Urteil des LG Duisburg vom 15.09.2010

LG Duisburg (kläger, lege artis, höhe, behandlung, untersuchung, schmerzensgeld, behandlungsfehler, stellungnahme, schwerhörigkeit, gutachten)

Landgericht Duisburg, 11 O 50/09
Datum:
15.09.2010
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 O 50/09
Tenor:
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über Schadensersatz-/Schmerzensgeldansprüche des Klägers aus
einer ärztlichen Behandlung durch den Beklagten vom 11.02.2008 bei welcher dem
Beklagten Ohrenschmalz (Zerumen) durch mechanisches Absaugen mittels einer sog.
Kürettage entfernt wurde.
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Der seinerzeit 81 - jährige Kläger reklamiert einen durch Behandlungsfehler
hervorgerufenen, dauerhaften, erheblichen Hörschaden auf beiden Ohren (Tinnitus,
Schwerhörigkeit) und behauptet unter Berufung auf die Stellungnahme der
Gutachterkommission vom 14.08.2008 (Bl.19 ff der GA),
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a) die seitens des Beklagten angewandte Absaugmethode sei vorliegend medizinisch
nicht indiziert gewesen,
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b) darüber hinaus auch durch eine zu lange Dauer des Absaugvorganges und der damit
verbundenen extrem starken Geräuscheinwirkung behandlungsfehlerhaft ausgeführt
worden, wodurch erhebliche Lärmtraumata mit der Folge irreversibler
Innenohrschädigungen entstanden seien;
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c) überdies habe ihn der Beklagte nicht über weniger invasible alternative
Behandlungsmethoden aufgeklärt.
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Der Kläger berechnet den ihm durch die behauptete Fehlbehandlung des Beklagten
entstandenen materiellen Schaden unter Vorlage entsprechender
Rechnungen/Kostenvoranschläge wie folgt:
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1. Hörgeräte: 3.440,97 €
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2. Zuzahlung Krankenhaus 128,34 €
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3. Kosten Fernbedienung (Verstärker) 400,80 €
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4. pauschale Kosten 25,00 €
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5. Kosten Arztbrief 75,20 €
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Gesamtbetrag 4.070,31 €
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Darüber hinaus verlangt der Kläger ein in gerichtliches Ermessen gestelltes
Schmerzensgeld - welches er in Höhe von
25.000,00 €
angemessen erachtet - sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von
insgesamt
2.717,60 € (1.999,20 +718,40 €)
der Einstandspflicht des Beklagten in Bezug auf weitere materielle und immaterielle
Zukunftsschäden aus der streitgegenständlichen Behandlung.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn (Kläger)
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a) anlässlich der ohrenärztlichen Behandlung vom
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11.02.2008 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, nebst
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Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem
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01.05.09,
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b) weitere 4.070,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über
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dem Basiszinssatz seit dem 01.05.09,
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c) weitere 1.999,20 € an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst
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Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit
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Rechtshängigkeit (dem 19.06.09),
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d) weitere 718,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem
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Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (dem 19.06.09),
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zu zahlen.
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm (Kläger) jeglichen
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weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm
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noch anlässlich der ohrenärztlichen Behandlung vom 11.02.08 entstehen
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wird, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind bzw.
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übergehen werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bestreitet jedwede Behandlungs - und/oder Aufklärungsfehler. Die von ihm
angewandte konservative Absaugmethode sei vielmehr nach entsprechender
Untersuchung und erfolgter Sicherungsaufklärung des Klägers fachgerecht mit einer
Anwendungsdauer von jeweils nicht länger als 90 Sekunden durchgeführt worden; eine
alternativ mögliche Ohrenspülung habe der Kläger ausdrücklich abgelehnt, weil eine
solche zuvor bei einem anderen HNO-Arzt zum Platzen der Trommelfelle geführt habe.
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Weitere alternative Behandlungsmöglichkeiten hätten nicht zur Verfügung gestanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird auf den Inhalt
der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Urkunden Bezug genommen.
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Die Kammer hat auf der Grundlage des Beschlusses vom 18.11.2009 (Bl. 73, 74 der
GA) Sachverständigenbeweis erhoben.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen vom 19.04.2010 (Bl. 104 ff der GA) sowie auf seine Ausführungen im
Rahmen der mündlichen Anhörung im Termin vom 11.08.2010 (Bl. 143 ff. der GA)
verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Dem Kläger stehen die gegen den Beklagten geltend gemachten Zahlungs- und
Feststellungsbegehren aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
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Weder aus dem Gesichtspunkt einer Verletzung des zugrunde liegenden
Behandlungsvertrages ( §§ 280, 241, 253 BGB), noch aus unerlaubter Handlung (§ 823
BGB) sind Schmerzensgeld - und/oder sonstige Schadensersatzansprüche
gerechtfertigt.
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1.
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Das Ergebnis der Beweisaufnahme rechtfertigt weder das Vorliegen eines
Behandlungsfehlers noch die Feststellung schadensersatzrelevanter
Aufklärungsmängel.
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Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 19.04.2010 (Bl. 104 ff
der GA) unmißverständlich und auch für die Kammer nachvollziehbar dargelegt bzw.
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festgestellt, dass die im Rahmen der von ihm durchgeführten körperlichen Untersuchung
des Klägers festgestellten Hördefizite jedenfalls nicht auf technische Anwendungsfehler
des Beklagten bei der hier vorgenommenen Zerumenabsaugung zurück zu führen sind.
Auch das fortgeschrittene Alter und/oder ggfs. vorgeschädigte Innenohren des Klägers
seien - so der Sachverständige - keine durchgreifenden Kriterien für die
Nichtanwendung der Absaugmethode. Insbesondere habe sich der Verdacht auf das
Vorliegen eines "Tinnitus" im Rahmen der Untersuchung gerade nicht bestätigt.
Auf dieser Grundlage ergebe sich auch nicht die nach den Gesetzen der ärztlichen
Kunst zu beachtende Notwendigkeit, auf eine mechanische Zerumenentfernung mittels
Absaugung zu verzichten und anstelle dessen eine Ohrspülung oder Kürettage
vorzunehmen. Beide Alternativmethoden hätten - so - keinesfalls ein geringeres
Risikopotenzial, wobei sich insbesondere bei der Ohrspülung wegen der latenten
Gefahr einer bakteriellen Verunreinigung der Spülflüssigkeit die Möglichkeit einer
Mittelohrentzündung manifestiere. Bei der Kürettage sei immerhin mit dem Auftreten von
Gehörgangsblutungen - wenn auch entsprechend den anderen Methoden nur in
geringem Prozentsatz - zu rechnen.
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Dementsprechend sei die Auswahl der Absaugmethode durch den Beklagten nicht zu
beanstanden, die entsprechend erfolgte Behandlung jedenfalls medizinisch indiziert
gewesen und "lege artis" durchgeführt.
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Anhaltspunkte für das Vorliegen diesbezüglicher Behandlungsfehler seien nicht
ersichtlich.
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Im Übrigen haben die Untersuchungen des Sachverständigen ergeben, dass für die
bestehende Schwerhörigkeit des Klägers mit Wahrscheinlichkeit nicht ein akutes
Lärmtrauma verantwortlich ist, sondern vielmehr traumaunabhängige altersbedingte
Hörverluste vorliegen.
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Seine diesbezügliche Argumentation hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung und
Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nochmals verdichtet und vertieft.
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Gegen einen trauma - und behandlungsbedingten Hörverlust des Klägers spreche
insbesondere das sachverständig veranlaßte Hördiagramm vom 19.03.2010 (Bl.107 der
GA), welches gerade keine sog. "C 5 Senke" ausweise. Eine solche hätte indessen
vorhanden sein müssen, wenn eine lärmtraumatische Hörschädigung vorgelegen hätte.
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Der Sachverständige hat sich diesbezüglich auch mit der klägerseits im Termin vom
11.08.2010 vorgelegten ärztlichen Stellungnahme von (Bl.148 ff. der GA), der das
Fehlen der "C 5 Senke" vorliegend nicht notwendig als Ausschlussgrund für einen
Lärmschaden bewertet, auseinandergesetzt. Er hat insoweit ausgeführt, dass der Grad
des beim Kläger festgestellten Hörverlustes nicht ausreichend sei, um das Fehlen der
"C 5 Senke" zu erklären.
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Überdies spreche der Umstand, dass bei der streitgegenständlich durchgeführten
Zerumenabsaugung nach dem schriftsätzlichen Vortrag und der mündlichen Befragung
des Klägers im Rahmen der körperlichen Untersuchung ein (nahezu) zeitgleicher akuter
Hörverlust während der Behandlung durch den Beklagten reklamiert wurde.
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Eine solche behandlungsbedingte (dauerhafte) Beeinträchtigung auf beiden Ohren zum
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gleichen Zeitpunkt lasse sich schon statistisch nicht darstellen.
Zwar könne es - so der Sachverständige weiter - durch den Lärm des Absauggerätes
(ca.120 dB) durchaus zu vorübergehenden Hörverlusten kommen, indessen nicht zu
dauerhaften. Auf der Grundlage der bisher erstellten wissenschaftlichen Studien seien
erst bei einem Lärmpegel von 140 dB Dauerschäden zu erwarten. Davon könne
allerdings im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Vielmehr seien die beim Kläger
festgestellten Hörbeeinträchtigungen auf einen traumaunabhängigen altersbedingten
Hörverlust zurückzuführen, die geschilderten Symptome hierfür geradezu typisch.
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Eine Verursachung der Schwerhörigkeit durch fehlerhafte Behandlungsmethoden oder
deren Einwirkung auf den Patienten könne er, der Sachverständige, ausschließen.
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Nach diesem in allen wesentlichen Einzelheiten nachvollziehbaren, in sich schlüssigen
und überzeugenden sowie mündlich umfassend erörterten Gutachten des
Gerichtssachverständigen steht zur Überzeugung der Kammer jedenfalls fest, dass die
streitgegenständlich reklamierten Hörverluste des Klägers weder auf vorwerfbare
Behandlungsfehler zurückzuführen sind, noch Beratungs- und/oder
Aufklärungsversäumnisse des Beklagten vorliegen, die geeignet sind, Schmerzensgeld
- / bzw. sonstige Schadensersatzansprüche zu rechtfertigen.
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Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, ob - entsprechend der ärztlichen Stellungnahme
von - das Fehlen der sog. " C 5 Senke" nicht gegen das Vorliegen eines Lärmschadens
spricht, oder die gegenteilige Auffassung des Gerichtssachverständigen zutrifft;
jedenfalls sind auf der Grundlage der gutachterlichen Feststellungen von weder
Behandlungs - noch Aufklärungsfehler des Beklagten ersichtlich oder gar
nachgewiesen, so dass der insoweit beweispflichtige Kläger beweisfällig geblieben ist.
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Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.
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Der Streitwert wird endgültig auf 32.788,71 € festgesetzt.
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