Urteil des LG Düsseldorf vom 29.02.2008

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Landgericht Düsseldorf, 15 O 234/06
Datum:
29.02.2008
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 O 234/06
Tenor:
Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 32.129,46 € nebst
Zinsen i.H.v. 5 % Zinsen seit dem 29.12.2006, Zug um Zug gegen
Übertragung von 40.000 Stück XXXXX sowie weitere 6.600,00 € nebst
Zinsen i.H.v. 5 % Zinsen seit dem 29.12.2006, Zug um Zug gegen
Übertragung von 3.000 Stück ´XXXX zu zahlen.
Die Klage gegen den Beklagten zu 2) wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers
werden dem Kläger zu 15 % und dem Beklagten zu 1) zu 85 % auferlegt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt der Kläger.
Seine eigenen außergerichtlichen Kosten trägt der Beklagte zu 1) selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger aber nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete
Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern
nicht der Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz wegen der Verletzung von
Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Aktienkäufen.
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Der Beklagte zu 1) war der Direktor der XXXX mit Sitz in Ratingen. Die Firma wurde von
der XXXX mit Sitz in England übernommen, die ebenfalls eine Repräsentanz in
Ratingen unterhielt (nachfolgend: XXXX), deren Direktor der Beklagte zu 1) war. Der
Beklagte zu 2) war seit dem 08.03.2001 der Niederlassungsleiter der XXXX. Ihm war
Einzelprokura erteilt. Gegen die XXXX wurde am 01.11.2005 das Insolvenzverfahren
eröffnet. Geschäftszweck der Gesellschaften war die Suche auf dem Meeresboden nach
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Schätzen in versunkenen Schiffen. Das Geschäftskapital verschafften sie sich durch den
Vertrieb von XXXX, also nicht börsennotierter Geschäftsanteile. Die Kundenanwerbung
geschah mit Hilfe von Telefonverkäufern, die die Kunden unaufgefordert zu Hause
anriefen und zum Erwerb der Aktien bewegten.
Der Kläger tätigte in den Jahren 2000 bis 2004 mehrere Aktienkäufe und erwarb dabei
XXXX im Wert von insgesamt 38.729,46 €. Der erste Aktienkauf fand am 03.05.2000
statt.
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Der Kläger behauptet, er sei über die speziellen Risiken des Erwerbs nicht
börsennotierter Papiere nicht aufgeklärt worden und von den Telefonverkäufern der
Ratinger Niederlassung mit falschen Versprechungen zu den Käufen überredet worden.
Man habe ihm exzellente Gewinne in Aussicht gestellt und ihm jeweils versichert, dass
der Börsengang unmittelbar bevorstehe. Er habe nicht gewusst, dass es sich bei den
Aktien um reine Optionen gehandelt habe und diese höchstens einen fiktiven Wert
besessen hätten. Einen Prospekt, der über Risiken aufklärte, habe er nicht erhalten. Er
ist der Ansicht, der Prospekt hätte ohnehin nicht den Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Aufklärung genügt. Die Beklagten hätten als Direktor bzw. Prokurist
für das aufklärungswidrige Verhalten einzustehen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn 32.129,46 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %
Zinsen seit dem 29.12.2006 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung von 40.000
Stück XXXX der XXXX, Certificate Number ####
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und darüber hinaus
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 6.600,00 € nebst
Zinsen i.H.v. 5 % Zinsen seit dem 29.12.2006 zu zahlen, Zug um Zug gegen
Übertragung von 3.000 Stück XXXX der XXXX, Certificate Number ####
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte zu 1) ist der Auffassung, es sei englisches Recht anzuwenden. Er
behauptet, der beabsichtigte Börsengang sei intensiv vorbereitet worden, dann aber aus
anderen Gründen gescheitert. Nach der Vertriebsorganisation seien Verkaufsgespräche
mit interessierten Anlegern stets erst zwei Wochen nach der Zusendung der
Verkaufsprospekte geführt worden. Der Erst-Zeichnungsschein sei mit dem
Verkaufsprospekt dabei fest verbunden gewesen.
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Der Beklagte zu 2) behauptet, weder Prospekterstellung und -inhalt noch die
Verkaufsgespräche seien in seinen Verantwortungsbereich gefallen. Seine
Zuständigkeit habe lediglich in der Leitung der Organisationsabläufe der Niederlassung
gelegen. Einen Prospekt habe der Kläger erhalten, wie er auch selbst auf dem
Zeichnungsschein bestätigt habe.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nur gegenüber dem Beklagten zu 1) begründet.
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Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Nach
dieser Vorschrift kann der Verletzte bei grenzüberschreitenden Delikten verlangen, dass
das Recht des Erfolgsortes Anwendung findet. Dies ist vorliegend deutsches Recht, da
die Rechtsgutsverletzung im Inland eingetreten ist, wo der Kläger die
streitgegenständlichen Zahlungen an die XXXX bzw. XXXX erbracht hat. Dagegen
findet die Ausnahmebestimmung nach Art. 41 EGBGB keine Anwendung. Dessen
Voraussetzung, wonach von der eben geschilderten Anknüpfungsregel abgewichen
werden kann, wenn der zu beurteilende Sachverhalt eine wesentlich engere
Verbindung zu einem anderen Recht aufweist, ist nicht gegeben. Ein Zusammenhang
mit englischem Recht besteht lediglich unter dem Aspekt, dass der Kläger Aktien einer
englischen Firma, der XXXX, erwarb. Auch das Regelbeispiel des Art. 41 Abs. 2 Br. 1
EGBGB liegt mangels einer besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung nicht
vor.
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Der Beklagte zu 1) haftet persönlich nach § 826 BGB für die Versäumnisse der XXXX
und der XXXX im Rahmen der Aufklärung des Klägers.
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Den Anforderungen, die nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher
Rechtsprechung an die Aufklärung der Kunden bei riskanten Anlagegeschäften gestellt
werden, wurde in keiner Weise genügt. Der Vermittler von ungewöhnlichen
Anlagegeschäften, die mit besonderen, über das übliche Maß hinausgehenden Risiken
behaftet sind, muss seine Kunden über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und
Risiken des Geschäfts aufklären. Diese Grundsätze gelten sowohl für
Börsentermingeschäfte als auch für die Vermittlung von hochspekulativen Aktien (u.a.
BGH NJW 1991, 1108; BGH WM 1991, 127 128; BGH WM 1991, 1410, 1411; BGH NJW
1992, 1879, 1880; BGH NJW 1994, 512; BGH NJW 1994, 979; Urteile des Senats, z.B.
vom 07.09.1995 - 6 U 166/94 - und vom 04.09.1997 - 6 U 163/96). Nach diesen
Grundsätzen hat der Vermittler solcher Geschäfte dem potentiellen Kunden ein
zutreffendes Bild von den Gefahren und Chancen der vermittelten Geschäfte in der
Weise zu verschaffen, dass der Kunde seine Investitionsentscheidung sachgerecht
treffen kann. An die Aufklärung sind hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss
sie schriftlich erfolgen. Denn bei schwierigen wirtschaftlichen Zusammenhängen kann
die Aufklärung ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn sie schriftlich erteilt wird (BGH NJW
1991, 1947, 1948; NJW 1992, 1879, 1880; BGHZ 105, 108, 110 f.; Urteil des Senats
vom 07.09.1995 - 6 U 166/94). Dabei muss die Darstellung zutreffend, vollständig,
gedanklich geordnet und auch von der Gestaltung her geeignet sein, einem
unbefangenen Leser einen realistischen Eindruck von den Eigenarten und Risiken
solcher Geschäfte zu vermitteln (BGH WM 1991, 1410, 1411; BGH NJW 1992, 1879,
1880).
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Diese für den Bereich der Vermittlung besonders risikoreicher Terminsoptionsgeschäfte
entwickelten Grundsätze gelten auch für die hier durchgeführten Geschäfte. Es handelt
sich um hochspekulative Geschäfte, eine Art Privatplatzierungen, die den
Terminsoptionsgeschäften hinsichtlich des Risikos nicht nachstehen.
Privatplatzierungsgeschäfte, mit denen Fremdkapital im Wege der Ansprache eines
begrenzten Personenkreises beschafft wird, um so den Gang des Unternehmens an die
Börse zu ermöglichen, sind den Anlegern im Regelfall nicht bekannt. Es besteht hierbei
die Gefahr, dass nicht genügend Kapital aufgebracht wird und der Börsengang scheitert
oder die Gesellschaft aus anderen Gründen unfähig wird, das Kapital zurückzuerstatten.
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Ferner ist dem Anleger eine Kontrolle im Hinblick auf die Wertigkeit seines Anspruches
nicht möglich (OLG Düsseldorf, Urteil v. 08.05.2006, I - 6 U 121/04). Abgesehen davon
barg auch bereits der Geschäftszweck der Unternehmen ein erhebliches Risiko. Selbst
für den Fall, dass tatsächlich Schätze auf dem Meeresboden gefunden werden,
bedeutet dies noch nicht, dass damit auch Gewinne erzielt werden. Zu bedenken ist,
dass die Schätze zerstört oder beschädigt sein oder die Verkaufserlöse bereits durch
hohe Bergungskosten aufgezehrt sein könnten. Auch rechtliche und politische
Schwierigkeiten könnten auftreten.
Den oben geschilderten Anforderungen ist die Aufklärung durch die betroffenen Firmen
nicht gerecht geworden. Die zur Akte gereichten Prospekte vom 10.12.2000 bzw. vom
03.06.2003 sind in zeitlicher Hinsicht für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Relevanz,
da diese offensichtlich erst nach dem ersten Aktienkauf vom 03.05.2000 erstellt wurden.
Die Auskunftspflicht ist jedoch vor Auftragserteilung für das erste Geschäft zu erfüllen
(Pal./Heinrichs, § 280, Rn. 53 a, BGH NJW 1993, 2434). Ein Fehler in der Aufklärung
beim ersten getätigten Geschäft setzt sich bei allen weiteren Aktienkäufen fort. Zu der
Frage, ob dem Kläger stattdessen ein anderer Prospekt zugesandt wurde, hat sich der
Beklagte zu 1) trotz Hinweises in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert. Eine
mündliche Aufklärung war im jeden Fall angesichts des enormen Risikos und der
schwierigen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht ausreichend.
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Ob die Verkaufsprospekte überhaupt an den Kläger versandt worden sind, konnte
dahinstehen. Selbst der Prospekt vom 10.12.2000 enthält keine genügende Aufklärung.
Risikohinweise ohne drucktechnische Hervorhebung finden sich in dem umfangreichen
Prospekt nur im laufenden Fließtext an einer Stelle, an der ein unbefangener Leser nicht
mehr mit solchen Hinweisen rechnen muss. Die umfangreiche Darstellung der
Firmengeschichte der XXXX und ihrer Vorgängergesellschaft erweckt den Eindruck, das
Unternehmen habe über Jahre erfolgreich gearbeitet. Ein eben solcher Eindruck
entsteht auch durch die zu dem Punkt VII. dargestellten "laufenden Projekte". Erst nach
allgemeinen Erläuterungen zu der Rechtsstellung des Aktionärs unter dem
Ordnungspunkt XI "ALLGEMEINES ZUR AKTIE ALS VERMÖGENSANLAGE", folgen
ab Ordnungspunkt XII Nr. 4, ohne jede Hervorhebung, Hinweise auf Risiken bei der
Bergung von Schätzen aus Schiffswracks. Diese werden jedoch durch Formulierungen
wie diejenige, dass "grundsätzlich nicht mit Bestimmtheit davon ausgegangen werden
[kann], dass Aktivitäten oder Bergungsarbeiten erfolgreich sein werden", relativiert. Das
tatsächlich bestehende enorme Risiko der Geldanlage wird ebenfalls beschönigend
dargestellt ("Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der zu erwartende Gewinn
ausbleibt"). Ein erst auf Seite 29 erfolgender Hinweis, "…der interessierte Anleger
(solle) sich bewusst sein, dass er eine höchst spekulative Anlage handelt, mit absolut
höchster Risikostufe", vermag die verharmlosende Grundtendenz des Prospektes nicht
mehr zu beseitigen. Auch eine Belehrung über die Folgen eines gescheiterten
Börsengangs fehlt vollständig.
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Der Beklagte zu 1) hat als Direktor der beiden Firmen für diese nicht erfolgte bzw.
unzulängliche Aufklärung nach § 826 BGB einzustehen. Angesichts seiner
gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten hätte er die hierauf basierenden
Kaufgeschäfte des Klägers verhindern können und müssen (vgl. BGH NJW-RR 2006,
627). Seine geschäftliche Überlegenheit hat er in sittenwidriger Weise missbraucht.
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Im Wege des Schadensersatzes ist der Kläger so zu stellen, wie er ohne die mit den
beiden Firmen geschlossenen Geschäfte gestanden hätte. Damit schuldet der Beklagte
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zu 1) die Erstattung der Kaufpreise für die Aktienkäufe in Höhe der unter dem Antrag zu
1) geltend gemachten Forderung von 38.729,46 € Zug um Zug gegen Übertragung der
erworbenen Anteile der XXXX. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.
Dagegen scheidet eine Haftung des Beklagten zu 2), der nicht zu den Direktoren der
XXXX gehörte, sondern lediglich Niederlassungsleiter dieser Gesellschaft war, aus.
Einen derartig beherrschenden Einfluss des Beklagten zu 2) auf die Geschäftstätigkeit
der Firma, dass er deren unternehmerische Entscheidungen mitgestalten und
beeinflussen konnte, hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Sein Vortrag, der
Beklagte zu 2) sei persönlich mit ihm in Kontakt getreten, ist nicht ausreichend. Auch der
Umstand, dass der Beklagte zu 2) als Direktor auftrat und Schreiben der XXXX mit
dieser Bezeichnung unterzeichnete, stellt noch keinen Nachweis für eine tatsächliche
Einflussnahme auf das Geschäftsgebaren der XXXX dar.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr.11,709 S. 2. 711 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 38.729,46 € festgesetzt.
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