Urteil des LG Duisburg vom 09.10.2008

LG Duisburg (grundstück, dingliches recht, nicht öffentlich, verhältnis zu, gebäude, luftraum, lasten, zpo, duldungspflicht, grund)

Landgericht Duisburg, 3 O 449/06
Datum:
09.10.2008
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 O 449/06
Tenor:
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 17.11.2006
wird abgelehnt.
2.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.
Der Streitwert wird auf 80.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Antragstellerin hat die Voraussetzungen eines
Verfügungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§§ 936, 922 Abs. 2
ZPO).
Das Eindringen der Schwenkarme der Hochbaukräne von dem Bauplatz
der Antragsgegnerin ( ) in den Luftraum über dem Grundstück der
Antragstellerin , Duisburg, stellt weder eine nicht zu duldende
Eigentumsstörung im Sinne von § 1004 BGB, noch eine Besitzstörung
i.S.v. § 858 BGB dar. Das Gericht unterstellt angesichts fehlender
Glaubhaftma-chung (§§ 922 Abs. 2, 294 Abs .1 ZPO) und zwar nicht nur
in diesem Punkt, dass die Antragstellerin Eigentümerin und zumindest
mittelbare Besitzerin des Grundstücks , Duisburg, ist.
I.
Die Voraussetzungen eines Verfügungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1
i.V.m. § 905 Satz 1 BGB liegen nach dem Vorbringen der Antragstellerin
nicht vor, denn die Antragstellerin ist zur Duldung des Überschwenkens
der Tragarme der Hochbaukräne über das Grundstück verpflichtet (§
1004 Abs. 2 BGB). Diese Duldungspflicht folgt aus § 24 Abs. 1 NachbG.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, wobei im Rahmen der
dort vorzunehmenden Güterabwägung zunächst zu berücksichtigen ist,
dass das Grundstück nicht körperlich betreten oder mechanisch benutzt
wird, sondern lediglich der Luftraum über dem Grundstück/Gebäude mit
den Schwenkar-men der Kräne berührt wird. Ob diese Form des
Kontaktes zu dem Grund-stück überhaupt eine „Benutzung“ ist (so wohl
LG Köln, zitiert nach Schäfer, NachbG für NRW, 14. Auflage 2005, Rdnr.
4 zu § 24 mit Hinweisen zur Ge-genmeinung) und daher
einschränkungslos zu dulden wäre, kann dahinste-hen, da die
Duldungspflicht der Antragstellerin sich aus der genannten Vor-schrift
ableiten lässt.
Durch den Einsatz der Kräne (hier: in der Form des Überschwenkens
durch ihre Tragarme) wird das Grundstück (§ 905 Satz 1 BGB) zum
Zwecke von Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück („ “) vorü-
bergehend genutzt, d.h. wenn auch häufig und über einen längeren Zeit-
raum, aber nicht auf Dauer. Insoweit konnte das Oberlandesgericht
Düssel-dorf (NJW-RR 1998, 1421) die Frage, ob sich ein Recht zur
Grundstücksnut-zung aus § 24 NachbG NRW ableiten lässt, offen
lassen, da nach dem dort mitgeteilten Sachverhalt der betreffende
Baukran gewerblich genutzt wurde und auf Dauer installiert war.
Die Arbeiten mittels der Hochkräne auf dem Bauplatz der
Antragsgegnerin können anders auch nicht zweckmäßig oder nur mit
unverhältnismäßigen Kosten durchgeführt werden (§ 24 Abs. 1 Nr. 1
NachbG NRW). Nach dem Vorbringen in der Antragsschrift (dort unter III)
müssen angesichts der – ü-berdies gerichtsbekannten – immensen
Größe des Bauvorhabens die (bei-den) Hochbaukräne bis Februar 2008
Arbeitsmaterialien in erheblichem Um-fang transportieren. Die seitens
des Bauunternehmers angegebenen und von der Antragstellerin nicht in
Frage gestellten Kosten für die Einschrän-kung des Schwenkbereichs
beider Kräne betragen mindestens 120.000,- Euro, mithin Kosten, die
unverhältnismäßig hoch sind.
Die mit der Duldung verbundenen Nachteile oder Belästigungen stehen
auch nicht außer Verhältnis zu dem vorstehend mitgeteilten Vorteil
(Kostenerspar-nis von mindestens 120.000,- Euro), vgl. Nr. 2 der
genannten Vorschrift. Diese seitens der Antragstellerin angeführte
Befürchtung, dass weder das Reisebüro noch das andere Ladenlokal im
Erdgeschoss des mehrstöckigen Gebäudes beim Überschwenken der
Tragarme im Rhythmus von 3 – 6 Minuten noch von Kunden frequentiert
würden und eine kurzfristige Kündi-gung zu befürchten wäre, ist durch
nichts belegt, geschweige denn in geeig-neter Weise glaubhaft gemacht.
Das Durchtrennen des Lauftraums über dem mehrstöckigen Gebäude
berührt die Geschäftstätigkeit der im Erdge-schoss befindlichen
Gewerberäume nicht. Das Überschwen-ken/Durchtrennen des
Luftraums über dem Gebäude ist überdies,
wovon der Einzelrichter sich vor Ort und nach monatelangen
Erfahrungen mit der anderen benachbarten Großbaustelle („ “) überzeugt
hat, nahezu geräuschlos und stellt keine nennenswerte Belästigung dar.
Aus dem Vorausgehenden folgt, dass – soweit überhaupt möglich und
nötig – ausreichende Vorkehrungen zur Minderung der Belästigung im
Sinne von Nr. 3 der genannten Vorschrift getroffen worden sind.
Das Vorhaben widerspricht auch – zumindest nachvorläufiger
Einschätzung, zumal die Antragstellerin selbst die Baugenehmigung
vorgelegt hat – nicht öffentlich-rechtlichen Vorschriften.
Die Antragsgegnerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, die
seitens der Antragstellerin bestrittene Duldungspflicht zunächst
einzuklagen, bevor sie den Luftraum nutzen kann (so wohl zum baden-
württembergischen Nachbarrecht OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 91;
dagegen zu Recht Schäfer a.a.O. Rdnr. 11). §§ 24 Abs. 3, 16 NachbG
NRW bestimmen, dass das sog. Hammerschlag- und Leiterrecht nur
besteht, wenn die Absicht der Rechtsausübung mindestens 1 Monat vor
Beginn der Arbeiten schriftlich an-gezeigt worden ist, was hier
spätestens mit Schreiben vom 28.08.2006 (An-lage TW 3) geschehen
ist. Durch die rechtzeitige Anzeige der beabsichtigten „Nutzung“ wird der
betroffene Eigentümer/Nutzungsberechtigter hinreichend vor einer
ansonsten überraschenden Beeinträchtigung geschützt. Soweit in
Rechtsprechung und Schrifttum (vergl. OLG Karlsruhe a.a.O. und Saller
in Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2005, 4. Teil
Rdnr. 129) zum Teil vertreten wird, der Bauherr müsse die
nachbarrechtliche Dul-dungspflicht bei Weigerung des Nachbarn
zunächst gerichtlich durchsetzen, kann dahinstehen, ob diese Ansicht
zutreffend ist, da der Duldungsanspruch des Bauherrn/Nachbarn im
vorliegenden Verfahren – auch wenn hier nur eine vorläufige Regelung
zu treffen ist – einredeweise geltend gemacht wer-den kann (so zu Recht
LG Kiel, BauR 1991, 380), d. h. im Rahmen dieses Verfahrens einer
gerichtlichen Prüfung unterzogen werden muss, denn der Beseitigungs-
/Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB steht in un-trennbarem
Zusammenhang mit der Frage einer evtl. Duldungspflicht aus § 1004
Abs. 2 BGB (wie hier auch Saller a.a.O. zum umgekehrten Fall).
II.
Der geltend gemachte Anspruch folgt auch nicht aus §§ 858, 862 BGB.
Zwar geschieht das Durchqueren des Luftraums über dem Grundstück
gegen den erklärten Willen der Antragstellerin. Die eigenmächtige
Inanspruchnahne des Luftraums über dem Grundstück stellt aber bei
verständiger Würdigung des Sachverhalts keine Besitzstörung i.S.d. §
858 Abs. 1 BGB dar (vergl. LG Kiel a.a.O. Seite 382).
Eine solche ist zu bejahen, wenn die Herrschaftsgewalt und deren
Ausübung seitens des Besitzers in einer Art und Weise beeinträchtigt
wird, die nicht in einer Entziehung des Besitzes besteht, die vielmehr
dem Besitzer Ausschnit-te der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten
entzieht, die ihm der Besitz verschafft. Soweit es lediglich darum geht,
dass die Schwenkarme der Krä-ne in gewissen Abständen – siehe oben
– in dem Luftraum über dem Grund-stück/Gebäude der Antragstellerin
schweben kann von einer derartigen Be-einträchtigung nicht die Rede
sein. Die durch den Besitz gegebene Möglich-keit des Gebrauchs und
der Nutzung des Grundstücks/Gebäudes wird durch diese
Schwenkarme nicht beeinträchtigt, zumal die Antragstellerin selbst nicht
geltend macht, dass sie etwa vor hat, auf ihrem Grundstück/Gebäude
bauliche Anlagen zu errichten, die soweit in den Luftraum ragen, dass
sie mit den Schwenkarmen der Kräne in Berührung geraten könnten.
Eine Beeinträchtigung des Besitzes i.S. d. § 858 BGB liegt auch nicht
darin, dass die Antragstellerin auf Seite 6 der Antragsschrift - hingegen
ohne Glaubhaftmachung – ihrer Befürchtung Ausdruck verleiht, beim
Über-schwenken mit Lasten sei naturgemäß ein Herabfallen dieser
Lasten zu be-fürchten. Hierbei handelt es sich nicht um eine objektive
und konkret beleg-bare, gerade von den Baukränen auf dem Bauplatz
der Antragsgegnerin ausgehende Gefahr, sondern um nicht
auszuschließende abstrakte, generell von derartigen Geräten
ausgehende, dem von jedem Menschen zu tragen-den allgemeinen
Lebensrisiko vergleichbare, abstrakte Gefahren. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass gerade von den Baukränen der Antragsgegnerin Gefahren
für das Grundstück der Antragstellerin ausgehen, die zu einer Be-
einträchtigung des Gebrauchs und der Nutzung führen, sind weder
hinrei-chend dargetan noch glaubhaft gemacht.
Soweit das OLG Düsseldorf (a.a.O.) ausführt, dass jedes schutzwürdige
In-teresse, auch ein nur zukünftiges Interesse des Grundeigentümers
ausrei-che, ferner, dass sich ein solches erkennen lasse und es nicht
vermögens-rechtlicher Art sein müsse, sondern auch ein solches
ästhetischer Art sein könne und es sich lediglich auf eine Beziehung zur
Nutzung des Grund-stücks gründen müsse, sind die Grundsätze hier
nicht ohne weiteres über-tragbar. In dem dort zugrundeliegenden
Sachverhalt ging es einerseits um den Beseitigungs- und
Unterlassungsanspruch des Grundstückseigentümers nach § 1004 Abs.
1 BGB und nicht um die Frage einer evtl. Besitzstörung (Turmdrehkran
auf gewerblich genutzten Grundstück neben Hausgrund-stück),
andererseits stellte sich dort angesichts der gewerblichen und damit auf
Dauer angelegten Nutzung des Krans die Frage einer evtl. Duldungs-
pflicht nach § 24 NachbG NRW schon tatbestandlich nicht.
Auch der vom Oberlandesgericht Karlsruhe (NJW-RR 1993, 91)
beurteilte Sachverhalt ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin
nur ansatzweise vergleichbar, da dort offenbar mit dem Kran Lasten über
das Grundstück der dortigen Kläger transportiert wurden, wobei die
Befürchtung auftrat, von her-abfallenden Lasten/Materialien gefährdet zu
werden. Soweit die Antragstelle-rin sich entsprechende Überlegungen
zu eigen macht, erschöpfen diese sich einerseits größenteils in der
Wiederholung der dortigen Entscheidungsgrün-de und sind andererseits
nicht glaubhaft gemacht. Es kann dahinstehen, ob die vorgelegten 3 –
bis auf den Namen der jeweiligen Aussteller – identi-schen
eidesstattlichen Versicherungen vom 16.11.2006, die offensichtlich
„vorgedruckt“ nur zur Unterschrift vorgelegt worden sind, überhaupt den
An-forderungen an die Abgabe einer eigenständigen
selbstverantwortlichen ei-desstattlichen Versicherung i.S.v. § 294 Abs. 1
ZPO genügen (vergl. dazu BGH NJW 1988, 2045 „heute weit verbreitete
Unsitte“). Jedenfalls folgt dar-aus inhaltlich weder ein Überschwenken
mit Last noch eine dahingehend gerichtete Befürchtung, wobei überdies
nicht ersichtlich ist, in welcher tat-sächlichen/rechtlichen Beziehung die
3 Unterzeichner der eidesstattlichen Versicherungen zu dem
Grundstück/Gebäude der Antragstellerin stehen.
Mit der zutreffenden Auffassung des Landgerichts Kiel (a.a.O.) ist nach
alle-dem eine Besitzstörung zu verneinen. Der grundsätzliche
Besitzschutz ver-fehlt auch nicht – wie das Oberlandesgericht Karlsruhe
(a.a.O.) befürchtet – seine Wirkung dadurch, dass eine weitgehende
Berufung auf ein dingliches Recht oder gar einen schuldrechtlichen
Anspruch (gemeint ist offensichtlich das Hammerschlag- und Leiterrecht)
zugelassen wird, das – so das Ober-landesgericht Karlsruhe a.a.O. –
erst klageweise durchgesetzt werden müs-se. Es geht – so zu Recht das
LG Kiel a.a.O. – vorranging um die Frage der B e s i t z s t ö r u n g
überhaupt, die – wie hier – verneinendenfalls die Fra-ge von
Duldungsrechten oder –pflichten aus dem Nachbarrechtsgesetz erst gar
nicht aufkommen lässt. Letztendlich ist angesichts des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 24 NachbG NRW ein Berufen darauf, dass erst
ein Duldungstitel erstritten werden müsse, auch in Rahmen der
Besitzschutzkla-ge bzw. im vorliegenden Eilverfahren
rechtsmissbräuchlich.
III.
Der Streitwert war mangels anderweitiger Anhaltspunkte entsprechend
dem von der Antragstellerin mit 80.000,-Euro angegebenen Interesse an
der Durchsetzung ihrer vermeintlichen Ansprüche in entsprechender
Höhe fest-zusetzen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 91
Abs. 1 ZPO.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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