Urteil des LG Duisburg vom 01.09.2003

LG Duisburg: eltern, eröffnung des verfahrens, verfahrenskosten, stundung, zumutbarkeit, prozesskostenvorschuss, wohnkosten, sozialhilfe, unterhaltspflicht, verantwortlichkeit

Landgericht Duisburg, 7 T 175/03
Datum:
01.09.2003
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 175/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg, 61 IK 64/03
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Duisburg vom 07.07.2003 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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I.
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Mit einem am 16.05.2003 beim Insolvenzgericht eingegangenen Antrag beantragte der
Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Zugleich stellte
er einen Antrag auf Restschuldbefreiung und beantragte die Stundung der
Verfahrenskosten. Hinsichtlich seiner Einkommensverhältnisses verwies er auf den
Bezug von Sozialhilfe in Höhe von 234,00 EUR monatlich. Weiterhin gab er monatliche
Wohnkosten in Höhe von 333,00 EUR an. Zur Begründung seiner Verschuldung
verwies er auf eine gescheiterte Selbständigkeit.
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Mit Beschluss vom 23.05.2003 (GA Bl. 26) bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu
1. als vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete Sicherungs- und
Aufklärungsmaßnahmen zur Feststellung über die Eröffnung des Verfahrens an. Unter
dem 23.06.2003 (GA Bl. 42) legte der Insolvenzverwalter sein Gutachten vor, in dem er
zu den Feststellungen kam, dass die Insolvenzeröffnung mangels Masse abzulehnen
sei. Hinsichtlich der Vermögensverhältnisses des Schuldners stellte er fest, dass dieser
die meiste Zeit in G bei seiner Freundin lebe und im Übrigen bei seinen Eltern Wohnsitz
genommen habe. Zudem werde er durch Zuwendungen dieser Personen unterhalten. Er
beziehe weder Arbeitslosen- noch Sozialhilfe.
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Mit Beschluss vom 07.07.2003 (GA Bl. 52) gewährte das Amtsgericht dem Schuldner
die Stundung der Verfahrenskosten im Hinblick auf die anzunehmende
Vermögenslosigkeit. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde des
Bezirksrevisors vom 10.07.2003 (GA Bl. 57). Dieser verweist auf die
Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Schuldners zu seinen Wohnkosten und
seinen Einkommensverhältnissen und macht geltend, dass eine Vorschusspflicht der
offensichtlich vermögenden Eltern gegenüber ihrem Sohn anzunehmen sei.
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Mit Schreiben vom 21.08.2003 (GA 71) hat der Schuldner mitgeteilt, dass das Sozialamt
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derzeit keine Zahlungen leiste und dass er bei seiner Freundin wohne und zur Hälfte zur
Zahlung der Miete verpflichtet sei.
Mit Beschluss vom 18.07.2003 (GA Bl. 62) hat das Amtsgericht die Akten dem
Landgericht zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.
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II.
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Die gemäß § 4 d InsO zulässige Beschwerde ist in der Sache ohne Erfolg.
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Das Amtsgericht hat die Stundung der Verfahrenskosten nach § 4 a InsO zu Recht
bewilligt, weil der Schuldner als vermögenslos anzusehen ist und deshalb die Kosten
des Insolvenzverfahrens nicht selbst tragen kann. Insoweit wird auf die zutreffenden
Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Der Schuldner hat
insoweit auch klargestellt, dass er derzeit über kein weiteres Einkommen verfügt. Bei
der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners haben
Unterhaltsansprüche gegenüber seinen Eltern oder seine Lebensgefährtin außer
Betracht zu bleiben. Gegenüber der Lebensgefährtin des Schuldners besteht bereits
dem Grunde nach kein Unterhaltsanspruch, weil diese nicht entsprechend einem
Ehegatten gemäß § 1360 a BGB vorschusspflichtig ist. Auch gegenüber den Eltern des
Schuldners kommt ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss für die Durchführung des
Verfahrens nicht in Betracht.
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Ob und in welchem Umfang Ehegatten oder Verwandte einander die Zahlung von
Prozesskostenvorschüssen schulden, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Für
das Insolvenzverfahren ist anerkannt, dass zumindest für solche Verfahren, die auf
während der Ehezeit begründeten Verbindlichkeiten beruhen, gemäß § 1306 Abs. 1 u. 4
BGB einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den unterhaltsverpflichteten
Ehegatten besteht (vgl. LG Düsseldorf, NJW-RR 2002, 1479; AG Hamburg, NJW 2002,
S. 3337; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 4 a Rn. 4). Insoweit besteht auch Einigkeit, dass
die Durchführung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich eine höchstpersönliche
Angelegenheit darstellt, die eine Vorschusspflicht auslöst.
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Für die Prozesskostenvorschusspflicht zwischen Eltern und Kindern liegten
demgegenüber zum Insolvenzverfahren, soweit ersichtlich, noch keine
höchstrichterliche Entscheidung vor. Allgemein wird die Frage der
Prozesskostenvorschusspflicht unterschiedlich beantwortet.
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Überwiegend besteht Einigkeit dahin, dass Eltern ihren minderjährigen Kindern in
höchstpersönlichen Angelegenheiten gemäß §§ 1610 Abs. 2, 1615 a BGB zur Zahlung
eines Prozesskostenvorschusses verpflichtet sind. Entsprechendes gilt bei volljährigen
Kindern, die noch in der Ausbildung sind oder noch keine von den Eltern unabhängige
Lebensstellung erlangt haben (vgl. BGHZ 57, 229/234; OLG Düsseldorf, FamRZ 86 698
ff.; Zöller/Philippi, 23. Aufl., § 115 Rn. 67 b m.w.N.). Begründet wird dies mit der
gesteigerten Verantwortungsbeziehung die wie bei Ehegatten zwischen Eltern und
ihren minderjährigen Kindern bzw. wirtschaftlich noch nicht unabhängigen Kinder
besteht.
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Für die Frage, ob darüber hinaus auch Kinder ihren Eltern oder Eltern ihren volljährigen
und wirtschaftlich losgelösten Kindern zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses
verpflichtet sind, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.
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Nach einer Ansicht ist eine derartige Vorschusspflicht grundsätzlich zu verneinen, weil
in diesem Verwandtschaftsverhältnis keine gesteigerte Verantwortung wie zwischen
Ehegatten oder Eltern und ihren minderjährigen Kindern besteht (vgl. OLG München
FamRZ 1993, 821; Zöller/Philippi, a.a.O., § 125 Rn. 67 d).
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Demgegenüber ist auch nach anderer Auffassung eine Vorschusspflicht der Eltern
gegenüber ihren volljährigen Kindern grundsätzlich zu bejahen. Allerdings sei
zugunsten der Unterhaltsverpflichteten im Rahmen der Zumutbarkeit der
Unterhaltspflicht eine strenge Prüfung vorzunehmen (OLG Köln, FamRZ 1994, 1409;
Kallt-
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boener/Büttner/Wrowe-Sachs: Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl., 2003 Rn.
361 ff. mit umfangreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Darüber hinaus wird
auch bei Eltern gegenüber ihren volljährigen Kindern eine allgemeine
Prozesskostenvorschusspflicht angenommen; diese jedoch unter dem Gesichtspunkt
der Zumutbarkeit stark eingeschränkt (vgl. Kalltboener/Büttner, a.a.O., Rn. 363).
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Welcher der Auffassungen zu folgen ist, kann im Ergebnis offen bleiben, da eine
Prozesskostenvorschusspflicht in den streitigen Konstellationen für das
Insolvenzverfahren nach Auffassung der Kammer nach beiden Ansichten zu verneinen
ist.
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Folgt man der erstgenannten Ansicht, scheidet eine Vorschusspflicht bereits dem
Grunde nach aus.
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Selbst wenn man jedoch eine Vorschusspflicht dem Grunde nach annimmt, ist diese im
Rahmen der ebenfalls zu prüfenden Zumutbarkeit der Unterhaltsleistung jedenfalls zu
verneinen. Dass Eltern für die wirtschaftlichen Fehlentscheidungen ihrer Kinder
aufkommen müssen, indem sie die Kosten eines Insolvenzverfahrens übernehmen
müssen, erscheint unter Abwägung der beiderseitigen Interessenlagen nicht zumutbar.
Den Eltern fehlt insoweit bei volljährigen Kindern regelmäßig jegliche
Einwirkungsmöglichkeit und Verantwortlichkeit für die wirtschaftlichen Entscheidungen
ihrer Kinder. Entsprechend wird auch für die Prozesskostenvorschusspflicht bei
Ehegatten vertreten, dass diese für solche Insolvenzverfahren zu verneinen ist, die
allein auf vorehelichen Verbindlichkeiten beruhen (vgl. LG Köln Zeitschrift für
Insolvenzordnung 2002, S. 684).
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Gegen eine Vorschusspflicht sprechen zudem auch praktische Erwägungen.
Regelmäßig werden in getrennten Haushalten lebende volljährige Kinder und ihre
Eltern die wirtschaftlichen Verhältnisse der jeweils anderen Unterhaltsberechtigten oder
-verpflichteten nicht derart genau kennen, dass nicht weitere Ermittlungen erforderlich
sind. Insoweit ist die aufwendige Geltendmachung von Auskunftsansprüchen zu
erwarten. Derartig umfangreiche Ermittlungen sind jedoch mit dem Eilcharakter des
Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht zu vereinbaren.
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Unter Berücksichtigung der vorgenannten Auffassung ist daher ein Anspruch auf
Prozesskostenvorschuss gegen die Eltern des volljährigen Schuldners jedenfalls zu
vereinen, so dass die Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4 a InsO zu Recht
erfolgt ist.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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