Urteil des LG Düsseldorf vom 27.06.2007

LG Düsseldorf: medizinische indikation, endoprothese, synovektomie, implantation, operation, spongiosaplastik, original, abrechnung, gebühr, einbau

Landgericht Düsseldorf, 23 S 22/06
Datum:
27.06.2007
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 S 22/06
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Düsseldorf vom 29.12.2005, Az. 24 C 17074/03, unter Zurück-weisung
des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Der Beklagte wird unter Abweisung der Klage im übrigen verur-teilt, an
die Klägerin 326,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz aus 61,20 € seit dem 01.12.2000 und aus 265,21 €
seit dem 20.07.2001 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:
- die Kosten erster Instanz tragen die Klägerin zu 91 % und der Beklagte
zu 9 %,
- die Kosten zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 90 % und der
Beklagte zu 10 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
I.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug
genommen, Änderungen oder Ergänzungen haben sich in zweiter Instanz nicht ergeben
(§ 540 Abs. 1 ZPO).
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II.
4
1.
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a) Die Berufung, mit der der Beklagte seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag
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weiter verfolgt, ist überwiegend begründet. Der Klägerin, die das amtsgerichtliche Urteil
verteidigt, steht statt des erstinstanzlich zugesprochenen Betrages von 3.382,53 €
lediglich ein Betrag in Höhe von 326,41 € zu. Nur in dieser Höhe sind die ihr gemäß
§ 398 BGB abgetretenen Forderungen des Zedenten Prof. Dr. med. Krauspe aus den
zwischen diesem und dem Beklagten geschlossenen Behandlungsverträgen für die
stationären Behandlungen in der Zeit vom 22.03. bis 05.05.2000 und vom 26.06. –
28.07.2000 begründet.
b) Die Parteien streiten darüber, ob die mit den Gebührenziffern der GOÄ
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2064
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abgerechneten Leistungen aus den Rechnungen vom 10.09.2000 und 13.05.2005 als
selbstständige Leistungen anzusehen sind, oder ob es sich um methodisch notwendige
operative Einzelschritte der Entfernung einer infizierten Kniegelenksendoprothese mit
Einbau einer Interimsprothese und nachfolgender Reimplantation einer
Knieendoprothese handelt.
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Das Amtsgericht hat die mit den angegebenen Gebührenziffern bezeichneten
Leistungen als selbständige Leistungen bewertet und sich dabei auf das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. med. Grifka vom 30.10.2004 gestützt. Dieser Bewertung
kann jedoch lediglich für die Ziffern 34 GOÄ (Rechnung vom 10.09.2000) und
2121 GOÄ (Rechnung vom 13.05.2001) gefolgt werden.
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2.
12
a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ kann der Arzt Gebühren, die nach Absatz 1 Vergütungen
für die im Gebührenverzeichnis genannten ärztlichen Leistungen sind, nur für
selbstständige ärztliche Leistungen berechnen. Auch soweit das Gebührenverzeichnis
eine bestimmte Leistung nicht aufführt, ist die in § 6 Abs. 2 GOÄ vorgesehene
Analogberechnung, d.h. die Heranziehung einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand
gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses, nur für selbstständige ärztliche
Leistungen eröffnet.
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Prinzipiell kommen alle im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen als
selbstständige ärztliche Leistungen in Betracht. Für die Frage, welche von mehreren
gleichzeitig oder im Zusammenhang erbrachten Leistungen selbstständig
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berechnungsfähig sind, ist - neben Berechnungsbestimmungen im
Gebührenverzeichnis selbst - vor allem § 4 Abs. 2 a GOÄ in den Blick zu nehmen. Nach
dieser Bestimmung kann der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere
Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr
nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt auch
nach § 4 Abs. 2 a Satz 2 GOÄ für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis
aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte.
In den dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie) des Gebührenverzeichnisses
vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen werden Inhalt und Tragweite dieses als
Zielleistungsprinzip
"Zur Erbringung der in Abschnitt L aufgeführten typischen operativen Leistungen
sind in der Regel mehrere operative Einzelschritte erforderlich. Sind diese
Einzelschritte methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen
Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung, so können sie nicht gesondert
berechnet werden."
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Amtsgericht nur hinsichtlich der GOÄ-
Ziffern 34 und 2121 darin zu folgen, dass die mit diesen Nummern beschriebenen
Leistungen neben den in Ziffer 2154 GOÄ angesprochenen Operationen vom
28.03.2000 und 27.06.2000 berechenbar sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen
wird insoweit auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
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c) Der Zedent hat mit dem Ansatz der Ziffern 2154 des Gebührenverzeichnisses deutlich
gemacht, dass er die dort beschriebene Operation
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"Entfernung und erneuter operativer Einbau eines endoprothetischen Totalersatzes
eines Kniegelenks (Alloarthroplastik)"
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vorgenommen hat. Die weiteren oben aufgelisteten Gebührenziffern sind daneben nicht
berechenbar. Sie stehen mit der Operation in einem notwendigen Zusammenhang, so
dass es an einer für die Abrechenbarkeit erforderlichen selbstständigen Leistung fehlt.
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Als selbstständige Leistung sind nur solche anzusehen, die wegen einer
eigenständigen medizinischen Indikation vorgenommen werden, und nicht, um beim
Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu
verletzen (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1202; 2006, 933).
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Die von dem Zedenten erbrachten komplexen Operationsleistungen sind also nicht in
ihre Einzelschritte aufzugliedern und letztere, obwohl sie im Verhältnis zur
Komplexleistung nicht selbständige Leistungen darstellen, einzeln zu honorieren. Eine
solche Lösung berücksichtigt nicht hinreichend die grundlegende Unterscheidung
zwischen selbstständigen und nicht selbstständigen ärztlichen Leistungen und lässt
daher außer Betracht, dass die Bewertung der Leistungen im Gebührenverzeichnis nicht
in der Art eines Baukastensystems strukturiert ist (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1202).
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Der Verweis der Klägerin auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW vom
15.11.2006 (IÖD 2007, 70) führt zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Urteil befasst
sich das OVG im Hinblick auf Ziffer 2583 GOÄ mit den Besonderheiten einer Neurolyse
und deren möglicher Abrechnung bei einer Zahnextraktion und kommt zu dem Ergebnis,
es habe eine eigenständige medizinische Indikation hierfür vorgelegen. Derartiges lässt
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sich für die hier fraglichen Leistungsziffern nicht feststellen.
3.
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Vor diesem Hintergrund ist zu den einzelnen Gebührenziffern folgendes festzuhalten:
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a) Ziffer 2029 (Anlegen einer pneumatischen Blutleere oder Blutsperre an einer
Extremität)
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 14 seines Gutachtens vom 30.10.2004
ausgeführt, diese Leistung sei
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"für sich gesehen alleinig medizinisch nicht denkbar und muss zwangsläufig mit
einer weiteren therapeutischen und/oder diagnostischen Leistung verknüpft sein.
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Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass eine eigenständige medizinische Indikation
für diese Leistung nicht vorlag.
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b) Ziffer 2064 (Sehnen-, Faszien- oder Muskelverlängerung oder plastische
Ausschneidung)
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 9/10 seines Gutachtens ausgeführt, diese
Leistung sei Folge der Entscheidung zur Implantation einer Patellaprothesenkompnente
gewesen. Diese Entscheidung werde
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"aus der individuellen patientenspezifischen Konstellation heraus gefällt."
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Damit ist aber in rechtlicher Hinsicht zum Ausdruck gebracht, dass die Leistung in
diesem Fall zur Erreichung des Operationszieles erforderlich war.
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c) Ziffer 2076 (Operative Lösung von Verwachsungen um eine Sehne, als
selbstständige Leistung)
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 7 seines Gutachtens ausgeführt, diese
Leistung sei
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".. in diesem Fall medizinisch konkret notwendig (gewesen), um die
Funktionsfähigkeit des Gelenks wiederherzustellen."
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Damit ist ein methodisch notwendiger operativer Einzelschritt bezeichnet, der eine
gesonderte Abrechnung nicht zulässt.
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d) Ziffer 2112 (Synovektomie in einem Schulter-, Ellenbogen- oder Kniegelenk)
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Unter Synovektomie versteht man die Abtragung der erkrankten Gelenkinnenhaut
(http://de.wikipedia.org/wiki/Synovektomie). Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 8
seines Gutachtens ausgeführt, diese Leistung sei
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".. im konkreten Fall bedingt durch die individuellen Verhältnisse einer
postarthritischen Arthofibrose und (ist) daher für sich medizinisch notwendig."
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Danach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass hier eine eigenständige, von der
Operation losgelöste Indikation zur Vornahme der Synovektomie vorgelegen hat. Die
Leistung ist als Bestandteil der Zielleistung nicht gesondert abrechenbar.
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e) Ziffer 2252 (Umstellungsosteotomie eines großen Knochens mit Osteosynthese
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 9 seines Gutachtens ausgeführt, diese
Leistung stelle
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"... eine Besonderheit dieser konkreten Versorgung dar, welche durch die
präoperative Wackelsteife zum Schutz vor einem Zerreißen der Patellasehne
medizinisch notwendig gemacht wurde."
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Zuvor hatte er aus dem Operationsbericht zitiert:
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"... wird nun der Tibiakopf osteotomiert und die Tuerositas tibiae vorsichtig gelöst.
was ansonsten nur möglich
gewesen wäre auf Kosten einer Ruptur des Ligamentum patellae
nicht im Original)."
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Deutlicher kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass hier eine Leistung zur
Schonung benachbarter Strukturen erbracht worden ist, mithin keine selbstständige
Leistung in dem aufgezeigten Sinn.
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f) Ziffer 2255 (Freie Verpflanzung eines Knochens oder von Knochenteilen
(Knochenspäne)
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 11 seines Gutachtens ausgeführt:
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"Hier wird die autologe Knochenspanplastik zur Auffüllung des Femur- und
Tibiadefektes zur definitiven Prothesenimplantation abgebildet. Die freie
Verpflanzung eines Knochens oder von Knochenanteilen (Knochenspänen)
gemäß Ziffer 2255 nach GOÄ beinhaltet nicht notwendigerweise die
Knochenspanentnahme, da eine derartige Leistung separat unter der Ziffer 2253
GOÄ abgebildet wird. Die Bereitung des Prothesenlagers zur Aufnahme der
Definitiv-Endoprothese ist nicht von der Durchführung einer Spongiosaplastik
abhängig, da eine solide Verankerung auch ohne derartige Maßnahmen gegeben
sein muss, um eine primär belastungsstabile Situation zu erreichen. Prinzipiell ist
daher der Verzicht auf eine Spongiosaplastik sowie die Verwendung von
Knochenzement (Palacos) zur definitiven Defektauffüllung vorstellbar. Die
Durchführung der Spongiosaplastik ist keine methodische Notwendigkeit zur
definitiven Prothesenverankerung. Die Eigenständigkeit der Leistungsziffer
erwächst aus dem konkret gegebenen individuellen medizinischen Erfordernis. Die
vergleichsweise biologisch hochwertigere operative
Verfahrensweise
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Diese Ausführungen belegen, dass zur soliden Verankerung der Definitiv-Endoprothese
entweder Knochenzement oder die biologisch hochwertigeren Knochenspäne
verwendet werden. Damit ist zugleich zum Ausdruck gebracht, dass jede dieser
Maßnahmen notwendiger Zwischenschritt zur Erreichung des Operationszieles ist und
eine gesonderte Berechnung der Ziffer 2255 GOÄ nicht gerechtfertigt ist.
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g) Ziffer 2257 (Knochenaufmeißelung oder Nekrotomie an einem großen
Röhrenknochen
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Der Sachverständige hat hierzu auf Seite 10 seines Gutachtens ausgeführt:
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Im Rahmen von zweizeitigen septischen Knie-TEP-Wechseln werden beim
Ersteingriff (Explantation und Einsetzen einer Interimsprothese) die notwendigen
Vorbereitungen zur späteren Implantation der Endoprothese getroffen, d.h. es
werden nekrotische / infizierte Knochenareale entfernt und das Knochenlager damit
zur späteren Aufnahme der Definitiv-Endoprothese vorbereitet. Die erneute
Säuberung und Curettage der Defektzonen (Knochenaufmeißelung oder
Nekrotomie an einem großen Röhrenknochen) sind damit beim Zweiteingriff nicht
methodisch obligat, sondern erfahren durch den individuellen Verlauf im konkreten
Fall aufgrund der medizinisch vorherrschenden Notwendigkeit den Aspekt einer
einzeln anrechenbaren Leistungsziffer, der durch die besonderen Umstände dieses
speziellen Falles begründet ist."
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Dieser Darstellung ist zu entnehmen, dass für die Implantation der Definitiv-
Endoprothese das Knochenlager frei von nekrotischen / infizierten Knochenarealen sein
muss. Mag solches Material auch bereits bei dem Ersteingriff entfernt worden sein, so
ändert dies nichts daran, dass auch bei dem Zweiteingriff ein "sauberes" Knochenlager
unabdingbar ist. D.h., wenn sich nach dem Ersteingriff erneut eine Infektion gebildet hat
und / oder Gewebe abgestorben ist, gehört es zwingend zu einer Leistung gemäß Ziffer
2154 GOÄ, solche neu entstandenen Defekte zu beseitigen. Es handelt sich um einen –
nicht gesondert berechenbaren - methodisch notwendigen operativen Einzelschritt zur
Erreichung der Zielleistung.
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4.
55
Der Zinsanspruch ist nach Grund und Höhe in zweiter Instanz nicht streitig.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO
nicht vorliegen.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 3.382,53 €.
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