Urteil des LG Düsseldorf vom 05.09.2003

LG Düsseldorf: angemessene entschädigung, form, patentverletzung, patentanspruch, osteosynthese, holz, implantation, einheit, sicherheitsleistung, kunststoff

Landgericht Düsseldorf, 4 O 103/97
Datum:
05.09.2003
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 103/97
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000,00 EUR
vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbe-dingte
Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin
zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht wer-den.
T a t b e s t a n d
1
Mit Vereinbarung vom 9. Februar 1998 ermächtigte der eingetragene Inhaber des
deutschen Patents 40 ####1 (Klagepatent 1, Anlage K 1) und des europäischen Patents
0 ####2 (Klagepatent 2, Anlage K 6), Prof. I, die Klägerin - als seine Lizenznehmerin -
zur Geltendmachung der ihm ggf. wegen Patentverletzung zustehenden Ansprüche auf
Unterlassung und Auskunftserteilung im eigenen Namen und trat ihr die ihm etwaig
gegen die Beklagten zustehenden Schadensersatzansprüche ab. Die Anmeldungen
des Klagepatents 1 und des Klagepatents 2 wurden am 5. März 1992 bzw. 26. Februar
1992 und die jeweilige Erteilung am 16. Juli 1992 bzw. 21. September 1994 bekannt
gemacht. Gegen die Klagepatente wurde von der Beklagten zu 1. Nichtigkeitsklage
erhoben, die inzwischen vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 12. November 2002
(Anlage K 16) abgewiesen wurde. Das Klagepatent 1 betrifft einen Satz zylindrischer
Körper für Osteosynthesearbeiten und das Klagepatent 2 zylindrische Körper mit an der
Außenfläche ausgeformtem Gewinde. Die im vorliegenden Rechtsstreit vornehmlich
interessierenden Patentansprüche 1 der Klagepatente haben folgenden Wortlaut:
2
"Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten, von denen jeder ein in
Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweist,
3
dadurch gekennzeichnet,
4
dass das Gewinde auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der
zylindrischen Körper gleiche Steigung (h) besitzt."
5
(Patentanspruch 1 des Klagepatents 1)
6
"Satz zylindrischer Schrauben mit unterschiedlichen Außendurchmessern,
wobei die Schrauben ein in Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche
ausgeformtes Gewinde aufweisen,
7
dadurch gekennzeichnet,
8
dass trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d) der Schraube, das Gewinde
jeder Schraube gleiche Steigung (h) besitzt, wobei sich die Außendurchmesser
der Schrauben durch derart kleine Beträge unterscheiden, dass bei Anwenden
aufeinanderfolgender Schrauben ein Verletzen der vorher vorhandenen
Gewindegänge nicht eintritt."
9
(Patentanspruch 1 des Klagepatents 2)
10
Die nachfolgende Abbildung (jeweils einzige Figur der Klagepatentschriften
veranschaulicht den Erfindungsgegenstand anhand einer jeweils bevorzugten
Ausführungsform.
11
Die Beklagte zu 1., deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2. ist, stellt her und vertreibt
Titanimplantate (WSI) für Osteosynthesearbeiten. In ihrem Katalog gemäß Anlage K 5
bietet sie auf S. 11 in der nachfolgend wiedergegebenen Weise Pedikelschrauben
sowie Revisions- und Sacralschrauben an.
12
Die im Folgenden abgebildeten technischen Zeichnungen der Beklagten zu 1 (Anlage B
5) veranschaulichen die Schraubengestaltung mit einem sich konisch verjüngenden
Schraubenkern.
13
Die Schrauben verfügen über Gewinde mit gleicher Steigung. In einem neueren Katalog
der Beklagten zu 1. (Anlage K 19) sind die Pedikelschrauben in der nachfolgend
gezeigten Weise dargestellt (S. 14), wobei die Schrauben mit einem Durchmesser von 5
mm goldfarben, von 6 mm silberfarben, von 7 mm grün und von 8 mm rosa sind.
14
Zur Aufnahme der Schrauben bietet die Beklagte außerdem Sortierkassetten an (Anlage
K 5, Seite 15: WSI-Kassette Groß/Klein). Auf Seite 6 des Katalogs gemäß Anlage K 5
heißt es unter der Überschrift "XY" wie folgt:
15
Die Klägerin sieht durch Herstellung und Vertrieb der vorbezeichneten Schrauben ihre
Rechte aus den Klagepatenten verletzt und nimmt die Beklagten deshalb auf
Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadensersatz in Anspruch. Die
Klägerin hat die Beklagten zunächst nur aus dem Klagepatent 1 und sodann auch aus
dem Klagepatent 2 in Anspruch genommen. Wegen der Einzelheiten der
Antragsfassungen wird auf Bl. 2 - 4, Bl. 37 - 39 und Bl. 52 d. GA Bezug genommen. In
der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 1997 hat die Klägerin die Anträge mit der
Maßgabe verlesen, dass der Wortlaut des Unterlassungsantrags jeweils Anspruch 1 des
Klagepatents 2 folgt mit dem Zusatz "Osteosynthesearbeiten".
16
Die Klägerin beantragt damit nunmehr,
17
I.
18
die Beklagten zu verurteilen,
19
1.
20
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter
Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
21
Sätze zylindrischer Schrauben für Osteosynthesearbeiten mit unterschiedlichen
Außendurchmessern, wobei die Schrauben ein in Form einer Schraubenlinie in der
Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweisen,
22
herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu diesen Zwecken
einzuführen oder zu besitzen,
23
bei denen trotz unterschiedlicher Außendurchmesser der Schraube, das Gewinde
jeder Schraube gleiche Steigung besitzt, wobei sich die Außendurchmesser der
Schrauben durch derart kleine Beträge unterscheiden, dass bei Anwenden
aufeinanderfolgender Schrauben ein Verletzen der vorher vorhandenen
Gewindegänge nicht eintritt;
24
2.
25
ihr darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1.
bezeichneten Handlungen seit dem 26. März 1992 begangen haben, und zwar unter
Angabe
26
a.
27
der Herstellungsmengen und -zeiten,
28
b.
29
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten,
Lieferpreisen und Typenbezeichnungen (Schraubenabmessungen) sowie den
Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,
30
c.
31
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten,
Angebotspreisen und Typenbezeichnungen (Abmessungen der jeweiligen
Schrauben) sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Angebotsempfänger,
32
d.
33
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
34
e.
35
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und
des erzielten Gewinns,
36
wobei die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die vor dem 1. Mai 1992
begangenen Handlungen auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt ist;
37
vom Beklagten zu 2. sämtliche Angaben und von beiden Beklagten die Angaben zu
e. nur für die Zeit seit dem 16. August 1992 zu machen sind;
38
II.
39
festzustellen,
40
1.
41
dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten und
in der Zeit vom 26. März 1992 bis zum 15. August 1992 begangenen Handlungen
eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
42
2.
43
dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, allen Schaden zu
ersetzen, der dem Patentinhaber durch die zu I. 1. bezeichneten und in der Zeit seit
dem 16. August 1992 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen
wird.
44
Außerdem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2003
hilfsweise für den Fall, dass eine unmittelbare Patentverletzung nicht vorliegen sollte,
die Verurteilung der Beklagten wegen mittelbarer Patentverletzung beantragt.
45
Die Beklagten beantragen,
46
die Klage abzuweisen.
47
Die Beklagten bestreiten den Verletzungsvorwurf und machen geltend; Anders als die
Klägerin meine, biete die Beklagte zu 1. keine erfindungsgemäßen Sätze von
Schrauben an. Die Schrauben würden keinen zylindrischen Körper aufweisen, da ihr
Kern konisch gestaltet sei. Die Betragsänderung im Außendurchmesser sei mit 1 mm
nicht hinreichend klein im Sinne des Klagepatents 2. Beispielsweise würde beim
Übergang von 5 auf 6 mm die Elastizität des Knochens überfordert, die Bohrung
gesprengt und das Gewinde zerstört.
48
Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen.
49
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und
Anlagen Bezug genommen.
50
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
51
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Beklagten haben von der technischen Lehre
der Klagepatente weder unmittelbar noch mittelbar Gebrauch gemacht.
52
I.
53
Die Klagepatente befassen sich mit einem Satz zylindrischer Schrauben und
dazugehörigen Gewindebohrern.
54
Beide Klagepatentschriften erläutern die den Gegenstand ihrer Patentansprüche
bildende Lehre am Beispiel eines Knochenschrauben- oder Gewindebohrersatzes. Wie
in beiden Beschreibungen eingangs ausgeführt, werden Knochenschrauben meist in
Kombination mit Platten- und Stabsystemen angewendet, um Knochen und
Knochenteile in einer bestimmten Stellung und Ausrichtung zueinander zu fixieren. Die
Klagepatentschriften beschreiben zunächst die herkömmliche, z.B. aus der US-
Patentschrift 4 ####3 bekannte Osteosynthese an Röhrenknochen, bei der eine mit
Löchern versehene Platte mittels Knochenschrauben, die durch diese Löcher
hindurchgreifen, am Knochen fixiert wird. Die Ruhigstellung der Knochen oder
Knochenteile erfolgt durch Anpressen an die Platte mittels der Schraube.
Knochenschrauben werden verankert in Bohrkanälen, in die mit Gewindebohrern ein
Gewinde eingeschnitten worden ist. Die Schraubenköpfe der Knochenschrauben finden
auf der dem Knochen gegenüberliegenden Seite in den angeschrägten
Schraubenlöchern ein Widerlager. Den größten Teil des Haltes finden die
Knochenschrauben dabei in der kortikalen Knochenrinde, während in der Spongiosa
und in der Markhöhle kein wesentlicher Widerhalt zu erreichen ist. Die im Knochen
verankerten Knochenschrauben werden in ihrem Verlauf im Knochen praktisch nur auf
Zug beansprucht. Findet die verwendete Schraube nicht richtig Halt, so werden - wie die
Klagepatentschriften ausführen - herkömmlicherweise Schraubenmuttern an der
plattenabseitigen Knochenseite auf eine längere Schraube aufgedreht, um so eine
gewisse Stabilität zu gewährleisten.
55
Gegenüber dieser herkömmlichen Osteosynthese an Röhrenknochen bezeichnen die
Klagepatentschriften die Verplattungsverfahren an der Wirbelsäule als problematischer.
Anders als bei normalen Röhrenknochen lassen die anatomischen Verhältnisse hier die
Fixierung eines Knochens an einer Knochenplatte in der Regel nur durch eine einzige
Knochenschraube zu. Die für eine knöcherne Konsolidierung erforderliche
Ruhigstellung ist dadurch erschwert, dass nahezu das gesamte Körpergewicht auf
dieser fixierenden Schraube lastet. Während bei Röhrenknochen die Schraube immer in
zwei Knochenrinden verankert wird, werden bei der Wirbelsäulenfixation die Schrauben
durch die engen Knochenverbindungen zwischen dem vorn liegenden Wirbelkörper und
dem hinten liegenden Wirbelbogen eingedreht. Diese Knochenbrücken-Bogenwurzeln -
Pedikel - haben im sagittalen Schnitt die Form einer Zwirnspule, wobei nur im mittleren,
d.h. dem engeren Abschnitt eine gute direkte Kraftübertragung auf die zentral
verlaufende und nur hier mit der Knochenrinde tangentialen Kontakt aufnehmende
Schraube erfolgen kann. Nach den Klagepatentschriften ist die Dimension der zu
wählenden Gewindebohrer und Knochenschrauben in jedem Fall unbekannt. Eine
stabile Verankerung einer Knochenschraube setzt aber eine auf den gegebenen
Durchmesser des Knochenkanals abgestimmte Dimensionierung des Gewindebohrers
und vor allem des Gewindepins voraus. Unterdimensionierungen beinhalten die Gefahr
der Instabilität der Knochenschraubenverbindung und des Implantatabbruchs.
56
Überdimensionierungen der Implantate können leicht neurologische Komplikationen bis
zu Querschnittslähmungen nach sich ziehen, da unmittelbar neben den Pedikeln die
Nervenwurzeln und das Rückenmark liegen.
Die so beschriebene Problematik soll gemäß Klagepatent 1 dadurch gelöst werden,
dass ein Schrauben- bzw. Gewindebohrersatz geschaffen wird, mit dem es möglich ist,
den Querdurchmesser eines Knochenkanals zu bestimmen und trotz mehrmaliger
Anwendung das Gewinde nicht zu zerstören. Das Klagepatent 1 schlägt dazu in seinem
Patentanspruch 1 einen Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten vor, wobei
sich die Merkmale des Anspruchs wie folgt gliedern lassen:
57
1.
58
Jeder zylindrische Körper eines Satzes
59
1.1.
60
weist in der Außenfläche
61
1.2
62
ein Gewinde auf, das
63
1.2.1.
64
in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
65
2.
66
Das Gewinde besitzt
67
2.1.
68
auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der zylindrischen Körper
69
2.2.
70
die gleiche Steigung (h).
71
Die Klagepatentschrift 2 beschränkt sich nicht auf Schrauben und Gewindebohrer, die
für Osteosynthesearbeiten verwendet werden, sondern beansprucht allgemein einen
Satz Schrauben und führt dazu in der Beschreibung aus, dass diese bei
Osteosynthesearbeiten und in Holz, Kunststoff oder weichen Metallen einsetzbar sind.
Die Klagepatentschrift 2 schildert es als Problem, eine Schraubenkonstruktion zu
schaffen, die bei ausgelockertem Gewinde bei gleicher Gewindecharakteristik einen
neuen Festsitz schafft und einen Gewindebohrer, der ein neues Gewinde nachschneidet
bei optimaler Verankerung der einzusetzenden Schraube. Sie schlägt dazu einen Satz
zylindrischer Schrauben vor, die folgende Merkmale aufweisen:
72
1.
73
Die zylindrischen Schrauben eines Satzes verfügen über unterschiedliche
Außendurchmesser.
74
1.1.
75
Jede Schraube
76
1.1.1.
77
weist in der Außenfläche
78
1.1.2.
79
ein Gewinde auf, das
80
1.1.3.
81
in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
82
2.
83
Das Gewinde jeder Schraube besitzt
84
2.1.
85
trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d)
86
2.2.
87
gleiche Steigung (h).
88
3.
89
Die Außendurchmesser der Schrauben unterscheiden sich durch derart kleine
Beträge,
90
3.1.
91
dass ein Verletzen vorher vorhandener Gewindegänge nicht eintritt,
92
3.2.
93
wenn aufeinanderfolgende Schrauben verwendet werden.
94
Nach Patentanspruch 1 des Klagepatents 1 soll damit ein Satz von Gewindebohrern
und dazu passenden Knochenschrauben geschaffen werden, wobei unabhängig von
ihrem Außendurchmesser diese so gestaltet sind, dass sie die gleiche Steigung
aufweisen. Dies soll verhindern, dass bei Anwendung des nächst größeren
Gewindebohrers eine Beschädigung des durch den vorher eingesetzten Gewindebohrer
geschnitten Gewindes erfolgt. Dadurch soll es möglich sein, bei Handhabung des
Gewindebohrers den Widerstand abzutasten, der sich dem Gewindebohrer stellt, so
95
dass ermittelt werden kann, wann sich die äußeren Gewindegänge in der kortikalen
Knochenrinde befinden. Beim Auslockern einer Schraube soll dagegen mit dem
Gewindebohrersatz ermöglicht werden, ein neues, einen festen Halt verschaffendes
Gewinde nachzuschneiden und eine Durchmesser größere Schraube einzusetzen. Als
entscheidend bezeichnet es die Klagepatentschrift 1, dass durch das mehrmalige
Anwenden von Gewindebohrern das Gewinde nicht geschädigt wird.
Das Klagepatent 2 entspricht dem, soweit es um den Anwendungsbereich der
Osteosynthese geht, nennt aber als weitere Einsatzmöglichkeit die Herstellung von
Schraubverbindungen in Holz, Kunststoff und weichen Metallen.
96
II.
97
Die angegriffenen Knochenschrauben der Beklagten zu 1. machen von der technischen
Lehre der Klagepatente weder unmittelbar (nachfolgend 1) noch mittelbar (nachfolgend
2) Gebrauch.
98
1.
99
Das jeweilige Merkmal 1 der Patentansprüche 1 der Klagepatente wird von den
angegriffenen Schrauben nicht verwirklicht. Merkmal 1 der Patentansprüche 1,
insbesondere des Klagepatents 2, verlangt, dass die zylindrischen Schrauben mit
unterschiedlichen Außendurchmessern in einem Satz vorliegen müssen. Dies ist
vorliegend nicht der Fall. Wie der Bundesgerichtshof in seinem das
Nichtigkeitsverfahren abschließenden Urteil vom 12. November 2001 (Anlage B 16,
Seite 13) ausführt, versteht der Fachmann unter dem Begriff "Satz"
100
eine Zusammenfassung unter technischen Gesichtspunkten, bei der gleichartige
Gegenstände unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Ausmaßes zu einem
Zweck funktionsbestimmt zusammengefügt werden, wobei in der funktionellen
Abstimmung das entscheidende Kriterium zu sehen ist.
101
Die genormte Reihe einer Mehrzahl oder eines Sortiments von gleichartigen Schrauben
unterschiedlicher Größe, die funktional jedoch nicht aufeinander abgestimmt sind, um
einen bestimmten Zweck zu erreichen, stellt keinen erfindungsgemäßen Satz dar.
102
Hiervon ausgehend müsste sich also zur Bejahung des Merkmals die tatrichterliche
Feststellung treffen lassen, dass die angegriffenen Pedikel- und Revisions- bzw.
Sacralschrauben mit 5 bis 8 mm Durchmesser im erfindungsgemäßen Sinne von der
Beklagten zu 1. als Satz angeboten oder vertrieben werden, d.h. nicht lediglich als
Schraubensortiment, aus dem man nach Bedarf auswählen kann, sondern als
funktionell aufeinander abgestimmte Einheit von Schrauben zur Erzielung des in den
Klagepatenten - insbesondere auch in der Merkmalsgruppe 3 des Klagepatents 2 -
niedergelegten technischen Ziels. Dies besteht darin, einen Satz von Schrauben zu
schaffen, bereitzustellen bzw. mit einem Satz von Schrauben arbeiten zu können, die
sich durch kleine Beträge des Außendurchmessers unterschieden und solch eine
Gewindegestaltung aufweisen, dass es bei der Verwendung der (des) nächst größeren
Schraube (Werkzeugs) zu einer Beschädigung des auf die vorher eingesetzte Schraube
passenden, bereits vorhandenen Gewindes nicht kommt (vgl. Anlage K 6, Spalte 3,
Zeilen 32 bis 39; Anlage K 1, Spalte 2, Zeilen 49 bis 55). Derartiges lässt sich den von
der Klägerin beanstandeten Angebotskatalogen (Anlagen K 5 und K 19) nicht
103
entnehmen.
Auf Seite 11 des Katalogs nach Anlage K 5 sind die Pedikelschrauben von 5 bis 7 mm
Durchmesser und Längen von 30 bis 50 mm zwar in einem Kasten gezeigt, jedoch ist
jeder Pedikelschraube eine eigenständige Artikel- bzw. Bestellnummer zugeordnet.
Jede Schraube stellt mithin einen eigenen Verkaufsgegenstand dar. Der
Angebotsempfänger muss - nicht anders als bei einem Sortiment - selbst die Auswahl
treffen, welche Schrauben er in welcher Stückzahl und ggf. Zusammenstellung
erwerben will. Dass besonderer Angebotsgegenstand bzw. eine eigenständige
Verkaufseinheit Sätze von Pedikelschrauben von 5 bis 7 oder gar 8 mm sein sollen,
gerade durch deren Zusammenstellung bzw. -fassung der vorbezeichnete
erfindungsgemäße Zweck erreicht wird, ist nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt für das
Angebot der Pedikelschrauben auf Seite 14 des Prospekts gemäß Anlage K 19. Auch
dort sind sämtliche Schrauben mit Einzelartikelnummern versehen und lässt sich im
Hinblick auf die optische Gruppierung und unterschiedliche Farbkennzeichnung der
Schrauben allenfalls eine Zusammenfassung von Schrauben gleichen Durchmessers
unterschiedlicher Längen (30 bis 60 mm) erkennen (5 mm gold; 6 mm silber; 7 mm grün;
8 mm rosa).
104
Dass die Beklagte zu 1. zu den Schrauben die auf Seite 15 des Katalogs gemäß Anlage
K 5 ersichtlichen Sortierkassetten (WSI) anbietet, führt zu keiner anderen Beurteilung,
da dies nichts daran ändert, dass der Angebotsempfänger zu den Kassetten die
Schrauben selbst aussuchen muss und ihm insoweit kein Satz mit der
erfindungsgemäßen Zweckbestimmung vorgegeben wird. Dass die Kassetten den
Kliniken voll bestückt und darin dann enthalten erfindungsgemäße Sätze von
Schrauben unterschiedlichen Durchmessers angeboten werden, lässt sich dem Katalog
entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entnehmen.
105
Soweit im Katalog nach Anlage K 5 auf Seite 11 Revisionsschrauben mit einem
Durchmesser von 8 mm für die Reinstrumentation angeboten werden (vgl. auch Anlage
K 5, Seite 6), stellt dies in Verbindung mit einer Pedikelschraube kleineren
Durchmessers (7 mm) schon deshalb keinen erfindungsgemäßen Satz dar, weil nach
dem Verständnis des Fachmanns zu einem Satz - die Kammer folgt insoweit den
Darlegungen des Bundesgerichtshofs auf Seite 13 (letzter Satz zu Ziffer 3.) des
Nichtigkeitsurteils - nicht nur ein Paar von zwei Einzelteilen, sondern mindestens drei
Einzelteile gehören, die für das Erfindungsziel einer mehrmaligen (= zumindest
dreimaligen) Anwendung bei der Gewindeerweiterung ohne Zerstörung des jeweils
kleineren Gewindes zusammengestellt sind (vgl. auch Anlage K 1, Spalte 1, Zeilen 35
bis 40; Anlage K 6, Spalte 3, Zeilen 54 bis 57). Ferner werden die Revisionsschrauben
abgesetzt in einem eigenen Kasten angeboten, so dass bei verständiger Würdigung
auch nicht davon gesprochen werden kann, die Revisionsschrauben würden mit den
schlankeren Pedikelschrauben als technische Einheit zusammengefasst angeboten
werden. Vielmehr bleibt auch hier die Auswahl allein dem Kunden vorbehalten, der
nach seinen eigenen Bedürfnissen zu entscheiden hat, welche Schrauben er erwerben
will. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin bietet die Beklagte in ihrem Katalog neben
den 8 mm-Schrauben nicht auch Schrauben mit 7 mm Durchmesser als
Revisionsschrauben an bzw. legt eine solche Verwendung nahe, so dass auch hieraus
nicht das Vorliegen bzw. Anbieten eines Satzes hergeleitet werden kann. Der von der
Klägerin als Beleg zitierten Seite 13 des Katalogs lässt sich in Übereinstimmung mit den
Ausführungen zur Implantatauswahl auf Seite 6 und dem Angebot auf Seite 11 nur
entnehmen, dass für den Sacralbereich Pedikelschrauben mit 7 bis 8 mm Durchmesser
106
vorgesehen sind. Allein die 8 mm-Schraube wird jedoch als Revisionsschraube
beworben. Vor diesem Hintergrund kann es dahingestellt bleiben, ob die angebotenen
Revisionsschrauben zum Austausch einer bereits eingesetzten Schraube kleineren
Durchmessers bestimmt sind oder ob - wie es die Beklagten in der mündlichen
Verhandlung geltend gemacht haben - eine Revisionsschraube nur dazu dient, bei
zusätzlichen Abstützmaßnahmen, die eine erstmalige Implantation der
Revisionsschraube im sacralen Bereich erforderlich machen, verwendet zu werden.
Im übrigen lässt sich auch nicht feststellen, dass die Angebotsempfänger und Abnehmer
der Beklagten aufgrund ihrer Fachkunde davon ausgehen, dass es sich bei den
angebotenen Schrauben unterschiedlichen Durchmessers - trotz der
Einzelartikelbezeichnungen - jeweils um Sätze, also zusammengefasste technische
Einheiten zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe handelt. Wie der
Bundesgerichtshof in seinem Urteil im Nichtigkeitsverfahren (Anlage K 16, Seite 15)
dargelegt hat, wird ein Chirurg oder Orthopäde durch Auswahl der richtigen
Schraubengröße von vornherein die aus seiner Sicht optimal passende Schraube
wählen. Selbst für den Durchschnittsfachmann auf dem Gebiet der Erfindungen
erscheint es nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs zweifelhaft, ob dieser von
sich aus überhaupt das zum Gegenstand der Klagepatente gemachte Problem erkennt,
dass beim Einsatz einer Knochenschraube mit größerem Durchmesser nur dann eine
stabile Verbindung entstehen kann, wenn diese Knochenschraube ein Gewinde mit
gleicher Steigung besitzt, und dass bei Verwendung einer Schraube mit abweichender
Gewindesteigung das vorgeschrittene Gewinde zerstört wird. Vor diesem Hintergrund
hätte es schon eines ausdrücklichen Hinweises in den Katalogen der Beklagten zu 1.
bedurft, dass die (in Anlage K 19 farbunterschiedenen) Schrauben unterschiedlichen
Durchmessers und gleicher Länge zur Erreichung des Erfindungsziels aufeinander
abgestimmt sind. Denn nur dann wäre aus Sicht der Angebotsempfänger klar, dass die
Schrauben nicht nur als Sortiment für den ermittelten bzw. vermuteten Größenbedarf bei
der operativen Verwendung, sondern darüber hinaus (auch) als Sätze angeboten
werden, mit denen erfindungsgemäß gearbeitet werden kann. Dies ist vorliegend jedoch
nicht der Fall. Im Gegenteil: Wie aus der Beschreibung zur Implantatauswahl auf Seite 6
des Katalogs nach Anlage K 5 hervorgeht, sind die Schrauben unterschiedlichen
Durchmessers (5 bis 7 mm) verschiedenen Verwendungs- bzw. Bedarfsbereichen
zugeordnet (torakal, lumbal, sacral) und ist allein die 8 mm-Schraube für die
Reinstrumentation vorgesehen. Dem kann nicht mehr entnommen werden, als dass der
Operateur je nach Einsatzort und dem damit zusammenhängenden Größenbedarf eine
bestimmte Schraube für die endgültige Implantation auswählen soll. Die Schrauben als
Satz zu verwenden und zur Ermittlung der richtigen Schraubengröße gegebenenfalls
nacheinander zu implantieren, wird nicht gelehrt. Soweit die Beklagte zum Fachwissen
des Operateurs aus Seite 6, linke Spalte, vorletzter Absatz der von ihr in der mündlichen
Verhandlung überreichten Druckschrift "AB" etwas anderes herleiten will, ist schon nicht
ersichtlich, ob es sich nicht nur um eine vereinzelte Veröffentlichung handelt, die den
Feststellungen des Bundesgerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren zum Fachwissen des
Operateurs nicht entgegenzustehen vermag. Aber auch inhaltlich kann der Stelle
lediglich entnommen werden, dass es sich für den Operateur anbieten kann, mit einem
Gewindebohrer mit einer kleineren Größe zu beginnen und sich dann eines
Gewindebohrers mit einer größeren Größe zu bedienen, wenn der Gewindebohrer zu
eng sitzt. Die Verwendung eines erfindungsgemäß aufeinander abgestimmten Satzes
von Schrauben wird damit nicht offenbart. Entsprechendes gilt für die von der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung hervorgehobene Aussage auf Seite 4, 2. Spiegel des
Katalogs nach Anlage K 19, wonach die angegriffenen Schrauben im Gegensatz zu
107
Schrauben mit konischem Außendurchmesser beim Einsetzen eine individuelle
Anpassung ohne unnötigen Verlust von Knochensubstanz erlauben. Die Vorteilsangabe
bezieht sich ersichtlich nur auf die Schraubengestaltung im Allgemeinen und lässt
gerade nicht eine erfindungsgemäße Abstimmung der Schrauben zueinander erkennen.
2.
108
Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise geltend gemachte
mittelbare Patentverletzung liegt gleichfalls nicht vor. Das Vorbringen der Klägerin
rechtfertigt nicht die Feststellung, dass das angegriffene Schraubensortiment der
Beklagten zu 1. im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG von den Abnehmern und
Angebotsempfängern dazu bestimmt wird, in erfindungsgemäßen Sätzen verwendet zu
werden, und dies den Beklagten bekannt oder für sie aufgrund der Umstände
offensichtlich ist. Denn wie bereits zum Tatbestand der unmittelbaren Patentverletzung
ausgeführt wurde, ist dem Angebot der Beklagten zu 1. nicht zu entnehmen, dass die
angegriffenen Schrauben zu einem erfindungsgemäßen Satz zusammengestellt werden
sollen bzw. zusammenstellbar sind. Es lässt sich gleichfalls nicht feststellen, dass die
Angebotsempfänger und Abnehmer von sich aus aufgrund ihres Fachwissens dazu
gelangen, aus dem Schraubensortiment der Beklagten zu 1. bestimmungsgemäß
erfindungsgemäße Schraubensätze zusammenzustellen.
109
III.
110
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
111
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistung folgen aus
§§ 709, 108 ZPO.
112
Der Streitwert beträgt: 153.387,56 EUR.
113