Urteil des LG Düsseldorf vom 28.09.2005
LG Düsseldorf: treu und glauben, antenne, grundrecht, informationsfreiheit, mieter, vollstreckung, balkon, nachrichten, gebäude, heimat
Landgericht Düsseldorf, 23 S 435/04
Datum:
28.09.2005
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 S 435/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Neuss, 78 C 2282/04
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 01.09.2004 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Neuss – 78 C 2282/04 – abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, die auf dem Balkon seiner Wohnung XXX,
Neuss, Erdgeschoss rechts, Nr. XXX, befindliche Parabolantenne zu
entfer-nen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung
der Klägerin wegen der Hauptsache durch Leistung einer Sicherheit in
Höhe von 1.000,00 €, die Vollstreckung wegen der Kosten durch
Leistung einer Sicher-heit in Höhe 110 % des zu vollstreckenden
Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e :
1
I.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs.
1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiter,
während der Beklagte die Zurückweisung der Berufung beantragt.
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Unstreitig ist die Parabolantenne des Beklagten so aufgestellt, wie es sich aus den von
der Klägerin in zweiter Instanz vorgelegten Lichtbildkopien (Bl. 87-91 GA) ergibt.
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II.
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Die zulässige Berufung hat Erfolg.
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1.
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Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie gem. § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO
ordnungsgemäß begründet worden, denn sie rügt mit nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3
ZPO ausreichend konkreter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung Rechtsfehler des Amtsgerichts und eine fehlerhafte
Tatsachenfeststellung, insbesondere im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des äußeren
Erscheinungsbild des Mietshauses der Klägerin.
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2.
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Das Rechtsmittel ist auch begründet.
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Der Klägerin steht ein Anspruch auf Entfernung der auf dem Balkon der von von dem
Beklagten gemieteten Wohnung aufgestellten Parabolantenne zu. Die Klägerin hat
gegen den Beklagten einen solchen Anspruch aus dem Mietvertrag; ein Anspruch des
Beklagten auf Duldung der Antenne ergibt sich nicht als - aus dem Grundsatz von Treu
und Glauben (§ 242 BGB) herzuleitende - Nebenpflicht der Klägerin aus dem
Mietvertrag (vgl. Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 8. Aufl., § 535 Rdnr. 390 f.).
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a)
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1994, 1147 f.; NJW-
RR 2005, 661) ist dem Grundrecht des Mieters aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG,
sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, auch in
zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von Satellitenempfangsanlagen an
Mietwohnungen Rechnung zu tragen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß das
Grundrecht des Vermieters als Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt ist,
wenn von ihm verlangt wird, eine Empfangsanlage an seinem Eigentum zu dulden. Das
erfordert in der Regel eine fallbezogene Abwägung der von dem eingeschränkten
Grundrecht und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Interessen, die
im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des bürgerlichen Rechts
vorzunehmen ist (BVerfG, aaO.; BGH NJW-RR 2005, 596; OLG Frankfurt, NJW 1992,
2490; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 2815).
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Bei der Entscheidung der Frage, ob der Eigentümer eines Wohnhauses mit Rücksicht
auf das dem Mieter zustehende Grundrecht der Informationsfreiheit eine Einschränkung
seiner Eigentumsbefugnisse durch Duldung einer Parabolantenne hinnehmen muß, ist
bei dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern deren
besonderes Informationsinteresse zu beachten. Diese haben ein anerkennenswertes
Interesse, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen, um sich über das dortige
Geschehen unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung aufrechterhalten
zu können. Die grundlegende Bedeutung des Grundrechts auf Informationsfreiheit bei
Anwendung und Auslegung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wird deshalb
verkannt, wenn der ausländische Mieter auf einen Kabelanschluss verwiesen wird, der
ihm gar keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu seinen Heimatprogrammen
verschafft. Ferner wird die grundlegende Bedeutung des Grundrechts auf
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Informationsfreiheit verkannt, wenn die Zivilgerichte bei der Abwägung den
Eigentumsinteressen des Vermieters von vornherein den Vorrang vor den
Informationsinteressen des Mieters einräumen, ohne anzugeben, welche Eigenschaften
des Mietobjekts dieses Ergebnis rechtfertigen (BVerfG aaO, S. 36 ff.; BGH, aaO.).
b)
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Unter Beachtung dieser Rechtsprechung gilt für den Streitfall Folgendes:
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Die beiderseitigen, grundrechtlich geschützten Interessen der Parteien sind einander
gegenüber zu stellen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Beklagte bereits sechs
türkischsprachige Sender über das im Gebäude installierte Breitbandkabel nach Erwerb
eines Zusatzgerätes empfangen kann. Nicht festgestellt werden kann, dass diese nicht
genügen, um seinem Informationsinteresse in ausreichender Weise Rechnung zu
tragen. Dabei kann offen bleiben, ob der Beklagte überhaupt mit Erfolg geltend machen
kann, die über das Kabel empfangbaren Sender genügten nicht zu Befriedigung seines
Informationsinteresses, denn er könne verlangen, nicht nur die dort eingespeisten
türkischsprachigen Sender zu empfangen, sondern auch noch solche, die unzensierte
Nachrichten über seine osttürkische Heimat verbreiteten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ist es nämlich dem Mieter regelmäßig zuzumuten, die
Kabelanlage statt einer Satellitenempfangsanlage zu nutzen, wenn auf diese Weise
Zugang zu Programmen in der Sprache des ausländischen Mieters besteht (BVerfG
NJW-RR 2005, 661). Einmal unterstellt, dem Kläger sei darüber hinaus zuzugestehen,
sich aus unzensierten Quellen über die Osttürkei informieren zu können, lässt sich auf
Grund seines Vorbringens nicht feststellen, dass er die Satellitenanlage zur
Befriedigung dieses besonderen Informationsinteresses benötigt. Wie die Klägerin
mehrfach zu Recht gerügt hat, fehlt es im Vorbringen des Beklagten an der Darlegung,
welchen Sender er empfangen wolle, der keiner Zensur durch die türkischen Behörden
unterliege und der ihm über Kabel nicht zugänglich sei. Zwar hat der Kläger in erster
Instanz vorgetragen, die Sender "Ulusal Kanal", "Mertem TV" und "Mertem Messaj"
erfüllten sein Interesse an einer Berichterstattung speziell über seine Heimat. Jedoch
hat der Beklagte nicht dargetan, dass gerade diese Sender unzensierte Nachrichten
über die Osttürkei verbreiteten und er deswegen ausgerechnet auf sie angewiesen sei,
um sich ausreichend zu informieren. Möglicherweise verbreiten auch die von ihm
genannten Sender nur zensierte Nachrichten und es sind unzensierte auch über
Satellitenprogramme gar nicht zu erlangen.
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Unter diesen Gegebenheiten ist dem Eigentumsrecht der Klägerin der Vorrang
einzuräumen, denn wie die vorgelegten Lichtbilder zeigen, würde das Gesamtbild der
Gebäudefassade durch das Verbleiben der von dem Beklagten aufgestellten
Parabolantenne erheblich beeinträchtigt, auch wenn ein Eingriff in die
Gebäudesubstanz nicht stattfinden würde. Die auf dem Balkon aufgestellte Antenne
erweckt im Aussehen keinen anderen Eindruck als eine solche, die an der Fassade
angebracht ist. Sie ragt in vollem Umfang über die Balkonbrüstung. Diese unstreitige
Tatsache ist der Entscheidung zugrunde zu legen, obgleich sie neu im Sinne der §§ 520
Abs. 3 S. 2 Nr. 4, 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist; § 531 Abs. 2 ZPO ist auf sie unanwendbar
(BGH NJW 2005, 291). Die Kammer verkennt nicht, dass das Gebäude der Klägerin
sich, wie das Amtsgericht richtig festgestellt hat, nicht durch besonders anspruchsvolle
oder attraktive Außengestaltung auszeichnet, sondern ein völlig durchschnittliches
Mehrfamilienhaus ist. Gleichwohl würde ein Verbleiben der Antenne das Gesamtbild der
einem an dem Haus vorbeiführenden Gehweg zugewandten Fassade erheblich zum
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Nachteil beeinträchtigen. Die Kammer vermag sich nicht der Auffassung des Beklagten
anzuschließen, die Antenne sei zu dulden, weil sie optisch nicht mehr beeinträchtige als
ein Sonnenschirm. Im Erscheinungsbild von Parabolantennen und Sonnenschirmen
gibt es deutliche Unterschiede. Ein wesentlicher liegt bereits darin, dass
Sonnenschirme nicht 365 Tage im Jahr und 24 Stunden pro Tag aufgestellt zu sein
pflegen und in aller Regel gefälliger anzuschauen sind als Satellitenschüsseln.
3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2
ZPO).
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
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