Urteil des LG Düsseldorf vom 17.07.2002
LG Düsseldorf: ärztliche verordnung, grobe fahrlässigkeit, fahrzeug, strafakte, sicherheitsleistung, direktor, urinprobe, rechtsmedizin, zustand, subjektiv
Landgericht Düsseldorf, 11 O 396/01
Datum:
17.07.2002
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 O 396/01
Tenor:
In dem Rechtsstreit
hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2002
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die
Sicherheitsleistung kann auch durch die Bürgschaft einer großen
deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist Alleinerbin der am 07.09.2001 verstorbenen Frau M und als deren
Rechtsnachfolgerin in den vorliegenden Rechtsstreit eingetreten.
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Die seinerzeit an Krebs erkrankte Erblasserin sah sich aufgrund der Einnahme starker
Schmerzmittel daran gehindert, Fahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Bis zum
3.10.2000 unterzog sie sich in den R-Kliniken einer Entgiftungsbehandlung u.a. auch
mit dem Ziel, wieder ein Kraftfahrzeug führen zu können.
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Am 16.10.2000 gegen 4.08 Uhr verursachte Frau M auf der A-Straße in W mit ihrem bei
der Beklagten vollkaskoversicherten Fahrzeug BMW mit dem amtlichen Kennzeichen
XXXX, einen Verkehrsunfall, indem sie aus einer Grundstücksausfahrt nach rechts
abbiegend gegen einen auf dem Seitenstreifen geparkten Lkw stieß, anschließend
zurückrollte und dabei gegen einen ebenfalls auf dem rechten Parkstreifen geparkten
Pkw stieß. Wenige Zeit später wurde sie als Fußgängerin unweit der Unfallstelle
angetroffen. Sie wirkte augenscheinlich verwirrt und gab auf der Polizeidienststelle auf
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Befragen die Einnahme von Schmerzmitteln und Hormonpräparaten an. Der am
Fahrzeug der Erblasserin entstandene Schaden beträgt 25.528,19 DM.
Das gegen die Erblasserin eingeleitete Strafverfahren der Staatsanwaltschaft K wegen
fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs wurde am 23.05.2001, nachdem Frau M
für immer auf die Fahrerlaubnis verzichtet hatte, gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Die Beklagte lehnte Versicherungsschutz gemäß Schreiben vom 2.03.2001 ab.
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In dem Rechtsstreit 32 C 13784/01 AG Düsseldorf wurde die Klägerin als
Rechtsnachfolgerin von Frau B zur Zahlung des Betrages von 5.112,92 EUR = 10.000,-
DM an die Beklagte für von dieser getätigte Aufwendungen im Rahmen der
Haftpflichtversicherung verurteilt.
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Die Klägerin trägt vor:
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Nach der durchgeführten Entgiftung und der Entlassung aus der Klinik sei die
Erblasserin davon ausgegangen, ihr Fahrzeug wieder führen zu können und zu dürfen.
Ärztlicherseits sei kein Hinweis erfolgt, dass es noch zu Ausfällen und
Beeinträchtigungen bei der Teilnahme am Straßenverkehr kommen könne.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.528,19 DM nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz gemäß § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes seit dem 02.03.2001
zuzahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor:
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Frau M habe zum Unfallzeitpunkt unter der Einwirkung schwerer Psychopharmaka,
Hypnotika und Sedativa gestanden sei infolgedessen absolut fahruntüchtig gewesen.
Den Schadensfall habe die Erblasserin grob fahrlässig herbeigeführt.
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Die Strafakte CCCCC Staatsanwaltschaft K hat zu Informationszwecken vorgelegen
und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nicht begründet
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Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin der Versicherungsnehmerin M keinen Anspruch
aus dem Kaskoversicherungsvertrag gegen die Beklagte auf Zahlung von 25,528,19
DM. Die Beklagte ist gemäß § 61 WG von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil der
Erblasserin eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vorzuwerfen ist.
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Grob fahrlässig handelt, wer gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in eklatanter
Weise verstößt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem
einleuchten musste. Darüber hinaus muss auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber
einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden vorliegen, das das gewöhnliche Maß
erheblich übersteigt und als schlechthin unentschuldbar anzusehen ist. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Erblasserin ist es als objektiv gravierender Sorgfaltsverstoß anzulasten, auf die auf
dem Seitenstreifen parkenden Fahrzeuge aufgefahren zu sein. Die Fahrzeuge standen
unübersehbar auf dem rechten Seitenstreifen geparkt. Dass Frau M grundlos auf die
parkenden Fahrzeuge aufgefahren ist, lässt sich nur mit einem haarsträubenden
Fahrfehler oder größter Unaufmerksamkeit erklären, die ihren Grund darin hatten, dass
sie infolge der Medikamenteneinnahme fahruntüchtig war. Aus dem Inhalt der
beigezogenen Strafakte ist ersichtlich, dass Frau M ihr Fahrzeug benutzt hat, obwohl sie
Arzneien und Medikamente zu sich genommen hatte, die eine sichere aktive Teilnahme
am Straßenverkehr nicht mehr zuließen.
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Das Fahren ihres Wagens im fahruntüchtigen Zustand muss Frau als subjektiv grob
fehlerhaftes und grob verkehrswidriges Verhalten angelastet werden. Nach der in der
beigezogenen Strafakte enthaltenen chemisch-toxikologischen Untersuchung einer
Blut- und Urinprobe der Erblasserin am 16.10.2000, 5.00 Uhr bzw. 5.30 Uhr, und des
rechtsmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. S, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin
der Universität zu K vom 3.05.2000 wurden im Blut der Genannten insgesamt vier
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zentralnervös wirksame Substanzen in therapeutischer und übertherapeutischer
Konzentration festgestellt. Lediglich zwei der festgestellten Substanzen stehen - so der
Gutachter - im Einklang mit der Angabe einer Medikamenteneinnahme durch Frau M.
Der Ursprung der festgestellten Substanzen Amitriptylin und Diphenhydramin bleibt
offen. Insoweit liegt die Annahme nahe, dass Frau M trotz Abhängigkeit von diesen
Stoffen und durchgeführter Entgiftungstherapie nach wie vor entsprechende
Medikamente, so auch vor dem Unfall, ohne ärztliche Verordnung eingenommen hat.
Auch einem medizinischen Laien ist bewusst, dass die Einnahme mehrerer
zentralnervös wirkender Arzneimittel deren Wirkung wechselseitig verstärken kann.
Davon abgesehen enthalten die den Arzneien beigefügten Produktinformationen
deutliche diesbezügliche Hinweise. Darüber hinaus hatte die Erblasserin die
Medikamente in erheblicher Überdosierung eingenommen.
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Bei dieser Sachlage sind die Voraussetzungen für eine grobe Fahrlässigkeit im
subjektiven Bereich erfüllt, selbst wenn man berücksichtigt, dass Frau M wegen ihrer
gesundheitlichen Situation beeinträchtigt gewesen ist.
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Gerade weil die Erblasserin erst knapp 2 Wochen vor dem Unfall eine
Entgiftungstherapie abgeschlossen hatte, musste ihr das Wirkungsspektrum der
eingenommenen Medikamente für die Teilnahme als Kraftfahrer am Straßenverkehr
bewusst sein. Sie hätte sich bei verstärkter Medikamenteneinnahme - wie geschehen -
rechtzeitig durch geeignete Maßnahmen der Verfügung über das Fahrzeug begeben
müssen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709, 108 ZPO.
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