Urteil des LG Düsseldorf vom 16.04.2009

LG Düsseldorf: treu und glauben, unbeschränkte haftung, aktivlegitimation, firma, abtretung, versicherer, reparaturkosten, mittelwert, prozessrecht, transportrecht

Landgericht Düsseldorf, 31 O 9/08
Datum:
16.04.2009
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
31 O 9/08
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-18 U 104/09
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7000,-- € nebst Zinsen in
Höhe von
5 % -Punkten über dem Basiszins seit dem 25.3.2008 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma xx GmbH & Co. KG in Essen aus
abgetretenem und übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen eines
Transportschadensfalles geltend. Im Einzelnen geht es um eine Sendung vom
26.2.2007 an die Firma vv GmbH in München. Der Wert der Sendung wurde mit 7500,--
€ angegeben.
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Die Klägerin trägt vor, aufgrund der von ihr an ihre Versicherungsnehmerin geleisteten
Zahlungen und der von dieser erfolgten Abtretung an sie ergebe sich ihre
Aktivlegitimation. Die Beklagte habe für den durch den Paketverlust entstandenen
Schaden in voller Höhe einzustehen. Aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht in der
Lage sei, den Verbleib der Sendung aufzuklären, folge, dass die Beklagte mangelhaft
organisiert sei. Aus diesem Grund könne sie sich auf Haftungsbeschränkungen nicht
berufen. Der ihr insgesamt durch den Verlust des Pakets, in dem sich die von ihr
angegebenen Uhr mit dem angegebenen Wert befunden habe, entstandene Schaden
belaufe sich auf 7500,-- €.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 7500,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten
über dem Basiszins seit Zustellung der Klage zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Ihre Betriebsorganisation sei
ausreichend, so dass aus diesem Grund die Klägerin von ihr keine unbeschränkte
Haftung verlangen könne. Ein Organisationsverschulden könne die Klägerin ihr nicht
vorwerfen. Schließlich müsse sich die Versenderin ein haftungsausschließendes
Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie die Sendung in Kenntnis fehlender
Schnittstellenkontrollen übergeben habe.
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Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 24.7.2008 Beweis erhoben. Auf das
Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
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Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
11
Die Klage ist, worauf im Termin zur mündlichen Verhandlung im Rahmen der Erörterung
der Sach- und Rechtslage hingewiesen wurde, überwiegend begründet. Die Beklagte
hat für den Verlustschaden gemäß §§ 425 Abs. 1, 435 HGB einzustehen.
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Die Klägerin ist berechtigt, den hier streitigen Schaden geltend zu machen. Ihre
Aktivlegitimation besteht jedenfalls aufgrund einer stillschweigenden Abtretung. Denn
die Überlassung der Schadensunterlagen an den Versicherer zum Zwecke der
Prozessführung, der letztlich für den Ausgleich des Schadens gegenüber dem
Geschädigten verantwortlich ist, hat allein den Sinn, diesen in den Stand zu setzen, die
Ansprüche erfolgreich geltend zu machen. Dazu gehört nach der Vorstellung und dem
Willen wirtschaftlich denkender Parteien erfahrungsgemäß auch, dass dem Versicherer
alle Ansprüche abgetreten werden. Einer ausdrücklichen Erklärung bedarf es hierzu
nicht. Es ist vielmehr von einem konkludenten rechtsgeschäftlichen Verhalten
auszugehen (vgl. BGH NJW 1997, 729).
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Soweit die Beklagte Vortrag zur Bevollmächtigung des Übersenders der
Schadensunterlagen vermisst, ist dies wegen der anwendbaren Grundsätze der
Anscheinsvollmacht nicht schädlich. Welche Unterlagen der Klägerin übersandt
wurden, ergibt sich aus den von der Klägerin überreichten Anlagen; wann diese der
Klägerin überlassen wurden, ist unerheblich.
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Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass
die streitgegenständliche Sendung den von der Klägerin behaupteten Inhalt und Wert
hatten. Die Zeugin Ladewig, an deren Glaubwürdigkeit zu Zweifeln die Kammer keine
Veranlassung hat, hat bestätigt, die streitgegenständliche Sendung mit dem von der
Klägerin behaupteten Inhalt selbst verpackt und an den Fahrer der Beklagten
übergeben zu haben.
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Die Höhe des entstandenen Schadens schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO auf
7000,-- €. Grundlage der Schätzung ist zum einen die schriftliche Aussage des Zeugen
Y, der die von der Klägerin behauptete Reparaturbedürftigkeit der Uhr bestätigte und
ausgeführt hat, dass eine Reparatur der streitgegenständlichen Uhr bei der
Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht ausgeführt werden konnte. Mithin ist von
einem Wert der Uhr von ca. 7400,-- € abzüglich Reparaturkosten in Höhe von ca. 400,--
€ auszugehen, wie der Zeugin Z nach deren Aussage von der Firma vv mitgeteilt wurde.
Der sich ergebende Wert von 7000,-- € ist im Übrigen durch das überzeugende
Gutachten des der Kammer aus anderen Verfahren bekannten zuverlässigen
Sachverständigen aa vom 14.11.2008 bestätigt worden. Denn bei dem Betrag von
7000,-- € handelt es sich um den Mittelwert der vom Sachverständigen aa angegebenen
Wertspanne. Dass von diesem Wert kein Abzug mehr wegen der Reparaturbedürftigkeit
der Uhr vorzunehmen ist, ergibt sich schon daraus, dass der Sachverständige
ausweislich des Beschlusses vom 23.10.2008 (Bl. 81 d.A.) die Reparaturbedürftigkeit
der Uhr bei der von ihm vorgenommenen Wertermittlung zu berücksichtigten hatte.
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Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch der Klägerin nicht mit Erfolg auf zu
ihren Gunsten bestehende Haftungsbeschränkungen berufen. Die Beklagte hat den
vollen Schaden zu ersetzen, da zu unterstellen ist, dass die Verluste durch qualifiziertes
Verschulden ihrer Leute eingetreten sind. Zwar hat die Klägerin nicht, was grundsätzlich
ihr obliegen würde, die Umstände, die auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit der Beklagten
schließen lassen, dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies gereicht ihr aber nicht zum
Nachteil. Wenn auch grundsätzlich der Anspruchsteller derartige Umstände vorzutragen
hat, so trifft andererseits nach dem auch im Prozessrecht anzuwendenden Grundsatz
von Treu und Glauben den Prozessgegner eine Einlassungsobliegenheit für solche
Umstände, die gänzlich außerhalb der Wahrnehmungssphäre der darlegungs- und
beweisbelasteten Partei liegen, dann, wenn ihr die Darlegung möglich und zumutbar ist.
Insbesondere konstatiert die Rechtsprechung im Transportrecht eine Pflicht des
Frachtführers oder Spediteurs, zu seiner Organisation allgemein und zu deren
Befolgung im konkreten Schadensfall vorzutragen, soweit - wie üblich - der Versender
mangels Überblick hierzu nicht in der Lage ist. Soweit der Transportführer dieser
Einlassungsobliegenheit nicht nachkommt, sei es, weil er Einzelheiten nicht offen legen
will oder in Unkenntnis der Umstände nicht kann, spricht eine widerlegbare Vermutung
für qualifiziertes Verschulden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juni 2001, 18 U
235/00).
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An einem entsprechenden Vortrag der Beklagten fehlt es vorliegend. Hiervon ist sie
auch nicht deshalb entbunden, weil nach den Beförderungsbedingungen
Schnittstellenkontrollen als nicht vereinbart gelten. Denn diese Klausel ist bereits wegen
eines Verstoßes gegen § 449 Abs. 2 HGB unwirksam (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom
10.10.2007, Az.: 18 U 69/07).
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Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht aufgrund eines ihr gemäß § 425 Abs. 2
HGB in Verbindung mit § 254 Abs. 1 BGB zurechenbaren Mitverschuldens der
Versenderin eingeschränkt, weil die Versenderin die Beklagte beauftragte, obwohl sie
zumindest hätte wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden
Schnittstellenkontrollen durchführt. Denn die bloße Kenntnis und Billigung der
Transportorganisation der Beklagten für sich allein reicht nicht zur Begründung eines
Mitverschuldens aus (vgl. BGH, Urteil vom 11.9.2008, Az.: I ZR 118/06, OLG Düsseldorf,
Urteil vom 12.11.2008, Az.: 18 U 91/08).
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Der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch keine
Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen, weil sie den über
5000,-- € liegenden Sendungswert nicht angab. Denn die Versicherungsnehmerin der
Klägerin hat den Sendungswert unstreitig mit 7500,-- € deklariert. Aus dieser
Wertangabe ergibt sich zugleich, dass die Klägerin keine Obliegenheitsverletzung
wegen der Übergabe von gemäß Ziff. 3.1 ii der Beförderungsbedingungen der
Beklagten ausgeschlossenen Waren trifft. Denn gemäß Ziff 9.4 Satz 1 der
Beförderungsbedingungen wird für den Fall der Wertdeklaration die Haftung der
Beklagten auf diesen Wert erhöht. Soweit in Ziff. 9.4 Satz 2 der
Beförderungsbedingungen wieder auf die Höchstgrenzen in Ziff 3.1 ii verwiesen wird, ist
dies überraschend und gemäß § 305 c BGB unwirksam.
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Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.
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