Urteil des LG Duisburg vom 02.11.1999

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Landgericht Duisburg, 23 S 361/98
Datum:
02.11.1999
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
23. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 S 361/98
Vorinstanz:
Amtsgericht Oberhausen, 33 C 300/98
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.09.1998 verkündete
Urteil des Amtsgerichts Oberhausen - 33 C 300/98 - teilweise
abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte zur
Zahlung von mehr als 596,05 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.05.1998
an den Kläger verurteilt worden ist. Die weitergehende Berufung wird
zurückgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz trägt der
Kläger 90 % und die Beklagte 10 %. Die Kosten der Berufung trägt die
Beklagte. Streitwert für die Berufungsinstanz: Bis zum 21.04.1999:
6.174,80 DM, vom 22.04. bis 28.07.1999: 6.770,85 DM (davon 596,05
DM Hilfsaufrechnung der Beklagten, soweit über sie entscheiden wird),
ab 29.07.1999: 7.542,70 DM (davon 771,85 DM hilfsweise zur
Klagebegründung herangezogener Mietzinsanspruch für Juli 1998).
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I.
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Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger
keine Miete für die Zeit nach dem 31.11.1997 mehr.
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1.
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Zwar haben die Parteien keine Verkürzung der angesichts der Dauer des
Mietverhältnisses ein Jahr betragende Kündigungsfrist vereinbart.
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Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger das diesbezügliche
Angebot der Beklagten vom 30.10.1996 nicht angenommen. Er hat in seinem Schreiben
vom 07.11.1996 vielmehr lediglich ausgeführt, er könne sich unter bestimmten
Voraussetzungen (ordnungsgemäßer Wohnungszustand bei Auszug) vorstellen, bei
Aufkündigung des Mietverhältnisses durch die Beklagte eine Kündigungsfrist von 3
Monaten zu akzeptieren. Durch diese Formulierung stellte er in doppelter Weise klar,
daß er sich noch nicht im von der Beklagten gewünschten Sinne binden wollte. Schon
die Worte "könnte mir vorstellen" drückten aus, daß es lediglich um eine künftige
Möglichkeit, nicht aber um eine sichere Zusage ging. Darüber hinaus machte der
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genante Zeitpunkt "bei Aufkündigung des Mietverhältnisses ihrerseits" nochmals
deutlich, daß der Kläger sich seine Entscheidung noch vorbehielt.
2.
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Jedoch war der Kläger nach Treu und Glauben gehalten, die Beklagte zum 30.11.1997
aus dem Mietverhältnis zu entlassen.
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Der Mieter hat nach Treu und Glauben einen Anspruch auf vorzeitige Entlassung, wenn
er zum einen einen erheblichen Grund für diesen Wunsch hat und zum anderen
entweder einen gleichwertigen Nachmieter stellt oder aber die Neuvermietung
außerordentlich leicht und ohne nennenswerte eigene Aktivitäten des Vermieters
möglich ist. (s. das Beispiel einer bestehenden Warteliste bei Sternel, Mietrecht, Rdz. I
120). Diese Voraussetzungen waren hier zum 01.12.1997 erfüllt.
9
a.
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Ein gewichtiger Grund stand der Beklagten zur Seite. Der Wunsch, in eine altengerechte
Wohnung umzuziehen, ist bei einer alleinstehenden 67-jährigen Mieterin ein solcher,
auch unabhängig von ihrem aktuellen Gesundheitszustand. Entgegen dem Bestreiten
des Klägers ist auch davon auszugehen, daß solche Wohnungen nicht mit einer Frist
von einem Jahr im voraus angemietet werden können, denn aus ihren pflegen die
aktuellen Bewohner nicht mehr mit ordentlicher Kündigungsfrist auszuziehen.
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b.
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Die Neuvermietung wäre auch außerordentlich leicht möglich gewesen. Der Kläger
hätte hierfür nur, wozu er ohnehin und unabhängig vom zivilrechtlichen Ende des
Mietverhältnisses der Parteien gemäß § 4 Abs. 1 WoBindG öffentlich - rechtlich
verpflichtet war, das tatsächliche Freiwerden der Wohnung am 31.10.1997 dem
Wohnungsamt zu melden brauchen. Hätte er dies getan, dann hätte er zum
nächstmöglichen Zeitpunkt einen Nachmieter erhalten.
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Hiervon ist nach der Mitteilung des Wohnungsamtes an das Gericht vom 04.05.1999
auszugehen. Zwar konnte das Wohnungsamt nicht mehr feststelle, wieviele freie
Wohnungen seinerzeit vorhanden waren. Es läßt sich aus seiner Mitteilung aber
ableiten, daß es jedenfalls nennenswert weniger als die registrierten 340
Bewerberhaushalte waren. Das ergibt sich schon aus dem Zahlenverhältnis zwischen
den Bewerbern einerseits und den in der entsprechenden Größenkategorie insgesamt
vorhandenen Sozialwohnungen andererseits. Bei 340 Bewerbern hätte von den
insgesamt vorhandenen 5.600 Wohnungen jede 16. bis 17. frei sein müssen, um eine
Versorgung zu ermöglichen, was illusorisch ist. Dementsprechend schreibt auch das
Wohnungsamt, daß man von einem Überhang der Nachfrage über den Leerstand
ausgehen könne. Bei einer solchen Marktsituation kann mit der erforderlichen Gewißheit
der Schluß gezogen werden, daß der Kläger auch für die Wohnung der Beklagten bei
vorschriftsmäßiger Meldung alsbald einen Nachmieter gefunden hätte.
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Der nächstmögliche Zeitpunkt hierfür war der 01.12.1997. Einen Monat nach der
Schlüsselrückgabe zum 31.10.1997 war dem Kläger zuzugestehen, um von der
Beklagten zu vertretende Veränderungen zu beheben.
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Unstreitig hat die Beklagte eine Isoliertapete angebracht und bei der Entfernung ihres
Teppichbodens den darunter befindlichen vermietereigenen PVC-Boden beschädigt.
Mit dem Zurücklassen ihrer Isoliertapete verletzte die Beklagte ihre mietvertragliche
Pflicht zur rechtzeitigen Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Mit der
Beschädigung des PVC-Fußbodens beschädigte sie außerdem das Eigentum des
Klägers (§ 823 Abs. 1 BGB). Sie haftet ihm daher für die vermögensmäßigen Folgen
dieser nicht ordnungsgemäßen Rückgabe. Diese Folgen bestehen, soweit in diesem
Rechtsstreit von Bedeutung, darin, daß die Wohnung für einen Monat objektiv nicht
vermietbar war (es sei denn, ein Nachmietinteressent wäre zur Übernahme mit den
Veränderungen bereit gewesen, wovon ohne besondere Anhaltspunkte nicht
ausgegangen werden kann). Der Kläger mußte zur Wiederherstellung eines
mangelfreien Zustandes die Isoliertapete entfernen und die betroffene Wand neu
dekorieren sowie den Bodenbelag austauschen lassen. Insbesondere letzteres war
nicht parallel zum Einzug von Nachmietern möglich und verschob damit, da Wohnungen
nicht tageweise, sondern für volle Monate vermietet zu werden pflegen, die
Neuvermietung auf den nächsten Monatsersten. Das Alter des PVC-Bodens ist in
diesem Zusammenhang irrelevant, da es nicht um Ersatz für seine Substanz geht,
sondern um die Zeitverschiebung durch seine Erneuerung. Dass der Kläger die
Arbeiten nicht schon vor dem 01.11.1997 durchführen ließ, geht nicht zu seinen Lasten,
unabhängig davon, wer das Nichtzustandekommen eines früheren Übergabetermins zu
verantworten hat, denn zu einer Rücknahme noch vor dem Ablauf der gesetzlichen
Mindestkündigungsfrist war der Kläger nicht gehalten.
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Ob die vom Kläger behaupteten weiteren Beschädigungen und Veränderungen
(provisorische Steckdosen, fehlende Fußleisten, Bretter am Küchenfenster,
Klinkersteine auf dem Balkon) vorlagen und von der Beklagten zu vertreten sind, kann
auf sich beruhen. Eine längere Wiederherstellungszeit als ein Monat wäre auch für ihre
Gesamtheit nicht anzunehmen.
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3.
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Als offenstehender Mietzins für den Monat November 1997 sind 596,05 DM zu zahlen.
Das ist die Netto-Kalt-Kostenmiete, wie sie sich aus der Wirtschaftlichkeits-berechnung
per Juli 1993 (Bl. 103 d. A.) in Verbindung mit der zum 01.01.1996 vom Kläger selbst
angegebenen Reduzierung der Aufwendungsbeihilfe ergibt. Die Höhe der
Aufwendungsbeihilfe hat der Kläger belegt durch das Schreiben der Wfa vom
30.07.1999 (Bl. 130 d. A.), den in die Wirtschaftlichkeitsberechnung eingesetzten
Kreditzinssatz durch die Kreditunterlagen vom 20.02.1993 (Bl. 128/129 d. A.).
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Vorauszahlungen auf Betriebs-, Heizungs- und Wasserkosten kann der Kläger dagegen
nicht mehr verlangen. Die den Monat November 1997 umfassende Abrechnungsperiode
01.05.1997 bis 30.04.1998 ist seit mehr als einem Jahr beendet. Unter diesen
Umständen kann der Vermieter keine Vorauszahlungen mehr fordern, sondern allenfalls
noch (bei öffentlich geförderten Wohnungen jedoch unter dem Vorbehalt der 12-
monatigen Ausschlußfrist aus § 20 Absatz 3 Satz 4 NMV) den Saldo der Abrechnung
(für alle Sternel, Mietrecht Rdz. III 328).
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4.
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Der hilfsweise aufgerechnete Gegenanspruch der Beklagten auf Erstattung von in der
Vergangenheit überzahlter Kostenmiete besteht nicht. Wie oben 3 ausgeführt, war die
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berechnete und gezahlte Kostenmiete korrekt.
II.
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Die Entscheidung über die Kosten der ersten Instanz folgt aus §§ 92 Abs. 1 ZPO. Die
Kosten der Berufung waren der Beklagten aufzuerlegen, da in der Berufungsinstanz
erstmals vorgetragen wurde, daß es sich um öffentlich geförderten Wohnraum handelt (§
97 Abs. 2 ZPO). ier
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