Urteil des LG Düsseldorf vom 27.04.2007

LG Düsseldorf: stand der technik, patentanspruch, erfindung, verfahrenssprache, rate, form, dosierung, geschwindigkeit, zusammensetzung, erlass

Landgericht Düsseldorf, 4a O 30/07
Datum:
27.04.2007
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4a. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4a O 30/07
Tenor:
I.
Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
vom 13. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III.
Das Urteil ist für die Antragsgegnerin vorläufig vollstreckbar.
Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn
nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Antragstellerin ist seit dem 24. März 2005 eingetragene Inhaberin des europäischen
Patentes x xxx xxx (Anlage Ast 1, nachfolgend Verfügungspatent 1), das eine
oxycodonhaltige Zubereitung mit gesteuerter Wirkstoffabgabe betrifft und am 25.
November 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität der xx xxx xxx vom 27. November
1991 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 17. März
2004. Die Verfahrenssprache des Verfügungspatentes 1 ist Englisch; Deutschland
wurde als Vertragsstaat benannt. Der deutsche Teil des Verfügungspatentes 1 ist unter
der Registernummer xx xxx xx xxx T2 (Anlage Ast 2) veröffentlicht worden.
2
Der für das vorliegende Verfahren maßgebliche Patentanspruch 1 hat in der englischen
Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
3
"A controlled release oxycodone dosage form for oral administration to human
patients, comprising:
4
a. oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to 160 mg of the oxycodone
hydrochloride salt;
b. a matrix incorporating said oxycodone salt;
c. a coating in said matrix controlling the release of said oxycodone salt;
d. wherein said dosage form has an in vitro dissolution rate, when measured by the
USP Paddle Method at 100 rpm in 900 ml aqueous buffer (pH between 1.6 and
7.2) at 37° C, between 12.5 % und 42.5 % (by weight) oxycodone salt released
after 1 hour, between 25 % and 55 % (by weight) oxycodone salt, released after 2
hours, between 45 % and 75 % (by weight) oxycodone salt released after 4 hours
and between 55 % and 85 % (by weight) oxycodone salt released after 6 hours.”
5
6
In deutscher Übersetzung hat der Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:
7
"Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung
an menschlichen Patienten, umfassend:
8
a. Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des
Oxycodonhydrochloridsalzes entspricht,
b. einer Matrix, die das Oxycodonsalz enthält,
c. eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert,
d. worin die Darreichungsform eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist,
wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml
wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C, zwischen 12,5 Gew.-%
und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 25
Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind,
zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt
sind und zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden
freigesetzt sind."
9
10
Die Antragstellerin ist seit dem 24. März 2005 weiterhin eingetragene Inhaberin des
europäischen Patentes x xxx xxx (Anlage Ast 23, nachfolgend Verfügungspatent 2),
welches unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 27. November 1991 am 25.
November 1992 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte
am 30. Oktober 2002. Die Verfahrenssprache des Verfügungspatentes ist Englisch;
Deutschland wurde als Vertragsstaat benannt. Der deutsche Teil des
Verfügungspatentes 2 ist unter der Registernummer xx xxx xx xxx (Anlage Ast 25)
veröffentlicht worden.
11
Die im vorliegenden Verfahren kombiniert geltend gemachten Patentansprüche 6 und
11 haben in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
12
"A controlled release oxycodone formulation for administration to human patients,
comprising:
13
a. An analgesically effective amount of spheroids comprising oxycodone or a salt
thereof and a spheronising agent;
b. Each spheroid being coated with a film coating which controls the release of the
oxycodone or oxycodone salt at a controlled rate in an aqueous medium.
14
15
Use of a controlled release oxycodone formulation as defined in any one of the
claims 1 – 10, containing oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to
160 mg, of the hydrochloride salt, for the manufacture of a medicament, said
medicament when used at multiple 12-hours intervals in human patients,
providing steady state:
16
a. a mean maximum plasma concentration of oxycodone of 6 to 240 ng/ml at 2 to 4.5
hours after administration;
b. a mean minimum plasma concentration of oxycodone of 3 to 120 ng/ml at 10 to 14
hours after administration; and
c. pain relief in substantially all human patients for at least 12 hours.”
17
18
In deutscher Übersetzung haben die Patentansprüche 6 und 11 folgenden Wortlaut:
19
"Kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur Verabreichung an
menschliche Patienten, umfassend:
20
a. eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden umfassend Oxycodon oder ein
Salz davon, sowie ein Sphäronisiermittel;
b. wobei jedes Sphäroid mit einem Filmüberzug beschichtet ist, welcher die
Freisetzung des Oxycodons oder Oxycodonsalzes mit einer kontrollierten
Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium steuert. (Anspruch 6)
21
22
Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodonformulierung wie in einem
der Ansprüche 1 bis 10 definiert, enthaltend ein Oxycodonsalz in einer Menge, die
10 mg bis 160 mg des Hydrochloridsalzes entspricht, zur Herstellung eines
23
Medikaments, wobei das Medikament bei Verwendung in mehrmaligen 12-
Stunden-Intervallen bei menschlichen Patienten im Fließgleichgewichtszustand
gewährleistet:
a. eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml 2
bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung;
b. eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml 10
bis 14 Stunden nach der Verabreichung; sowie
c. Schmerzlinderung bei im wesentlichen allen menschlichen Patienten für
mindestens 12 Stunden." (Anspruch 11)
24
25
Die Verfügungspatente gehen neben anderen, für das vorliegende Verfahren nicht
relevanten Patenten auf die internationale Patentanmeldung mit der
Veröffentlichungsnummer xx xx/xxxxx zurück. Das Verfügungspatent 2 ist aus einer
Teilanmeldung der xx xx/xxxxx hervorgegangen, das Verfügungspatent 1 ist eine
Teilanmeldung zweiter Generation, d.h. es ist aus einer Teilanmeldung
hervorgegangen, die für die europäische Anmeldung eingereicht wurde, die zum
Verfügungspatent 2 führte.
26
Die Antragsgegnerin, ein in der Schweiz ansässiges Entwicklungs- und
Herstellerunternehmen beliefert eine Vielzahl von Generika-Herstellern in der
Bundesrepublik Deutschland mit zum Weiterverkauf bestimmten generischen
Arzneimitteln. Dabei stellt sie u.a. eine Oxycodon-Retard-Formulierung her, welche an
deutsche Generika-Hersteller zum Weitervertrieb in der Bundesrepublik Deutschland
geliefert wird. Mit Bescheiddatum vom 22. Januar 2007 ermächtigte das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Unternehmen xx- GmbH, xx- AG, xx
xxx AG, x-xx GmbH und die x- x GmbH zum Vertrieb von durch die Antragsgegnerin
hergestellten Oxycodon-Retardtabletten in den Wirkstoffstärken 20 mg, 40 mg und 80
mg in der Bundesrepublik Deutschland. Ausweislich der Zulassungsbescheide handelt
es sich bei allen Zulassungen um eine Oxycodon-Retardtablette für die Indikation
"starke bis sehr starke Schmerzen".
27
Mit Antrag vom 13. Februar 2007 beantragte die Antragstellerin den Erlass einer
einstweiligen Verfügung mit dem Ziel der Antragstellerin den Vertrieb einer Oxycodon-
Retardformulierung in der Bundesrepublik zu untersagen, welche von der Lehre nach
dem Verfügungspatent 1 Gebrauch macht. Mit Beschluss vom 14. Februar 2007 ordnete
die Kammer an, dass über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung werden soll.
Nachdem die Generika-Hersteller xx- x AG und xxx GmbH die streitgegenständlichen
Oxycodon-Formulierungen in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt haben, ließ
die Antragstellerin die Tabletten der x- xx AG mit der Bezeichnung "Oxycodon-HCl C-®"
durch Herrn Dr. xxx.-xx. xx xx und die xx GmbH untersuchen. Auf die als Anlage Ast 32
und 39 vorgelegten Gutachten wird Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 20. März
2007 machte die Antragstellerin auch eine Verletzung des Verfügungspatentes 2
geltend.
28
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die von der Antragsgegnerin hergestellte
und vertriebene Oxycodon-Retardformulierung von der erfindungsgemäßen Lehre nach
den Verfügungspatenten Gebrauch mache. Die Verfügungspatente würden in den
einzelnen Merkmalen (vgl. Merkmalsgliederung in den Entscheidungsgründen) keinen
abschließenden Aufbau der Formulierungen vorsehen. So müsse die Matrix nicht das
gesamte Oxycodonsalz der arzneilich wirksamen Formulierung aufweisen.
Entsprechend könne sich auf der Beschichtung, welche die Freisetzung des
Oxycodonsalzes steuere, auch eine weitere Schicht befinden, welches Oxycodonsalz
enthalte, solange nur die entsprechenden in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeiten,
welche das Verfügungspatent 1 vorsehe, eingehalten werden würden. Das gleiche gelte
für das Verfügungspatent 2, solange die in den Ansprüchen genannte
Plasmakonzentration erreicht werden würde.
29
Die Antragstellerin beantragt,
30
1. der Antragsgegnerin zu untersagen,
31
a) eine kontrolliert freisetzende Oxycodon-Darreichungsform zur oralen
Verabreichung an menschlichen Patienten umfassend (a) Oxycodon-
Hydrochloridsalz in einer Menge von 10 mg – 80 mg, (b) eine Matrix, die
das Oxycodonsalz enthält, (c) eine Beschichtung auf der Matrix, die die
Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert, (d) eine Beschichtung auf der
Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert, worin (d) die
Darreichungsform eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist,
wobei Messungen nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 90
ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C, zwischen 12,5
Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt
sind, zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei
Stunden freigesetzt sind, zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-%
Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-
% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und
zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden
freigesetzt sind,
32
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen
oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken in die
Bundesrepublik Deutschland einzuführen oder zu besitzen;
33
b) eine kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur Verabreichung
an menschliche Patienten in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten,
in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten
Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen oder zu
besitzen, die
34
eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden, umfassend
Oxycodonsalz, sowie ein Sphäronisierungsmittel enthält, bei der jedes
Sphäroid mit einem Filmüberzug beschichtet ist, welcher die Freisetzung
des Oxycodonsalzes mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem
wässrigen Medium steuert, und
35
Oxycodonsalz in einer Menge enthält, die 10 mg bis 80 mg des
36
Hydrochloridsalzes entspricht, und zur Herstellung eines Medikaments
verwendet wird, wobei das Medikament bei Verwendung in mehrmaligen
12-Stunden-Intervallen bei menschlichen Patienten im
Fließgleichgewichtszustand gewährleistet:
aa) eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis
240 ng/ml bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung;
37
bb) eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis
120 ng/ml 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung;
38
cc) Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten
für mindestens 12 Stunden;
39
2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. der Antragsgegnerin
Ordnungsgeld bis zu 250.000,- Eur anzudrohen, ersatzweise
Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Widerholungsfalle
bis zu insgesamt 2 Jahren, jeweils zu vollstrecken an ihrem Direktor;
40
3. der Antragsgegnerin aufzugeben, der Antragstellerin unverzüglich
schriftlich und vollständig unter Vorlage eines einheitlichen geordneten
Verzeichnisses unter Beifügung von Belegen in Form gut lesbarer Kopien
sämtlicher Auftragsschreiben, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine,
Zollpapiere und Rechnungen Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang
sie die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17. April 2004
begangen hat, und zwar unter Angabe
41
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der
Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
Vorbesitzer,
42
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen und
Lieferzeiten sowie der Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer.
43
Die Antragsgegnerin beantragt,
44
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
45
Sie stellt eine Verletzung der Verfügungspatente durch die angegriffene Oxycodon-
Retardformulierung in Abrede. Das Verfügungspatent 1 sei in dem im Anspruch 1
beschriebenen Aufbau der Formulierung abschließend. Entsprechend müsse sich der
gesamte Wirkstoff in der Matrixschicht befinden. Die Verfügungspatentschrift 1 gebe
keinen Anhalt für einen Formulierungsaufbau, bei welchem sich auf der die Freisetzung
steuernden Beschichtung noch eine weitere Wirkstoffschicht befinde. Das gleiche gelte
für das Verfügungspatent 2, wenn dort davon die Rede sei, dass jedes Sphäroid mit
einem Filmüberzug beschichtet sei, der die Freisetzung des Oxycodonsalzes in einem
wässrigen Medium steuere.
46
Die Antragstellerin tritt diesem Vorbringen vollumfänglich entgegen.
47
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
48
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
49
Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist
unbegründet. Ein Verfügungsanspruch liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat gemäß §§
935, 936 i.V.m. 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht, dass ihr
gegenüber der Antragsgegnerin ein Unterlassungsanspruch nach Art. 64 EPÜ i.V.m. §
139 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 PatG sowie ein hiermit korrespondierender
Auskunftsanspruch zusteht.
50
I.
51
Verfügungspatent 1
52
1.
53
Das Verfügungspatent I befasst sich mit oxycodonhaltigen Zubereitungen mit
gesteuerter (retardierter) Wirkstoffabgabe. Bei Oxycodon handelt es sich um einen
Opioidagonisten, der bei der Behandlung starker Schmerzen Anwendung findet. Der
analgetische Effekt der Opioidanalgetika beruht darauf, dass sie die Wirkung
körpereigener morphinähnlich wirkender Substanzen (sog. endogene Opioide)
nachahmen, deren physiologische Funktion darin besteht, die Wahrnehmung und
Verarbeitung von Schmerzreizen zu kontrollieren. Die Opioidanalgetika entfalten ihre
Wirksamkeit durch Bindung an Opioidrezeptoren im Zentralnervensystem, aber auch in
der Körperperipherie. Dabei hängen die schmerzstillende Hauptwirkung und auch die
Nebenwirkungen von Opioidanalgetika insbesondere von der Art des Opioid-Rezeptors
ab, an den sich das jeweilige Opioidanalgetikum bindet und davon, wie es diesen
beeinflusst.
54
Ein gravierendes Problem bei der Behandlung von Schmerz mit Opioidanalgetika
besteht darin, dass Patienten ganz erhebliche Abweichungen hinsichtlich der jeweils
zur individuellen Schmerzkontrolle ohne allzu große Nebenwirkungen erforderlichen
Dosierung zeigen. Die Wirkung und Toleranz von Opioidanalgetika hängt unter
anderem von der physischen Konstitution, der individuellen Leber- und Nierenfunktion,
dem Alter, der Veranlagung und dem individuellen Schmerzempfinden des Patienten
ab. Durch diese inter-individuellen Unterschiede entsteht eine Dosierungsbandbreite,
worunter der Fachmann den Bereich an Wirkstoffmenge versteht, die pro Tag
erforderlich ist, um z.B. 90 % aller Patienten wirkungsvoll zu behandeln, d.h. – bei
Verabreichung eines Schmerzmittels – den Schmerz dauerhaft zu kontrollieren. Die
Bandbreite kann z.B. von 10 mg bis 40 mg reichen. Bei Opioiden ist die Bandbreite
jedoch im allgemeinen groß, nämlich bei etwa 1 : 8, d.h. bei einer Mindestdosis von 10
mg wäre die Maximaldosis 80 mg. Um die individuelle Einzeldosis bestimmen zu
können, sind Reihenuntersuchungen (sog. Titrationen) zu täglichen Dosierungen von
Opioidanalgetika, die zur Schmerzkontrolle erforderlich sind, notwendig, bis die
minimale, zur Schmerzlinderung individuell erforderliche Dosis gefunden ist. Nachteilig
hieran ist, dass der Patient bis zum Abschluss dieses Prozesses nicht optimal dosiert
ist, was dazu führt, dass er während dieser Zeit entweder überdosiert ist, oder aber
seine Schmerzen nicht adäquat kontrolliert sind. Je größer die Bandbreite der
Dosierungsunterschiede zwischen den individuellen Patienten ist, desto aufwendiger
und länger ist dieser Titrationsprozess.
55
Der Titrationsprozess wurde herkömmlicherweise mit den Wirkstoff schnell
freisetzenden oralen Präparaten oder mit intravenös zu verabreichenden Präparaten
durchgeführt. Sobald die optimale Tagesmenge feststand, wurde üblicherweise unter
Beibehaltung dieser Tagesmenge zu einer Retardformulierung gewechselt. Traditionell
war der Patient nach der Titration schnell mit freisetzenden Präparaten korrekt auf eine
bestimmte Wirkstoffmenge pro Tag eingestellt. Teilweise musste jedoch eine
Nachtitration erfolgen.
56
Zum Prioritätszeitpunkt waren bereits Formulierungen zur kontrollierten Freisetzung von
Opioidanalgetika, insbesondere Morphin und Hydromorphon oder deren Salze, in einer
geeigneten Matrix bekannt. So beschreibt das US-Patent x,xxx,xx (Goldie)
Hydromorphon-Zusammensetzungen, worin die in-vitro-Auflösungsrate, gemessen
durch die USP Blattrührer-(Paddle)-Methode bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer
(pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C zwischen 12,5 und 42,5 Gew.-% nach 1 Stunde
freigesetztes, zwischen 25 und 55 Gew.-% nach 2 Stunden freigesetztes, zwischen 45
und 75 Gew.-% nach 4 Stunden freigesetztes und zwischen 55 und 85 Gew.-% nach 6
Stunden freigesetztes Hydromorphon beträgt.
57
Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik bezeichnet es das Verfügungspatent
1 als seine Aufgabe, eine Opioidanalgetikum-Formulierung bereitzustellen, welche die
Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung erheblich verbessert (Absatz 0006).
Als weitere Aufgabe formuliert es das Verfügungspatent 1, Verfahren und
Formulierungen bereitzustellen, welche die ungefähr achtfache Breite in
Tagesdosierungen, die zur Schmerzkontrolle in ungefähr 90 % der Patienten notwendig
sind, wesentlich verringern.
58
Hierzu schlägt das Verfügungspatent 1 in dem für das vorliegende Verfahren
maßgeblichen Patentanspruch 1 Folgendes vor:
59
1. Kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur oralen Verabreichung am
menschlichen Patienten, umfassend:
60
2. Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Oxycodon-
Hydrochloridsalzes entspricht,
61
3. eine Matrix auf, die das Oxycodonsalz enthält,
62
4. eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes
steuert.
63
5. Die Darreichungsform weist eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit auf,
wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml
wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C,
64
a) zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde
freigesetzt sind,
65
b) zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden
freigesetzt sind,
66
c) zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden
freigesetzt sind und
67
d) zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden
freigesetzt sind.
68
2.
69
Nachdem die Zusammensetzung und der Aufbau der angegriffenen Oxycodon-Retard-
Formulierung zwischen den Parteien unstreitig geworden ist, vermag die Kammer
diesbezüglich folgende Feststellungen zu treffen.
70
Als arzneilich wirksamen Bestandteil enthält die angegriffene Formulierung
Oxycodonhydrochlorid in einer Menge von 20 mg, 40 mg bzw. 80 mg, wobei durch
Teilung der 20 mg-Tablette auch eine Dosierung von 10 mg erreicht werden kann. Die
Formulierung, deren Aufbau der schematischen Abbildung 42 der Anlage Ast 32 a bzw.
Anlage Ag 21 entspricht, welche nachfolgend wiedergegeben ist,
71
besteht als Kernsubstanz aus einem Zucker-Stärke-Pellet, das im Inneren der Tablette
angeordnet ist. Das Zucker-Stärke-Pellet besteht aus Saccharose, Maisstärke und D-
Glucose und enthält keinen Wirkstoff. Das Pellet selbst ist von einer ringförmigen
Schicht aus Wirkstoff (Oxycodonhydrochlorid) und Hydroxypropylmethylcellulose
("Hypromellose" = HPMC) umgeben. Entgegen der ursprünglich von der Antragstellerin
vertretenen Auffassung, an welcher sie nicht mehr festgehalten hat, diffundiert aus der
das Pellet unmittelbar umgebenden Wirkstoffschicht kein Wirkstoff in das Innere des
Pellets. Über dieser ringförmigen Schicht aus Wirkstoff und HPMC befindet sich eine
weitere ringförmige Schicht, die ein Gemisch aus Ethylcellulose und
Hydroxypropylcellulose ("Hyprolose" = HPC) enthält. Diese Schicht steuert – so die
Antragsgegnerin - die Freisetzung des in der darunter liegenden Schicht enthaltenen
Wirkstoffs. Über dieser Schicht befindet sich eine weitere Schicht – "dritte" Schicht – die
wiederum als arzneilich wirksamen Bestandteil Oxycodonhydrochlorid und zwar in
einem Umfang von ca. 20 Gew.-% sowie HPMC enthält. Diese "dritte" Schicht ist nicht
von einer weiteren Beschichtung umgeben.
72
3.
73
Dieser Aufbau der angegriffenen Zusammensetzung macht von Patentanspruch 1 des
Verfügungspatentes 1 keinen Gebrauch.
74
Merkmal 3, welches neben den Merkmalen 4 und 5 zwischen den Parteien im Streit
steht, besagt, dass die Formulierung eine Matrix aufweist, die das Oxycodonsalz enthält.
Merkmal 4, welches mit dem Merkmal 3 in technisch-funktionalem Zusammenhang
steht, sieht vor, dass sich auf der Matrix eine Beschichtung befindet, die die Freisetzung
des Oxycodonsalzes steuert. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen
Frage, ob es sich bei HPMC um Matrixmaterial im Sinne des Verfügungspatentes 1
handelt, verwirklicht die angegriffene Ausführungsform jedenfalls insoweit nicht das
Merkmal 3 und als Folge hieraus auch nicht das Merkmal 4, als sich
Oxycodonhydrochlorid nicht nur in der Schicht befindet, welche von der Antragstellerin
als Matrixschicht bezeichnet wird, also derjenigen Schicht oberhalb des Zucker-Stärke-
Pellets, welche den Wirkstoff und HPMC enthält, sondern auch in einer weiteren,
"dritten" Schicht oberhalb der Beschichtung. Dementsprechend steuert die in der
75
zweiten Schicht vorhandene Beschichtung aus Ethylcellulose und HPC auch nicht die
Freisetzung des Oxycodonhydrochlorids. Der für das vorliegende Verfahren
maßgebliche Patentanspruch 1 ist jedoch dahingehend zu verstehen, dass sich der
Wirkstoff Oxycodon insgesamt in der Matrixschicht befinden soll, damit die auf der
Matrixschicht befindliche Beschichtung die Freisetzung steuern kann.
Zu dieser Auffassung gelangt der Fachmann bereits ausgehend von einer rein
philologischen Betrachtung, an der, wie der Kammer bewusst ist, im Rahmen der
Auslegung nicht Halt gemacht werden darf. In der für die Auslegung maßgebenden
englischen Verfahrenssprache ist der Patentanspruch 1 lit. a) und b) wie folgt formuliert:
76
"(a) oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to 160 mg of the oxycodone
hydrochloride salt;
77
(b) a matrix incorporating said oxycodone salt.”
78
In lit. (b) ist mithin von "a matrix incorporating
said
Formulierung "said oxycodone salt" wird ersichtlich Bezug auf das in lit. (a) genannte
Oxycodonsalz mit einer Dosierung von 10 mg bis 160 mg genommen. Das in lit. (a)
beschriebene Oxycodonsalz in der jeweils gewählten Dosierung soll daher dem
Wortlaut nach in der Matrixschicht enthalten sein. Die sich an die Matrixbeschichtung
anschließende Beschichtung soll dann, wie sich unmittelbar weiter aus dem
Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes 1 ergibt, die Freisetzung des
Oxycodonsalzes steuern. Entsprechend ist in lit. (c) des Patentanspruch 1 in der
englischen Verfahrenssprache definiert:
79
"(c) a coating on said matrix controlling the release of said oxycodone salt.”
80
Auch hier wird wieder auf "
said
(a) näher beschriebene Oxycodonsalz. Dessen Freisetzung soll durch die Beschichtung
der Matrixschicht gesteuert werden. Die Geschwindigkeit der Freisetzung wird dann in
lit. (d) näher beschrieben. Die Freisetzungsgeschwindigkeit soll auch nicht – wie die
Antragstellerin meint und wie es die deutsche Übersetzung des Patentanspruches nicht
ausschließt – durch die "Darreichungsform", also ein Arzneimittel gleich welcher
Zusammensetzung erzielt werden. In der für die Auslegung maßgeblichen englischen
Verfahrenssprache heißt es unter lit. (d):
81
"(d) wherein said dosage form has an in vitro dissolution rate (…).”
82
In lit. (d) wird auf "said dosage form" Bezug genommen, es wurde daher die gleiche
Formulierung gewählt, wie sie im Oberbegriff des Anspruches 1 verwendet wird, wo von
"a controlled release oxycodone dosage form of (....)" gesprochen wird. Diese soll den in
lit. (a) bis (c) näher beschriebenen Aufbau und Zusammensetzung und die in lit. (d)
näher beschriebene Freisetzungsgeschwindigkeit aufweisen.
83
Ausgehend von einer rein philologischen Betrachtung des Wortlauts des
Patentanspruches 1 in der für die Auslegung maßgeblichen englischen
Verfahrenssprache ist der erfindungsgemäße Aufbau der Formulierung daher
abschließend zu verstehen. Die Matrixschicht soll den Wirkstoff Oxycodonhydrochlorid
enthalten und durch die Beschichtung, welche sich oberhalb der Matrixschicht befindet
und welche die Freisetzung des Wirkstoffes steuert, werden die erfindungsgemäß
84
angestrebten Freisetzungsgeschwindigkeiten erreicht.
Zu dem gleichen Verständnis des Patentanspruches 1 gelangt der Fachmann auch bei
technisch-funktionaler Betrachtung des Gegenstandes der Erfindung nach dem
Verfügungspatent 1. Ausgehend von der Überlegung, dass mit der erfindungsgemäßen
Formulierung eine kontrollierte Freisetzung des Oxycodonsalzes erzielt werden soll,
kann die kontrollierte Freisetzung nur dann erzielt werden, wenn der zu steuernde
Wirkstoff von einer Beschichtung umgeben ist, die auf Grund ihrer chemisch-
physikalischen Eigenschaften in der Lage ist, eine solche Steuerung zu übernehmen.
Eine solche "Kontrolle" würde nicht oder nicht schwerlich erzielt werden, wenn sich auf
der die Freisetzung steuernden Beschichtung eine weitere Schicht befände, die
Wirkstoff enthält und diesen "ungesteuert" freisetzt. Das Verfügungspatent 1 lässt es,
wie es sich bereits aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 ergibt, keinesfalls offen,
durch welche Schicht die Steuerung erfolgen soll. Denn zum einen ist von einer
Steuerung durch die Beschichtung die Rede. Zum anderen muss eine die Freisetzung
des Wirkstoffs vorhandene Beschichtung vorhanden sein, da der Anspruch 1 wie auch
die Beschreibung keine näheren Angaben zur Ausgestaltung der Matrixschicht macht.
Nach der Beschreibung in der Verfügungspatentschrift ist erfindungsgemäß sowohl eine
normale wie auch eine kontrollierte freisetzende Matrixschicht erfindungsgemäß (vgl.
Abs. 0031 der Verfügungspatentschrift 1). Wird erfindungsgemäß jedoch eine
Matrixschicht verwendet, die eine normale Freisetzung bewirkt, muss zwangsläufig, um
eine kontrollierte Freisetzung der Wirkstoffs zu erreichen, eine Beschichtung vorhanden
sein, die die Steuerungsfunktion übernimmt, da ansonsten keinerlei kontrollierte
Freisetzung der arzneilichen Formulierung gegeben wäre.
85
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es, wie sich bereits aus dem
Wortlaut des Patentanspruches 1 in der englischsprachigen Verfahrenssprache ergibt,
auch nicht darauf an, dass lediglich durch irgendeine "Darreichungsform" die in
Merkmal 5 der obigen Merkmalsgliederung beschriebenen
Freisetzungsgeschwindigkeiten erzielt werden. Denn die in-vitro-
Freisetzungsgeschwindigkeiten bilden nicht allein den Gegenstand der Erfindung nach
dem Verfügungspatent 1. Vielmehr stellt die Kombination aus der Verwendung des
Wirkstoffs Oxycodon bzw. seines Salzes und dem Aufbau der Formulierung (vgl.
Merkmale 2 bis 4) und der in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit (vgl. Merkmal 5) den
Kern der Erfindung dar. Denn das in Merkmal 5 beschriebene in-vitro-Freisetzungsprofil
war im Stand der Technik für Hydromorphon-Zusammensetzungen schon bekannt, wie
sich aus Abs. 0004 der Verfügungspatentschrift 1 entnehmen ist, wo konkret die in
Merkmal 5 definierten in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeiten beschrieben werden.
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Zu einem anderen Verständnis der technischen Lehre der in Patentanspruch 1 des
Verfügungspatentes 1 unter Schutz gestellten Lehre, gibt auch die Beschreibung der
Erfindung in der Verfügungspatentschrift keinen Anhalt. Denn in der Beschreibung wird
lediglich auf Beispiele von Formulierungen Bezug genommen, die eine Beschichtung
aufweisen, die alleine oder in Verbindung mit einer kontrolliert freisetzenden Matrix das
erfindungsgemäß gewünschte Freisetzungsprofil erzielt (vgl. Abs. 0044 bis 0048, 0050
sowie die Beispiele). Zwar heißt es in Abs. 0044, dass die "Sphäroide vorzugsweise mit
einem Material filmbeschichtet (sind), das die Freisetzung des Oxycodons (oder
Oxycodonsalzes) mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium"
erlaubt. Anhand der genannten Textstelle könnte daher der Eindruck entstehen, dass
eine kontrollierte Freisetzung erfindungsgemäß nur vorzugsweise mittels einer
entsprechenden Beschichtung erzielt werden soll. Der Fachmann, der die
87
Entstehungsgeschichte der Verfügungspatentes 1 vor Augen hat, d.h. Kenntnis darüber
hat, dass das Verfügungspatent 1 – wie auch das Verfügungspatent 2 - seinen Ursprung
in der xx xx/xxxx hat, erkennt jedoch, dass die Beschreibung der Erfindung nicht
individuell auf den Gegenstand der Erfindung nach Patentanspruch 1 des
Verfügungspatentes 1 angepasst wurde, die Beschreibung daher auch andere
Formulierungen umfasst, die mit der im Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten
Erfindung nicht im Einklang stehen. Dies zeigt sich vorliegend insbesondere daran,
dass die Beschreibung des Verfügungspatentes 2 mit derjenigen des
Verfügungspatentes 1 in den wesentlichen Zügen übereinstimmt.
Entsprechend des vorstehend beschriebenen Verständnisses der Merkmale 3 und 4 des
Patentanspruches 1, macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem
Verfügungspatent 1 keinen Gebrauch. Die angegriffene Formulierung weist in der als
Matrixschicht bezeichneten "ersten" Schicht nicht die gesamte in der Formulierung
vorhandene Wirkstoffkonzentration auf. Vielmehr befindet sich in einer oberhalb der
Schicht, welche die Beschichtung trägt, vorhandenen "dritten" Schicht weiteres
Oxycodonsalz in einem Umfang von 20 Gew.-%. Die Beschichtung steuert mithin nicht
die Freisetzung des in der Formulierung vorhandenen Oxycodonsalzes.
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Verfügungspatent 2
89
1.
90
Wie das Verfügungspatent 1 befasst sich das Verfügungspatent 2 mit Formulierungen
für die kontrollierte Freisetzung von Oxycodon. Zum Stand der Technik nimmt das
Verfügungspatent 2 Bezug auf die xx xx xx xxx, xx xxx,xxx und xx x xxx xxx.
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Die xx x xx xxx beschreibt eine feste orale Darreichungsform mit kontrollierter
Freisetzungsrate, welche speziell eine therapeutisch wirksame Menge von
Hydromorphon oder einem seiner Salze in einer Matrix umfasst. Die in-vitro-
Auflösungsrate wird mittels der USP Paddle-Methode bei 100 Upm in 900 ml wässrigem
Puffer bestimmt. Die xx xxxxx,xxx beschreibt ein Verfahren zur Herstellung einer
speziellen oralen Retard-Matrix, basierend auf Fettalkohol und Acrylharz. Unter der
Vielzahl der genannten Wirkstoff findet sich auch Oxycodon. Auch die xx x xxx xxx
offenbart eine kontrolliert freisetzende Retardmatrixformulierung für Opioide. Im
allgemeinen Teil der Beschreibung wird u.a. Oxycodon genannt.
92
Vor dem Hintergrund des Standes der Technik hat es sich die Erfindung nach dem
Verfügungspatent 2 zur Aufgabe gemacht, ein Verfahren zur wesentlichen
Verbesserung der Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung bereitzustellen.
Hierzu schlägt das Verfügungspatent 2 in den kombiniert geltend gemachten
Ansprüchen 6 und 11, entsprechend der von der Antragsgegnerin als Anlage AG 13
vorgelegten Merkmalsgliederung Folgendes vor:
93
1. Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodonformulierung,
umfassend:
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1.1 eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden umfassend
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1.1.1 ein Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des
Hydrochloridsalzes entspricht, sowie
96
1.1.2 ein Sphäronisierungsmittel,
97
1.2 jedes Sphäroid ist mit einem Filmüberzug beschichtet,
98
1.2.1 der Filmüberzug steuert die Freisetzung des Oxycodonsalzes in einem
wässrigen Medium,
99
1.2.2 das Oxycodonsalz wird in einer kontrollierten Rate freigesetzt,
100
2. Zur Herstellung eines Medikaments zur Verabreichung an menschlichen
Patienten,
101
3. das Medikament gewährleistet bei Verwendung in mehrmaligen 12-Stunden-
Intervallen bei menschlichen Patienten im Fließgleichgewichtszustand:
102
3.1 eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240
ng/ml bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung
103
3.2 eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120
ng/ml 20 bis 14 Stunden nach der Verabreichung, sowie
104
3.3 Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für
mindestens 12 Stunden.
105
2.
106
In Entsprechung zu den obigen Ausführungen im Hinblick auf eine fehlende
Verwirklichung des Verfügungspatentes 1 macht die angegriffene Ausführungsform
auch von dem Verfügungspatent 2 keinen Gebrauch. Unabhängig von der zwischen den
Parteien streitigen Frage der Verwirklichung der Merkmale 1.1. und 1.1.2, insbesondere
der Frage des Vorhandenseins von Sphäroiden bzw. Sphäronisierungsmittel in der
angegriffenen Ausführungsform, liegt eine Verwirklichung nicht vor, da mit der
angegriffenen Formulierung von der Merkmalsgruppe 1.2 kein Gebrauch gemacht wird.
107
Nach Merkmal 1.2 ist jedes Sphäroid, welches in der Merkmalsgruppe 1.1 näher
beschrieben wird, mit einem Filmüberzug beschichtet, der die Freisetzung des
Oxycodonsalzes in einem wässrigen Medium steuert und das Oxycodonsalz in einer
kontrollierten Rate freisetzt. Vergleichbar der Formulierung des Patenanspruches 1 des
Verfügungspatentes 1 besagt der Patentanspruch 6 des Verfügungspatentes 2 in der für
die Auslegung maßgeblichen englischen Verfahrenssprache in lit. (b), dass "each
spheroid being coated with a film coating which controls the release of the oxycodone or
oxycodone salt at a controlled rate in an aqueous medium", d.h. die Filmbeschichtung
des Sphäroids steuert die Freisetzung
des
wird und dessen Konzentration sich dem vorliegend kombiniert geltend gemachten
Patentanspruch 11 entnehmen lässt. Dementsprechend soll bereits dem Wortlaut des
Patentanspruches 6 nach die Beschichtung die Freisetzung des in dem Sphäroid
vorhandenen Wirkstoffs steuern.
108
In Entsprechung zu den Ausführungen zur Auslegung des Patentanspruches 1 von dem
Verfügungspatent 1 ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis des
109
Patentanspruches 6 aus der Beschreibung der Erfindung nach dem Verfügungspatent 2.
Die Beschreibungen der Erfindung in den jeweiligen Verfügungspatenten sind
weitestgehend identisch.
Ein anderes Verständnis als nach der rein philologischen Betrachtung des
Patentanspruches 6 – in Kombination mit dem kombiniert geltend gemachten
Patentanspruch 11 – ergibt sich auch nicht bei der für die Auslegung relevanten
technisch-funktionalen Betrachtung des Gegenstandes der Erfindung nach dem
Verfügungspatent 2. Denn für einen Fachmann ergibt sich auch bei einer solchen
technisch-funktionalen Betrachtungsweise, dass es nach der Lehre des
Verfügungspatentes 2 auf eine kontrolliert den Wirkstoff Oxycodon und seine Salze
freisetzende Formulierung ankommt, um den in Merkmal 3 beschriebenen
Fließgleichgewichtszustand, der nach einer genauer beschriebenen Zeitspanne nach
der Einnahme der Formulierung eine bestimmtre Plasmakonzentration des Oxycodons
vorsieht, zu erzielen. Eine solche Kontrolle über das Ausmaß der Freisetzung des
Wirkstoffs aus den Sphäroiden – diese enthalten den Wirkstoff (vgl. Merkmal 1.1) – soll
erfindungsgemäß die den Überzug der Sphäroide mit einer Filmbeschichtung erreicht
werden, der das Oxycodonsalz in einer kontrollierten Rate freisetzt. Für einem
Fachmann dürfte es zwar auf Grund seiner Fachkenntnisse und Erfahrung auch möglich
sein, eine Formulierung zu entwickeln, die das in Merkmal 5 beschriebene
Fließgleichgewicht auch ohne einen Filmüberzug, der die Freisetzung steuert. Das
Verfügungspatent 2 sieht jedoch, wie auch das Verfügungspatent 1, nicht vor, dass das
Fließgleichgewicht (bzw. die Freisetzungsgeschwindigkeit) auf irgendeine Art und
Weise erreicht wird. Vielmehr soll dies über die Steuerung der Freisetzung des
Wirkstoffs mittels eines Filmüberzugs (bzw. einer Beschichtung) erfolgen. Dies
geschieht hingegen nicht, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, durchgängig bei der
angegriffenen Formulierung. Diese weist als "dritte" Schicht eine Wirkstoffschicht und
HPMC auf, ist jedoch nicht von einem Filmüberzug umgeben, der das Oxycodonsalz in
einer kontrollierten Rate freisetzt.
110
II.
111
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 108 ZPO.
112
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711, 108 ZPO.
113
Der Streitwert wird auf 15.000.000,- Euro festgesetzt, 7.500.000,- Eur je
Verfügungspatent.
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