Urteil des LG Düsseldorf vom 05.02.2009
LG Düsseldorf: stand der technik, begriff, silber, zink, stickstoff, zinn, anhörung, form, zusammensetzung, einheit
Landgericht Düsseldorf, 4a O 111/03
Datum:
05.02.2009
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4a. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4a O 111/03
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften Patent
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Klage wird abgewiesen.
1
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
2
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Sicherheit kann auch
durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische
Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin
anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.
3
Tatbestand
4
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des
europäischen Patents X (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und
Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Die
Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 15.09.1998 unter
Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 16.09.1997 angemeldet wurde. Der Hinweis
auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 27.11.2002 veröffentlicht. Die
Verfahrenssprache des Klagepatents ist englisch. Die deutsche Übersetzung der
Klagepatentanschrift wurde unter der Nummer X am 24.07.2003 veröffentlicht (Anlage
K1a). Das Patent steht in Kraft.
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Gegen die Erteilung des Klagepatents wurde von der Beklagten zu 1) neben den
Unternehmen X und X Einspruch eingelegt. Die Einsprüche wurden am 08.02.2006 von
6
der Einspruchsabteilung beim Europäischen Patentamt (EPA) zurückgewiesen. Gegen
die Einspruchsentscheidung wurde Beschwerde eingelegt, über die bislang nicht
entschieden wurde.
Die Klägerin macht die Patentansprüche 1 und 18 des Klagepatents geltend. Die
Ansprüche beziehen sich auf Glasschichtsysteme mit hoher Lichttransmission und
niedriger Emissivität und auf damit zusammengestellte wärmedämmende
Mehrfachverglasung.
7
Der Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:
8
1. Glaserzeugnis, das ein Glassubstrat aufweist, das ein durch Zerstäuben
aufgetragenes Schichtsystem darauf aufweist, welches von dem Glas nach
außen im Wesentlichen besteht aus:
9
a) eine Grundierungsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder -nitrid
ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem Intervall von
2,35 bis 2,75 enthalten ist;
10
b) optional eine untere Zwischenschicht, die sich zwischen der
Grundierungsschicht und einer Schicht aus metallischem Silber befindet,
wobei die untere Zwischenschicht aus einem im Wesentlichen
stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zn, Ti, Sn, Bi, Si oder Gemischen von
diesen ausgewählt ist;
11
c) die Silberschicht;
12
d) eine obere Zwischenschicht, die sich zwischen der Silberschicht und einer
Überzugsschicht befindet, wobei die obere Zwischenschicht aus einem Oxid
oder Nitrid aus Al, Ti, Zn, Sn, Zr, Cr, Ta, Mg oder Gemischen von diesen
ausgewählt ist; und
13
e) die Überzugsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder -nitrid
ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem Intervall von
1,85 bis 2,25 enthalten ist;
14
wobei die Grundierungsschicht eine Dicke aufweist, die sich zwischen 16 und
32 nm erstreckt, und die Dicke der Kombination der Schicht aus metallischem
Silber und der Überzugsschicht derart ausreichend ausgewählt ist, dass das
Glaserzeugnis, wenn das Glassubstrat aus einem klaren Glas einer Dicke
besteht, die zwischen 2 bis 6 mm enthalten ist, einen Sicht-Durchlassgrad (Tvis)
von mindestens 84 %, einen Schichtwiderstand (Rs) von weniger als oder gleich
5,5 Ohm/Quadrat und ein normales Emissionsvermögen (En) von weniger als
oder gleich 0,065 aufweist und wobei das Schichtsystem keine Schicht
beinhaltet, die im Wesentlichen aus einem unterstöchiometrischen Metalloxid
besteht, das sich zwischen dem Substrat und der Schicht aus metallischem
Silber befindet.
15
Der ebenfalls geltend gemachte Klagepatentanspruch 18 hat in der deutschen
Übersetzung folgenden Wortlaut:
16
18. Isolierglaseinheit, die aus mindestens 2 Glasscheiben besteht und an ihren
Umfangskanten abgedichtet ist, um eine isolierende Kammer zwischen diesen
auszubilden, wobei mindestens eine der Glasscheiben eine Glasschicht nach
einem der Ansprüche 2, 4, 13, 15 oder 17 ist, wobei sich das Schichtsystem auf
der Glasscheibe innerhalb der isolierenden Kammer befindet, und wobei die
Isolierglaseinheit die folgenden Eigenschaften zeigt:
17
Tvis 75 %
18
Raußen 15 %
19
Rinnen 15 %
20
S.C. 0,60
21
Uwinter 0,26.
22
Der im Klagepatentanspruch 18 genannte Unteranspruch 2 ist auf den
Klagepatentanspruch 1 rückbezogen und lautet:
23
2. Glaserzeugnis nach Anspruch 1, wobei das Glassubstrat eine monolithische
Schicht aus im Wesentlichen klarem Glas ist.
24
Nachfolgend abgebildet sind zeichnerische Darstellungen bevorzugter
Ausführungsformen der Erfindung, welche aus der Klagepatentschrift stammen. Die
Figuren 1 und 2 zeigen Ausschnitte seitlicher Schnittansichten von zwei verschiedenen
Ausführungsformen eines anspruchsgemäßen Schichtsystems. In Figur 3 ist ein
Ausschnitt einer erfindungsgemäßen Querschnittsendansicht einer doppelscheibigen
IG-Einheit abgebildet.
25
Die beiden Beklagten gehören zum X-Konzern, der sich mit der Herstellung und dem
Vertrieb von Glasprodukten beschäftigt. Die Beklagte zu 1) stellt in der Bundesrepublik
Deutschland beschichtete Einfachgläser und Isolierglaseinheiten her. Die aufgebrachte
Beschichtung trägt die Bezeichnung "Silverstar 1.1 Neutral". Beide Beklagten bewerben
die mit der Beschichtung "Silverstar 1.1 Neutral" versehenen Einfachgläser und
Isolierglaseinheiten (beide zusammen werden nachfolgend als angegriffene
Ausführungsform bezeichnet) und vertreiben sie in der Bundesrepublik Deutschland.
26
Die Klägerin ließ die Beschichtung der angegriffenen Ausführungsform vom Labor X mit
Hilfe der X und vom X mit einem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) analysieren.
Auf die entsprechenden Messergebnisse und dazu erstellten Kurzgutachten (Anlagen
K7, K9/10, K10/11, K11a und K12) wird Bezug genommen. Die Beschichtung der
angegriffenen Ausführungsform wird durch ein Zerstäubungsverfahren aufgebracht. Die
erste Schicht auf dem Glassubstrat enthält zumindest Titan und Sauerstoff. Der
Brechungsindex von Titanoxid (TiO2) liegt zwischen 2,488 und 2,6584. Darüber
befindet sich eine zweite Schicht mit den Bestandteilen Zink und Sauerstoff. Danach
folgt eine reine Silberschicht. Die Zusammensetzung der auf der Silberschicht
aufgebrachten Schicht ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig besteht die darüber
befindliche Schicht aus zwei Lagen, von denen die eine Zink und Sauerstoff enthält. Die
Zusammensetzung der anderen Lage ist streitig. Der Brechungsindex von Zinkoxid
(ZnO) liegt zwischen 2,004 und 2,02. Die Dicke der Einzelglasscheibe beträgt 4 mm
27
beziehungsweise 6 mm. Der Sicht-Durchlassgrad beträgt 0,86 %, der Schichtwiderstand
4,5 Ω/Quadrat und das Emissionsvermögen 0,04.
Die angegriffene Isolierglaseinheit besteht aus mindestens zwei an ihren
Umfangskanten abgedichteten Einzelglasscheiben. Die Beschichtung wird auf
monolithischen Scheiben aus im Wesentlichen klaren Glas aufgebracht, aus denen
dann die Isolierglaseinheiten zusammengesetzt werden. Die optischen Eigenschaften
der angegriffenen Isolierglaseinheiten wurden teilweise im Internetauftritt der Glas
Trösch Holding AG (Anlage K4) angegeben, teilweise wurden sie vom Fraunhofer
Institut ermittelt. Demnach beträgt die Lichttransmission Tvis 79 %, die Reflektivität
Raußen 13 % und Rinnen 14 % und der Abschattungskoeffizient 0,72. Als U-Wert
wurden – je nach Gasfüllung der Isolierglaseinheit – 0,25 und 0,19 angegeben.
28
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre der
Klagepatentansprüche 1 und 18 wortsinngemäß Gebrauch. Die RBS-Methode sei
geeignet, die Zusammensetzung und die Dicke der Beschichtung zu analysieren. Die
Ergebnisse seien mit Hilfe eines TEM und einer Simulation durch das Max-Planck-
Institut bestätigt worden. Der Klagepatentanspruch setze nicht voraus, die
Schichteigenschaften mit dem "n & k"-Analysator zu ermitteln, der für Schichtsysteme
ohnehin nicht geeignet sei. Die RBS-Analyse könne Schichttiefen bis 2000 nm
hingegen zuverlässig erfassen.
29
Die durchgeführten Untersuchungen hätten eine Grundierungsschicht von 21 nm
ergeben mit Anteilen von Titan und Sauerstoff in Höhe von 35 % und 65 % bei einem
Messfehler von 5 %. Damit liege ein stöchiometrisches Verhältnis von Titan und O von 2
: 1 vor. Soweit der gerichtliche Sachverständige Dr. X Titan, Sauerstoff und Stickstoff mit
den Anteilen 27 %, 35 % und 35 % nachgewiesen habe, weise die angegriffene
Ausführungsform immer noch eine erfindungsgemäße Grundierungsschicht auf, weil
auch die Verwendung von Titanoxinitriden patentgemäß sei. Dies ergebe sich aus dem
Unteranspruch 9, der Mischungen von Oxiden und Nitriden ausdrücklich zulasse. Die
Schicht sei stöchiometrisch, weil alle Titanatome durch Sauerstoff- und Stickstoffatome
vollständig gebunden seien. In der zweiten Schicht seien Zink und Sauerstoff in gleicher
Konzentration vorhanden, so dass es sich um eine stöchiometrische untere
Zwischenschicht aus Zinkoxid handele. Die über der Silberschicht befindliche Schicht
bestehe aus einer Mischung aus Zinkoxid (ZnO) und Titanoxid (TiO2). Die aus zwei
Lagen bestehende letzte Schicht weise in der zweiten Lage Siliziumnitrid (Si3N4) auf.
30
Die Klägerin beantragt,
31
I. die Beklagten zu verurteilen,
32
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im
Wiederholungsfalle bis zu insgesamt zwei Jahren, die Ordnungshaft zu
vollziehen an ihren jeweiligen Geschäftsführern, zu unterlassen,
33
Glaserzeugnisse, die ein Glassubstrat aufweisen, das ein durch
Zerstäuben aufgetragenes Schichtsystem darauf aufweist, welches von
dem Glas nach außen im Wesentlichen besteht aus:
34
a) einer Grundierungsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder
-nitrid ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem
Intervall von 2,35 bis 2,75 enthalten ist,
35
b) optional einer unteren Zwischenschicht, die sich zwischen der
Grundierungsschicht und einer Schicht aus metallischem Silber befindet,
wobei die untere Zwischenschicht aus einem im Wesentlichen
stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zn, Ti, Sn, Bi, Si oder Gemischen
von diesen ausgewählt ist,
36
c) der Silberschicht,
37
d) einer oberen Zwischenschicht, die sich zwischen der Silberschicht
und einer Überzugsschicht befindet, wobei die obere Zwischenschicht
aus einem Oxid oder Nitrid aus Al, Ti, Zn, Sn, Zr, Cr, Ta, Mg oder
Gemischen von diesen ausgewählt ist und
38
e) der Überzugsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder -
nitrid ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem
Intervall von 1,85 bis 2,25 enthalten ist,
39
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder
zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu
besitzen,
40
die Beklagte zu 1) zusätzlich auch herzustellen,
41
bei denen die Grundierungsschicht eine Dicke aufweist, die sich zwischen
16 und 32 nm erstreckt, und die Dicke der Kombination der Schicht aus
metallischem Silber und der Überzugsschicht derart ausreichend
ausgewählt ist, dass das Glaserzeugnis, wenn das Glassubstrat aus einem
klaren Glas einer Dicke besteht, die zwischen 2 bis 6 mm enthalten ist,
einen Sicht-Durchlassgrad (Tvis) von mindestens 84 %, einen
Schichtwiderstand (Rs) von weniger als oder gleich 5,5 Ohm/Quadrat und
ein normales Emissionsvermögen (En) von weniger als oder gleich 0,065
aufweist und wobei das Schichtsystem keine Schicht beinhaltet, die im
Wesentlichen aus einem unterstöchiometrischen Metalloxid besteht, das
sich zwischen dem Substrat und der Schicht aus metallischem Silber
befindet;
42
2. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im
Wiederholungsfalle bis zu insgesamt zwei Jahren, die Ordnungshaft zu
vollziehen an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertreten, zu unterlassen,
43
Isolierglaseinheiten, die aus mindestens zwei Glasscheiben bestehen und
an ihren Umfangskanten abgedichtet sind, um eine isolierende Kammer
zwischen diesen auszubilden, wobei mindestens eine der Glasscheiben
ein Glaserzeugnis nach vorstehend Ziffer 1) ist und das Glassubstrat
dieses Glaserzeugnisses eine monolithische Scheibe aus im Wesentlichen
44
klarem Glas aufweist und wobei sich das Schichtsystem auf der
Glasscheibe innerhalb der isolierenden Kammer befindet,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder
zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu
besitzen,
45
die Beklagte zu 1) zusätzlich auch herzustellen,
46
bei denen die Isolierglaseinheiten die folgenden Eigenschaften zeigen
47
Tvis 75 %
48
Raußen 15 %
49
Rinnen 15 %
50
S.C. 0,60
51
Uwinter 0,26
52
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die
Beklagten die zu 1) und 2) bezeichneten Handlungen seit dem 27.12.2002
begangen haben, und zwar unter Angabe:
53
a) die Beklagte zu 1): der Herstellungsmengen und -zeiten,
54
die Beklagte zu 2): der Menge der erhaltenen oder bestellten
Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller,
Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
55
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -
zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen, sowie Namen und
Anschriften der Abnehmer,
56
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -
zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen, sowie Namen und
Anschriften der Angebotsempfänger,
57
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet ,
58
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
59
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und
Anschriften ihrer (nicht gewerblichen) Abnehmer und ihrer
Angebotsempfänger nur einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur
Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten
Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie diesen ermächtigen, der Klägerin
darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer oder
60
Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. 1. und I. 2.
bezeichneten, seit dem 27.12.2002 begangenen Handlungen entstanden ist
und noch entstehen wird.
61
Die Beklagten beantragen,
62
die Klage abzuweisen,
63
hilfsweise die Verhandlung im Hinblick auf das das Klagepatent betreffende
Einspruchsbeschwerdeverfahren auszusetzen,
64
hilfsweise ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung (Bankbürgschaft) abzuwenden.
65
Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag der Beklagten entgegen.
66
Die Beklagten sind der Ansicht, die RBS-Analyse sei nicht geeignet, zuverlässige
Messergebnisse zu ermitteln, auf deren Grundlage die Verwirklichung der
patentgemäßen technischen Lehre belegt werden könne. Die RBS-Analyse habe nur in
oberflächennahen Schichten geringe Messfehler. Im Übrigen setze sie verschiedene
Annahmen über die Dichte der Schichten voraus, was die Fehlerhaftigkeit erhöhe. Für
den Nachweis des Schichtaufbaus seien nur die in der Klagepatentschrift genannten
Methoden zu verwenden. Die Messergebnisse für die Grundierungsschicht zeigten,
dass gerade kein Verhältnis von 1 : 2 für die Bestandteile Titan und Sauerstoff
nachgewiesen sei. Ein Verhältnis von 1,875 belege eine Unterstöchiometrie in der
Schicht. Auch die Schichtdicke in der darüber liegenden Schicht sei nicht zutreffend
ermittelt worden. Die Messfehler lägen bei 25 %, so dass die Dicke der Schicht im
Bereich von 15,75 bis 26 nm liege, also teilweise außerhalb des patentgemäßen
Bereichs. Aufgrund der von der Klägerin selbst angegebenen Messungenauigkeit könne
auch die Stöchiometrie dieser Schicht nicht zuverlässig angegeben werden. Wie wenig
aussagekräftig die RBS-Analyse sei, zeige sich auch daran, dass die angegriffene
Ausführungsform oberhalb der Silberschicht keine Schicht aus Titan, Zink und
Sauerstoff aufweise. Ebenso wenig werde Siliziumnitrid verwendet.
67
Hinsichtlich der gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr.X vertreten die
Beklagten die Ansicht, dass Oxinitride weder Oxide noch Nitride, sondern eine eigene
Stoffklasse seien. Da es sich um eine Verbindung mit Sauerstoff und Stickstoff handele,
könnten Oxinitride auch nicht als Gemische im Sinne der Lehre des
Klagepatentanspruchs angesehen werden. Der Begriff "Gemische" beziehe sich auf die
Metalle. Es müsse immer eine reine Oxid- oder Nitrid-Schicht bestehen.
Dementsprechend sei auch Unteranspruch 9 auszulegen.
68
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die zur Akte gereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
69
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
gemäß Beweisbeschluss vom 15.06.2004. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. X (Blatt 594 bis 625
70
der Gerichtsakte) und das Protokoll der Anhörung des Sachverständigen vom
18.12.2008 (Blatt 662 bis 686) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
71
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
72
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Unterlassung,
Schadensersatz dem Grunde nach, Auskunft und Rechnungslegung aus Art. 64 Abs. 1
EPÜ, §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin hat nicht
bewiesen, dass die angegriffene Ausführungsform von der Lehre der beiden geltend
gemachten Klagepatentansprüche wortsinngemäß Gebrauch macht.
73
I.
74
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 ein durch Zerstäuben hergestelltes
Beschichtungssystem für Glassubstrate mit einer hohen Lichttransmission und einer
niedrigen Emissivität. Gegenstand des ebenfalls geltend gemachten
Klagepatentanspruchs 18 sind Glaserzeugnisse wie Isolierglaseinheiten, die mit dem
Beschichtungssystem nach Patentanspruch 1 ausgestattet sind.
75
In der Beschreibung des Klagepatents wird dazu ausgeführt, dass Glasschichtsysteme,
die durch Zerstäubungsvorgänge aufgetragen werden, in verschiedenen
Glaserzeugnissen und Isolierglaseinheiten (IG-Einheiten) bekannt seien, um
Solarregelungseigenschaften zu erzeugen. Damit Solarregelungsgläser am Markt
akzeptiert werden, müssen sie verschiedene Eigenschaften aufweisen, die unmittelbar
vom verwendeten Schichtsystem abhängig sind. Es muss zum einen ein bestimmter
Durchlassgrad für sichtbares Licht (Tvis) gegeben sein, zum anderen soll Infrarot-
Strahlung (IR-Strahlung) in einem gewissen Maß reflektiert werden (Emissivität En bzw.
Schichtwiderstand Rs). Spiegeleffekte sollen möglichst vermieden werden und, soweit
das Glas von der Seite betrachtet wird und Reflexionen auftreten, soll die sichtbare
Farbe möglichst neutral (farblos bis leicht blau) sein. Darüber hinaus muss das
verwendete Schichtsystem ökonomisch herzustellen sein. Da diese Eigenschaften
häufig im Widerspruch zueinander stehen, besteht – so die Klagepatentschrift – im
Stand der Technik ein Bedarf an durch Zerstäuben aufgetragenen Schichtsystemen, die
zwischen den geforderten Eigenschaften eine bessere Balance erreichen.
76
Im Stand der Technik ist zum Beispiel aus den US-Patenten X und X die Verwendung
von Si3N4 in Schichtsystemen bekannt. Häufig werden sie mit einer Silberschicht
kombiniert, um einen hohen Reflektionsgrad für IR-Strahlung zu erhalten. Die Gläser
heißen daher auch "low-E"-Gläser (von: "low emissivity"). Aus dem US-Patent X sind
zudem Kombinationen von Silber, Nickel und Chrom mit TiO2 bekannt, um low-E-Gläser
zu erhalten. An diesen Gläser kritisiert die Klagepatentschrift, dass sie keinen hohen
Durchlassgrad für sichtbares Licht haben.
77
In der US-Patentanmeldung X wird laut Klagepatentschrift ein komplexes Schichtsystem
beschrieben, das die Schichtdicken und Materialarten in der Schichtanordnung
kombiniert, um bestimmte Solarregelungseigenschaften zu erhalten. Es werden unter
anderem ein oder zwei Schichten aus Gold, Kupfer oder Silber verwendet und eine
Überzugsschicht aus einem Oxid von Zink, Zinn, Indium, Bismuth oder deren
Legierungen. Die mit dieser Beschichtung versehene IG-Einheit weist akzeptable
78
Farbeigenschaften und eine gute spiegelunähnliche sichtbare Reflektion auf. Allerdings
liegt der Durchlassgrad für sichtbares Licht unter 75 %.
In der Beschreibung des Klagepatents wird weiter ausgeführt, dass im Stand der
Technik auch Schichtsysteme mit Kombinationen von metallischen und oxidischen
Schichten aus Zinn, Zink, Silber, Indium, Aluminium, Titan, Chrom, Nickel, Magnesium,
Siliziumnitrid oder ähnlichem verwendet werden. So offenbart das US-Patent X
folgendes Schichtsystem (vom Glas nach außen): SnO2 oder In / Ag / Al, Ti, Zr, Cr oder
Mg / SnO2 oder In. Die Silberschicht sollte zwischen 50 Å und 150 Å dick sein. Der
Durchlassgrad dieses Schichtsystems ist hoch und liegt bei 85 % bis 86 %. Der Nachteil
besteht laut Klagepatentschrift jedoch darin, dass die Gläser eine leicht purpurne
Färbung und einen relativ hohen Schichtwiderstand von 6,7 bis 8,2 Ω/Quadrat
aufweisen. Auch das Vermögen, IR-Strahlung zu reflektieren, ist gering.
79
Ein weiteres aus dem Stand der Technik bekanntes Schichtsystem weist eine Abfolge
von SnO2 / ZnO / Ag / ZnO / SnO2 auf. Das Zinkoxid – so die Klagepatentschrift – stellt
in diesem Schichtsystem die Keimbildungsschicht für das Silber dar, die anderen
Keimbildungsmaterialien überlegen ist. Dadurch werden der Schichtwiderstand (RS)
und die Emissivität (En) auf 5,3 Ω/Quadrat beziehungsweise 0,06 reduziert. Außerdem
ist der Lichtdurchlassgrad (Tvis) mit 84 % relativ hoch. In der Klagepatentschrift wird
jedoch als Nachteil beschrieben, dass die Farbe, die sich durch das Schichtsystem
einstellt, unerwünschtes Purpur ist.
80
Die Offenlegungsschrift DE X – so die Klagepatentschrift – offenbart die Verwendung
einer unterstöchiometrischen Oxidschicht (zum Beispiel ZnOx, ZnTaOx, TaOx) unter der
Silberschicht, um die Leitfähigkeit der Silberschicht im Schichtsystem zu erhöhen. Im
Allgemeinen weist das Schichtsystem folgende Abfolge auf: Substrat / Oxid / Suboxid /
Ag / Blocker / Oxid. Die oxidischen Schichten sind transparente Reflektionsschichten,
während der Blocker oder die Barriereschicht eine Adhäsionsvermittlungsschicht aus
Metall oder einem Suboxid ist, die die Silberschicht vor aggressiven Umwelteinflüssen
schützen sollen. Laut Offenlegungsschrift DE X – so die Klagepatentschrift weiter – wird
die Leitfähigkeit der Silberschicht durch die Verwendung der suboxidischen Schicht
unter der Silberschicht um 30 % erhöht, was zu einem Schichtsystem mit einer
Kombination von niedriger Emissivität (En) und hohem Sichtdurchlassgrad (Tvis) führt.
In der Klagepatentschrift wird als Nachteil dieses Schichtsystems angesehen, dass das
Erfordernis einer unter-stöchiometrischen Metalloxid-Schicht den Herstellungsprozess
komplexer macht.
81
Schließlich ist aus dem Stand der Technik ein Produkt bekannt, das als erste Schicht
TiO2 aufweist. Die Silberschicht ist von Si3N4 oder Nickel-Chrom-Schichten umgeben.
Nachteilig ist laut Klagepatentschrift jedoch der geringe Lichtdurchlassgrad, so dass
sich das Glas nicht für alle IG-Anwendungen eignet.
82
Dem Klagepatent liegt vor diesem Hintergrund das Problem zu Grunde, ein
Schichtsystem zu entwickeln mit einer hoher Durchlässigkeit für sichtbares Licht, mit
einem hohen, stabilen IR-Reflektionsvermögen, mit einer im Wesentlichen neutralen,
insbesondere nicht purpurnen Tönung, ohne Spiegeleffekte und ohne das Erfordernis
einer unterstöchiometrischen Metalloxid-Schicht unter der Silberschicht,
83
Dies soll durch die Klagepatentansprüche 1 und 18 erreicht werden. Die Merkmale des
Anspruchs 1 lassen sich wie folgt gliedern:
84
Glaserzeugnis,
85
a. das Glaserzeugnis weist ein Glassubstrat auf;
86
b. das Glassubstrat weist ein durch Zerstäuben aufgetragenes Schichtsystem
darauf auf;
87
c. das Schichtsystem besteht von dem Glas nach außen im Wesentlichen aus:
88
c1. einer Grundierungsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder -
nitrid ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem Intervall
von 2,35 bis 2,75 enthalten ist;
89
c1.1 die Grundierungsschicht weist eine Dicke auf, die sich zwischen 16
und 32 nm erstreckt
90
c2. optional einer unteren Zwischenschicht, die sich zwischen der
Grundierungsschicht und einer Schicht aus metallischem Silber befindet,
wobei die untere Zwischenschicht aus einem im Wesentlichen
stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zn, Ti, Sn, Bi, Si oder Gemischen von
diesen ausgewählt ist;
91
c3. der Silberschicht;
92
c4. einer oberen Zwischenschicht, die sich zwischen der Silberschicht und
einer Überzugsschicht befindet, wobei die obere Zwischenschicht aus einem
Oxid oder Nitrid aus Al, Ti, Zn, Sn, Zr, Cr, Ta, Mg oder Gemischen von diesen
ausgewählt ist;
93
c5. der Überzugsschicht, die aus mindestens einem Metalloxid oder -nitrid
ausgebildet ist, das einen Brechungsindex aufweist, der in dem Intervall von
1,85 bis 2,25 enthalten ist;
94
e. die Dicke der Kombination der Schicht aus metallischem Silber und der
Überzugsschicht ist derart ausreichend ausgewählt, dass das Glaserzeugnis,
wenn das Glassubstrat aus einem klaren Glas einer Dicke besteht, die zwischen
2 bis 6 mm enthalten ist, aufweist:
95
e1. einen Sicht-Durchlassgrad (Tvis) von mindestens 84 %;
96
e2. einen Schichtwiderstand (Rs) von weniger als oder gleich 5,5
Ohm/Quadrat; und
97
e3. ein normales Emissionsvermögen (En) von weniger als oder gleich 0,065;
98
f. wobei das Schichtsystem keine Schicht beinhaltet, die im Wesentlichen aus
einem unterstöchiometrischen Metalloxid besteht, das sich zwischen dem
Substrat und der Schicht aus metallischem Silber befindet.
99
Die Merkmale des Klagepatentanspruchs 18 einschließlich des Anspruchs 2, auf den
100
der Anspruch 18 rückbezogen ist, können wie folgt gegliedert werden:
Isolierglaseinheit,
101
a. die Isolierglaseinheit besteht aus mindestens 2 Glasscheiben und ist an ihren
Umfangskanten abgedichtet, um eine isolierende Kammer zwischen diesen
auszubilden;
102
b. mindestens eine der Glasscheiben ist ein Glaserzeugnis nach Anspruch 1,
wobei das Glassubstrat eine monolithische Schicht aus im Wesentlichen klarem
Glas ist;
103
c. das Schichtsystem befindet sich auf der Glasscheibe innerhalb der
isolierenden Kammer;
104
d. die Isolierglaseinheit zeigt die folgenden Eigenschaften:
105
d1. Tvis 75 %
106
d2. Raußen 15 %
107
d3. Rinnen 15 %
108
d4. S.C. 0,60
109
d.5 Uwinter 0,26.
110
In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, der Vorteil dieses Beschichtungssystems liege
in der kombinierten Fähigkeit, hohe Tvis-Werte und zugleich niedrige En-Werte zu
erhalten. Darüber hinaus würden diese Werte erzielt, ohne eine separate
unterstöchiometrische metallische Oxidschicht unterhalb der Silberschicht aufzutragen.
111
II.
112
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1
nicht wortsinngemäß Gebrauch, weil die Klägerin nicht bewiesen hat, dass die
Grundierungsschicht aus mindestens einem Metalloxid oder -nitrid ausgebildet ist
(Merkmal c1.). Ebenso wenig steht fest, dass die zwischen der Grundierungsschicht und
der Silberschicht angeordnete Schicht der angegriffenen Ausführungsform aus einem im
Wesentlichen stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zink, Titan, Zinn, Bismut, Silizium
oder Gemischen von diesen besteht (Merkmal c2.).
113
1. Merkmal c1.
114
Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein erfindungsgemäßes Schichtsystem in der
Grundierungsschicht Oxinitride aufweisen darf. Die Auslegung des
Klagepatentanspruchs führt zu dem Ergebnis, dass Oxinitride vom Merkmal c1. nicht
erfasst werden. Aufgrund der vom Sachverständigen festgestellten Zusammensetzung
der Grundierungsschicht in der angegriffenen Ausführungsform hat die Klägerin letztlich
nicht bewiesen, dass das beanstandete Glasprodukt der Beklagten eine
erfindungsgemäße Grundierungsschicht aufweist.
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a) Ein erfindungsgemäßes Glaserzeugnis muss nach dem Wortlaut des
Klagepatentanspruchs eine Grundierungsschicht aufweisen, die aus mindestens einem
Metalloxid oder -nitrid mit einem Brechungsindex im Intervall von 2,35 und 2,75
ausgebildet ist. Während der Klagepatentanspruch 1 hinsichtlich der optionalen unteren
Zwischenschicht und der oberen Zwischenschicht ausdrücklich Oxide oder Nitride aus
bestimmten (Halb-)Metallen "oder Gemischen von diesen" benennt, wird der Begriff
"Gemische" für die Grundierungsschicht nicht im Wortlaut des Klagepatentanspruchs
verwendet. Allerdings soll die Grundierungsschicht aus – so der Wortlaut – mindestens
einem Metalloxid oder -nitrid ausgebildet sein. Eine erfindungsgemäße
Grundierungsschicht darf somit zumindest aus entweder mehreren verschiedenen
Metalloxiden oder mehreren Metallnitriden bestehen. Zwischen den Parteien ist streitig,
ob die Grundierungsschicht eines patentgemäßen Schichtsystems darüber hinaus auch
aus Gemischen von Metalloxiden und -nitriden oder gar aus Metalloxinitriden bestehen
darf. Bei der Entscheidung dieser Frage kann mit Blick auf die tatsächlichen
Feststellungen des Sachverständigen (dazu am Ende dieses Abschnitts) dahinstehen,
ob eine Grundierungsschicht nach der Lehre des Klagepatentanspruchs auch aus
einem oder mehreren Metalloxiden und Metallnitriden (in der Form eines Gemisches)
gebildet werden darf. Jedenfalls aber werden Metalloxinitride nicht von der Lehre des
Klagepatentanspruchs erfasst. Die Auslegung des Klagepatentanspruchs führt zu dem
Ergebnis, dass ein Schichtsystem mit einer Grundierungsschicht aus einem
Metalloxinitrid nicht patentgemäß ist. Der anderen Ansicht der Klägerin ist aufgrund der
hier vorzunehmenden Auslegung des Klagepatentanspruchs nicht zu folgen.
116
Zur Auslegung des Klagepatentanspruchs sind gemäß Art. 69 Abs. 1 EPÜ die
Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen. Nach dem Protokoll über die
Auslegung des Art. 69 Abs. 1 EPÜ dient die Auslegung nicht nur zur Behebung
etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen, sondern auch zur Klarstellung der in
den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der
Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung. Maßgeblich ist dabei
die Sicht des Durchschnittsfachmanns (BGHZ 105, 1 (11) – Ionenanlyse). Der
Sachverständige Dr. X hat den Durchschnittsfachmann in dem von ihm erstellten
Gutachten als diplomierten oder promovierten Physiker oder Chemiker mit besonderen
Kenntnissen in den Bereichen Optik, Oberflächen- und Grenzflächenphysik,
Halbleiterphysik, Vakuumtechnik und Materialwissenschaften beschrieben (dort S. 4 f;
Blatt 595R der Akte). Diese Einordnung hat er auf konkrete Nachfrage in der
mündlichen Verhandlung vom 18.12.2008 bestätigt und in nachvollziehbarer Weise
begründet.
117
aa) Für den Durchschnittsfachmann stellen Oxide, Nitride und Oxinitride
unterschiedliche Stoffklassen mit unterschiedlichen chemischen Eigenschaften dar.
Ausgehend vom Wortlaut des Klagepatentanspruchs wird der Fachmann daher unter
dem Begriff der Metalloxide beziehungsweise -nitride keine Oxinitride verstehen. Davon
ist der Sachverständige Dr. X bereits in seinem Gutachten ausgegangen (dort S. 35;
Blatt 611 der Akte) und hat dies in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom
18.12.2008 bekräftigt. Er hat auf Nachfrage erklärt, dass zum Beispiel Titanoxinitrid eine
eigene Stoffklasse bilde, die in ungefähr 1.000 Publikationen (Stand 2006) erwähnt
werde. Es handele sich um ein chemisch gebundenes Material, bei dem Titan eine
chemische Verbindung mit dem Sauerstoff und dem Stickstoff eingehe und das sich in
entsprechenden Untersuchungen auch darstellen lasse (Blatt 666 der Akte). Der
Sachverständige hat insbesondere im Hinblick auf die Grundierungsschicht darauf
118
hingewiesen, dass sich die Unterscheidung zwischen Oxiden, Nitriden und deren
Gemischen einerseits und Oxinitriden andererseits auch in den verschiedenen
Publikationen wiederspiegelt. Dort seien neben den Oxiden und Nitriden die Oxinitride
separat aufgeführt, wenn sie im entsprechenden Fachzusammenhang betrachtet
werden sollen (Blatt 670 der Akte). Diese Feststellung des Sachverständigen wird
beispielhaft durch die im Klagepatent genannte und Stand der Technik bildende
Druckschrift DE X bestätigt. Dort werden als Bestandteile, aus denen die
Grundierungsschicht gebildet werden soll, neben bestimmten (Halb-) Metalloxiden oder
-nitriden und deren jeweiligen Mischungen ausdrücklich ausgewählte Oxinitride und
deren Mischungen genannt (vgl. Patentanspruch 1 der Anlage K2). Da also
Metalloxinitride hinsichtlich Metalloxiden und -nitriden eine eigene Stoffklasse
darstellen, die in der Fachliteratur auch als solche benannt und behandelt wird, wird der
Fachmann unter "mindestens einem Metalloxid oder -nitrid" kein Metalloxinitrid
verstehen.
bb) Zu einer anderen Auslegung besteht auch im Hinblick auf die Beschreibung des
Klagepatents und den Unteranspruch 9 keine Veranlassung. Der Unteranspruch 9 sieht
ein Glaserzeugnis nach Anspruch 1 vor, bei dem die Grundierungsschicht ein Teil ist,
das aus der Gruppe gewählt ist, die aus TiO2, ZrO2, PbO, W2O3, SiZrN, SiTiN und
Gemischen von diesen besteht. In der Beschreibung des Klagepatents heißt es,
"Beispiele für Grundierungsmaterialien umfassen TiO2, ZrO2, PbO, W2O3, SiZrN, SiTiN
oder Mischungen daraus, oder mehrere Schichten davon" (S. 15 Z. 8-9; Textstellen
ohne Bezug stammen aus der deutschen Übersetzung der Klagepatentschrift, Anlage
K1a). In der für die Auslegung des Klagepatentanspruchs maßgeblichen englischen
Originalfassung der Patentschrift ist die Rede von "mixtures thereof" (vgl. Unteranspruch
9 und Abs. [0043] der Anlage K1). Die Klägerin vertritt die Auffassung, aufgrund von
Unteranspruch 9 und der Beschreibung des Klagepatents könne die
Grundierungsschicht auch aus Gemischen von Oxiden und Nitriden bestehen und der
Begriff der Gemische umfasse auch Oxinitride. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt
werden.
119
(1) Für den Durchschnittsfachmann ist der Begriff "Gemisch" beziehungsweise
"Mischung" (oder "mixture") ein feststehender Begriff aus dem Bereich der Chemie, der
von dem Begriff der (chemischen) Verbindung (im Englischen "compound")
abzugrenzen ist. Gemische oder Mischungen werden aus zwei oder mehr
Ausgangsstoffen gebildet, die keine chemische Verbindung miteinander eingehen und
daher für die Bildung des Gemisches auch in keinem bestimmten Atom- oder
Masseverhältnis zueinander stehen müssen. Gemische können durch entsprechende
physikalische Verfahren wieder in ihre Ausgangsstoffe zerlegt werden, während dies
bei chemischen Verbindungen allenfalls durch chemische Verfahren möglich ist. Dies
hat der Sachverständige Dr. X in seiner Anhörung auf Nachfrage des Gerichts im
Hinblick auf den Begriff "Gemische" im Merkmal c2. erläutert (Blatt 664 f der Akte).
Entsprechend wird der Durchschnittsfachmann unter dem im Unteranspruch 9 und dem
in der Beschreibung des Klagepatents hinsichtlich der Grundierungsschicht genannten
Begriff "Gemische" beziehungsweise"Mischungen" (S. 15 Z. 8 f) keine Oxinitride
verstehen, weil es sich dabei um chemische Verbindungen handelt. Auch der
Sachverständige hat auf Nachfrage des Gerichts zur Grundierungsschicht mit
nachvollziehbarer Begründung erläutert, dass Oxinitride als eigenständige chemische
Klasse "definitiv" nicht unter den Begriff Gemische fallen (Blatt 670 der Akte).
120
Die Verwendung des Begriffs "Gemische" oder "Mischungen" in anderen
121
Zusammenhängen in der Klagepatentschrift gibt ebenfalls keinen Hinweis darauf, unter
einem Gemisch oder einer Mischung im Sinne des Klagepatents Verbindungen von
Oxiden und Nitriden zu fassen. Hinsichtlich der Überzugsschicht unterscheidet sich der
Wortlaut der diesbezüglichen Beschreibung des Klagepatents kaum von der
Beschreibung der Grundierungsschicht. Für die optionale untere Zwischenschicht und
die obere Zwischenschicht wird im Klagepatentanspruch angeordnet, dass sie aus
einem Oxid oder Nitrid aus bestimmten (Halb-)Metallen "oder Gemischen von diesen
ausgewählt" sind (vgl. Merkmale c2. und c4.). Dieser Wortlaut findet sich auch in der
Beschreibung des Klagepatents (dort S. 15 Z. 24-26 und S. 16 Z. 6-8). Keine dieser
Textstellen bietet einen Anhaltspunkt dafür, dass mit Gemischen auch chemische
Verbindungen in der Form von Oxinitriden gemeint sein könnten.
(2) Eine andere Auslegung des Klagepatentanspruchs 1 kann auch nicht aufgrund des
für die Herstellung von Schichtsystemen angewandten Sputterverfahrens begründet
werden. Beim Sputterprozess (Zerstäubungsprozess) werden aus einem Target
Metallatome herausgeschlagen, die sich auf der zu beschichtenden Oberfläche
niederschlagen und dort eine Schicht bilden. Dieser Prozess findet unter einer
Reaktivgasatmosphäre – beispielsweise aus Sauerstoff oder Stickstoff – statt, so dass
sich entsprechende Oxid- oder Nitridschichten bilden. Der Sachverständige hat auf
Nachfrage des Klägervertreters erläutert, dass mit der Sputtertechnologie eine Schicht
aus einem Gemisch von reinem Titanoxid und reinem Titannitrid nicht vernünftig
hergestellt werden könne. Werde eine Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre verwendet,
bilde sich bei entsprechender Wahl der Energie eine Oxinitridschicht (Blatt 673 der
Akte). Die Klägerin ist der Ansicht, der Durchschnittsfachmann werde unter
"Mischungen" beziehungsweise "Gemische" in der Beschreibung des Klagepatents
(vgl. zur Grundierungsschicht S. 15 Z. 9) auch Oxinitride verstehen, weil sich Gemische
im lexikalischen Sinn (also als Gemenge verstanden) aus Metalloxiden und -nitriden in
der Praxis nicht herstellen ließen.
122
Die Ansicht der Klägerin verkennt, dass in der gesamten Klagepatentschrift keine
Oxinitride als Bestandteil des Schichtsystems, insbesondere einer Grundierungsschicht,
benannt werden. Der Begriff der "Mischungen" beziehungsweise "Gemische" lässt in
dieser Hinsicht kein anderes Verständnis zu. Zum Sputterverfahren äußert sich die
Klagepatentschrift nur am Rande mit der Bemerkung, "die konventionellen Techniken,
die verwendet werden, um die Schichten durch Zerstäuben aufzutragen und ihre
Betriebsparameter sind Fachleuten wohlbekannt" (S. 16 Z. 27-29). Sie bietet aber im
Übrigen keinen Anhaltspunkt dafür, unter Gemischen im Sinne des Klagepatents auch
chemische Verbindungen wie Oxinitride zu verstehen. Insofern besteht kein Anlass,
allein aufgrund der beiläufigen Erwähnung des Sputterverfahrens den Begriff der
"Gemische" im Hinblick auf die Besonderheiten dieses Verfahrens auszulegen. Der
Sachverständige hat dazu in seiner Anhörung wiederholt erklärt, dass der Fachmann
chemische Verbindungen wie Oxinitride nicht als Gemische im Sinne des Klagepatents
ansehen werde (Blatt 664, 666, 670 der Akte).
123
(3) Der im Unteranspruch 9 und in der Beschreibung der Grundierungsschicht (S. 15 Z.
9) verwendete Begriff "Gemisch" beziehungsweise "Mischung" wird durch die hier
vertretene Auslegung nicht bedeutungslos. Die Besonderheiten des Sputterverfahrens
zwingen nicht zu einer Auslegung, die unter Gemischen im Sinne des Klagepatents
auch ternäre Verbindungen wie Oxinitride versteht. Denn in seiner Anhörung hat der
Sachverständige festgestellt, dass es technisch nicht ausgeschlossen sei, Schichten
aus einem Gemisch eines Oxids und eines Nitrids herzustellen, indem entweder das
124
Reaktivgas oder die Kathoden im Sputterprozess sehr schnell hin- und hergeschaltet
werden (Blatt 671 der Akte). Es gebe Ansätze, Schichten aus einem Gemisch von
reinem Titanoxid und reinem Titannitrid herzustellen (Blatt 673 der Akte). Aber selbst
wenn sich "echte" Gemische aus Oxiden und Nitriden in einem Schichtsystem aufgrund
der Besonderheiten des Sputterverfahrens praktisch kaum umsetzen lassen, hat der
Begriff "Gemisch" im Sinne des Klagepatents eine eigene Bedeutung, da er sich
zumindest auf Gemische bezieht, die ausschließlich aus verschiedenen Metalloxiden
beziehungsweise ausschließlich aus mehreren Metallnitriden bestehen.
Dadurch lässt sich auch Unteranspruch 9 widerspruchsfrei in die Auslegung des
Klagepatentanspruchs 1 einordnen. Denn unter dem Begriff der Gemische im
Unteranspruch 9 sind nicht alle denkbaren Kombinationen zwischen den dort
angegebenen Oxiden und Nitriden zu verstehen, sondern nur solche entweder
zwischen den Oxiden oder den Nitriden. Der Sachverständige hat dazu erläutert, der
Fachmann wisse, dass nicht jede Materialkombination als Schichtsystem sinnvoll sei.
Zum Beispiel hätten gewisse Materialien per se eine höhere Absorption, so dass die
Kombination von vielen dieser Materialien in einem Schichtsystem ausgeschlossen sei.
Weiterhin wisse der Fachmann auch, dass bestimmte Stoffe keine vernünftige Adhäsion
aufwiesen. Bei einem Spektrum von Materialien werde der Fachmann separieren, was
gehe und was nicht gehe (Blatt 684 der Akte). Darüber hinaus hat der Sachverständige
Dr. X erklärt, der Fachmann scheue davor zurück, mehr als ternäre Komponenten
einzusetzen, zum einen aus ökonomischen Gründen, zum anderen weil die
Stöchiometrie irgendwann nicht mehr beherrschbar sei. Der Fachmann toleriere höhere
als ternäre Verbindungen nur dann, wenn sich damit ein klarer Nutzen ergebe, der
einfach definiert sei (Blatt 685). Bereits vor diesem Hintergrund wird der Fachmann nicht
die im Unteranspruch 9 angegebenen Oxide und Nitride miteinander mischen oder gar
unter dem Begriff der Gemische Oxinitride verstehen. Bei den beiden im Unteranspruch
9 genannten Nitriden handelt es sich jeweils um ternäre Verbindungen, so dass bei
einer Verbindung mit den im Unteranspruch 9 genannten Oxiden zumindest vier
Elemente beteiligt sind. Da die gesamte Klagepatentschrift keinen Hinweis darauf
enthält, welche vorteilhaften optischen Eigenschaften mit der Bildung einer
Grundierungsschicht aus Oxinitriden verbunden sind, hat der Durchschnittsfachmann
keine Veranlassung, Oxinitride in einer Grundierungsschicht zu verwenden. Dies hat
auch die Klägerin nicht vorgetragen.
125
b) Vor dem Hintergrund dieser Auslegung hat die Klägerin nicht bewiesen, dass die
angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatentanspruchs
wortsinngemäß Gebrauch macht. Der Sachverständige X hat in seinem Gutachten
festgestellt, dass die Grundierungsschicht Titan (27 at%), Sauerstoff (35 at%) und
Stickstoff (35 at%) aufweist. Er hat erläutert, dass die drei Stoffe mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit in der Form des Titanoxinitrid (TiO(N)x) gebunden sind. Eine
Mischung aus Titanoxid (TiO2) und Titannitrid (Ti3N4) hat er hingegen mit plausiblen
Gründen ausgeschlossen. Dazu hat er in seinem Gutachten ausgeführt, dass die
Messergebnisse ein Herstellungsverfahren nahe legen, bei dem die
Grundierungsschicht in einem Zerstäubungsprozess von einem metallischen Target
unter einer Reaktivgasatmosphäre mit Anteilen von Sauerstoff und Stickstoff gebildet
werde. Stickstoff könne bei der vorliegenden Konzentration nur innerhalb der
Schichtstruktur stabil bestehen, wenn er chemisch gebunden sei. Sauerstoff sei ebenso
aufgrund seiner hohen Reaktivität innerhalb der Schicht chemisch gebunden. Gleiches
gelte für Titan, das dazu neige, mit allen kompatiblen Reaktionspartnern chemische
Bindungen einzugehen. Infolgedessen bilden sich ternäre Verbindungen in der Form
126
von Titanoxinitrid (TiO(N)x) (S. 34 f des Gutachtens, Bl. 610R f der Akte). Aufgrund der
vom Sachverständigen in der Grundierungsschicht der angegriffenen Ausführungsform
festgestellten Bestandteile Titan, Sauerstoff und Stickstoff besteht die
Grundierungsschicht weder aus Titanoxid, noch aus Titannitrid. Ebenso wenig konnte
mit der für die Überzeugung der Kammer erforderlichen Sicherheit festgestellt werden,
dass das Titan in der Form von reinem Titanoxid und reinem Titannitrid – also einem
Gemisch – gebunden ist. Da ein Titanoxinitrid nicht als Bestandteil einer
erfindungsgemäßen Grundierungsschicht in Betracht kommt, kann eine Verwirklichung
des Merkmals c1. nicht festgestellt werden.
2. Merkmal c2.
127
Die Klägerin hat weiterhin nicht bewiesen, dass die zwischen der Grundierungsschicht
und der Silberschicht in der angegriffenen Ausführungsform angeordnete Schicht die
Merkmale einer erfindungsgemäßen optionalen unteren Zwischenschicht aufweist.
128
a) Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs ist es dem Fachmann überlassen, ob er
zwischen der Grundierungsschicht und der Silberschicht eine (untere) Zwischenschicht
einfügt. Falls eine solche untere Zwischenschicht im Schichtsystem einer
Ausführungsform vorhanden ist, muss sie jedoch den im Klagepatentanspruch
genannten Merkmalen entsprechen. Sie muss aus einem im Wesentlichen
stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zink, Titan, Zinn, Bismut, Silizium oder
Gemischen von diesen ausgewählt sein (Merkmal c2.). Die Klägerin hat in der
mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, das Merkmal c2. beschreibe
lediglich eine bevorzugte Ausführungsform, wie sie typischerweise Gegenstand eines
Unteranspruchs sei. Es sei in das Belieben des Fachmanns gestellt, ob er eine untere
Zwischenschicht vorsehe und welche Bestandteile diese habe. Dieser Ansicht kann
schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dadurch das Merkmal c2. bedeutungslos
würde. Zudem verkennt sie, dass sich der Begriff "optional" nicht auf die verwendeten
Stoffe, sondern auf die Zwischenschicht selbst bezieht. Es ist also dem Fachmann
überlassen, ob er eine untere Zwischenschicht in das Schichtsystem einbringt. Wenn
dies aber der Fall ist, muss die untere Zwischenschicht auch den im Merkmal c2.
aufgestellten Anforderungen genügen. Die Beschreibung der das Schichtsystem
bildenden Schichten in der Merkmalsgruppe c. ist insofern abschließend und lässt keine
weiteren Einzelschichten zu. Auf dem Glas ist die Grundierungsschicht aufgebracht (vgl.
Merkmal c.). Auf die Grundierungsschicht folgt grundsätzlich die Silberschicht, wenn
nicht zwischen diesen beiden Schichten die untere Zwischenschicht angeordnet ist (vgl.
Merkmal c2.). Der Silberschicht schließen sich dann zwingend die obere
Zwischenschicht und die Überzugsschicht an (vgl. Merkmal c4.). Ein Schichtsystem mit
einer zwischen der Grundierungsschicht und der Silberschicht vorgesehenen
Zwischenschicht ist demnach nur dann erfindungsgemäß, wenn die Zwischenschicht
aus einem im Wesentlichen stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zink, Titan, Zinn,
Bismut, Silizium oder Gemischen von diesen hergestellt ist.
129
Anders als für die Grundierungsschicht sieht der Klagepatentanspruch für die untere
Zwischenschicht ausdrücklich auch Gemische verschiedener Stoffe vor. Zwischen den
Parteien ist – ebenso wie bei der Grundierungsschicht – streitig, ob sich der Begriff
"Gemisch" nur auf Mischungen von Oxiden beziehungsweise Nitriden jeweils
untereinander oder auch auf Mischungen von Oxiden mit Nitriden oder sogar auf
Oxinitride bezieht. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr.
X (dazu am Ende des Abschnitts) kann wiederum dahinstehen, ob eine untere
130
Zwischenschicht, die aus Oxiden und Nitriden besteht, als erfindungsgemäß anzusehen
ist. Jedenfalls erfasst der Begriff "Gemisch" keine Oxinitride. Zur Begründung dieser
Auslegung kann in weiten Teilen auf die Ausführungen zum Merkmal c1. verwiesen
werden. Oxinitride stellen eine von den Oxiden und Nitriden zu unterscheidende
Stoffklasse dar, die im Klagepatentanspruch bezüglich der unteren Zwischenschicht
nicht genannt wird. Bei dem Begriff "Gemisch" (im Englischen "mixture") handelt es sich
um einen feststehenden Begriff, der von der chemischen Verbindung (im Englischen
"compound") zu unterscheiden ist. Bei einem Oxinitrid handelt es sich jedoch um eine
Verbindung im chemischen Sinne. Auch die Klagepatentschrift gibt keinen Hinweis
darauf, unter dem Begriff "Gemisch" chemische Verbindungen wie zum Beispiel
Oxinitride zu verstehen. Die entsprechenden Erläuterungen in der Beschreibung des
Klagepatents zur optionalen unteren Zwischenschicht (S. 15 Z. 24-26) sind nahezu
wortgleich mit dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs und geben für eine andere als
die hier vorgenommene Auslegung des Klagepatentanspruchs keinen Anhaltspunkt.
Ebenso wenig zwingt die Anwendung des Sputterverfahrens zu einer anderen
Auslegung, da es nicht ausgeschlossen ist, mit dem Sputterverfahren Einzelschichten
aus einem Gemisch eines Oxids mit einem Nitrid herzustellen. Abgesehen davon
bezieht sich der Begriff "Gemisch" im Merkmal c2. jedenfalls auch auf Einzelschichten,
die aus verschiedenen Metalloxiden beziehungsweise mehreren Metallnitriden
bestehen. Wegen der Einzelheiten der vorstehenden Auslegung des
Klagepatentanspruchs wird auf den vorherigen Abschnitt zur Grundierungsschicht
Bezug genommen.
Ebenso wenig folgt aus der Funktion der optionalen unteren Zwischenschicht, dass als
Bestandteil der Zwischenschicht nach der erfindungsgemäßen Lehre auch Oxinitride
ausgewählt werden können oder gar zu bevorzugen sind. Nach der Beschreibung des
Klagepatents dient die untere Zwischenschicht als Keimbildungsschicht für die darüber
befindliche Silberschicht (S. 14 Z. 22-25). Der Sachverständige X hat dazu erklärt, die
Keimbildung könne auf verschiedensten Schichtformationen erfolgen. Unabhängig
davon, ob ein stöchiometrisches Oxid, Nitrid oder Oxinitrid verwendet werde, könne eine
Keimbildung der Silberschicht auf der unteren Zwischenschicht stattfinden (S. 667 der
Akte). Ist es für den Fachmann aber unerheblich, ob er ein Oxid, ein Nitrid, ein Gemisch
von Oxiden und Nitriden oder ein Oxinitrid als Keimbildungsschicht verwendet, können
von dieser Funktion der unteren Zwischenschicht keine Rückschlüsse auf das
Verständnis der Begriffs "Gemisch" gezogen werden.
131
b) Vor dem Hintergrund dieser Auslegung hat die Klägerin nicht bewiesen, dass die
angegriffene Ausführungsform eine untere Zwischenschicht aus einem im Wesentlichen
stöchiometrischen Oxid oder Nitrid aus Zink, Titan, Zinn, Bismut, Silizium oder
Gemischen von diesen aufweist.
132
Der Sachverständige hat festgestellt, dass die zwischen der Grundierungsschicht und
der Silberschicht angeordnete Zwischenschicht der angegriffenen Ausführungsform aus
Zink und Sauerstoff besteht und einen Gehalt von 3 % Stickstoff aufweist, dessen
Bindungsform nicht analysiert werden kann. Außerdem wurde ein Anteil von 1 %
Aluminium nachgewiesen (S. 36 des Sachverständigengutachtens, Blatt 611R der
Akte). In der Anhörung hat der Sachverständige X es für sehr wahrscheinlich
angesehen, dass der Stickstoff aufgrund seines Anteils von 3 % eine chemische
Verbindung mit dem Zink eingegangen ist und somit ein Zinkoxinitrid entstanden ist
(Blatt 669 der Akte). Im Übrigen hat er aufgrund der ähnlichen Zusammensetzung auf
seine Feststellungen zu dem im Parallelverfahren 4a O 105/03 angegriffenen Produkt
133
verwiesen. In dem Zusammenhang hat er es als sehr unwahrscheinlich erachtet, dass
der Stickstoff allein an Zinkatome angedockt haben könnte. Infolgedessen geht der
Sachverständige X davon aus, dass in der unteren Zwischenschicht Zinkoxinitrid
vorhanden ist (S. 668 der Akte). Aufgrund dieser Feststellungen des Sachverständigen
steht nicht fest, dass die untere Grundierungsschicht aus einem Oxid oder Nitrid aus
Zink, Titan, Zinn, Bismut, Silizium oder Gemischen von diesen besteht. Da die
angegriffene Ausführungsform in der unteren Zwischenschicht mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch Zinkoxinitrid enthält, das nach vorstehender Auslegung nicht
von der Lehre des Klagepatentanspruchs erfasst ist, steht eine Verwirklichung des
Merkmals c2. nicht mit der für die Überzeugung der Kammer hinreichenden Sicherheit
fest.
III.
134
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die angegriffene IG-Einheit mit der Beschichtung
"Silverstar 1.1 Neutral" von der Lehre des Klagepatentanspruchs 18 wortsinngemäß
Gebrauch macht. Der Klagepatentanspruch 18 hat eine IG-Einheit aus mindestens zwei
Glasscheiben zum Gegenstand. Unter anderem soll mindestens eine der Glasscheiben
eine monolithische Schicht aus im Wesentlichen klarem Glas sein, auf das ein
Schichtsystem nach Klagepatentanspruch 1 aufgetragen ist (Unteranspruch 2). Auch
nach der Beweisaufnahme konnte nicht festgestellt werden, ob das beanstandete
Schichtsystem eine Grundierungsschicht und eine untere Zwischenschicht im Sinne der
Lehre des Klagepatentanspruchs 1 aufweist. Für die Einzelheiten der Begründung wird
auf die Ausführungen im vorherigen Abschnitt (II.) Bezug genommen. Entsprechend hat
die Klägerin eine Verwirklichung der mit dem Klagepatentanspruch 18 geschützten
technischen Lehre durch die angegriffene Ausführungsform nicht bewiesen.
135
IV.
136
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
137
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
138
Streitwert: 7.500.000,00 EUR.
139
Dr. Grabinski
Klus
Dr. Voß
140