Urteil des LG Düsseldorf vom 19.03.2009
LG Düsseldorf: stand der technik, materialien, ausbildung, erfindung, nichtigkeitsklage, zustand, sicherheitsleistung, auskunft, besitz, eigentum
Landgericht Düsseldorf, 4b O 19/08
Datum:
19.03.2009
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4b. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4b O 19/08
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften PatG
Tenor:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Streitwert wird auf 3.000.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents X (Klagepatent, Anlage K1), das
am 31.01.2001 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom
31.01.2000 angemeldet, und das am 13.11.2002 offengelegt wurde. Die Erteilung des
Klagepatents wurde am 25.04.2007 veröffentlicht. Das Klagepatent wurde unter
anderem für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und steht in Kraft. Eine
deutschsprachige Übersetzung wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem
Aktenzeichen X geführt (Anlage K 2). Die Beklagten haben gegen das Klagepatent mit
Schriftsatz vom 13.05.2008 (Anlage B&B 8) Nichtigkeitsklage erhoben. Das Klagepatent
betrifft Stentventilklappen.
2
Auf Antrag der Klägerin vom 04.09.2008 (Anlage K 12) ist das Klagepatent durch
Beschluss des Europäischen Patentamts vom 11.11.2008 ausweislich Mitteilung vom
27.11.2008 (Anlage K 21) in der Weise beschränkt worden, dass der ursprüngliche
Unteranspruch 13 Teil des Hauptanspruchs wurde, und dass der ursprüngliche
Unteranspruch 33 zum Unteranspruch 31 wurde.
3
Ansprüche 1 und 33 des Klagepatents lauten in der beschränkten Fassung nunmehr
4
"A stent valve, suitable for placement in a vessel (80), the vessel further having a
diameter (84) and an inner lumenal surface, comprising:
5
a) a radially expendable stent (20) having a proximal stent end (31), and a distal
stent end (33), the stent having an expanded diameter (86) sized to permit contact
with an inner lumenal surface of the vessel;
6
b) a valve (41) having a proximal valve end (48) and a distal valve end (50), the
valve being at least partially located within an inner portion of the stent, wherein the
valve is formed with a collagen containing bio material (38), characterised in that
said collagen containing bio material comprises pericardium and extends within
said stent (20) substantially from said proximal stent end (31) to said distal stent
end (33) and forms at least two valve leaflets (46) that extend substantially from
said proximal stent end (31) to said distal stent end (33), with the proximal valve
end (48) connected to the proximal stent end (31).”
7
31. A stent valve of any of claims 1 to 29, which is a heart valve.”
8
Die Klägerin hat zu der eingeschränkten Fassung die folgende Übersetzung in
deutscher Sprache (Anlage K 23) eingereicht:
9
"1. Stentventilklappe, die für eine Anordnung in einem Gefäß (80) geeignet ist,
wobei das Gefäß außerdem einen Durchmesser (84) und eine innere
Hohlraumfläche aufweist, die aufweist:
10
a) einen radial expandierbaren Stent (20) mit einem proximalen Stentende (31) und
einem distalen Stentende (33), wobei der Stent einen expandierten Durchmesser
(86) aufweist, der so bemessen ist, dass ein Kontakt mit einer inneren
Hohlraumfläche des Gefäßes gestattet wird;
11
b) eine Ventilklappe (41) mit einem proximalen Ventilklappenende (48) und einem
distalen Ventilklappenende (50), wobei die Ventilklappe mindestens teilweise
innerhalb eines inneren Abschnittes des Stents angeordnet ist, wobei die
Ventilklappe mit einem kollagenhaltigen Biomaterial (38) gebildet wird,
12
dadurch gekennzeichnet, dass das kollagenhaltige Biomaterial Perikard umfasst
und sich innerhalb des Stents (20) im Wesentlichen vom proximalen Stentende (31)
zum distalen Stentende (33) erstreckt und mindestens zwei Ventilklappenblättchen
(46) bildet, die sich im Wesentlichen vom proximalen Stentende (31) zum distalen
Stentende (33) erstrecken, wobei das proximale Ventilklappenende (48) mit dem
proximalen Stentende (31) verbunden ist.
13
31. Stentventilklappe nach einem der Ansprüche 1 bis 29, die eine Herzventilklappe
ist."
14
Nachfolgend wiedergegebene Figuren sind dem Klagepatent entnommen und erläutern
die patentgemäße Erfindung anhand vorzugswürdiger Ausführungsbeispiele:
15
Figuren 4 und 5 zeigen ein Herstellungsbeispiel einer patentgemäßen
Stentventilklappe, bei der das Material (38) aus dem die Ventilklappen geformt werden,
über die Stentöffnung (36) drapiert und sodann in die Stentöffnung gezogen wird. Figur
6B zeigt einen Teil einer patentgemäße Ventilklappe, nämlich den Abschnitt, der in
Form einer Ventiltasche ausgestülpt ist. Figur 7 ist eine Draufsicht auf eine Ventilklappe
16
bestehend aus zwei Ventilklappenblättchen, die die Ventilöffnung (52) bilden. Figur 8
zeigt eines von mehreren Ventilklappenblättchen (50) perspektivisch im Stent
dargestellt. Figur 16 schließlich zeigt ein Ausführungsbeispiel eines in ein Gefäß
eingebrachten und dort expandierten Stents.
Die Beklagte zu 1) stellt im Ausland her und vertreibt in der Bundesrepublik
Deutschland Stentklappen unter der Bezeichnung X Transkatheter-Herzklappe bzw. X
(im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Die Beklagte zu 2), das deutsche
Tochterunternehmen der Beklagten zu 1), unterhält die deutsche Niederlassung der
Beklagten zu 1) und vertreibt in Deutschland deren Produkte, darunter die angegriffene
Ausführungsform, die ein Ventilklappenstent ist. Nachfolgend wiedergegebene
Lichtbilder sind dem Internetauftritt der Beklagten zu 1) entnommen und zeigen die
angegriffene Ausführungsform in unterschiedlichen Größen:
17
Die angegriffene Ausführungsform weist drei aus Rinderperikard gebildete
Ventilklappenblättchen auf. Die Ventilklappenblättchen sind zum proximalen Stentende
hin am Stent befestigt. Die Befestigung ist dabei in der Weise ausgeführt, dass um das
distale Ende der Ventilklappenblättchen ein Abschnitt aus einem synthetischen Material
mit der Bezeichnung X geschlagen ist, welcher an der Innenseite des Stents in
Umfangsrichtung verläuft und sich entlang der Stentinnenseite etwa bis zur halben
Länge des Stents erstreckt. Die Materialverteilung ergibt sich aus der nachstehend
wiedergegebenen schematischen Darstellung (Anlage B & B 20) und einem
beschrifteten Lichtbild (Anlage B & B 19) der angegriffenen Ausführungsform:
18
Die schematische Darstellung zeigt in Figur 2 die angegriffene Ausführungsform im
Querschnitt, wobei das distale Stentende unten liegt. Mit der Bezugsziffer 1 ist der Stent
bezeichnet, mit der Bezugsziffer 20 sind die aus Rinderperikard bestehenden
Ventilklappenblättchen bezeichnet, und mit Bezugsziffer 40 die um die
Ventilklappenblättchen umgeschlagene Lage aus X, die in Umfangsrichtung an der
Innenseite des Stents anliegt. Das Lichtbild zeigt die angegriffene Ausführungsform von
außen, wobei der Abschnitt aus X strukturiert und die Ventilklappenblättchen aus
Perikard glatt erscheinen.
19
Die angegriffene Ausführungsform ist zur Therapie von Aortenklappeninsuffizienzen
geeignet und ausschließlich hierfür zugelassen. Bei dieser Anwendung wird die
angegriffene Ausführungsform mit einem Ballonkatheter in den Gewebering (Annulus)
einer erkrankten, also nicht (voll) funktionstüchtigen Aortenklappe gebracht und dort
expandiert, so dass der Stent der angegriffenen Ausführungsform in Kontakt mit den
defekten (zumeist: stenös verkalkten) Herzklappenblättchen der Aortenklappe gelangt.
Dabei ragt der Stent im expandierten Zustand und im Annulus der Herzklappe sitzend
zu einem kleinen Teil in die Aorta und zu einem deutlich größeren Teil in die linke
Herzkammer hinein.
20
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des Klagepatents in Anspruch,
wobei sie in den zuletzt gestellten Klageanträgen Hauptanspruch 1 in Kombination mit
Unteranspruch 31 in der eingeschränkten Fassung des Klagepatents geltend macht. Sie
ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent in dieser
Kombination. Die Expansion der angegriffenen Ausführungsform im Annulus der
Aortenklappe bewirke erfindungsgemäß einen Kontakt zwischen Stent und innerer
Hohlraumfläche des Gefäßes. Die Ventilklappe der angegriffenen Ausführungsform sei
trotz der Verwendung von X erfindungsgemäß aus einem Biomaterial gebildet, welches
21
sich innerhalb des Stents im Wesentlichen vom proximalen zum distalen Stentende
erstrecke, ebenso wie die Ventilklappenblättchen. Damit erstrecke sich das
kollagenhaltiges Biomaterial (Rinderperikard) über die gesamte Länge des Stents,
wenngleich darüber zum distalen Stentende hin eine Lage von X als
Einfassungsmaterial gefaltet ist. Zwischen den Stentenden und den Enden der Perikard-
Lage bestehe daher kein Abstand. Auch sei das proximale Ventilklappenende mit dem
proximalen Stentende verbunden.
Die Klägerin beantragt nunmehr, nachdem sie ursprünglich nur eine Verletzung des
Anspruchs 1 und sodann eine Verletzung des Anspruchs 1 in Kombination mit Anspruch
13 geltend gemacht hat, den Anspruch auf Vorlage von Belegen auf die Vorlage von
Rechnungen beschränkt und den Rückrufantrag nach Maßgabe der Anlage I zum
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2009 gestellt hat,
22
I. die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall
der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR
– ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs
Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren,
wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu 1) und 2) zu
vollstrecken ist, zu unterlassen,
23
1. Stentventilklappen, die Herzventilklappen sind, die für eine Anordnung in
einem Gefäß geeignet sind, wobei das Gefäß außerdem einen Durchmesser
und eine innere Hohlraumfläche aufweist, aufweisend:
24
einen radial expandierbaren Stent mit einem proximalen Stentende und einem
distalen Stentende, wobei der Stent einen expandierten Durchmesser
aufweist, der so bemessen ist, dass ein Kontakt mit einer inneren
Hohlraumfläche des Gefäßes gestattet wird;
25
eine Ventilklappe mit einem proximalen Ventilklappenende und einem
distalen Ventilklappenende, wobei die Ventilklappe mindestens teilweise
innerhalb eines inneren Abschnittes des Stents angeordnet ist, wobei die
Ventilklappe mit einem kollagenhaltigen Biomaterial gebildet wird,
26
dadurch gekennzeichnet, dass das kollagenhaltige Biomaterial Perikard
umfasst und sich innerhalb des Stents im Wesentlichen vom proximalen
Stentende zum distalen Stentende erstreckt und mindestens zwei
Ventilklappenblättchen bildet, die sich im Wesentlichen vom proximalen
Stentende zum distalen Stentende erstrecken, wobei das proximale
Ventilklappenende mit dem proximalen Stentende verbunden ist,
27
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu
gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
28
2. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung
zu legen, in welchem Umfang sie – die Beklagten – die unter I.1.
bezeichneten Handlungen seit dem 25.05.2007 begangen haben, unter
Angabe
29
a. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen
30
und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b. der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach
Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen
sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
31
c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten
und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und
Anschriften der Angebotsempfänger,
32
d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
33
e. der einzelnen Kostenfaktoren, aufgeschlüsselt nach Gestehungskosten
und des erzielten Gewinns,
34
wobei die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu I.2.a. und b. Rechnungen
vorzulegen haben
35
und
36
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und
Anschriften ihrer Angebotsempfänger und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer
statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur
Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen,
sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und
verpflichten, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter
Lieferant oder ein bestimmter Abnehmer in der Rechnungslegung enthalten
ist;
37
II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden
zu ersetzen, der ihr durch zu I.1. bezeichneten, seit dem 25.05.2007
begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
38
III.1. die Beklagten zu verurteilen, die vorstehend in Ziffer I.1. bezeichneten,
im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse unter Hinweis
auf den patentverletzenden Zustand des Erzeugnisses mit der Maßgabe
zurückzurufen, etwaige Kosten, die durch den Rückruf den gewerblichen
Abnehmern entstehen, zu übernehmen, sowie – falls die Beklagten noch
Eigentum daran haben – auf eigene Kosten aus den Vertriebswegen
endgültig zu entfernen;
39
III.2. die Beklagten zu verurteilen, die in ihrem unmittelbaren und/oder
mittelbaren Besitz bzw. und/oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse
gemäß I.1. auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen
von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden
Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.
40
Die Beklagten beantragen,
41
die Klage abzuweisen,
42
hilfsweise: den Rechtstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen den
deutschen Teil des Klagepatents beim Bundespatentgericht eingereichte
Nichtigkeitsklage vom 13.05.2008 (Az.: 4 Ni 53/08) auszusetzen,
43
hilfsweise: den Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin
abzuwenden.
44
Die Beklagten bestreiten, das Klagepatent zu verletzen. Der Einsatz einer
patentgemäßen Ventilklappe im Annulus des Herzens sei gar nicht möglich, weil diese
dem durch die Pumpbewegung des Herzens erzeugten hohen Druck nicht standhalten
würde. Die angegriffene Ausführungsform komme nicht in Kontakt mit einer inneren
Hohlraumfläche des Gefäßes. Vielmehr liege sie im expandierten Zustand im Annulus
an und komme in Kontakt nur mit Herzklappenblättchen der erkrankten Herzklappe.
Auch bestehe die Ventilklappe der angegriffenen Ausführungsform entgegen der Lehre
des Klagepatents nicht vollständig aus einem kollagenhaltigen Biomaterial. Der aus
DACRON gebildete Abschnitt sei Teil der Ventilklappe. Dies entspreche nicht der
technischen Lehre des Klagepatents, welche fordere, dass die Ventilklappe vollständig
aus kollagenhaltigem Biomaterial bestehen müsse. Ferner erstrecke sich das
kollagenhaltige Biomaterial nicht innerhalb des Stents im Wesentlichen vom proximalen
zum distalen Stentende, weil es zu etwa 25 Prozent im Vergleich zur Gesamtlänge über
die Stentlänge hinaus stehe. Aus diesem Grunde fehle es am proximalen Stentende
auch an einer Verbindung mit dem proximalen Ventilklappenende.
45
Ferner wenden die Beklagten ein, das Klagepatent sei nicht rechtsbeständig. Das
Klagepatent beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung und enthalte keine ausführbare
technische Lehre. Auch sei es neuheitsschädlich vorweggenommen und beruhe nicht
auf erfinderischer Tätigkeit.
46
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
47
Entscheidungsgründe
48
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten
Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der
Schadensersatzpflicht, Rückruf und Vernichtung gegen die Beklagten gemäß Art. 64
Abs. 1 EPÜ, §§ 9, 139, 140a, 140a PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu. Es lässt sich nicht
feststellen, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des
Klagepatents Gebrauch macht.
49
I.
50
Das Klagepatent betrifft, sofern die Klägerin Ansprüche daraus herleitet,
Stentventilklappen, die Herzventilklappen sind.
51
Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass zur Behandlung einer Venenhypertonie
der unteren Extremitäten verbunden mit einer Veneninsuffizienz der Ersatz einer
defekten menschlichen Ventilklappe durch eine künstliche Ventilklappenbaugruppe in
Betracht kommt. Zu diesem Zweck kommen Ventilklappen zum Einsatz, die
52
druckgelenkte Kugelbewegungsventile bzw. entsprechende Baugruppen umfassen.
Hieran kritisiert das Klagepatent als nachteilig, dass derartige mechanische
Ventilklappen die Bildung potentiell lebensgefährlicher Gerinnsel befördern. Ebenfalls
bekannt sind künstliche Ventilklappen, die als sogenannte biologische Ventilklappen
als homogene, allogene oder xenogene Transplantate eingesetzt werden. Bei
Verwendung dieser Transplantate stellen sich Probleme bei der Versorgung der
Ventilklappen, bei der Vermeidung von Immunreaktionen sowie beim Anpassen der
Größe der Klappe an den Empfängerorganismus. Schließlich stellen sich bei den aus
dem Stand der Technik bekannten Ventilklappen Probleme bei der Reparatur bzw.
Ausbesserung, weil die Baugruppe nicht neu positioniert werden kann, sobald sie vom
Anordnungskatheter getrennt wird. Weitere Probleme betreffen Undichtigkeiten um die
Ventilklappe herum sowie die Gefahr einer Emboliebildung.
Nächstliegender Stand der Technik für das Klagepatent ist die auf die X erteilte
Europäische Patentschrift X (Anlage K 4), welche einen Stent offenbart, der eine
Ventilklappe mit drei Blättchen oder mit zwei Blättchen aufweist, die im Stent befestigt
sind, um den Rückfluss von Flüssigkeiten zu verhindern. Der dort offenbarte Stent hat
eine Hülle (3), der den aus zwei oder mehreren zylindrischen radial elastischen
Einheiten bestehenden Stent bedeckt, und die an dessen Innen- oder Außenseite
positioniert ist. Die Blättchen (7, 7‘) der Ventilklappen decken nicht die gesamte Länge
des Stents ab, sondern nur einen geringen Anteil der Gesamtlänge des Stents.
Nachstehende Zeichnungen sind der EP ’614 entnommen, wobei Figur 5 einen Stent
mit drei Ventilblättchen und Figur 6 einen Stent mit zwei Ventilblättchen zeigt:
53
Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich das Klagepatent die Aufgabe
(Abschnitt [0006]), Geräte und Verfahren bereit zu stellen, die in alternativer und
verbesserter Weise die Klappenfunktion innerhalb der Gefäße des menschlichen
Körpers auszuüben vermögen.
54
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent gemäß seiner beschränkten
Fassung in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang eine Vorrichtung mit
folgenden Merkmalen vor:
55
1. Stentventilklappe, die eine Herzventilklappe ist,
56
a) die für eine Anordnung in einem Gefäß (80) geeignet ist,
57
b) wobei das Gefäß (80) außerdem einen Durchmesser (84) und eine innere
Hohlraumfläche (82) aufweist,
58
die aufweist:
59
2. einen radial expandierbaren Stent (20)
60
a) mit einem proximalen Stentende (31) und
61
b) einem distalen Stentende (33),
62
c) wobei der Stent einen expandierten Durchmesser (86) aufweist, der so
bemessen ist, dass ein Kontakt mit einer inneren Hohlraumfläche des
Gefäßes (80) gestattet wird;
63
3. eine Ventilklappe (41)
64
a) mit einem proximalen Ventilklappenende (48) und
65
b) einem distalen Ventilklappenende (50);
66
4. wobei die Ventilklappe (41)
67
a) mindestens teilweise innerhalb eines inneren Abschnitts des Stents
angeordnet ist
68
b) mit einem kollagenhaltigen Biomaterial (38) gebildet wird;
69
5. das kollagenhaltige Biomaterial (38)
70
a) erstreckt sich innerhalb des Stents (20) im Wesentlichen vom proximalen
Stentende (31) zum distalen Stentende (33) und
71
b) bildet mindestens zwei Ventilklappenblättchen (46),
72
c) die sich im Wesentlichen vom proximalen Stentende (31) zum distalen
Stentende (33) erstrecken, und
73
d) weist das Perikard auf;
74
6. das proximale Ventilklappenende (48) ist mit dem proximalen Stentende (31)
verbunden.
75
II.
76
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht nicht sämtliche Merkmale des
Klagepatents. Jedenfalls eine Verwirklichung des Merkmals 4.b) lässt sich nicht
feststellen.
77
a)
78
Gemäß diesem Merkmal ist die Ventilklappe eines erfindungsgemäßen
Ventilklappenstents aus einem kollagenhaltigen Biomaterial gebildet.
79
aa)
80
Als Ventilklappe nach der technischen Lehre des Klagepatents betrachtet der
Fachmann dasjenige Element der Stentventilklappe, das vom Stent als weiterem
Element verschieden, jedoch mit diesem – gemäß Merkmal 6. – verbunden ist. Zur
Ventilklappe gehören aus fachmännischer Sicht neben den Abschnitten, welche die
eigentliche Ventilfunktion (Verhinderung eines Rückflusses des Fluids) ausüben,
weitere, hiermit verbundene Abschnitte, welche ermöglichen, dass die eigentliche
Ventilfunktion erreicht werden kann. Sofern die eigentliche Ventilfunktion mittels
Ventilklappenblättchen gewährleistet wird und die Blättchen als im wesentlichen flache,
hin- und herbewegbare Blättchen ausgestaltet sind, macht die offene Struktur des
81
umgebenden Stents weitere Abschnitte erforderlich, die den Stent zur Seite hin gegen
einen Rückfluss abdichten. Andernfalls ist die Funktionsfähigkeit des Ventils nicht
sichergestellt. Solche weiteren, zur Seite hin abdichtenden Abschnitte mögen bei der
Ausbildung der Blättchen in Taschenform nicht erforderlich sein; indes ist die technische
Lehre des Klagepatents auf eine Gestaltung der Blättchen in Taschenform nicht
begrenzt.
Das Klagepatent unterscheidet zwischen zwei für die Funktion bedeutsamen
Bestandteilen einer Stentventilklappe: Einerseits lehrt es einen "radial expandierbaren
Stent" nach Maßgabe des Merkmals 2., andererseits eine "Ventilklappe" nach Maßgabe
der Merkmale 3. bis 5., wobei die proximalen Enden beider Bestandteile gemäß
Merkmal 6. miteinander verbunden sind.
82
Einen weiteren Anhalt für diese Sichtweise erhält der Fachmann zum einen daraus,
dass nach Merkmalen 2. und 3. die erfindungsgemäße Stentventilklappe (wenigstens)
zwei Elemente aufweist, nämlich den Stent gemäß Merkmalsgruppe 2. und die
Ventilklappe gemäß Merkmalgruppe 3. Dass die Ventilklappe mehrere miteinander
verbundene Abschnitte umfasst, ergibt sich aus Merkmal 5.b), wonach mindestens zwei
Ventilklappenblättchen aus dem kollagenhaltigen Biomaterial gebildet sind, also
demselben Material, aus dem gemäß Merkmal 4.b) die (gesamte) Ventilklappe gebildet
ist.
83
Zum anderen werden in den bevorzugten Ausführungsbeispielen des Klagepatents
Ventilklappen gezeigt, die über den die eigentliche Ventilfunktion ausübenden Abschnitt
hinaus wenigstens einen weiteren Abschnitt aufweisen. In der Terminologie des
Klagepatents wird die eigentliche Ventilfunktion, nämlich die Absperrung des
Fluidstroms gegen Rückströmung ausgeübt durch einen Ventilklappenabschnitt (49)
(Abschnitt [0025]), der in Form einer Ventilklappentasche eine Ventilklappenöffnung (52)
bildet, durch die das Fluid gelangt, ehe die Ventilklappentasche durch Gegenströmung
gefüllt und nach außen gegen die Wandung der Stentventilklappe sowie gegen den
bzw. die weiteren Ventilklappenabschnitte gedrückt wird, so dass die Öffnung
verschlossen wird. Hiervon wird im Klagepatent begrifflich unterschieden (ebenfalls
Abschnitt [0025]) ein Ventilklappenumfang, der mit dem Stent mit Nähten verbunden ist.
In diesem Verständnis wird der Fachmann ferner durch die Schilderung der
vorzugswürdigen Herstellungsweise einer patentgemäßen Stentventilklappe gestützt
(Abschnitt [0021]), die zur Erläuterung auf die Figuren 4 und 5 des Klagepatents
verweist. Hiernach wird das als Flächengebilde geformte Ventilklappenmaterial (36)
über die Öffnung des Stents drapiert und nach unten in den Stenthohlraum (36)
gedrückt. Demnach zählen zur Ventilklappe alle Abschnitte des einheitlichen zunächst
über den Stent drapierten und dann in seine Öffnung hineingezogenen Materials.
84
bb)
85
Die eine integrale Einheit bildenden Abschnitte der Ventilklappe bestehen gemäß der
technischen Lehre des Klagepatents aus einem einheitlichen Material, nämlich
kollagenhaltigem Biomaterial. Dies folgt bereits aus der Anweisung zum technischen
Handeln gemäß Merkmal 4.b). wonach die Ventilklappe mit einem kollagenhaltigen
Biomaterial gebildet wird. Diese Anweisung versteht der Fachmann in der Weise, dass
er allein dieses bestimmte Material verwenden soll.
86
Darauf deutet schon der Wortlaut des Patentanspruchs hin, der insoweit keine
87
sprachliche Einschränkung wie etwa "im wesentlichen", "teilweise" oder "überwiegend"
enthält. An anderer Stelle, nämlich bei Merkmal 4.a) und den kennzeichnenden
Merkmalen 5.a) und 5.c) weist der Anspruchswortlaut derartige Einschränkungen auf.
Der Fachmann erkennt diese Differenzierung und misst ihr die Bedeutung bei, dass die
technische Lehre nach Merkmal 4.b) ohne Einschränkung und Relativierung zu
verstehen ist.
Eine Relativierung liegt nicht darin begründet, dass nach dem Anspruchswortlaut die
Ventilklappe "mit" (im Wortlaut der englischen Verfahrenssprache: "with") einem
kollagenhaltigen Biomaterial gebildet wird. Den Wortlaut "mit" versteht der Fachmann
als "aus", dass also das bezeichnete Material dasjenige ist, das alleine Verwendung
finden soll. Für ein anderes Verständnis in dem Sinne, dass nur eines von mehreren
verwendbaren Materialien der Ventilklappe bezeichnet wird, würde der Fachmann einen
Hinweis auf die Verwendbarkeit anderer Materialien außer kollagenhaltigem
Biomaterial erwarten. Ein solcher Hinweis fehlt aber in der Formulierung des
Anspruchswortlauts, gemäß derer "mit" dem kollagenhaltigen Biomaterial die
Ventilklappe zu bilden ist und nicht durch Worte wie "unter anderem mit" angedeutet
wird, dass auch die Verwendung eines weiteren Materials noch der technischen Lehre
der Erfindung entspräche.
88
Auch der allgemeinen Beschreibung der Erfindung (Abschnitt [0022]) entnimmt der
Fachmann, dass für die Ventilklappe ein einziges Material zu verwenden ist, da gemäß
der Beschreibung der Begriff "Ventilklappenmaterial" (in der englischen
Verfahrenssprache "valve material") mit dem bestimmten Artikel und im Singular steht.
Geschildert wird insoweit die Verwendung eines einzigen bestimmten Materials für die
Ausbildung der Ventilklappe.
89
Der Beschreibung kann der Fachmann überdies entnehmen, dass die Verwendung von
kollagenhaltigem Biomaterial als einzigem Material der Ventilklappe eine
erfindungsgemäße Funktion erfüllt. Der Einsatz von kollagenhaltigem Biomaterial dient
dem Zweck eine effektive Ventilklappenfunktion zu gestatten, auch wenn die
erfindungsgemäße Stentventilklappe bestimmungsgemäß zum Einsatz, dem Einbringen
in den menschlichen Körper durch einen minimalinvasiven Eingriff, zusammengeklappt
und expandiert wird (Abschnitt [0022]). Auch unter diesen Bedingungen, die das
Ventilklappenmaterial beanspruchen, sollen die Ventilklappen ihre Funktion und
Integrität beibehalten. Dies soll auch dann gewährleistet sein, wenn die
erfindungsgemäße Stentventilklappe neu positioniert und dazu nochmals
zusammengeklappt und erneut expandiert werden soll. Das Klagepatent kritisiert es an
den aus dem Stand der Technik bekannten Stent-Systemen gerade als nachteilig, dass
bei einer Neupositionierung Probleme auftreten (Abschnitt [0005]). Da zusammen mit
dem Stent auch die gesamte Ventilklappe vollständig – und gegebenenfalls mehrfach –
zusammengeklappt und expandiert wird, muss sie aus dem erfindungsgemäßen (und
"vorteilhafterweise nachgiebigem" (Abschnitt [0022])) kollagenhaltigen Biomaterial
bestehen.
90
Diese Angabe zur Bedeutung der Materialauswahl ist aus Sicht des Fachmanns im
übrigen ein weiterer Beleg dafür, dass als Ventilklappe auch alle diejenigen Abschnitte
der Stentventilklappe zu verstehen sind, die zum Erhalt der eigentlichen
Rückhaltefunktion beitragen. Auch die müssen so zusammengeklappt und expandiert
werden können, ohne dass diese Funktion beeinträchtigt wird.
91
Auch die Berücksichtigung der anderen Merkmale bei Auslegung des Merkmals 4.b)
führt dazu, dass insoweit eine Ventilklappe aus einem einheitlichen Material gelehrt
wird. Die – zum kennzeichnenden Teil des Hauptanspruchs gehörende –
Merkmalsgruppe 5. lehrt, dass sich das Biomaterial innerhalb des Stents erstreckt.
Innerhalb des Stents ist, wie der Fachmann erkennt, jedoch alleine die Ventilklappe
selber anzuordnen. Um die Ventilfunktion zu gewährleisten, reicht es aus, dass die
Ventilklappe in dichtender Weise innerhalb des Stenthohlraums sitzt.
92
Das Erfordernis eines einheitlichen kollagenhaltigen Biomaterials gilt aus
fachmännischer Sicht um so dringlicher, als im Zuge der Diskussion geeigneter
Materialein in der Beschreibung des Klagepatents ausgeführt wird (Abschnitt [0022]),
dass andere, mithin nicht erfindungsgemäße Materialien, synthetische Materialien
umfassen, nämlich PET, PP, PTFE oder irgendein Polymer oder Derivat hiervon sowie
kommerziell bekannte Materialien wie GORE-TEX oder DACRON. Nach der
technischen Lehre des Klagepatents werden nicht nur solche Ventilklappen abgelehnt,
die insgesamt aus den aufgeführten synthetischen Materialien bestehen, sondern
insbesondere auch solche, die derartige abzulehnende Materialien auch nur umfassen,
also abschnittsweise oder teilweise, womöglich gemischt mit anderen Materialien
aufweisen. Dem entnimmt der Fachmann, dass die Ausbildung einer einheitlichen, aus
einem einzigen Material bestehenden Ventilklappe funktionsgemäß zur Lösung der
technischen Aufgabe beiträgt.
93
In dem dargestellten Verständnis von einer einheitlichen Ventilklappe aus
kollagenhaltigem Biomaterial wird der Fachmann des Weiteren durch das
Herstellungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Stentventilklappe (Abschnitt [0021]) und
den zugehörigen Figuren 4 und 5 des Klagepatents gestützt. Dort wird die Herstellung
einer Ventilklappe gemäß der technischen Lehre des Klagepatents beschrieben.
Hiernach wird das als Flächengebilde geformte Ventilklappenmaterial (38) über die
Öffnung des Stents drapiert und nach unten in den Stenthohlraum (36) verbracht. Auch
diese Herstellungsweise spricht dafür, dass alle Abschnitte des einheitlich zunächst
über den Stent gelegten und dann in seine Öffnung verbrachten Materials, als
Ventilklappe aus einem einheitlichen Material zu gelten haben.
94
Dass die aus dem Stand der Technik vorbekannten Herzventilklappen eine
Kombination mehrerer Materialien – Biomaterial mit synthetischem Material –
aufweisen, steht dem dargelegten Verständnis von der Lehre des Klagepatents nicht
entgegen. Zwar mögen solche vorbekannten Herzventilklappen, wie beispielsweise der
in einem Gutachten des X vom 12.01.2009 (Anlage B & B / Ni 26, Rz. 37) erläuterte
Herzklappentyp "Carpentier-Edwards Perikard-Aorten-Prothese" eine derartige
Materialkombination aufgewiesen haben; auch ist dem Gutachten des Herrn X vom
09.01.2009 (Anlage B & B 9 / Ni 25, Rz. 30) eine Kombination von Gewebe vom
Schwein mit Kunststoffeinsätzen bei einer anderen Herzklappenprothese aus dem
Jahre 1975 zu entnehmen. Indes sind diese Herzklappenprothesen bzw. -ventile nicht
als mit einem Katheter zu verabreichende und expandierbare Stentventilklappen
ausgebildet gewesen. Bei ihnen war das Ventilklappenmaterial den besonderen
Beanspruchungen in einem expandierbaren Stent mithin nicht ausgesetzt. Um auch
unter diesen besonderen Bedingungen eine funktionstüchtige Ventilklappe zur
Verfügung zu stellen, hat sich das Klagepatent für die Lehre eines einheitlichen
kollagenhaltigen Biomaterials entschieden. Dass für eine (unter Umständen neu
positionierbare) expandierbare Stentventilklappe vorbekannte Materialkombinationen in
Betracht kommen, lehrt das Klagepatent nicht.
95
Schließlich nimmt der Fachmann bei der Prüfung, welche Materialauswahl für die
Ventilklappe klagepatentgemäß ist, zur Kenntnis, dass das Klagepatent für mögliche,
nicht im Anspruch genannte, weitere Teile des Ventilklappenstents die Forderung nach
einem einheitlichen kollagenhaltigen Biomaterial nicht erhebt. Für diese weiteren
Bestandteile soll anders als bei der Ventilklappe ein synthetisches Material genügen. In
der Erläuterung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels wird beispielsweise
beschrieben (Abschnitt [0036]), dass die Hülle, die eine äußere Fläche des
Stentrahmens bedecken kann, nicht das gleiche Material wie die Ventilklappe haben
muss: Während die Ventilklappe nur ein natürlich vorkommendes Material sein kann,
kann die Außenhülle auch aus einem synthetischen Material bestehen. Diese
Gegenüberstellung in der Materialauswahl für unterschiedliche Bestandteile der
erfindungsgemäßen Stentventilklappe versteht der Fachmann als weiteren Hinweis auf
die Bedeutung eines einheitlichen Ventilklappenmaterials.
96
b)
97
Mangels einheitlicher Ausbildung der Ventilklappe aus einem kollagenhaltigen
Biomaterial fehlt es demnach an der Verwirklichung des Merkmals 4.b). Unstreitig weist
die Ventilklappe neben einem aus Rinderperikard gebildeten Abschnitt auch einen
weiteren Abschnitt auf, der aus dem synthetischen Material mit der Bezeichnung X
besteht, einem Polyethylenterephtalat. Als synthetisches Material ist X – was die
Klägerin selber vorbringt – kein Biomaterial im Sinne von Merkmal 4.b). Vielmehr wird
nach der Lehre des Klagepatents X als Material abgelehnt (Abschnitt [0022]).
98
Der aus X bestehende Abschnitt der Ventilklappe der angegriffenen Ausführungsform
ist, mit dem aus Rinderperikard bestehenden Abschnitt so verbunden, dass der X-
Abschnitt eine Abdichtung des Stents zur Seite hin bewirkt. Beide Abschnitte
gemeinsam machen demnach bei der angegriffenen Ausführungsform die Ventilklappe
aus, wobei der Abschnitt aus Rinderperikard in der Terminologie des Klagepatents den
Ventilklappenabschnitt (49) darstellt der eine Öffnung bildet, während der X-Abschnitt
den an den Stent genähten Ventilklappenumfang darstellt. An der eigentlichen
Ventilfunktion hat auch der X-Abschnitt Anteil: Bei einem Rückfluss des Blutes aus
Richtung der Aorta zu Herzkammer hin werden die Ventilklappenblättchen der
angegriffenen Ausführungsform nach unten geklappt und verschließen dabei den
Stentinnenraum im Querschnitt. Der um das proximale Ende der Ventilklappenblättchen
geschlagene X-Rand dichtet die angegriffen Ausführungsform zur Seite hin ab, indem er
die offene Stentstruktur, auf der aufliegt, abdichtet. Dies ist deshalb notwendig, weil die
angegriffene Ausführungsform im Annulus sitzt, so dass die Stentstruktur nicht auf voller
Länger durch ein umgebendes Gefäß abgedichtet wird. Damit gehört auch der X-
Abschnitt zur Ventilklappe in der angegriffenen Ausführungsform.
99
III.
100
Einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag der Beklagten, den
Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen den deutschen Teil
des Klagepatents beim Bundespatentgericht erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen,
bedarf es mangels feststellbarer Patentverletzung nicht.
101
IV.
102
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
103
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Über den
hilfsweise gestellten Schutzantrag der Beklagten gemäß § 712 ZPO musste nicht
entschieden werden.
104
Der Streitwert war, abweichend vom Beschluss der Kammer vom 14.05.2008 (Bl. 66f.
GA), auf 3.000.000,00 EUR festzusetzen. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die
Klägerin selber kein klagepatentgemäßes Produkt herstellt und vertreibt. Greift ein
Patentinhaber, der selber mit patentgemäßen Produkten keinen Umsatz erzielt, ein auf
dem Markt tatsächlich vorhandenes Produkt an, so kommt bei der Bemessung des für
die Bestimmung des Streitwerts maßgeblichen Angriffsinteresses auch dem mit der
angegriffenen Ausführungsform erzielten Umsatz maßgebliche Bedeutung zu (OLG
Karlsruhe BB 1975, 109; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rn. 167
m.w.N.). Die Beklagten bringen vor, im Jahre 2008 einen Umsatz von etwa 53 Mio. EUR
erzielt zu haben, wovon etwa 13,5 Mio. EUR auf Deutschland entfallen seien. Obwohl
die Klägerin diese Umsatzzahlen bestritten hat, können sie gleichwohl der gemäß § 3
ZPO vorzunehmenden Bestimmung des Streitwerts nach freiem Ermessen zugrunde
gelegt werden. Zum einen haben die Beklagten diese Zahlen durch eine eidesstattliche
Versicherung (Anlage B & B 25) untermauert. Zum anderen haben diese Zahlen
Eingang in Analysten-Berichte (Anlagen B&B 9 und 10) gefunden; dass die Beklagten
falsche, nämlich überhöhte Umsatzzahlen an Analysten mitteilt, scheint schon deshalb
unwahrscheinlich, weil dies auf eine Täuschung von Investoren hinausliefe, und auch
keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Täuschung ersichtlich sind. Für das im
Rahmen der Streitwertfestsetzung maßgebliche Angriffsinteresse der Klägerin ist dabei
zwar nicht der gesamte Umsatz der Beklagten zu berücksichtigen, jedoch immerhin
derjenige Teil, der geeignet erscheint, eigene Vermögensinteressen der Klägerin zu
beeinträchtigen. Das Gericht geht insoweit davon aus, dass ein jährlicher Umsatz von
etwa 2,5 Mio. EUR berücksichtigungsfähig und bei der Bewertung der
Vermögensinteressen der Klägerin von einem fiktiven Lizenzsatz von etwa 10 Prozent
auszugehen ist. Bei einer Restlaufzeit des Klagepatents von etwa 12 Jahren ergibt sich
damit ein Angriffsinteresse pro Jahr Restlaufzeit in Höhe von 250.000,00 EUR und
insgesamt in Höhe von 3.000.000,00 EUR.
105