Urteil des LG Duisburg vom 27.11.2009

LG Duisburg (stpo, akteneinsicht, interesse, internet, verfolgung, rechtsverletzung, software, identität, anschrift, interessenabwägung)

Landgericht Duisburg, 34 AR 4/09
Datum:
27.11.2009
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
4. Strafkammer des Landgerichts Duisburg als Wirtschaftsstrafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
34 AR 4/09
Tenor:
Die Verfügung der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 27. Juli 2009 wird
aufgehoben.
Der S-GmbH ist über deren Verfahrensbevollmächtigte, Akteneinsicht zu
ge-währen.
Die durch diese Entscheidung entstandenen Kosten und die der S-
GmbH in-soweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der
Staatskasse zur Last.
G r ü n d e :
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Der Antrag der Anzeigenerstatterin auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung
von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft Duisburg ist gemäß §§ 161 a Abs. 3
Satz 2 bis 4, 406e Abs. 4 Satz 2 StPO statthaft und begründet. Die Anzeigenerstatterin,
die als Rechteinhaberin im vorliegenden Verfahren Verletzte ist, kann gemäß § 406e
Abs. 1 StPO über ihre Verfahrensbevollmächtigte Akteneinsicht verlangen.
Überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen
stehen nicht entgegen (§ 406e Abs. 2 StPO).
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Gemäß § 406e Abs. 1 S. 1 StPO setzt das Recht zur Akteneinsicht die Darlegung eines
berechtigten Interesses voraus.
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Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche ein
berechtigtes Interesse des Verletzten einer Straftat, das zu einer Akteneinsicht
berechtigt (BVerfG, NJW 2007, 1052). Vorliegend macht die Anzeigenerstatterin
geltend, dass sie gegen den beschuldigten Inhaber des Internet-Anschlusses, über den
nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen unter missbräuchlicher Nutzung eines
von ihm ungesichert betriebenen Wireless-Lan-Zugangs (WLAN) die urheberrechtlich
geschützte Software der Anzeigenerstatterin im Internet verbreitet worden ist, jedenfalls
einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der
Störerhaftung habe. Das Bestehen eines solchen Anspruchs ist für vergleichbare
Fallkonstellationen in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v.
11.05.2009, I-20 W 146/08). Zur Verfolgung dieses Anspruchs ist die
Anzeigenerstatterin darauf angewiesen, die Identität und ladungsfähige Anschrift des
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von den Ermittlungsbehörden ermittelten Beschuldigten und die ermittelten näheren
Umstände der Verbreitungshandlung zu erfahren, was vorliegend nur durch eine
Einsichtnahme in die Ermittlungsakte erfolgen kann.
Die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs der Anzeigenerstatterin
gemäß § 101 Abs. 1 UrhG gegen den Internet-Provider des Beschuldigten auf
Auskunfterteilung schränkt das Akteneinsichtsrecht nicht ein. Im vorliegenden Fall sind
bereits die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch nicht erfüllt, da die
Rechtsverletzung durch eine einmalige Verbreitung der Software über den Anschluss
des Beschuldigten noch keinen Urheberrechtsverstoß von "gewerblichem Ausmaß"
i.S.v. § 101 Abs. 1 UrhG darstellt.
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2.
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Dem somit grundsätzlich bestehenden berechtigten Interesse der Anzeigenerstatterin an
der Akteneinsicht gemäß § 406e Abs. 1 StPO stehen keine überwiegenden
schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten i.S.v. § 406e Abs. 2 S. 1 StPO entgegen.
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Bei der zur Feststellung eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses des
Beschuldigten erforderlichen Abwägung ist das Recht des Beschuldigten auf
informationelle Selbstbestimmung durch § 406e Abs. 1 StPO eingeschränkt, soweit es
um die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche geht. Allein die abstrakte
Möglichkeit, dass der Beschuldigte nach erfolgter Akteneinsichtnahme durch die
Anzeigenerstatterin zivilrechtlich als Störer in Anspruch genommen werden kann, lässt
das Interesse des Beschuldigten an der Geheimhaltung seiner Identität nicht gegenüber
dem Informationsinteresse des Verletzten überwiegen. Die Offenbarung der Identität und
Anschrift des Beschuldigten ist vielmehr die notwendige Folge des Umstands, dass die
Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche ein berechtigtes Interesse des Verletzten i.S.v. §
406e Abs. 1 StPO begründet.
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Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten wird, im Rahmen der
Interessenabwägung sei die Stärke des Tatverdachts zu berücksichtigen (vgl. LG
Darmstadt, MMR 2009, 579; LG Saarbrücken, MMR 2009, 639), führt dies jedenfalls im
vorliegenden Fall zu keiner anderen Bewertung. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen
kann zwar aufgrund der nicht widerlegbaren Einlassung des Beschuldigten, er habe ein
ungesichertes WLAN betrieben, weshalb sein Internet-Zugang ohne sein Wissen von
Dritten genutzt worden sein kann, der Nachweis einer Straftat nicht geführt werden. Ein
fehlender Tatverdacht führt jedoch nicht ohne weiteres dazu, dass das stets zu
berücksichtigende allgemeine Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten gegenüber
dem berechtigten Auskunftsinteresse des Verletzten überwiegt. Anderenfalls würde die
Regelung des § 406e Abs. 1 S. 1 StPO in den Fällen, in denen das Verfahren gemäß §
170 Abs. 2 StPO wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt worden ist, nahezu
vollständig ausgehöhlt. Es ist indes anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der
Akteneinsicht insbesondere auch dann besteht, wenn sie der Prüfung der Frage dienen
soll, ob eine Einstellungsbeschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO oder ein
Klageerzwingungsantrag gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt werden soll (Meyer-Goßner,
StPO, 51. Aufl., § 406e Rn. 3).
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Auch das vorliegend relativ geringe Ausmaß der Rechtsverletzung durch die einmalige
Verbreitung der urheberrechtlich geschützten Software über den Internet-Anschluss des
Beschuldigten führt nicht dazu, dass sein allgemeines Geheimhaltungsinteresse
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gegenüber dem berechtigten Interesse der Verletzten überwiegt. Zwar wird in der
Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten, dass dem verletzten Rechteinhaber die
Akteneinsicht jedenfalls dann zu versagen ist, wenn es sich um eine bagatellartige
Rechtsverletzung handelt (LG Darmstadt, a.a.O.; LG Saarbrücken a.a.O.). Für eine
solche Gewichtung der Rechtsverletzung, die in den Fällen von Urheberrechtsverstößen
eine Bewertung der zivilrechtlichen Ansprüche des Rechteinhabers voraussetzt, gibt es
jedoch de lege lata keine Grundlage. Zwar sieht § 406e Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 395 Abs. 2
Nr. 2 StPO vor, dass der Verletzte kein berechtigtes Interesse zur Akteneinsicht
darlegen muss, wenn es um Taten nach §§ 108a, 108b Abs. 3 UrhG, also um ein
gewerbsmäßiges Handeln, geht. Für den Regelfall des § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO, der
vorliegend Urheberrechtsverstöße unterhalb der Schwelle der Gewerbsmäßigkeit
betrifft, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Verletzte ein berechtigtes
Interesse darlegt. Dieses Interesse ergibt sich wie oben dargelegt- bereits aus der
Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche des Verletzten, ohne dass eine weitere
Einschränkung, etwa anhand des Gegenstandswertes, gesetzlich normiert ist. Auch
lässt sich § 406e Abs. 2 StPO nicht entnehmen, dass das allgemeine
Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten bei nur geringen Rechtsverletzungen
gegenüber dem Aufklärungsinteresse des Verletzten überwiegen soll. Vielmehr ist im
Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass bei
geringen Rechtsverletzungen das wirtschaftliche Risiko für den Beschuldigten und
damit einhergehend die Folgen eines Eingriffs in sein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung im Falle einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme ebenfalls reduziert
sind. Dem geringeren Aufklärungs- und Informationsinteresse des Verletzten steht
mithin auch nur ein geringeres, jedenfalls nicht überwiegendes
Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten gegenüber.
Eine darüber hinausgehende Einschränkung des strafprozessualen
Akteneinsichtsrechts –etwa auf die Fälle, in denen ein gewerbliches Ausmaß i.S.v. §
101 Abs. 1 UrhG erreicht wird- hat der Gesetzgeber bislang nicht normiert. Das Gesetz
zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (BGBl.
2008,1191 ff.), durch das der urheberrechtliche Auskunftsanspruch u.a. gegen den
Internet-Provider gemäß § 101 Abs. 1 UrhG mit Wirkung zum 1.9.2008 eingeführt
worden ist, enthält keine strafprozessualen Regelungen.
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Sonstige Umstände, die zu einem Überwiegen der schutzwürdigen Interessen des
Beschuldigten gegenüber den berechtigten Interessen der Anzeigenerstatterin führen
könnten, sind nicht ersichtlich. Die Gewährung der Akteneinsicht ist aus den
vorstehenden Gründen auch nicht unverhältnismäßig.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung
von §§ 464 Abs. 2, 467 Abs. 1 StPO.
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