Urteil des LG Düsseldorf vom 05.02.2002

LG Düsseldorf: akteneinsicht, verletzter, ermittlungsverfahren, beschlagnahme, arrest, gesetzesmaterialien, unverzüglich, straftat, gestatten, benachrichtigung

Landgericht Düsseldorf, X Qs 10/02
Datum:
05.02.2002
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
X. Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
X Qs 10/02
Tenor:
In den Antragsverfahren
hat die X. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf durch XXXXX
am 5.2.2002 beschlossen:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Verfahrensbevollmächtigten
des Antragstellers für den Antragsteller Einsicht in die Ermittlungsakten
der Staatsanwaltschaft Düsseldorf in dem Ermittlungsverfahren gegen T
u.a. - Az.: 28 Js 363/01 - sowie die Besichtigung der amtlich verwahrten
Beweisstücke zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt (§§ 406 e Abs. 4 S. 2,
161 a Abs. 3 S. 3, 473 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 467 Abs. 1, 464 a Abs. 2
Nr. 2 StPO analog).
Gründe:
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Mit Schriftsatz vom 7.12.2001 begehrten die Verfahrensbevollmächtigten des
Antragstellers gemäß § 406 e Abs. 1 StPO Gewährung der Akteneinsicht in dem
genannten Ermittlungsverfahren sowie Gestattung der Besichtigung der amtlich
verwahrten Beweisstücke. Zur Begründung führten sie aus, der Antragsteller
habe als Verletzter ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 406 e Abs. 1 S. 1
StPO, um die ihm aus den dem Mitbeschuldigten T vorgeworfenen Straftaten
erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche in einem gegen diesen bereits
rechtshängigen Wechselprozeß sachgerecht geltend machen zu können.
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Die Antragsgegnerin teilte dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers
unter dem 11.12.2001 mit, umfassende Akteneinsicht werde zwar grundsätzlich
selbstverständlich bewilligt, jedoch nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Da es Hinweise
gebe, daß es neben dem Antragsteller weitere Geschädigte gebe, werde eine
umfassende Akteneinsicht von der Antragsgegnerin erst dann bewilligt, wenn im
Hinblick auf die bereits durchgeführten Zurückgewinnungsmaßnahmen die
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zeitgleiche Benachrichtigung aller Geschädigten nach § 111 e Abs. StPO erfolgt
sei.
Mit Schriftsatz vom 21.12.2001 beantragten die Verfahrensbevollmächtigten des
Antragstellers einen rechtsmittelfähigen Bescheid.
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Mit Schreiben vom 27.12.2001 führte die Antragsgegnerin aus, sie habe bereits
mit dem Schreiben vom 11.12.2001 mitgeteilt, daß Akteneinsicht grundsätzlich
selbstverständlich bewilligt werde, jedoch nicht zum jetzigen Zeitpunkt, wofür in
diesem Schreiben auch eine Begründung gegeben worden sei.
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Unter dem 11.1.2002 hat der Antragsteller beantragt,
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1.
die Antragsgegnerin zu verpflichten, Rechtsanwalt I umfassend für den
Antragsteller Akteneinsicht in die Verfahrensakte zum Aktenzeichen 28 Js
363/01 der Antragsgegnerin, betreffend das Ermittlungsverfahren gegen T
u.a., zu gewähren sowie die Besichtigung der amtlich verwahrten
Beweisstücke zu gestatten.
2.
hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, Rechtsanwalt I insoweit für
den Antragsteller Akteneinsicht in die oben genannte Verfahrensakte zu
gewähren sowie die Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisstücke zu
gestatten, als überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten
oder anderer Personen nicht entgegenstehen und der Untersuchungszweck
nicht gefährdet erscheint.
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Die Antragsgegnerin hat mit Verfügung vom 22.1.2002 beantragt, die Anträge
als unbegründet zurückzuweisen.
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II.
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Der Hauptantrag des Antragstellers ist zulässig und begründet.
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1.
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Der Hauptantrag ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts für die
Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht, nachdem die
Antragsgegnerin die Bewilligung der Akteneinsicht zum begehrten Zeitpunkt
abgelehnt hat, ergibt sich aus §§ 406 e Abs. 4 S. 2, 161 a Abs. 3 StPO.
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2.
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Der Hauptantrag hat auch in der Sache Erfolg.
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Als Anspruchsgrundlage findet § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO Anwendung. Danach
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kann für den Verletzten ein Rechtsanwalt auch bereits im Ermittlungsverfahren
die Verfahrensakten einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen,
soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Nach dem bisherigen
Ergebnis der Ermittlungen ist der Beschuldigte T des Betrugs zum Nachteil des
Antragstellers verdächtig. Dieser ist als Verletzter im Sinne der §§ 406 d ff. StPO
anzusehen.
Ein berechtigtes Interesse an der Gewährung der Akteneinsicht ist hier dargetan,
da der Antragsteller durch Einsicht in die Ermittlungsakten Informationen zur
weiteren Geltendmachung seiner aus der Straftat erwachsenen zivilrechtlichen
Ansprüche gegen den Beschuldigten T in dem vor dem Landgericht Duisburg
anhängigen Wechselprozeß erlangen will. Ein berechtigtes Interesse an der
Akteneinsicht besteht insbesondere, wenn sie bereits der Prüfung der Frage
dienen soll, ob und in welchem Umfang der Verletzte gegen den Beschuldigten
bürgerlich-rechtliche Ansprüche geltend machen kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-
Goßner, StPO, 45. Aufl., § 406 e Rn. 3). Dabei ist auch eine sog. - gegebenenfalls
zivilprozessual unzulässige - Ausforschung (wobei vorliegend vor dem
Hintergrund der ausführlichen Darlegungen des Antragstellers zu dem Vortrag
der Parteien in dem Wechselprozeß bereits fraglich ist, ob hier überhaupt die
Voraussetzungen eines "Ausforschungsbeweises" vorliegen) nach dem Willen
des Gesetzgebers bzw. dem Sinn und Zweck des den § 406 e StPO einführenden
Opferschutzgesetzes vom 18.12.1986 hinzunehmen (vgl. auch OLG Koblenz, NStZ
1990, 604, 605). In der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses wird zu dem
Zweck der Stärkung der Rechte des Verletzten im Strafprozeß ausgeführt, daß
auch die Möglichkeiten, daß das Opfer der Straftat Ersatz
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seines materiellen Schadens erlangt, verbessert werden sollten
(Bundestagsdrucksache 10/6124, S. 2). Eine Verweigerung der Akteneinsicht zur
Verhinderung einer "Ausforschung" würde daher dem vom Gesetzgeber
beabsichtigten Zweck zuwiderlaufen.
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Die Akteneinsicht ist jedoch gemäß § 406 e Abs. 2 S. 1 StPO zu versagen, soweit
überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer
Personen entgegenstehen. Entsprechend dem Normtext ("ist zu versagen") ist
eine sog. gebundene Entscheidung zu treffen; ein Ermessen besteht insofern
nicht (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO - Engelhardt, 4.Aufl.,§406eRn. 3).
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Schutzwürdige Interessen der Beschuldigten, die der Gewährung der
Akteneinsicht zur Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den
Beschuldigten T entgegenstehen, sind hier nicht ersichtlich. Auch überwiegende
schutzwürdige Interessen anderer Personen sind nicht gegeben. Der
entgegenstehenden Auffassung der Antragsgegnerin ist nicht zu folgen.
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Die Antragsgegnerin hat ihre Ansicht im Wesentlichen damit begründet, daß die
Anzahl der Geschädigten noch nicht abschließend geklärt sei, ferner welche
Anlagegelder über welche Zahlungswege geflossen seien und wo der
überwiegende Teil der Beutegelder verblieben sei, so daß bisher von einer
Benachrichtigung Geschädigter (über Beschlagnahme und Arrest betreffend
Vermögenswerte) gemäß § 111 e Abs. 3 StPO abgesehen worden sei. Es sei in
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Vermögenswerte) gemäß § 111 e Abs. 3 StPO abgesehen worden sei. Es sei in
Abstimmung mit den die noch notwendigen Auswertungen vornehmenden
Kriminalbeamten beabsichtigt, die entsprechenden Mitteilungen gemäß § 111 e
Abs. 3 StPO in dieser Woche zu versenden. Eine Akteneinsicht nach § 406 e StPO
würde erst ab dem 12.2.2002 gewährt, wenn die Benachrichtigungen der
Geschädigten gemäß § 111 e Abs. 3 StPO zeitgleich erfolgt seien. Hierdurch solle
vermieden werden, daß sich der Antragsteller unter vom Gesetzgeber
offensichtlich nicht vorgesehener Mithilfe der Antragsgegnerin im Rahmen der
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einen zeitlichen Vorteil verschafft.
Diese Auffassung findet keine Stütze im Gesetz.
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Eine ausdrückliche Regelung des Verhältnisses mehrerer Verletzter untereinander
ist in der Vorschrift des § 406 e StPO nicht getroffen. In Rechtsprechung und
Literatur findet sich - soweit ersichtlich - keine Auseinandersetzung mit dieser
Fallgestaltung. In der Kommentarliteratur findet sich allein der Hinweis, daß
schutzwürdige Interessen "anderer Personen" auch solche anderer Verletzter
sein können (Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 24. Aufl., § 406 e Rn. 9). Auch dort ist
aber bei Aufzählung der schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten und
anderer Personen nur von persönlichkeitsrechtlichen Interessen (z.B. betreffend
den Intimbereich) und von vermögensrechtlichen Interessen (die den Schutz von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen betreffen) die Rede. Das Verhältnis der
Akteneinsichtsrechte mehrerer Verletzter zueinander wird nicht angesprochen.
Auch in den Gesetzesmaterialien zum Opferschutzgesetz vom 18.12.1986
(Bundestagsdrucksachen 10/5305 und 10/6124) findet sich kein Hinweis auf diese
Problemkonstellation.
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Die von der Antragsgegnerin in Bezug genommene gesetzliche Regelung der sog.
Zurückgewinnungshilfe in den §§ 111 b ff. StPO - insbesondere die Pflicht zur
Mitteilung der Anordnung der Beschlagnahme und des Arrestes an den Verletzten
nach § 111 e StPO - sowie die von ihr angeführte höchstrichterliche und
obergerichtliche Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Zulassung der
Arrestvollziehung gemäß § 111 g Abs. 2 StPO und der Vollstreckungsrangfolge
mehrerer Verletzter (BGH, DRsp Nr. 2000/3619 = WM 2000, 1054; OLG Hamm, NJW-
RR 2000, 1008) stützt die Auffassung der Antragsgegnerin indes nicht. Nach
Auffassung des BGH habe der Gesetzgeber durch die Regelungen der §§111 b ff.
StPO das Verhältnis mehrerer Verletzter untereinander nicht regeln wollen (BGH
aaO Rn. 23; vgl. auch OLG Düsseldorf, NStZ 1992, 203; Dittke, wistra 1991, 209,
210). Die genannte zivilgerichtliche Judikatur, die den Einfluß einer Zulassung
einer Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gemäß § 111 g Abs. 2 StPO
und die daraus resultierende Rangfolge der Pfändungspfandrechte zum
Gegenstand hat, geht aber von einer bestimmten Rangfolge der Verletzten - wobei
die vollstreckungsrechtlichen Kriterien für die Feststellung der tatsächlichen
Rangfolge hier nicht interessieren - aus. Dies spricht jedoch gerade dafür, daß bei
einer Mehrzahl von Verletzten diese unterschiedliche "Ausgangspositionen" bei
der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche haben können und auch im
Hinblick auf eine begehrte Akteneinsicht nach § 406 e StPO das
vollstreckungsrechtliche Prioritätsprinzip gleichsam Anwendung finden kann und
so schutzwürdige Interessen anderer Personen d.h. anderer Verletzter nach § 406
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e Abs. 2 S. 1 StPO nicht entgegenstehen.
Auch die Regelung der Pflicht zur Mitteilung über die Anordnung der
Beschlagnahme und des Arrestes in § 111 b Abs. 3 StPO spricht für ein
"Prioritätsprinzip" bei der Gewährung der Akteneinsicht für Verletzte. Danach ist
die Anordnung von Beschlagnahme oder Arrest dem Verletzten, soweit er
bekannt ist oder im Verlauf des Verfahrens bekannt wird, unverzüglich mitzuteilen.
In den Gesetzesmaterialien zu den §§111 b ff. StPO heißt es, die Unterrichtung des
Verletzten (nach § 111 e Abs. 3 StPO) solle darauf hinwirken, daß dieser
unverzüglich die ihm eingeräumten Möglichkeiten zur Sicherung oder
Befriedigung aus der Tat erwachsener Ansprüche ausnutzen könne
(Bundestagsdrucksache 7/550, S. 294). Das legt nahe, daß der einzelne Verletzte
schnellstmöglich in die Lage versetzt werden soll, seine Ansprüche gegen den
Beschuldigten geltend zu machen. Dazu korrespondiert, daß der einzelne
Verletzte dann auch, soweit er (auch ohne Mitteilung nach § 111 e Abs. 3 StPO
etwa bereits vorher) entsprechende Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren hat,
Akteneinsicht nach § 406 e StPO vor der Ermittlung etwaiger weiterer Verletzter
erhält und darin auch keine Verletzung schutzwürdiger Interessen anderer
Verletzter im Sinne des § 406 e Abs. 2 S. 1 StPO gesehen werden kann.
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Dies erscheint auch sachgerecht, da etwa in Fällen, in denen es auf die schnelle
Geltendmachung von Ansprüchen wegen der Gefahr des Beiseiteschaffens von
Vermögenswerten durch den Beschuldigten ankommt, es nicht angezeigt
erscheint, den Verletzten (auch soweit es sich um einen Verletzten aus einer noch
nicht vollständig ermittelten Mehrheit von Verletzten handelt) auf ein Tätigwerden
der Strafverfolgungsorgane zeitlich parallel zugunsten aller gegebenenfalls noch
zu ermittelnder Verletzter - und damit mit zeitlicher Verzögerung - zu verweisen.
Vielmehr ist es angemessen, dem einzelnen Verletzten durch sofortige
Akteneinsicht die Möglichkeit zu verschaffen, effektiv und schnell selbst seine
zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Beschuldigten zu verfolgen, damit
gegebenenfalls wenigstens dieser Verletzter seine Ansprüche auch tatsächlich
durchsetzen kann. Schließlich spiegelt sich dies auch in der Regelung des § 111 e
Abs. 4 StPO wieder, wonach bei der Vermutung, daß weiteren Verletzten
Ansprüche zustehen, Beschlagnahme und Arrest im Bundesanzeiger oder auf
andere geeignete Weise bekanntgemacht werden. Dies zeigt, daß auch hier das
Gesetz von einer gegebenenfalls zeitlich gestaffelten Information einzelner
Verletzter ausgeht.
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Dem Verletzten ist somit vorliegend ohne zeitliche Verzögerung Akteneinsicht zu
gewähren. Schutzwürdige Interessen anderer Personen im Sinne des § 406 e Abs.
2 S. 1 StPO, insbesondere anderer Verletzter, stehen nicht entgegen. Daß durch
die Gewährung der Akteneinsicht der Untersuchungszweck gefährdet sein könnte
oder durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, § 406 e Abs. 2 S. 2 StPO,
ist ebenfalls nicht festzustellen.
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