07.2008 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag beantragte die
Gläubigerin (ein Sozialversicherungsträger) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen der Schuldnerin. Zur Begründung führte sie aus, dass sie aus dem
Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.08.2007 eine Forderung in Höhe von 2.040,92 €
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gegenüber der Schuldnerin habe. Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Schuldnerin
seien erfolglos geblieben, so dass davon auszugehen sei, dass die Forderung durch die
Schuldnerin nicht beglichen werden könne.
Mit Beschluss vom 30.07.2008 bestellte das Amtsgericht einen vorläufigen
Insolvenzverwalter und ordnete zur Sicherung der Masse einen Zustimmungsvorbehalt
gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO an. Mit der Übersendung dieses Beschlusses an die
Gläubigerin wies das Amtsgericht zusätzlich darauf hin, dass die Antragstellerin
verpflichtet sei, Zahlungen aus dem schuldnerischen Vermögen einschließlich
zuzurechnender Kreditmittel und Einlagen Dritter, die ohne Zustimmung des
Insolvenzverwalters geleistet würden, an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten.
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Nachdem die Schuldnerin am 20.08.2008 die rückständigen Beträge an die Gläubigerin
zahlte, erklärte diese mit Schreiben vom 21.08.2008 den Insolvenzantrag für erledigt.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.09.2008 stellte das Amtsgericht fest, dass die
Erledigungserklärung der Gläubigerin unwirksam und das Eröffnungsverfahren
fortzusetzen sei. Zur Begründung führte es aus, dass die Erledigungserklärung der
Gläubigerin rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich sei. Diese habe allein
aufgrund der Zahlung der Schuldnerin nicht davon ausgehen können, dass die von ihr
selbst geltend gemachte Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin entfallen sei. Über die
einmalige Zahlung der Schuldnerin hinaus habe aber weder die Gläubigerin noch die
Schuldnerin selbst konkret dargetan, dass eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin
vorgelegen bzw. im Zeitpunkt der Zahlung nicht mehr bestanden habe.
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Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 02.10.2008, mit
der sie geltend macht, dass aufgrund der Rücknahme des Antrages durch die
Gläubigerin das Verfahren beendet sei. Die Zahlung sei im Übrigen aus dem
Privatvermögen der Gesellschafterin der Schuldnerin erfolgt und deshalb ohne Verstoß
gegen die Auflagen des Sicherungsbeschlusses wirksam durchgeführt. Zudem habe die
Schuldnerin hinreichende Sicherheiten angeboten, die eine Fortführung des Verfahrens
entbehrlich machten.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Schuldnerin hat in der Sache keinen Erfolg und ist
deshalb zurückzuweisen. Das Amtsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die
Erledigungserklärung der Gläubigerin vom 21.08.2008 unwirksam ist.
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1. Die Beschwerde ist gemäß § 4 InsO, §§ 303, 280 Abs. 2 ZPO analog statthaft und im
Übrigen zulässig.
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Die angefochtene Entscheidung stellt eine nach § 4 InsO, § 303 ZPO analog zulässige
Zwischenentscheidung im Eröffnungsverfahren dar. Nach zutreffender Auffassung findet
§ 303 ZPO entsprechende Anwendung auch in Beschlussverfahren, insbesondere
soweit dort über die Zulässigkeit einer Beschwerde gestritten wird (vgl. OLG Düsseldorf
OLGZ 1979, 454). Aber auch für den Fall, dass sich im Beschwerdeverfahren ein
Zwischenstreit über die Erledigung des Verfahrens ergibt und die Erledigung nicht
festgestellt werden kann, ist durch Beschluss über diesen Zwischenstreit in
entsprechender Anwendung des § 303 ZPO zu entscheiden (vgl. BGH NJW 1967, 2116
[2117] im Verfahren nach dem PatG). Dabei ist allerdings für den Fall, dass eine
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Erledigung festzustellen ist, eine Endentscheidung zu treffen, weil hier für eine
Zwischenentscheidung nach § 303 ZPO kein Raum verbleibt (so BGH NJW 1996, 3345
[3346]). § 303 ZPO ist dabei insbesondere auch in Verfahren anwendbar, in denen
keine obligatorische mündliche Verhandlung vorgesehen und nur durch Beschluss zu
entscheiden ist. Denn auch in diesen Verfahren kann sich wie im Falle des § 303 ZPO
ein echter Zwischenstreit ergeben, von dessen Entscheidung der weitere Verlauf des
Verfahrens bis zur "Endentscheidung" abhängt. Über einen solchen Zwischenstreit ist
dann in entsprechender Anwendung des § 303 ZPO nicht durch Zwischenurteil,
sondern durch Zwischenbeschluss zu entscheiden, der für die Instanz die gleiche
bindende Wirkung hat wie das Zwischenurteil nach §§ 303, 318 ZPO (vgl. BGH NJW
1967, 2116 [2117]).
Dies entspricht der Lage im vorliegenden Verfahren, weil auch hier ein Zwischenstreit
über die Erledigung des Verfahrens besteht (so auch AG Hamburg NZI 2003, 104).
Gegen diese Entscheidung ist in entsprechender Anwendung des § 280 Abs. 2 ZPO
nach § 4 InsO die Beschwerde statthaft. Zwar ist nach allgemeiner Auffassung ein
Zwischenurteil nach § 303 ZPO nicht selbstständig anfechtbar, weil eine Überprüfung
nur durch das Rechtsmittel gegen das Endurteil erreicht werden kann (vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. [2007], § 303 ZPO Rn. 11 mit weiteren Nachweisen).
Etwas anderes gilt jedoch gemäß § 280 Abs. 2 S. 1 ZPO für ein Zwischenurteil über die
Zulässigkeit der Klage, das hinsichtlich der Rechtsmittel wie ein Endurteil anzusehen
ist. Da aber die Frage einer Nichterledigung des Verfahrens und damit der Anhängigkeit
des Antrages als Prozessvoraussetzung zu entscheiden ist, ist eine entsprechende
Entscheidung wie bei sonstigen Entscheidungen über die Zulässigkeit nach § 280 Abs.
2 ZPO anfechtbar (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O. § 303 Rn. 11 mit weiteren
Nachweisen). Dies muss entsprechend im Zwischenstreit im Beschwerdeverfahren
gelten, wenn hier über Zulässigkeitsfragen und damit auch über eine etwaige
Erledigung des Verfahrens vorab zu entscheiden ist.
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Auch § 6 InsO steht der Statthaftigkeit einer solchen Beschwerde nicht entgegen, denn
diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass damit eine sich aus anderen Gesetzen
ergebende Beschwerdemöglichkeit nicht ausgeschlossen werden soll (vgl.
MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. [2007], § 6 Rn. 6 mit weiteren Nachweisen).
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2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht festgestellt,
dass die Erledigungserklärung der Gläubigerin rechtmissbräuchlich und damit
prozessual unbeachtlich ist. Die Erledigungserklärung ist wegen Rechtsmissbrauchs
unwirksam, weil sie erkennbar dazu dient, trotz fortbestehender Glaubhaftmachung
eines Eröffnungsgrundes der Antragstellerin einen Vorteil zu sichern, der offenkundig
und schwerwiegend gegen das Gebot der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung im
Insolvenzverfahren verstößt.
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Ebenso wie in anderen Rechtsgebieten steht auch die Dispositionsfreiheit des
Gläubigers, über einen einmal gestellten Insolvenzeröffnungsantrag zu verfügen, unter
dem Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung aus § 242 BGB. Dieser Rechtsgrundsatz
untersagt den Verfahrensbeteiligten, prozessuale Rechte zu verfahrensfremden und
nicht schutzwürdigen Zwecken einzusetzen. Dies ist aber dann der Fall, wenn sich der
Schuldner beharrlich der Feststellung seiner Finanz- und Vermögenslage entzieht und
der Gläubiger trotz Anordnung einer Verfügungsbeschränkung noch eine Leistung aus
dem schuldnerischen Vermögen annimmt, ohne hinreichende Anhaltspunkte für den
nachträglichen Wegfall des von ihm glaubhaft gemachten Insolvenzgrundes zu haben.
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Diese Leistung bewirkt eine anfechtbare inkongruente Deckung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1
InsO), weshalb sie der Gläubiger grundsätzlich zurückweisen kann. Unterstützt der
Gläubiger dieses Verhalten des Schuldners, das eine Benachteiligung der
Gläubigergesamtheit darstellt, zumindest bedingt durch Annahme der Zahlung und
Abgabe der Erledigungserklärung, kann er sich nach Treu und Glauben nicht mehr auf
die verfahrensrechtliche Dispositionsfreiheit berufen. Nur dann, wenn er die Beseitigung
des Eröffnungsgrundes glaubhaft macht, kann der Gläubiger den gegen ihn
sprechenden Verdacht des Missbrauchs entkräften (vgl. AG Hamburg NZI 2003,104; AG
Duisburg NZI 2005,129; MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl. [2007], § 13 Rn. 145, 146).
Dass die Dispositionsfreiheit des Gläubigers bezüglich des gestellten
Insolvenzantrages aufgrund des Zwecks des Insolvenzverfahrens nach Treu und
Glauben eingeschränkt sein kann, erkennt im Ergebnis auch der Bundesgerichtshof an
(vgl. zur Antragsrücknahme BGH NZI 2008, 550 [551]).
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Danach ist hier von einer rechtsmissbräuchlichen Erklärung der Gläubigerin
auszugehen. Die Gläubigerin hat in Kenntnis der von ihr selbst beigebrachten
Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin die Zahlung der
Gesellschafterin angenommen und als die Forderung erfüllend behandelt, obwohl ihr
die Anfechtbarkeit der Zahlung zusätzlich durch ausdrücklichen Hinweis des
Amtsgerichts bekannt war. Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, warum aufgrund der
einmaligen Zahlung der Schuldnerin von einem Wegfall der Zahlungsunfähigkeit
insgesamt auszugehen sein soll, haben weder die Gläubigerin noch die Schuldnerin in
ihrer Beschwerde vorgetragen. Aus den Ermittlungen des vorläufigen
Insolvenzverwalters ergibt sich auch, dass die Zahlung von einem Konto der
Alleingesellschafterin der Schuldnerin erfolgt ist und damit als Zahlung der Schuldnerin
zu behandeln ist.
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Die Unwirksamkeit der Erledigungserklärung der Gläubigerin führt dazu, dass das
Verfahren auf ihren Antrag hin weiter fortzuführen ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Wert des Beschwerdeverfahrens
wird festgesetzt auf bis 2000,- €.
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