Urteil des LG Düsseldorf vom 16.04.2010

LG Düsseldorf (kläger, höhe, gesellschaft, gesellschafter, nicht wieder gutzumachender schaden, rechte des gesellschafters, zahlung, einkünfte, fristlose kündigung, geschäftsjahr)

Landgericht Düsseldorf, 39 O 200/09
Datum:
16.04.2010
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
39 O 200/09
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 513.963,75 € nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
29.10.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren
vorbehalten.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger macht als Gesellschafter der beklagten Kommanditgesellschaft einen
Entnahmeanspruch wegen der Steuerzahlungen auf seine Einkünfte aus der
Gesellschaft geltend.
2
Die beklagte Kommanditgesellschaft gehört zur AAAAAAA-Unternehmensgruppe, die
sich mit der Initiierung und Durchführung geschlossener Schiffsfonds befasst. Sie ist
Kommanditistin mehrerer Schiffs- und Dachfonds und hat sich für Kredite zu deren
Finanzierung verbürgt. Persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten ist die
AAAAAAA Verwaltungsgesellschaft mbH. Kommanditisten sind die AAAAAAA Holding
GmbH & Co. KG mit einem Kapitalanteil von 103.200,00 €, der Kläger mit einem Anteil
von 55.200,00 € und der Kläger des Verfahrens 39 O 199/09 Bbbbb mit einem
Kapitalanteil von 33.600,00 €. Die Kläger beider Verfahren waren außerdem
Geschäftsführer der Beklagten bis ihnen mit Schreiben vom 30.10.2009 (Anlage B 1)
ihre Abberufung als Geschäftsführer und fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages
mitgeteilt wurde. Zum streitgegenständlichen Entnahmeanspruch enthält der
Gesellschaftsvertrag in § 16 folgende Regelung:
3
"1.
4
Jeder Gesellschafter kann zu Lasten seines Gesellschafterverrechnungskontos
die Auszahlung der Beträge verlangen, die er zur Zahlung, auch
Vorauszahlung, seiner persönlichen Steuern und öffentlichen Abgaben auf
seine Einkünfte aus der Gesellschaft benötigt. Für die Berechnung der auf die
Einkünfte aus der Gesellschaft entfallenden Steuern ist ein Steuersatz von 50 %
maßgebend.
5
2.
6
Darüber hinaus kann jeder Gesellschafter nach Feststellung des
Jahresabschlusses zu Lasten seines Gesellschafterverrechnungskontos die
Auszahlung von 50 % des anteiligen Jahresgewinns verlangen. …
7
3.
8
Darüber hinausgehende Entnahmen bedürfen eines Beschlusses der
Gesellschafterversammlung."
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gesellschaftsvertrag (Anlage TW 1)
verwiesen. Die Kläger beider Verfahren (im Folgenden: die Kläger) sind außerdem
berechtigt, ihre Gesellschaftsanteile aufgrund einer Put-Option der aaaaaaa GmbH &
Co. KG zu verkaufen, wobei der sich aus dem Optionsvertrag ergebende Kaufpreis
streitig ist.
10
Die Einnahmen der Unternehmensgruppe gingen infolge der Finanz- und
Wirtschaftskrise stark zurück. Die Beklagte hatte sich für Darlehen, die anderen
Gesellschaften der AAAAAAA-Gruppe zur Vorfinanzierung des Kommanditkapitals
gewährt worden waren, verbürgt. Unter anderem hatte sie sich für einen Kredit der
Xxxxx an die AAAAAAA GmbH & Co. KG (im Folgenden: CCCC) in Höhe von 47
Millionen Euro verbürgt, der bis spätestens 30.12.2009 zurückzuzahlen war. Die CCCC
war weder zur Rückzahlung bis zum 30.12.2009 in Höhe von 44.047.000,00
valutierenden Kredits noch zur Zahlung der am 10.12.2009 fälligen Zinsen in Höhe von
642.609,02 € in der Lage. Weiterhin hatte sich die Beklagte für einen Kredit der Xxxxx
an die AAAAAAA GmbH & Co. KG (im Folgenden: cccc) in Höhe von 43 Millionen Euro
verbürgt. Der Kredit war zum 30.12.2009 zurückzuzahlen und valutierte zu diesem
Zeitpunkt in Höhe von 38.137.860,00 €. Außerdem hatte sich die Beklagte für einen
Kredit der Xxxxx an die dddddd GmbH & Co. KG (im Folgenden: eeee) in Höhe von
17,125 Millionen Euro verbürgt, der bis spätestens zum 30.06.2009 zurückzuzahlen war.
Zum 30.06.2009 valutierte der Kredit in Höhe von 13 Millionen Euro. Die dddd war zur
Rückzahlung nicht in der Lage.
11
Den Klägern waren bis zum Jahre 2008 die Entnahmen nach § 16 Nr. 1 des
Gesellschaftsvertrages nach der Gewinnmitteilung ausbezahlt worden. Im Kalenderjahr
2008 und 2009 erhielten die Kläger Vorauszahlungen zur Begleichung ihrer
Steuervorauszahlungen; der Kläger dieses Verfahrens erhielt im Jahre 2008
Vorauszahlungen in Höhe von 138.000 € und im Jahre 2009 in Höhe von 161.718,75 €.
Dem Kläger wurden für das Jahr 2008 gemäß Schreiben des Steuerberaters der
Beklagten fffff vom 03.09.2009 (ffff) ein steuerlicher Ergebnisanteil aus den Einnahmen
der Beklagten im Geschäftsjahr 2008 in Höhe von 1.303.926,15 € zugerechnet.
12
Seit Erhalt dieses Schreibens korrespondierten die Parteien über die Entnahme des
Klägers zur Begleichung der Steuerschuld für seine Einkünfte aus der Gesellschaft im
Jahre 2008 und die Vorauszahlungen auf seine Steuern für das Geschäftsjahr 2009.
Unter anderem ließ der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten mit Anwaltsschreiben
vom 23.09.2009 (ffff) mitteilen, die Gesellschaft habe die zur Erfüllung ihrer
gesellschaftsvertraglichen Zahlungsverpflichtungen erforderlichen Maßnahmen
getroffen, so dass einem Abruf von 50 % der Beträge abzüglich geleisteter
Vorauszahlungen "zum 30. November 2009 nichts im Wege steht". Der Kläger ließ den
Entnahmebetrag mit Anwaltsschreiben vom 23.09.2009 für das Geschäftsjahr 2008 auf
513.963,75 € und für das Geschäftsjahr 2009 auf 490.245,00 €, jeweils unter Abzug der
Vorauszahlungen beziffern (ffff). Mit Schreiben vom 26.10.2009 (fff) verlangte der Kläger
die Überweisung bis zum 28.10.2009. Die Xxxxx teilte mit Schreiben vom 29.09.2009 (B
2) mit, dass die bestehende Haftungsmasse bis zur vollständigen Erfüllung sämtlicher
Verpflichtungen der Beklagten in den Gesellschaften zu belassen sei und keine
Liquiditätsausschüttungen an Kommanditisten/Gesellschafter erfolgen dürften. Unter
Berufung auf dieses Schreiben ließ die Beklagte mit Schreiben vom 23.10.2009 (fff f)
mitteilen, dass sie die Auszahlungen nur veranlassen werde, wenn sich die Xxxxx einer
Auszahlung nicht entgegen stelle. Im Schreiben vom 28.10.2009 (fff) vertrat die Beklagte
die Auffassung, dass die Entnahmeforderung erst nach Vorlage der Steuerbescheide
fällig sei. Die Beklagte bat die Xxxxx mit Schreiben vom 04.12.2009 (Konvolut B 2)
mitzuteilen, ob sie der Zahlung der Entnahmeansprüche der beiden Kläger zustimme.
Die Xxxxx wies darauf mit Schreiben vom 11.12.2009 (Konvolut B 2) auf die
Notwendigkeit hin, die bestehende Haftungsmasse bis zur vollständigen Erfüllung aller
eingegangenen Verpflichtungen in den Gesellschaften zu belassen, Ausschüttungen an
Gesellschafter zu unterlassen und eine Verfügung zu Lasten des Kontos der Beklagten
bei der Xxxxx unter Bezugnahme auf die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
enthaltenen Pfandrechtsregelungen nicht zuzulassen.
13
Im Schreiben vom 17.12.2009 (K 15) verlangte die Xxxxx die Erstattung eines
Sanierungsgutachten als Grundlage für weitere Finanzierungsentscheidungen. Weiter
heißt es in dem Schreiben:
14
"Abschließend teilen wir Ihnen mit, dass die in unserem Hause geführten
laufenden Konten der AAAAAAA Treuhandgesellschaft mbH & Co. KG und der
AAAAAAA Konzeptions- und Emissionsgesellschaft mbH zur freien Verfügung
stehen."
15
Die Beklagte schlug unter anderem als Reaktion auf dieses Schreiben mit Schreiben
vom 18. Dezember 2009 (K 14) vor, die überfälligen Zinszahlungen der CCCC aus den
für die Begleichung der Entnahmeansprüche der Kläger bereit gestellten Mitteln zu
zahlen. Am 21.12.2009 fand ein Gespräch der Xxxxx mit den Parteien statt, in dem das
weitere Vorgehen geklärt werden sollte. Ob und wie sich die Vertreter der Xxxxx zu den
von den Klägern geltend gemachten Entnahmeansprüchen geäußert haben, ist
zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte vertrat im Schreiben vom 22.12.2009 an
die Xxxxx die Auffassung, es sei offen geblieben, ob das Verfügungsverbot der Xxxxx
über die Konten bestehen bleibe (Anlage AG 26 des Verfahrens 39 O 219/09). Die
Xxxxx ließ mit Anwaltsschreiben vom 07.01.2010 (AG 27) mitteilen, dass man sich
verständigt habe, dass das operative Geschäft der AAAAAAA nicht durch
Insolvenztatbestände beeinträchtigt werden solle, weshalb sie geduldet habe, dass von
den Konten der Beklagten die Mittel abgingen, die für den laufenden operativen
16
Geschäftsbetrieb unentbehrlich notwendig seien. Sie habe stets klargestellt, dass
gesellschaftsinterne Überweisungen nicht bedient würden. Das gelte für
Aufsichtsratsvergütungen ebenso wie die nicht durch die operative Tätigkeit veranlasste
Vergütung der Gesellschafter, insbesondere für Gewinnausschüttungen. Sie habe stets
deutlich gemacht, dass Zahlungsabflüsse an die Gesellschafter in keinem Fall geduldet
würden. Im Anwaltsschreiben vom 10.02.2010 beschrieb sie die Vereinbarung zwischen
der Xxxxx und der Beklagten zur Verfügung über die Konten der Beklagten bei der
Xxxxx dahin, dass zwischen der Xxxxx und der Beklagten ein Gentlemen’s Agreement
bestanden habe, wonach während der Vorbereitung und Bearbeitung des
Sanierungsgutachtens nur und ausschließlich Zahlungen von dem Konto der Beklagten
bei der Xxxxx erfolgen dürften, die für das operative Geschäft der AAAAAAA zwingend
notwendig seien, um eine Insolvenz zu vermeiden und es keinen Mittelabschluss
zugunsten von Gesellschaftern der AAAAAAA-Gruppe geben dürfe.
Die Kläger beider Verfahren erwirkten am 23.12.2009 einen Arrestbefehl und
Pfändungsbeschluss, in dem zur Sicherung ihrer Entnahmeansprüche für das Jahr 2008
in Höhe von 347.095,25 € für den Kläger Bbbbb und 513.963,75 € für den Kläger die
Forderungen der Beklagten auf ihrem Konto bei der Xxxxx gepfändet wurden. Die
hiergegen unter Berufung auf ihr Pfandrecht gerichtete Drittwiderspruchsklage der
Xxxxx ging wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung in dieser Sache beim
Landgericht ein.
17
Hinsichtlich der Steuerzahlung für das Geschäftsjahr 2009 teilte der Steuerberater der
Beklagten dem Finanzamt mit Schreiben vom 03.12.2009 (B 3) mit, dass die Einnahmen
der Gesellschaft in einem näher bezeichneten Umfang zurückgegangen seien, worauf
das Finanzamt mit Bescheid vom 03.12.2009 die Vorauszahlungen des Klägers für das
vierte Quartal unter Aufrechterhaltung der Vorauszahlungen für die drei
vorangegangenen Quartale auf null setzte. Mit Steuerbescheid vom 16.02.2010 setzte
das Finanzamt für das Jahr 2008 unter Zugrundelegung der im Schreiben der zzzz vom
03.09.2009 genannten Einkünfte des Klägers aus der Gesellschaft nach Anrechnung
der geleisteten Vorauszahlungen eine bis zum 01.04.2010 zu leistenden Nachzahlung
in Höhe von 390.331,42 € fest.
18
Die Kläger beider Verfahren verlangen die nach Abzug der Vorauszahlungen noch
offenen Entnahmebeträge in Höhe von 50 % der ihnen zugerechneten Einkünfte der
Gesellschaft. Sie machen geltend, wegen der Pauschalierung der Entnahmebeträge auf
50 % der Einnahmen sei der Betrag unabhängig vom Erlass der Steuerbescheide fällig.
Die Höhe richte sich nach § 16 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages und nicht nach der
tatsächlichen Steuer. Die erhaltenen Vorauszahlungen für das Jahr 2009 sei nicht
anzurechnen, da das Finanzamt nach Herabsetzung der Vorauszahlung die bereits
geleisteten Vorauszahlungen nicht an die Kläger zurückerstattet habe.
19
In der Besprechung vom 21.12.2009 habe der Vertreter der Xxxxx gggg sinngemäß
geäußert, er wolle die Frage, ob die Entnahmen der Kläger akzeptiert würden, nicht
ohne anwaltlichen Rat beantworten. Der Verhandlungsführer hhhh habe jedoch erklärt,
die Entscheidung über die Zahlung der Entnahme sei Sache der Geschäftsführung der
AAAAAAA. Die zuständige Sachbearbeiterin kkkkk habe mitgeteilt, dass die Konten frei
seien.
20
Die Beklagte verfüge auch über ausreichende Liquidität zur Bedienung der
Forderungen. Der gesamte Zahlungsverkehr werde problemlos abgewickelt. Die Xxxxx
21
mache fällige Darlehensrückzahlungsansprüche gegen andere Unternehmen der
Gruppe nicht geltend, sondern prolongiere diese. Sie zahle monatlich 119.000,00 €
brutto als Honorar auf einen Beratervertrag mit der nicht operativ tätigen AAAAAAA AG,
auf den seit Sommer letzten Jahres weder Beratungs- noch sonstige Dienstleistungen
erbracht worden seien. Darüber hinaus seien zwischenzeitlich Aufsichtsratsvergütungen
gezahlt worden.
Der Kläger hat ursprünglich im Wege des Urkundenprozesses die Zahlung der
Entnahmebeträge für 2008 und 2009, letzteren berechnet auf der Basis des für das Jahr
2008 ermittelten Gewinnanteils, in Höhe von insgesamt 1.004.208,75 € (513.963,75 €
für 2008 und 490.245,00 € für 2009) verlangt. Nachdem die Vorauszahlungen für das
Steuerjahr 2009 mit Vorauszahlungsbescheid vom 03.12.2009 reduziert worden sind,
hat er den Rechtsstreit in Höhe von 490.245,00 € für erledigt erklärt und beantragt,
22
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 513.963,75 € nebst Zinsen in Höhe von acht
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.10.2009 zu zahlen.
23
Die Beklagte widerspricht der Erledigungserklärung und beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Die Beklagte hält den Urkundenprozess für unstatthaft und macht geltend, die
Entnahmeansprüche für das Jahr 2008 seien nicht fällig. Die Entnahmeansprüche
bestünden nach § 16 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages nur, wenn die Beträge zur
Steuerzahlung "benötigt" würden, was erst mit Erlass des Steuerbescheides und Ablauf
der im Steuerbescheid bestimmten Zahlungsfrist der Fall sei. Die Nachzahlung für das
Jahr 2008 werde daher erst am 01.04.2010 fällig; ein Steuerbescheid für 2009 liege
noch nicht vor.
26
Außerdem seien die Kläger wegen ihrer Treuepflicht gehindert, etwaige Ansprüche
geltend zu machen oder seien jedenfalls auf die im Steuerbescheid festgesetzten
Beträge beschränkt. Ende 2009 habe eine schwache Liquiditätslage der Beklagten
bestanden. Es habe die Inanspruchnahme aus den Bürgschaften gedroht. Die Beklagte
könne sich dem Verlangen der Xxxxx, Liquiditätsausschüttungen an Gesellschafter zu
unterlassen nicht widersetzen ohne unmittelbar ihre Existenz zu gefährden. Die Xxxxx
habe in ihrem Schreiben vom 11.09.2009 angekündigt, von ihrem Pfandrecht Gebrauch
zu machen und Verfügungen zu Lasten des Kontos nicht zuzulassen. Über andere
Konten, über die die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche befriedigt werden
könnten, verfüge die Beklagte nicht. Ihr Konto bei einer anderen Bank weise keine
hinreichende Deckung auf. Die Xxxxx habe wegen des Eintritts der Bürgschaftsfälle ein
Pfandrecht am Konto, weshalb Ausschüttungen an Gesellschafter nicht möglich seien.
Sie lasse lediglich betriebsnotwendige Zahlungen zu.
27
Nach Fälligkeit der von der CCCC geschuldeten Zinsen am 10.12.2009 habe die Xxxxx
die Beklagte unter Hinweis auf die Bürgschaftsverpflichtung aufgefordert, umgehend für
einen Ausgleich der dadurch bedingten Kontoüberziehung der CCCC zu sorgen. Am
14. und 16.12.2009 habe die Xxxxx angewiesene Zahlungen im Hinblick auf die fälligen
Bürgschaftsverpflichtungen nicht ausgeführt. Mit Dr. xxxxx sei telefonisch vereinbart
worden, dass betriebsnotwendige Verfügungen der Beklagten zur Aufrechterhaltung des
Geschäftsbetriebes und zur Vermeidung der Insolvenz nur zugelassen würden, wenn
die fehlende Deckung auf dem Konto der CCCC ausgeglichen würde, worauf die
28
Beklagte am 23.12.2009 entsprechende Beträge auf das Konto der CCCC umgebucht
habe. Bei Inanspruchnahme aus der Bürgschaft müsse die Beklagte Insolvenz
anmelden. Die Xxxxx habe das operative Geschäft der AAAAAAA
Unternehmensgruppe jedoch nicht durch Insolvenztatbestände beeinträchtigen wollen,
weshalb es zu einer faktischen Stillhaltevereinbarung gekommen sei. Die Xxxxx dulde,
dass bei der Antragstellerin von deren Konten die Mittel abgingen, die für den laufenden
operativen Geschäftsbetrieb unentbehrlich notwendig seien. Sie habe aber stets betont,
dass Bedingung ihres Stillhaltens sei, dass die Haftungsmasse der Gesellschaft nicht
angetastet werde, insbesondere keine Entnahmen der Gesellschafter erfolgen dürften.
Im Gespräch am 21.12.2009 habe die Xxxxx als Voraussetzung einer Begleitung der
Sanierung die Zahlung der am 10.12.2009 fällig gewordenen, von der CCCC
geschuldeten Zinsen vereinbart. Ferner habe eine Gesamtlösung zwischen den
Gesellschaftern unter Berücksichtigung unter anderem der Put-Option der Kläger
gefunden werden sollen. Hinsichtlich der Frage der Bedienung der Entnahmeansprüche
der Kläger habe der Geschäftsführer der Beklagten unkommentiert die Erklärung von
Herrn Dr. xxxx wiedergegeben, dass Zahlungen im Rahmen des normalen
Geschäftsbetriebes nur zugelassen würden, wenn sichergestellt sei, dass die Beklagte
für den Ausgleich der fälligen Zinsen der CCCC Sorge trage und keine
Vermögensminderungen durch Verfügungen zugunsten der Gesellschafter stattfinden
würden. Daher hätte der Versuch der Umsetzung des Auszahlungsverlangens der
Kläger den Wegfall des Stillhalteabkommens und damit die Insolvenzantragspflicht der
Beklagten begründet.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen dieser Akte sowie der am gleichen Tag
verhandelten Verfahren 39 O 199, 218 und 219/09 verwiesen.
30
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31
Die Klage ist in dem jetzt noch geltend gemachten Umfang bis auf einen Teil der Zinsen
begründet; dagegen ist der erledigte Teil unbegründet.
32
I. Der Urkundenprozess ist statthaft.
33
Der Urkundenprozess setzt voraus, dass sämtliche zur Begründung des Anspruchs
erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können (§ 592 ZPO).
Allerdings bedürfen unstreitige Tatsachen nicht des Urkundenbeweises (Zöller-Greger,
ZPO, § 592 Rdnr. 11). Alle entscheidungserheblichen Tatsachen für den weiter
verfolgten Klageanspruch sind unstreitig oder durch Urkunden belegt.
34
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus § 16 Nr. 1 des Gesellschaftervertrages einen
Anspruch auf Auszahlung einer Entnahme in Höhe von 513.963,75 € zur Zahlung seiner
Steuern auf seine Einkünfte aus der Gesellschaft.
35
1.)
36
Durch das Schreiben des Steuerberaters der Beklagten vom 03.09.2009 (xxx) steht fest,
dass dem Kläger für das Geschäftsjahr 2008 Einkünfte aus der Gesellschaft in Höhe von
1.303.926,15 € zuzurechnen sind, die der Kläger unstreitig zu versteuern hat, so dass
dem Grunde nach gemäß § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages ein Anspruch auf
37
Entnahme der Beträge besteht, die der Kläger zur Zahlung seiner persönlichen Steuern
auf seine Einkünfte aus der Gesellschaft benötigt.
2.)
38
Der Entnahmeanspruch ist seit September 2009, spätestens jedoch seit Erlass des
Steuerbescheides vom 16.02.2010 fällig, denn spätestens ab dem zuletzt genannten
Zeitpunkt "benötigt" der Kläger die Mittel, so dass an dieser Stelle offen bleiben kann, ob
der Entnahmeanspruch bereits vor Erlass des Steuerbescheides fällig wird. Er wird
jedenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt fällig; der Auffassung der Beklagten,
Fälligkeit trete erst mit Ablauf der im Bescheid genannten Zahlungsfrist ein, kann nicht
gefolgt werden. Der Steuerpflichtige, hier der Kläger, ist nämlich ab Erlass des
Steuerbescheides berechtigt und verpflichtet, die festgesetzten Zahlungen zu leisten.
Der Zahlungstermin bezeichnet lediglich den Zeitpunkt, ab dem der Kläger in Verzug
gerät und gegebenenfalls die Zwangsvollstreckung eingeleitet wird.
39
3.)
40
Der Entnahmeanspruch besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 16 Nr. 1 Satz 2
des Gesellschaftsvertrages für das Jahr 2008 in der eingeklagten Höhe, nämlich in
Höhe von 50 % der Einnahmen abzüglich der für 2008 geleisteten Vorauszahlungen.
Die Beklagte hat den Anspruch der Höhe nach nicht bestritten, weil sie weder
abweichende Beträge der dem Kläger zuzurechnenden Einnahmen noch der tatsächlich
geleisteten Vorauszahlungen genannt hat, so dass offen bleiben kann, ob der fehlende
Widerspruch gegen die vom Kläger vorgerichtlich bezifferten Ansprüche als
Anerkenntnis zu werten sind.
41
4.)
42
Die Treuepflicht der Kläger als Gesellschafter der Beklagten steht weder der
Geltendmachung des Entnahmeanspruchs entgegen noch führt sie zu einer
Herabsetzung der Beträge, zum Beispiel auf die tatsächlich festgesetzte
Steuernachzahlung in Höhe von 390.331,42 €.
43
a)
44
Allerdings ist das Kapitalentnahmerecht nicht grenzenlos; die Grenze des
Kapitalentnahmerechts ergibt sich aus der Treuepflicht. Ein Gesellschafter darf sein
Entnahmerecht ausnahmsweise nicht oder nur teilweise ausüben, wenn ansonsten der
Gesellschaft ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht (Ehricke
in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 122 Rdnr. 34). Ob die von den Klägern
beider Verfahren geltend gemachten Beträge von 347.095,25 € des Klägers Bbbbb und
513.963,75 € des Klägers angesichts eines fälligen Kreditvolumens von mehr als 95,8
Millionen Euro und eines Finanzierungsvolumens in darüber hinausgehender Höhe
überhaupt so ins Gewicht fallen kann, dass gerade die Geltendmachung dieser Beträge
das Überleben der Beklagten gefährdet, mag dahinstehen. Jedenfalls gebietet die
Treuepflicht einen Verzicht auf die Geltendmachung von Entnahmeansprüchen nur,
wenn dies dem Gesellschafter zumutbar ist. Da nämlich die Verwehrung des
Kapitalentnahmerechts ihrerseits wieder eine Beschneidung der Rechte des
Gesellschafters darstellt, setzt die Einschränkung des Entnahmerechts voraus, dass
neben der Gefahr für den Bestand der Gesellschaft es dem jeweiligen Gesellschafter
45
angesichts seiner wirtschaftlichen Lage auch zuzumuten ist, zumindest zeitweilig auf die
Ausübung seines Entnahmerechts zu verzichten (Ehricke a.a.O.). Hierzu ist das
Interesse der beklagten Gesellschaft am Überleben mit den Interessen der Kläger
abzuwägen. Die Belastung des Gesellschafters mit den aus sonstigen Einkünften zu
tilgenden Steuern darf nämlich keine unzumutbare Höhe erreichen (OLG Karlsruhe NZG
2003, 429, 430). Anders als in dem vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen
Fall, in dem es um einen Betrag von 3.627,00 DM für zwei Steuerjahre ging, ist es den
Klägern nicht zuzumuten, einen sechsstelligen Betrag aus sonstigen Einkünften
vorzufinanzieren, die sie ausweislich der Steuerbescheide ohnehin nicht in
nennenswerter Höhe haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Klägern aus
steuerrechtlichen Gründen die Einkünfte der Gesellschaft als eigenes Einkommen
zugerechnet werden, ohne dass diese tatsächlich als Gewinne an sie ausgeschüttet
worden sind. Wirtschaftlich sind die Steuern damit vor Ausschüttung der Gewinne der
Beklagten zuzurechnen.
b)
46
Die Treuepflicht führt auch nicht dazu, dass der Entnahmeanspruch abweichend von der
Regelung in § 16 Nr. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages auf die tatsächlich
festgesetzte Steuer ermäßigt wird. Dagegen spricht schon die eindeutige Regelung im
Gesellschaftsvertrag. Da sich die Beklagte letztlich darauf beruft, wegen des
Pfandrechts der Xxxxx mangels verfügbarer Liquidität nicht zur Zahlung in der Lage zu
sein, wird nach ihrem Vortrag ihr Überleben ohnehin nicht durch die Differenz zwischen
den festgesetzten Steuern und der pauschalierten Entnahme gemäß dem
Gesellschaftsvertrag, sondern durch jegliche Zahlung an ihre Gesellschafter gefährdet.
Davon abgesehen ist die Differenz zwischen dem pauschalierten Entnahmeanspruch
und den festgesetzten Steuern in Relation zu den Gesamtverbindlichkeiten der
Beklagten nicht so erheblich, dass allein daran das Überleben der Beklagten scheitern
würde.
47
5.)
48
Der Anspruch ist auch nicht durch eine hilfsweise Aufrechnung der Beklagten mit dem
Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlungen für 2009 nach Herabsetzung der
Vorauszahlung durch das Finanzamt erloschen. Das Gericht geht nach dem Schriftsatz
der Beklagten vom 11.03.2010 davon aus, dass sie an der ursprünglich geltend
gemachten Hilfsaufrechnung nicht mehr festhält.
49
Die Beklagte hat jedenfalls keinen Anspruch auf Rückforderung überzahlter
Vorauszahlungen. Zum einen sind die von der Beklagten erhaltenen Vorauszahlungen
nicht höher als die vom Finanzamt festgesetzten Vorauszahlungen. Zum anderen würde
ein Rückzahlungsanspruch voraussetzen, dass die von der Beklagten geleisteten
Vorauszahlungen mit den tatsächlich vom Finanzamt festgesetzten Vorauszahlungen
abzugleichen sind und eine etwaige Überzahlung zu erstatten ist. Dafür ist keine
Grundlage ersichtlich, weil der Pauschalierung des Entnahmeanspruchs nach § 16 Nr. 1
Satz 2 zu entnehmen ist, dass die tatsächliche Höhe der vom Steuerpflichtigen
gegenüber dem Finanzamt geschuldeten oder bezahlten Steuern gerade nicht relevant
sein soll. Das gilt auch für Vorauszahlungen. Damit besteht nur ein
Rückzahlungsanspruch, wenn nach endgültiger Feststellung des Gewinns und
Zurechnung des Ergebnisanteils fest steht, dass die erhaltenen Vorauszahlungen den
Anspruch des Klägers aus § 16 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages übersteigen. Da der
50
Ergebnisanteil für das Jahr 2009 noch nicht ermittelt wurde, steht das noch nicht fest.
6.)
51
Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die
Beklagte ist seit dem 29.10.2009 in Verzug.
52
Der Entnahmeanspruch ist mit der Mitteilung des Ergebnisanteils des Klägers im
Schreiben der Steuerberater der Beklagten vom 03.09.2009 fällig geworden. § 16 Nr. 1
des Gesellschaftsvertrages enthält keine Regelung zur Fälligkeit des
Entnahmeanspruchs. Da der Anspruch der Höhe nach einerseits nicht von der
Steuerfestsetzung abhängen soll, mithin von der tatsächlichen Zahlungspflicht losgelöst
ist, andererseits aber nur die "benötigten" Beträge verlangt werden können, ist die
Regelung dahin auszulegen, dass die Auszahlung fällig wird, sobald die Gesellschafter
zur Steuererklärung in der Lage sind und Gelder zur Erfüllung ihrer Steuerpflicht bereit
halten müssen. Das ist mit der Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen der Fall.
53
Die Beklagte ist durch die im Schreiben vom 28.10.2009 zu sehende
Erfüllungsverweigerung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Verzug geraten.
54
Der Kläger kann nur Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
gemäß § 288 Abs. 1 BGB verlangen, weil der Entnahmeanspruch kein Entgeltanspruch
im Sinne des Absatzes 2 ist.
55
III. Hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils ist die Klage unbegründet.
56
Nachdem sich die Beklagte ausdrücklich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen
hat, sondern dieser widersprochen hat, ist die einseitig gebliebene
Erledigungserklärung als Antrag festzustellen, da der Rechtsstreit in der Hauptsache
erledigt ist, anzusehen. Dieser Antrag ist unbegründet, weil der Kläger auch bis zum
Erlass des angepassten Vorauszahlungsbescheides vom 03.12.2009 keinen
Entnahmeanspruch in der anfänglich eingeklagten Höhe hatte. Ein Entnahmeanspruch
für das Jahr 2009 in Höhe von 490.425,00 € hat er weder urkundlich belegt noch ist ein
solcher Anspruch fällig.
57
Als (endgültiger) Entnahmeanspruch ist der Anspruch unbegründet, weil ein dem Kläger
zuzurechnendes Unternehmensergebnis mindestens in der Höhe wie 2008, das der
Kläger seiner Berechnung zugrundegelegt hat, nicht urkundlich belegt worden ist. Es
gibt keine Urkunde, aus der sich ergibt, dass im Jahre 2009 ein Gewinn in dieser Höhe
entstanden ist. Im Übrigen wäre der endgültige Entnahmeanspruch, wie an anderer
Stelle bereits dargelegt, erst nach Mitteilung des Jahresergebnisses und des dem
Kläger zuzurechnenden Anteils fällig.
58
Der Kläger konnte den Anspruch auch nicht als Vorauszahlung auf seine Steuern
verlangen. § 16 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages enthält keine Regelung, wie
Vorauszahlungen zu berechnen sind. Unklar ist, wie die bisherigen Vorauszahlungen
berechnet wurden. Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Vorauszahlungsanspruch in Höhe
von 50 % des voraussichtlichen Ergebnisanteils verlangt werden kann, weil
Steuervorauszahlungen quartalsweise zu leisten sind, mithin nur Teilbeträge "benötigt"
werden. Selbst wenn jedoch von einem sofort fälligen Vorauszahlungsanspruch in Höhe
des voraussichtlichen Jahresbetrages auszugehen sein sollte, würde das voraussetzen,
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dass voraussichtlich ein dem Kläger zuzurechnender Ergebnisanteil in der angesetzten
Höhe entstehen wird. Daran fehlt es. Eine Übertragung des Ergebnisses des Vorjahres
kommt nicht in Betracht, weil die Einnahmen der Gesellschaft auch nach der Bewertung
der Kläger im Jahre 2009 deutlich zurückgegangen sind.
IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 4, 711 ZPO. Da
die Beklagte dem geltend gemachten Anspruch widersprochen hat, ist ihr nach § 599
ZPO die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.
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Soweit die nachgelassenen Schriftsätze neuen Vortrag enthalten, war keine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung erforderlich, weil die Klage unabhängig
von dem neuen Vortrag begründet ist und der Vortrag der Beklagten keine andere
Entscheidung rechtfertigt.
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Streitwert: 1.004.208,75 €.
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Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung führt nicht zu einer Ermäßigung des
Streitwerts.
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