Urteil des LG Düsseldorf vom 22.09.2006

LG Düsseldorf: tarif, zugänglichkeit, gesellschaft, vertrauensschutz, kreditkarte, fahrzeug, wechsel, sicherheitsleistung, vorauszahlung, kaution

Landgericht Düsseldorf, 22 S 473/05
Datum:
22.09.2006
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
22.Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 S 473/05
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. August 2005
verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – 23 C 5341/05 –
abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
G r ü n d e :
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Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird nach § 540 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Entscheidungserhebliche Ergänzungen sind in der
Berufungsinstanz nicht erfolgt.
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Mit der Berufung erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
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Die Berufung ist zulässig.
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Die Beklagte macht geltend, nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes sei ein Unfallersatztarif nur insoweit ein erforderlicher Aufwand zur
Beseitigung des Schadens nach § 249 BGB, als die Besonderheit dieses Tarifes mit
Rücksicht auf die konkrete Unfallsituation einen gegenüber dem Normaltarif höheren
Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertige, weil sie auf Leistungen des
Vermieters beruhe, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und
infolgedessen zur Schadensbehebung erforderlich gewesen sei. Diesbezüglich fehle es
an einem substantiierten Sachvortrag der Klägerin. Diese habe erstinstanzlich allenfalls
pauschale Argumente dafür aufgezählt, die ihrer Auffassung nach für das Erfordernis
des Unfallersatztarifes sprächen.
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Darüber hinaus könne von einer fehlenden Zugänglichkeit eines günstigeren Tarifes im
Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ausgegangen
werden. Insoweit fehle eine ausreichende Darlegung der Kägerin. Diese sei aber
entgegen der Ansicht des Amtsgerichts dafür darlegungs- und beweispflichtig, was sich
unmissverständlich aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ergäbe.
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Das sind die Rügen von Rechtsverletzungen durch das Amtsgericht im Sinne von § 546
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ZPO, die – träfen sie zu – entscheidungserheblich wären, so dass eine formell
ordnungsgemäße Begründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gegeben ist.
Die Berufung ist auch begründet.
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Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz
restlicher Mietwagenkosten nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG nicht zu.
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Nach den im Jahre 2005 ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die in
dem am 14. Februar 2006 verkündeten Urteil (NJW 2006, 1506) nochmals
zusammengefasst und in weiteren Entscheidungen in 2006 ergänzt worden ist, ist ein
Unfallersatztarif zu erstatten, wenn entweder der Aufschlag auf einen günstigeren
Normaltarif wegen konkreter unfallbedingter Mehrleistungen des Vermieters objektiv zur
Wiederherstellung im Sinne von § 249 BGB erforderlich ist oder dem Geschädigten
unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten
sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbarer Anstrengung
auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer
Tarif zugänglich war.
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Obwohl die Kammer mit Hinweisbeschluss vom 31. März 2006 die Klägerin darauf
hingewiesen hat, dass sie entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit darlegungs- und beweispflichtig
ist, fehlt zur ersten Voraussetzung nach wie vor ausreichender Vortrag der Klägerin.
Zwar weist sie zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs im Rahmen einer Schätzung nach § 287 ZPO es nicht notwendig
ist, die Kalkulationsgrundlage des Autovermieters im Einzelnen betriebswirtschaftlich
nachvollziehbar darzulegen, sondern insoweit auch ein pauschaler Aufschlag auf den
Normaltarif möglich ist. Dabei übersieht sie jedoch, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs es zunächst Sache des darlegungspflichtigen Geschädigten ist, im
Einzelnen darzulegen, dass die Besonderheiten des Unfallersatztarifs mit Rücksicht auf
die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der
Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den
Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä.) einen gegenüber dem Normaltarif
höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch
die besondere Unfallsituation veranlasst und wegen konkreter unfallbedingter
Mehrleistungen objektiv erforderlich waren (vgl. Urteil des BGH vom 14. Februar 2006).
Es fehlt jedoch nach wie vor entsprechender Vortrag zum konkreten Fall, d.h. weshalb
hier der Unfallersatztarif mit Rücksicht auf die konkrete im Streit befindliche
Unfallsituation speziell auf die Bedürfnisse der Klägerin zugeschnitten erforderlich im
Sinne des § 249 BGB gewesen sein soll.
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Entgegen dem Vortrag der Klägerin kann nicht festgestellt werden, dass der von ihr
akzeptierte Unfallersatztarif sogar noch unter dem damals erhältlichen Normaltarif
gelegen haben soll. Aus den sowohl von der Klägerin mit Schriftsatz vom 31. Mai 2005
als auch von der Beklagten mit Schriftsatz vom 14. Juni 2005 vorgelegten Ablichtungen
der Seite 31 der Schwackeliste für das Jahr 2003 ergibt sich für das hier fragliche PLZ-
Gebiet 405 für die von der Klägerin reklamierte Preisgruppe G bei der Anmietung für
eine Woche ein Normaltarif zwischen 299,-- und 657,-- Euro inklusive Mehrwertsteuer,
d.h. ein Tagespreis von rund 43,-- Euro bis 94,-- Euro inklusive Mehrwertsteuer. Der von
der Klägerin akzeptierte Tagespreis betrug hingegen rund 160,-- Euro inklusive
Mehrwertsteuer (5.757,94 Euro : 36 Tage).
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Ausreichender Vortrag der Klägerin fehlt ebenfalls zu der alternativen Voraussetzung
der fehlenden Zugänglichkeit zu einem Normaltarif. Für die Frage der Zugänglichkeit ist
auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Dabei können sowohl
objektive als auch subjektive Elemente eine Rolle spielen, wobei es insbesondere für
die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede für den Geschädigten darauf
ankommt, ob ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem
Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif
gehalten ist. Je nach Lage des Einzelfalles kann es auch erforderlich sein, sich nach
anderen Tarifen zu erkundigen und ggfs. ein oder zwei Konkurrenzangebote
einzuholen. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der vom Autovermieter angebotene
Tarif sei derjenige, der auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten sei, rechtfertigt
es nicht, zu Lasten des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherung ungerechtfertigt
überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte
Unfallersatztarife zu akzeptieren (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar
2006). Der von der Klägerin trotz des Hinweises der Kammer erfolgte Vortrag, sie habe
keine Kenntnis über die Tarifgestaltung von Mietwagenunternehmen gehabt; da sie
keine Kenntnis über verschiedene Tarife gehabt und insoweit auch keinerlei Hinweise
bei der Anmietung erfolgt seien, habe sie keine Veranlassung gehabt, sich über andere
Tarife kundig zu machen, reicht entsprechend den Vorgaben des Bundesgerichtshofs
nicht. Schon der recht hohe Tagesmietpreis von rund 160,-- Euro inklusive
Mehrwertsteuer hätte einem vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Geschädigten
die Frage nach einem günstigeren Tarif nahegelegt. Hier kommt noch hinzu, dass es
sich bei der Klägerin um eine GmbH handelt, also einen kaufmännischen Betrieb, der
am Geschäftsleben teilnimmt. Bei einem solchen darf eine gewisse
Geschäftsgewandtheit und Erfahrung in Geschäftsdingen erwartet werden. So dürfte die
Klägerin in ihrem eigenen Geschäftsbereich kaum den erstbesten Vertrag ohne
Preisvergleich abschließen. Dann hat sie dies auch bei der Anmietung eines
Ersatzfahrzeuges auf Kosten eines Dritten zu unterlassen, so dass sie grundsätzlich
verpflichtet war, ein oder zwei Konkurrenzangebote einzuholen. Dass die Klägerin bei
der Anmietung des im Streit befindlichen Mietfahrzeuges in Zeitdruck gewesen war,
kann nicht festgestellt werden. Sie hatte zunächst ein anderes Fahrzeug bei einer
anderen Gesellschaft angemietet und hatte aus eigenem Antrieb aus nicht näher
dargelegten Gründen die Gesellschaft gewechselt. Dass es ihr nicht möglich gewesen
sein soll, vor dem Wechsel zu einer anderen Gesellschaft ein oder zwei
Konkurrenzangebote einzuholen, ist nicht nachvollziehbar.
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Der Einwand der Klägerin, sie habe nicht mit einer Vorauszahlung oder
Sicherheitsleistung belastet werden wollen, ist ebenfalls unzureichend. Entscheidend
ist, ob dem Geschädigten eine Vorfinanzierung, z.B. auch durch Einsatz einer
Kreditkarte oder Stellung einer Kaution, möglich und zumutbar ist (vgl. BGH, NJW 2005,
1933, 1935). Dementsprechend hätte die Klägerin darlegen müssen, weshalb es ihr als
GmbH weder möglich noch zumutbar gewesen sein soll, die Anmietung
vorzufinanzieren oder eine mit Sicherheit vorhandene Kreditkarte einzusetzen. Auf den
diesbezüglichen fehlenden Vortrag der Klägerin ist sie mit Hinweisbeschluss der
Kammer vom 31. März 2006 ausdrücklich hingewiesen worden. Gleichwohl ist
ergänzender Vortrag nicht erfolgt.
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Da entsprechend den obigen Ausführungen bei einer längeren Mietzeit von einem
Normaltarif zwischen 43,-- Euro und 94,-- Euro inklusive Mehrwertsteuer auszugehen
ist, kann mangels entsprechenden Vortrags der Klägerin nicht festgestellt werden, dass
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es ihr nicht möglich gewesen sein soll, einen Wagen für die fragliche Zeit zu einem
Preise von 1.984,98 Euro inklusive Mehrwertsteuer = 1.711,19 Euro ohne
Mehrwertsteuer entsprechend der Erstattung durch die Beklagte hatte anmieten können.
Der von der Klägerin eingewandte Vertrauensschutz ist irrelevant. Zwar war zum
Zeitpunkt der Anmietung durch die Klägerin am 5. Mai 2004 die neue Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs noch nicht bekannt. Dies gilt aber erst recht für die von dem
Bundesgerichtshof im Jahre 2005 entschiedenen Fälle. So erfolgte die Anmietung im
Fall BGH, NJW 2005, 51 im März 1999, im Fall BGH, NJW 2005, 135 im April 2004, im
Fall BGH, NJW 2005, 1041 im Dezember 2002, im Fall BGH, NJW 2005, 1043 im
Januar 2003 und im Fall BGH, NJW 2005, 1933 in den Jahren 2001 und 2002. In all
diesen Fällen hat der BGH trotzdem entschieden, dass der Geschädigte nur unter den
dort aufgeführten Voraussetzungen einen Anspruch auf Ersatz des Unfallersatztarifes
hat. Hätte der BGH entscheidend auf einen Vertrauensschutz bis zu der ersten neueren
Entscheidung Ende 2004 abgestellt, hätte er nicht so entscheiden dürfen, wie er dann
im Jahr 2005 entschieden hat. Alle diese Entscheidungen haben für die betroffenen
Geschädigten eine "Rückwirkung", mit der sie aufgrund der bis dahin erfolgten
Rechtsprechung nicht gerechnet hatten. Dass sich eine Rechtsprechung ändert, gehört
zum allgemeinen Lebensrisiko einer Partei.
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Da bereits der Hauptsanspruch nicht besteht, steht der Klägerin auch nicht der darüber
hinaus geltend gemachte Anspruch auf Freistellung von entstandenen
Rechtsanwaltskosten zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.413,60 Euro.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht
vorliegen, die Entscheidung der Kammer vielmehr in jeder Hinsicht der
höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt.
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