Urteil des LG Düsseldorf vom 23.06.2005

LG Düsseldorf: diebstahl, fahrzeug, versicherte sache, wahrscheinlichkeit, versicherungsnehmer, entwendung, wiederbeschaffungswert, polizei, besitz, sicherheitsleistung

Landgericht Düsseldorf, 11 O 559/03
Datum:
23.06.2005
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vors. Richter am LG Oltrogge
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 O 559/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer großen Bank oder Sparkasse mit Sitz in der
Bundesrepublik Deutschland erbracht werden.
T a t b e s t a n d:
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Der Kläger unterhielt bei der Beklagten für seinen Pkw Renault Megane Scenic mit dem
amtlichen Kennzeichen X eine Kaskoversicherung.
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Der Kläger hatte das Fahrzeug beim Renault-Autohaus X im Wege der Finanzierung
durch die X-Bank erworben. Das Fahrzeug war von dem verkaufenden Renault-
Autohaus als sogenannter Vorführwagen genutzt worden. Der Kläger verlangte von der
Beklagten Kaskoentschädigung für eine angebliche Entwendung dieses Fahrzeugs in
der Nacht vom 20. auf den 21.04.2002 in Dresden. Die Beklagte lehnte die Erbringung
von Kaskoentschädigung mit Schreiben vom 03.06.2003 ab.
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Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Kaskoentschädigung für den von ihm
behaupteten Diebstahl seines Fahrzeuges am 20./21.04.2002.
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Er trägt im Wesentlichen vor:
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Am 20.04.2002 habe er seinen Bruder in Dresden besucht. Er sei abends mit seinem
Bruder Essen gegangen. Auf dem Rückweg vom Restaurant habe der bei der Beklagten
versicherte Pkw noch an der Stelle gestanden, an welchem ihm der Kläger geparkt
habe. Am nächsten Morgen sei das Fahrzeug verschwunden gewesen.
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Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs habe zum Diebstahlszeitpunkt 14.558,00 €
einschließlich MwSt. betragen. Diesen Betrag habe die Beklagte an die finanzierende
Renault-Bank zu zahlen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die X-Bank, X Straße 186, 50931 Köln,
14.558,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor:
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Sie sei von einer Verpflichtung zur Entschädigung frei, weil der Kläger gegen seine
Obliegenheiten gegenüber der Beklagten aus § 7 AKB verstoßen habe.
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Sowohl in dem Fragebogen der Beklagten "Angaben zur Wertermittlung" wie auch
gegenüber der Polizei in Dresden habe der Kläger erklärt, dass er bei dem Erwerb des
Fahrzeugs 2 Schlüssel bekommen habe. Das Fahrzeug sei ausschließlich von ihm
selbst genutzt worden. Zugang zu diesen Schlüsseln habe außer ihm niemand gehabt.
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Indessen sei durch ein Schlüsselgutachten des Sachverständigen X festgestellt worden,
dass es sich bei den vom Kläger vorgelegten beiden Schlüsseln um den vollständigen
Originalsatz zu dem in Rede stehenden Pkw gehandelt habe, dass aber vom
sogenannten Schlüssel Nr. 1 zweimal zu verschiedenen Zeiten, insbesondere in
jüngster Zeit vor dem behaupteten Diebstahl, Nachschlüssel gefertigt worden seien. Es
seien Einspannspuren und Abtastspuren vorhanden. Eine der Abtastspuren sei von
ausgeprägten Gebrauchsspuren überlagert gewesen, so dass nach Fertigung der ersten
Schlüsselkopie noch zwischen 16 bis 100 mal der Originalschlüssel benutzt worden sei.
Die zweite Abtastspur sei nur von ganz schwachen Gebrauchsspuren überlagert
gewesen, was nach den Feststellungen des Sachverständigen bedeute, dass der
Schlüssel nach Herstellung der zweiten Schlüsselkopie nur noch 1 mal bis 15 mal
benutzt worden sei. Daraus zu folgern, dass jedenfalls der zweite Schlüssel nur wenige
Tage vor dem behaupteten Diebstahl gefertigt worden sei.
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Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass Nachschlüssel in der lange
zurückliegenden Besitzzeit des Autohauses X gefertigt worden seien. Der Pkw habe
eine Laufleistung von lediglich 10 km aufgewiesen, als er in den Besitz des Klägers
gelangt sei. Das Fahrzeug sei als sogenannte Tageszulassung zugelassen gewesen.
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Hinzu komme, dass die in der vorgenannten Art gefertigten Schlüsselkopien nicht
geeignet seien, ohne den dazugehörigen Transponder im Schlüsselgriff den Pkw zu
fahren. Ein solcher Transponder könne grundsätzlich auch nicht ohne weiteres kopiert
werden.
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Auch bestreite sie, dass das Fahrzeug tatsächlich entwendet worden sei. Es möge
unterstellt werden, dass der Kläger den sogenannten Minimalsachverhalt, der auf die
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Richtigkeit seiner Diebstahlsbehauptung hindeuten würde, durch Zeugnis seines
Bruders glaubhaft machen könne. Indessen bestehe die erhebliche Wahrscheinlichkeit,
dass der Diebstahl lediglich vorgetäuscht sei. Der Kläger müsse daher den Vollbeweis
für seine Diebstahlsbehauptung führen, wozu er nicht in der Lage sei. In diesem
Zusammenhang sei auf die schon erwähnte Fertigung von Nachschlüsseln zu
verweisen. Auch sei ein Motiv für ein gewolltes und ein Gewinn bringendes
Verschwindenlassen des Fahrzeuges vorhanden. Der Kläger habe seine
Finanzierungsverpflichtung gegenüber der X-Bank zeitnah zu dem behaupteten
Diebstahl des Fahrzeuges nicht mehr erfüllt. Die X-Bank habe die fälligen Raten von
monatlich 323,77 € nicht mehr einziehen können. Es sei zu Lastschriftretouren, zu
Zahlungserinnerungen und zu einer Androhung der Kündigung des Ratenvertrages
gekommen.
Auffällig sei auch, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt des behaupteten Diebstahls
gerade an einem Ort abgestellt worden sei, an dem es üblicherweise nicht geparkt
werde. Es dränge sich geradezu auf, dass der Kläger selbst mit einem der
Originalschlüssel den Pkw zu einem vereinbarten Ort verbracht habe und anderen
Personen den Besitz der Nachschlüssel ermöglicht habe, um sodann die
Originalschlüssel bei der Polizei bzw. bei der Beklagten vorzulegen.
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Im Übrigen belaufe sich der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs einschließlich
Mehrwertsteuer auf lediglich 14.100,00 €.
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Der Kläger tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen. Er trägt hierbei vor, dass er
keine Nachschlüssel gefertigt habe und keine Kenntnis davon, dass ein Dritter ggf.
Nachschlüssel gefertigt habe. Das Ergebnis des von der Beklagten vorgelegten
Sachverständigengutachten X bestreite er ausdrücklich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
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Die Kammer hat Beweis erhoben. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird gleichfalls auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Kaskoentschädigung gemäß
§§ 1 Abs. 1, 49 VVG in Verbindung mit §§ 12, 13 AKB für die von ihm behauptete
Entwendung seines Pkw Renault Scenic am 20./21.04.2002 in Dresden zu.
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Denn dem Kläger ist der Nachweis eines Diebstahls seines Pkw nicht gelungen.
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In der Kraftfahrzeugversicherung trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür,
dass die versicherte Sache ihm tatsächlich entwendet worden ist. Den ihm obliegenden
Beweis erbringt er in der Regel mit dem Nachweis eines Sachverhaltes, der nach der
Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die in den
Versicherungsbedingungen genannte Entwendung zulässt. Im Normalfall genügt also
die Feststellung von Beweisanzeichen, denen hinreichend deutlich das äußere Bild
eines bedingungsgemäß versicherten Diebstahls entnommen werden kann. Für den
vom Versicherungsnehmer zu erbringenden Entwendungsnachweis genügt dabei die
aus einem erforderlichen Mindestmaß an Tatsachen zu folgernde hinreichende
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Wahrscheinlichkeit.
Zu diesem Mindestmaß an Tatsachen gehört, dass der Versicherungsnehmer das
Abstellen des Fahrzeuges zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort und
das Nichtwiederauffinden des Fahrzeuges zu einer bestimmten Zeit an diesem Ort
nachweist. Zugunsten des Klägers geht die Kammer – mit der Beklagten – davon aus,
dass der Kläger den Minimalsachverhalt im vorgenannten Sinne durch das Zeugnis
seines Bruders nachweisen kann. Indessen reicht dieser – unterstellte – Nachweis des
Minimalsachverhalts durch den Kläger nicht aus, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen.
Ist der Versicherungsnehmer in der Lage, den Minimalsachverhalt nachzuweisen, hat
der Versicherer die Umstände darzutun und ggf. nachzuweisen, aus denen sich die
erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass der behauptete Diebstahl lediglich
vorgetäuscht ist. Besteht diese erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung
eines Diebstahls, muss der Kläger für seine Diebstahlsbehauptung den vollen Beweis,
etwa durch die Benennung von Tatzeugen oder gar des Täters/der Täter selber, führen,
um seiner Klage zum Erfolg zu verhelfen.
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Vorliegend besteht aufgrund der Gesamtheit folgende Umstände zur Überzeugung des
Gerichts die erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der vom Kläger behauptete Kfz-
Diebstahl in Wahrheit lediglich vorgetäuscht ist:
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Auffällig ist bereits, dass das Fahrzeug ausgerechnet zu einem Zeitpunkt entwendet
worden sein soll, als der Kläger das Fahrzeug an einer Stelle abstellte, wo es
üblicherweise nicht abgestellt wird, nämlich nicht in Wuppertal, sondern anlässlich
eines Besuches bei seinem Bruder, der im Ausländerwohnheim in Dresden wohnt.
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Verdachterweckend ist auch, dass – wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat
– der Kläger zeitnah zu dem behaupteten Diebstahl des Fahrzeuges seine
Verpflichtungen gegenüber der finanzierenden X-Bank nicht mehr erfüllen konnte: Die
X-Bank konnte die fälligen Raten von monatlich 323,77 € beim Kläger nicht mehr
einziehen, so dass es zu Lastschrift-Retouren, zu Zahlungserinnerungen und zu
Androhung der Kündigung des Ratenvertrages mit dem Kläger kam.
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Starken Verdacht erweckt insbesondere aber, dass nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme von den beiden zum dem Fahrzeug gehörenden Originalschlüsseln,
die der Kläger nach dem behaupteten Diebstahl vorlegen konnte, nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme Nachschlüssel gefertigt worden sind.
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Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen X sind von dem mit "1"
gekennzeichneten Originalschlüssel 2 Nachschlüssel auf unterschiedlichen
Kopierfräsmaschinen unmittelbar hintereinander gefertigt worden, wobei mit dem als
Kopiervorlage dienenden Schlüssel nach beiden Kopiervorgängen maximal 100
Schließvorgänge im Schloss durchgeführt worden sind. Nach den weiteren
Feststellungen des Sachverständigen X ist der Verschluss der beiden Reidenhälften an
dem mit "2" gekennzeichneten Schlüssel nach der Fertigung dieses Schlüssels gelöst
und dann wieder festgedreht worden.
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Aus diesen überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen X, die sich im
Wesentlichen mit den Feststellungen des von der Beklagten vorgerichtlich beauftragten
Sachverständigen X decken – folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger die
Nachschlüssel gefertigt hat oder hat fertigen lassen, die nicht vorliegen. Dass vor oder
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während der Besitzzeit Nachschlüssel ohne Wissen und Zutun des Klägers gefertigt
werden, kann ausgeschlossen werden.
Der Kläger hat das Fahrzeug von dem Autohaus X offenbar als sogenannte
Tageszulassung mit einem ganz geringfügigen Kilometerstand von wenigen km
erworben. Dafür, dass das Autohaus X während seiner Besitzzeit Nachschlüssel
gefertigt haben sollte, bestehen keinerlei greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt
insbesondere deshalb, weil nach den Feststellungen auch des gerichtlichen
Sachverständigen X nach der Fertigung der Schlüsselkopien der Originalschlüssel, von
dem die Kopien gefertigt wurden, maximal noch 100 mal zu Schließvorgängen benutzt
wurden, woraus folgt, dass Kopien kurze Zeit vor dem behaupteten Diebstahl gefertigt
worden sind. Zudem hat der Kläger selber angegeben, er habe die beiden
Originalschlüssel während seiner Besitzzeit keinem Dritten zur Verfügung gestellt.
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Diese vorgenannten Umstände deuten indiziell stark darauf hin, dass der Kläger die
Nachschlüssel kurze Zeit vor dem behaupteten Diebstahl gefertigt hat oder hat fertigen
lassen, damit in seinem, des Klägers, Einverständnis das Fahrzeug weggeschafft
werden kann und er, der Kläger, dennoch nach dem behaupteten Diebstahl – wie
geschehen – beide Originalschlüssel der Beklagten vorweisen kann.
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In diesem Zusammenhang stellt es eine weitere Auffälligkeit dar, dass einer der beiden
Originalschlüssel sowohl nach Feststellung des von der Beklagten eingeschalteten
Sachverständigen X als auch nach der Feststellung des Sachverständigen X am
Schlüsselgriff ("Reide" bzw. "Schlüsselcontainer") geöffnet und wieder verschlossen
wurde; dies deutet darauf hin, dass an dem bzw. mit dem in dem Schlüsselgriff
befindlichen Transponder manipuliert worden ist, um das Fahrzeug wegschaffen zu
können und dennoch nach dem behaupteten Diebstahl die Originalschlüssel vorweisen
zu können.
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Aufgrund der Gesamtheit der vorgenannten Umstände ist das Gericht der Überzeugung,
dass die erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der vom Kläger behauptete
Diebstahl in Wahrheit nur vorgetäuscht wurde, so dass der Kläger gehalten wäre, den
vollen Beweis für seine Diebstahlsbehauptung zu führen, wozu der Kläger erkennbar
nicht in der Lage ist.
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Demzufolge ist die Klage mangels nachgewiesenen bedingungsgemäß versicherten
Diebstahls abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 Satz 1 und 2
ZPO.
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Streitwert: 14.558,00 €.
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