Urteil des LG Duisburg vom 11.07.1986
LG Duisburg (kläger, gefahr, hauseigentümer, dach, haus, fahrzeug, treffen, metzgerei, höhe, unterlassen)
Landgericht Duisburg, 4 S 126/86
Datum:
11.07.1986
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 S 126/86
Vorinstanz:
Amtsgericht Mülheim (Ruhr), 11 C 500/85
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.2.1986 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Mülheim (Ruhr) - 11 C 500/85 - abgeändert und wie
folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.361,25 DM nebst
4 % Zinsen seit dem 30.8.1985 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Beklagte zu 2/3, der Kläger zu
1/3.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung ist zulässig und zum Teil begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte
einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter
Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Denn die Beklagte hätte
Maßnahmen ergreifen müssen, um den Kläger vor der von ihrem Haus ausgehen-den
Gefahr zu schützen.
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Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen ein Hauseigentümer zur Verhütung eines
Dachlawinenschadens treffen muß, bestimmt sich nach objektiven Maßstäben, nämlich
danach "was der normale und gesunde Verkehr" erfordert (vgl. BGH NJW 1955, 300).
Dabei ist davon auszugehen, daß es grundsätzlich dem Passanten
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- Fußgänger oder Kraftfahrer - obliegt, sich und sein Eigentum vor Schäden durch
herabfallende Schneemassen zu schützen (so bereits das Reichsgericht DR 1942,
1759). Für ihn ist es nämlich erheblich leichter, sich vor Schäden zu bewahren, als es
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für den Eigentümer ist, geeignete Maßnahmen zur Schadensverhütung zu
ergreifen. Es ist dem Fußgänger beispielsweise zuzumuten, hin und wieder den Blick
nach oben zu wenden um zu sehen, ob das Herabstürzen von Schneemassen droht. Er
kann der Gefahr auch ausweichen, indem er dicht an den Hauswänden vorbeigeht. Der
Hauseigentümer ist deshalb grundsätzlich nicht verpflichtet, in schneearmen Gebieten
Sicherungsmaßnahmen gegen Dachlawinen zu treffen (vgl. OLG Köln VersR. 1980,
878; Landgericht Krefeld VersR. 1981, 544). Die Kammer hat sich in zwei früheren
Entscheidungen (4 S 198/85 und 4 S 327/85) dieser Meinung angeschlossen.
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Anders ist der Fall jedoch zu beurteilen, wenn besondere Umstände des Einzelfalles
dem Hauseigentümer Veranlassung zu Schutzmaßnahmen gegen eine bestehende
Dachlawinengefahr geben müssen. Das ist dann der Fall, wenn sich etwa eine
Dachlawine durch Schneeüberhang an der Dachschräge ankündigt oder das Dach
besonders steil ist und es deshalb überdurchschnittlich häufig zum Herabfallen von
Schneemassen kommt. Dies gilt erst recht, wenn durch den baulichen Zustand des
Hauses oder Maßnahmen des Hauseigentümers die allgemeine Aufmerksamkeit der
Passanten, die von ihnen grundsätzlich erwartet werden kann, abgelenkt wird. So
verhält es sich vorliegend.
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Das Haus weist eine so ungewöhnlich steile Dachneigung auf, daß in einer
ungewöhnlich schneereichen Zeit wie im Januar 1985 die Gefahr des Abrutschens von
Schneemassen besonders groß ist. Hinzu kommt, daß die Beklagte in diesem Haus
eine Metzgerei betreibt. Dieses Geschäft bringt es nicht nur mit sich, daß eine erheblich
größere Anzahl von Passanten das Haus aufsucht als ein normales Wohnhaus. Die
Aufmerksamkeit der Passanten wird auch durch die Auslagen im Schaufenster der
Metzgerei von der vom Dach drohenden Gefahr abgelenkt.
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Aufgrund dieser besonderen Umstände ist die Beklagte verpflichtet, anders als der
Hauseigentümer eines Wohnhauses mit durchschnittlicher Dachneigung,
Schutzmaßnahmen gegen eine bestehende Dachlawinengefahr zu treffen. Zwar ist sie
nicht verpflichtet, Schneefanggitter anzubringen - dieser Verpflichtung trifft nur einen
Hauseigentümer in schneereichen Gebieten -, sie ist wegen der bestehenden hohen
Eigengefahr auch nicht verpflichtet, das Dach selbst von Schneemassen zu räumen. Es
kann von ihr auch nicht verlangt werden, das Dach von Fachkräften räumen zu lassen,
da dies wegen des dazu notwendigen Aufstellens eines Gerüstes einen hohen
Kostenaufwand erfordert. Es ist ihr aber zuzumuten, nach starkem Schneefall durch das
Anbringen von Warntafeln Dritte von der von ihrem Dach ausgehenden Gefahr zu
warnen. Dies hat die Beklagte im Januar 1985 unterlassen. Dieses Unterlassen führt zu
einem Schadensersatzanspruch des Klägers wegen schuldhafter Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte.
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Der Kläger muß sich jedoch ein Mitverschulden am Zustandekommen des Schadens
gemäß § 254 BGB anrechnen lassen. Denn es war seinem Sohn zuzumuten, sich zu
vergewissern, daß dem Fahrzeug des Klägers an der Stelle, wo er es abgestellt hatte,
keine Gefahr drohte. Dazu gehörte in einem schneereichen Winter auch, daß man prüft,
ob das Fahrzeug nicht durch herabfallende Schneemassen gefährdet wird. In diesem
Zusammenhang ist es allerdings ohne Belang, ob das Fahrzeug im eingeschränkten
Halteverbot stand oder nicht, denn das eingeschränkte Halteverbot dient nicht dem
Schutz der Beklagten, sondern dem Verkehrsfluß auf der .
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Das Mitverschulden des Klägers ist mit 1/3 anzurechnen. Da die Höhe des Schadens
unstreitig ist, hat der Kläger gegen die Beklagte demnach einen
Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.361,25 DM.
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Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß
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§ 284 Abs. 2, 288 BGB. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, daß er die
Beklagte mit Schreiben vom 21.8.1985 zur Zahlung bis zum 29.8.1985 aufgefordert hat.
Die Beklagte befand sich demnach seit dem 30.8.1985 in Verzug.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
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