Urteil des LG Duisburg vom 04.11.1994

LG Duisburg (kläger, klageschrift, höhe, mangel, busfahrer, preis, schaden, fotoapparat, verlust, bus)

Landgericht Duisburg, 4 S 160/94
Datum:
04.11.1994
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 S 160/94
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg-Hamborn, 9 C 747/93
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts
Duisburg-Hamborn vom 21. April 1994 - 9 C 747/93 - teilweise
abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.093,85 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 12. November 1993 zu zahlen.
Im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung
zurückgewiesen.
Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Beklagte und der Kläger
jeweils zur Hälfte.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des Klägers ist zum Teil begründet.
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I.
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Die Beklagte ist gemäß § 651 f Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger den durch das
Abhandenkommen einer Reisetasche auf der Rückreise von Spanien entstandenen
Schaden in Höhe von 1.093,85 DM zu ersetzen.
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Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der
Kammer fest, daß während der von der Beklagten organisierten Reise ein Gepäckstück
des Klägers verlorengegangen ist, daß mithin ein Mangel der Reise im Sinne der §§
651 c, 651 f BGB bejaht werden muß (vgl. Tonner/Münchener Kommentar, 2. Auflage, §
651 f Rd.-Nr. 14, 20 m.w.N.). Sowohl die Zeugen und als auch die Ehefrau des Klägers,
die Zeugin , haben insofern glaubhaft bekundet, daß der Kläger bei Antritt der Rückreise
dem Busfahrer insgesamt drei Gepäckstücke, nämlich drei schwarze Reisetaschen,
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übergeben hat, die der Busfahrer sodann in dem Gepäckabteil des Busses verstaut hat.
Ausweislich der weiteren Bekundung der Zeugin ist erweisen, daß eine der drei in den
Bus verbrachten Gepäckstücke dem Kläger nach Beendigung der Reise nicht mehr
ausgehändigt werden konnte. Für die Richtigkeit der letztgenannten Tatsache spricht,
daß der Kläger versehentlich am Ankunftsort in eine ihm nicht gehörende schwarze
Reisetasche an sich genommen und diese nach Feststellung der Verwechslung an die
Eigentümer, die Zeugen , zurückgegeben hat.
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Steht aber unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte fest, daß während
des Transportes seitens der Klägerin ein Gepäckstück verlorengegangen ist, so muß ein
Mangel der Reise im Sinne der oben genannten Bestimmungen auch dann
angenommen werden, wenn der Kläger seine Tasche möglicherweise selbst in den Bus
geladen hat. Auch in diesem Fall hat er das Gepäckstück dem Busunternehmer zur
Beförderung übergeben.
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Die Beklagte hat diesen Mangel zu vertreten. Denn sie hat nicht dargelegt, daß sie oder
ihre Leistungsträger, für deren Verschulden sie ebenfalls haftet (vgl. Ehrman/Seiler,
BGB, 9. Auflage, § 651 f Rd.-Nr. 3 m. w. N.), alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen
durchgeführt haben, um ein versehentliches Abhandenkommen oder einen Diebstahl
bei einem der mehreren Haltepunkte (Köln, Düsseldorf, Duisburg, Moers, Essen,
Dortmund etc.) zu verhindern (vgl. zum Erfordernis einer Diebstahlssicherung:
Tonner/Münchener Kommentar a.a.O., § 651 f Rd.-Nr. 25). Steht - wie hier - der Mangel
der Reise fest, folgt daraus hinsichtlich des Verschuldens des Veranstalters oder seiner
Leistungsträger eine Beweislastumkehr (BGH NJW 1987, 1938, 1939). Danach hat der
Unternehmer, der mangelhaft geleistet oder sonstwie pflichtwidrig gehandelt und
dadurch aus seinem Gefahrenbereich heraus dem Kunden Schaden zugefügt hat, zu
seiner Entlastung nachzuweisen, daß er die schädigenden Umstände nicht zu vertreten
hat. Es ist sach- und interessengerecht, dieses für das Werkvertragsrecht entwickelten
Grundsätze auf den Reisevertrag als besondere Art des Werkvertrages entsprechend
anzuwenden (vgl. BGH a. a. O.).
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Nach dem unstreitigen Sachverhalt ist der Beklagten ein Organisationsverschulden
vorzuwerfen. Hält ein Reisebus - wie hier - an mehreren Stationen, an denen Reisende
aussteigen und Gepäck mitnehmen, so muß sichergestellt werden, daß nicht fremdes
Gepäck versehentlich oder vorsätzlich mitgenommen wird. Sollte dies durch eine bloße
Überwachung des Busfahrer nicht möglich sein, so können auch statt der hier
ausgehändigten Aufkleber Gepäckscheine ausgehändigt werden, deren eine Hälfte an
den Gepäckstücken befestigt wird und deren andere Hälfte der Reisende erhält und bei
Rücknahme des Gepäcks vorweist. Auch sonstige Sicherungsmaßnahmen, etwa
getrennte Aufbewahrung und Bereitstellung des Gepäcks nach Haltestationen, sind
denkbar. Die Einhaltung derartiger oder vergleichbarer Sicherheitsmaßnahmen, die
dem Veranstalter durchaus zugemutet werden können, hat die Beklagte nicht dargetan.
Gerade weil bei der Anfahrt mehrerer stark frequentierter Stationen in Großstädten, wie
Köln, Düsseldorf, Duisburg und Dortmund durch das jeweilige Bereitstellen von Gepäck
ohne jegliche Sicherungsmaßnahme die Gefahr der Verwechslung oder des Diebstahls
durch unbeteiligte Dritte als ganz erheblich bewertet werden muß, darf ein
Reiseveranstalter auf Sicherungsmaßnahmen nicht verzichten. Die Argumentation der
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Beklagten, die Kunden seien grundsätzlich nicht bereit, nach einer langen Reise
zusätzliche Verzögerungen durch Kontrollmechanismen zu akzeptieren, ist nicht
stichhaltig. Denn zum einen können die Verzögerungen je nach Organisation der
Sicherungsmaßnahmen lediglich geringe Zeit in Anspruch nehmen. Zum anderen
erfolgen sie, worauf die Kunden hingewiesen werden können, im Interesse der
Reiseteilnehmer.
Ein dem Kläger nach § 254 BGB anzulastendes Mitverschulden kann nicht bejaht
werden. Zwar ist zu berücksichtigen, daß er insofern fahrlässig gehandelt hat, als er
eine fremde Tasche am Ankunftsort in mitgenommen hat. Indes steht nicht fest, daß er
durch dieses Fehlverhalten eine wesentliche Mitursache für den Verlust seiner Tasche
geschaffen hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß seine Tasche schon vor der
Station in verschwunden ist. Diesen - bezogen auf das Mitverschulden des Klä-gers -
der Beklagten obliegenden Beweis, kann die Beklagte nicht dadurch führen, daß sie die
insgesamt 11 Gäste, die vor dem Kläger an anderen Haltepunkten ausgestiegen sind
und kein fremdes Gepäckstück entgegengenommen haben, als Zeugen benennt. Denn
im Hinblick darauf, daß der Busfahrer an den einzelnen Haltestellen Gepäckstücke
unkontrolliert vor den Bus stellt und diese dann ohne weitere Sicherungsmaßnahmen
entgegengenommen werden können, kann nicht ausgeschlossen werden, daß
unbefugte Dritte sich das Gepäckstück des Klägers angeeignet haben. Es kann die
Beklagte insofern auch nicht entlasten, daß auch bei umfangreichen
Sicherungsmaßnahmen Diebstähle oder Verwechslungen generell nicht
ausgeschlossen werden können. Denn zumindest könnten durch oben angesprochene
Sicherungsmaßnahmen die Gefahren des Verlustes minimiert werden.
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Der von der Beklagten mithin dem Kläger zu erstattende Schaden beläuft sich auf
insgesamt 1.093,85 DM.
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Einen höhere Schaden hat der Kläger nicht beweisen können.
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Es handelt sich um folgende Positionen:
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1. ein am 22. März 1993 angeschaffter Anorak = 79,00 DM
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2. ein Pullover = 45,00 DM
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3. ein Pullover = 129,00 DM
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4. ein Rock = 98,00 DM
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allesamt im Oktober 1992 angeschafft.
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5. ein Paar am 1. Juni 1993 erworbene Herrensandalen = 49,90 DM
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6. eine am 13. März 1993 gekaufte Herrenhose = 65,95 DM
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7. eine am 4. Februar 1993 erworbene Damenhose = 75,00 DM.
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Die vorgenannten Gegenstände befanden sich nach der insofern glaubhaften Aussage
der Zeugin in der verloren gegangenen Reisetasche. Die Kaufpreise und
Anschaffungsdaten hat der Kläger zudem durch Vorlage von Kaufbelegen bewiesen. Da
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diese Kleidungsstücke allesamt verhältnismäßig neuwertig waren, kommt ein Abzug
neu für alt nicht in Betracht.
Was die in der Klageschrift unter den Positionen 9 bis 12 genannten Kosmetikartikel
anbelangt, die zu Preisen von 32 DM, 60 DM und 28,00 DM angeschafft worden sein
sollen, kann lediglich ein Betrag von 60,00 DM, das ist die Hälfte der vorgenannten
Anschaffungskosten, in Ansatz gebracht werden. Mangels genauer Angaben über den
Zeitpunkt des Erwerbs erscheint es gerechtfertigt, hier einen Abzug in Höhe von 50 %
für evtl. bereits erfolgten Teilverbrauch vorzunehmen.
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Die im Dezember 1992 ausweislich der Bekundung der Zeugin zu einem Preis von
30,00 DM erworbene Kosmetiktasche kann mit dem vollen Betrag berücksichtigt
werden, weil insofern ein Verschleiß noch nicht unterstellt werden kann.
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Was die unter den Positionen 13, 14, 16, 17 und 21 in der Klageschrift genannten
Kleidungsstücke, nämlich zwei Jogginganzüge, sieben Kinder T-Shirts, ein paar
Herrenfreizeitschuhe und ein Paar Damenfreizeitschuhe anbelangt, die allesamt im
Frühjahr 1993 angeschafft worden sein sollen, sieht die Kammer zwar den Verlust durch
die Bekundung der Zeugin als erwiesen an. Indes konnte der Kläger die von ihm
angegebene Höhe der hierdurch entstandenen Schäden nicht beweisen. So konnte der
Kläger die in der Klageschrift genannten Neupreise nicht durch Übergabe von
Kaufquittungen oder ähnlichem belegen, obwohl die Zeugin bekundet hat, daß sie
grundsätzlich für das Finanzamt Anschaffungsbelege für Kleidungsstücke aufbewahre.
Da sich die vorgenannte Zeugin auch nicht im einzelnen an die Anschaffungsdaten und
die Preise erinnern konnte, kann die Kammer die insofern entstandenen Schäden
lediglich gemäß
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§ 287 ZPO unter Berücksichtigung der von dem Kläger mitgeteilten Werte schätzen.
Mangels genauerer Anhaltspunkte spricht die Kammer dem Kläger lediglich die Hälfte
der von ihm angegebenen Beträge zu, das sind 293,00 DM.
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Was den unter Position 15 der Klageschrift genannten Fotoapparat und den unter
Position 18 erwähnten Rasierapparat anbelangt, ist die Kammer nicht davon überzeugt,
daß diese Gegenstände tatsächlich bei der von der Beklagten veranstalteten Reise
verlorengegangen sind. Die Bekundungen der Zeugen und waren ungenau und
widersprüchlich bzw. wenig glaubhaft. So hat die Zeugin zwar bekundet, daß sie einen
Fotoapparat in die letztlich verschwunden Tasche gepackt habe. Die Zeugin konnte
indes keine verläßlichen Angaben machen, die eine genaue Identifizierung bezüglich
Marke, Anschaffungszeit und -preis hätten ermöglichen können. Unverständlich bleibt
ferner, weshalb die Zeugin und der Kläger den angeblich so teuren Fotoapparat nicht in
das Innere des Reisebusses mitgenommen haben.
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Die Aussage des Zeugen, er habe beobachtet, daß die Ehefrau des Klägers einen
Fotoapparat der Marke Cannon Trimar 105 in die später vorlorene Tasche gepackt
habe, ist wenig glaubhaft. Denn der Zeuge konnte auf näheres Nachfragen nicht
konkretisieren, in welche der drei insgesamt von dem Kläger und seiner Familie
verwendeten Gepäckstücke der Apparat verstaut worden sein soll.
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Das gleiche gilt für den unter Ziffer 18 in der Klageschrift genannten Rasierapparat der
Marke Braun. Die Kammer hat trotz entsprechender Bekundungen der Zeugen und
wesentliche Zweifel daran, daß die Kläger überhaupt einen entsprechenden Apparat
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besessen und auf der von der Beklagten veranstalteten Reise verloren hat. Es fällt auf,
daß der Kläger für dieses Gerät, daß er im März 1990 von seiner Schwester erhalten
haben soll, keinen Kaufbeleg vorlegen konnte. Die Behauptung des Klägers, seine
Schwester habe ihm einen entsprechenden Beleg nicht aushändigen können, ist wenig
glaubhaft. Denn bekanntermaßen werden entsprechende "Kassenzettel" benötigt, um
evtl. Garantieansprüche geltend machen zu können. Sie werden deshalb üblicherweise
zumindest das erste halbe Jahr nach Anschaffung sorgfältig verwahrt. Erstaunlich ist
ferner, daß der Kläger auf Nachfragen einräumen mußte, daß er sich kein Ersatzgerät
angeschafft hat, sich vielmehr nunmehr "kalt" rasiere. Die Zeugin hat einen
entsprechende Nachfrage ausweichend dahingehend beantwortet, daß der Kläger sich
ein "einfacheres Gerät" gekauft habe.
Die Bekundung des Zeugen , nach der gemeinsam unternommenen Reise habe er den
ansonsten immer im Badezimmer des Klägers aufbewahrten Apparat nicht mehr
gesehen, ist zu vage, um irgendwelche zuverlässigen Rückschlüsse zu ziehen.
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Den Verlust der von der Zeugin genau beschriebenen schwarzen Faltentasche, die im
Dezember 1992 bei zum Preis von 40,00 DM erworben worden ist und der anläßlich des
streitgegenständlichen Ferienaufenthaltes als Erinnerungsstück zum Preis von 50,00
DM angeschafften Dekorationswaffe sieht die Kammer hingegen als erwiesen an und
berücksichtigt die vorgenannten Preise in Höhe von insgesamt 90,00 DM in vollem
Umfange zu Gunsten des Klägers.
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Der unter Ziffer 20 der Klageschrift schließlich genannte "Nintendo Game-Boy", dessen
Abhandenkommen die Zeugin gleichfalls glaubhaft geschildert hat, kann nur mit der
Hälfte des behaupteten Kaufpreises von 150,00 DM, mithin 75,00 DM berücksichtigt
werden, da mangels genauerer Angaben über den Anschaffungszeitpunkt ein Abzug
"Neu für Alt" in Höhe von 50 % erfolgen muß. Der von dem Kläger bewiesene
Gesamtschaden beläuft sich folglich auf 1.093,85 DM.
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II.
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Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Die Kostenentscheidung findet in den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO ihre
Rechtsgrundlage.
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