Urteil des LG Düsseldorf vom 29.09.2008

LG Düsseldorf: aufsichtsrat, vertreter, einfluss, prospekthaftung, herausgabe, erwerb, verzug, wahrscheinlichkeit, gestaltung, verfügung

Landgericht Düsseldorf, 9 O 463/06
Datum:
29.09.2008
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vorsitzende Richterin am Landgericht Sasse
Entscheidungsart:
Schlussurteil
Aktenzeichen:
9 O 463/06
Tenor:
1.)
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, gesamtschuldnerisch haftend mit dem
bereits durch Teil-Versäumnisurteil vom 10.04.2007 verurteilten
Beklagten zu 1) an den Kläger einen Betrag von 22.094,40 € nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem
22.02.2007 Zug um Zug gegen Übertragung der
Inhaberschuldverschreibungen
Nr. 05857 über 5.000,- €
Nr. 05858 über 5.000,- €
Nr. 05859 über 5.000,- €
Nr. 05860 über 5.000,- €
der DM-Beteiligungen- Aktiengesellschaft zu zahlen.
2.)
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 2) mit der Annahme der
Übertragung der Schuldverschreibungen in Verzug befindet.
3.)
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner
zu tragen.
4.)
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Am 23.09.1997 wurde in München die X (im folgenden "Gesellschaft" genannt)
gegründet, welche im Jahr 2001 ihren Sitz nach Düsseldorf verlegte. Alleinige
Aktionärin war unstreitig zunächst die Beklagte zu 2). Der Beklagte zu 1) war seit dem
21.09.2001 alleiniger Vorstand der Gesellschaft.
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Aufgrund Kaufantrages vom 12.05.2005 erwarb der Kläger die im Tenor genannten
Inhaberschuldverschreibungen der Gesellschaft. Zum Zeitpunkt dieses Erwerbs gab die
Gesellschaft den Verkaufsprospekt X heraus, bzgl. dessen Einzelheiten auf die Anlage
K 1 verwiesen wird. Dieser Prospekt lag dem Kläger bei Erwerb auch vor. Dass die
Gesellschaft seit 2002 operativ keine Gewinne mehr erzielte und die Rückzahlung
fälliger Inhaberschuldverschreibungen seitdem stets aus der weiteren Ausgabe von
Schuldverschreibungen erfolgte, wird darin nicht erwähnt.
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Als ständiger Vertreter der Beklagten zu 2) handelte ihr Ehemann X. Dieser brachte
Mitte 2004 den neu erstellten, von ihm mit dem Beklagten zu 1) abgestimmten
Verkaufsprospekt dem Aufsichtsrat zur Kenntnis, dessen Mitglieder den Inhalt des
Prospektes aufgrund der Situation der Gesellschaft beanstandeten. Auch kündigten sie
an, dem Vorstand angesichts des erheblichen Wertberichtigungsbedarfs die Entlastung
zu versagen. Dies wurde jedenfalls mit dem Vertreter der Beklagten besprochen. An der
Hauptversammlung und Aufsichtsratssitzung 2004, in der der alte Aufsichtsrat abberufen
und neue Aufsichtsratsmitglieder berufen wurden, nahm die Beklagte, die auch zuvor
entweder persönlich oder durch Vertreter als Aktionärin bei den Hauptversammlungen
und Aufsichtsratssitzungen anwesend gewesen war, selber teil.
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Am 01.09.2006 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren
eröffnet.
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Hätte der Kläger anstelle der streitgegenständlichen Inhaberschuldverschreibungen
eine alternative Anlage der von ihm investierten Gelder gewählt, hätte er bis zur
Klageerhebung an Zinsen einen Betrag von 2.094,40 € erwirtschaftet.
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Eine außergerichtliche, an die Beklagten gerichtete Aufforderung des Klägers zur
Anerkennung ihrer Schadensersatzpflicht Zug um Zug gegen Übertragung der
Inhaberschuldverschreibungen blieb erfolglos.
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Der Kläger nimmt die Beklagten aufgrund der allgemeinen Grundsätze der
bürgerlichtrechtlichen Prospekthaftung auf Schadensersatz in Anspruch, die Beklagte
zu 2) u.a. unter Berufung auf ihre tatsächliche Einflussnahme im Rahmen der
Prospektherausgabe.
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Nachdem der Beklagte zu 1) durch rechtskräftig gewordenes Teil-Versäumnisurteil vom
10.04.2007 im beantragten Umfang verurteilt worden ist,
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beantragt der Kläger,
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wie erkannt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, persönlich keinerlei Kenntnis von dem Anlagemodell gehabt zu haben.
Ihr Ehemann habe sie über die damaligen Kritikpunkte der Aufsichtsratsmitglieder nicht
unterrichtet, zudem habe sie aufgrund eines Schreibens des Beklagten zu 1) vom
15.07.2004 den Eindruck haben müssen, die Vorwürfe seien haltlos. Auch sei es falsch,
dass sie ihre Stellung als Alleinaktionärin genutzt habe, einen neuen, ihr genehmen
Aufsichtsrat zu bestellen. Die Entscheidung, den alten Aufsichtsrat abzulösen, sei durch
den Zeugen X getroffen worden. Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger den Prospekt
vor Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen gelesen und dieser kausal für die
Anlageentscheidung geworden sei. Erstmals mit Schriftsatz vom 04.10.2007 behauptet
sie außerdem, seit Mitte 2002 nicht mehr Aktionärin der Gesellschaft gewesen zu sein,
da sie die Aktien zu diesem Zeitpunkt auf den Zeugen X übertragen habe. Die Beklagte
ist der Ansicht, sie treffe keine prospekthaftungsrechtliche Verantwortlichkeit, da sie aus
gesellschaftsrechtlichen Gründen keinerlei Einflussmöglichkeit gehabt habe.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die allein noch zu beurteilende Klage gegenüber der Beklagten zu 2) ist begründet.
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Die Beklagte zu 2) haftet dem Kläger nach den Grundsätzen über die
bürgerlichrechtliche Prospekthaftung. Danach haben nicht nur die Gründer, Initiatoren
und Gestalter eines Unternehmens für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts
einzustehen, sondern als sog. Hintermänner auch diejenigen, die hinter dem
Unternehmen stehen und auf die Gestaltung des konkreten Modells entscheidenden
Einfluss ausüben. Ausschlaggebend ist, ob der Prospekt mit Kenntnis der
Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist, wobei auf die Umstände des
Einzelfalles, wie die gesellschaftsrechtliche Funktion und ein erhebliches
wirtschaftliches Eigeninteresse abzustellen ist (vgl. u.a. BGH NJW-RR 2006, 610
m.w.N.). Danach ist eine Haftung der Beklagten zu 2) vorliegend gegeben.
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Die Beklagte zu 2) war durchgängig Alleinaktionärin der Gesellschaft. Soweit sie
erstmals im Schriftsatz vom 04.10.2007 etwas anderes behauptet, nämlich ab dem 2002
keine Aktien der Gesellschaft mehr gehalten zu haben, ist das widersprüchlich und
unerheblich. Zum einen ist schon nicht dargelegt, weshalb die Beklagte zu 2) erstmals
zu diesem späten Zeitpunkt auf den Verlust der Aktionärseigenschaft verweist. Zum
anderen war u.a. auch nach ihrem eigenen Vortrag dem Beklagten zu 1) ein solcher
Wechsel vollkommen unbekannt, wie die Existenz seines an die Beklagte zu 2)
gerichteten Schreibens vom 15.07.2004 belegt. Das ist nicht nachvollziehbar. Auch
gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter ist die Beklagte zu 2) als alleinige
Aktionärin aufgetreten, wie sich aus dessen Gutachten (Anlage K 6) ergibt. Erklärungen
für diese Umstände hat die Beklagte zu 2) trotz des entsprechenden Hinweises durch
Beschluss vom 27.11.2007 nicht abgegeben. Zudem ist unstreitig geblieben, dass die
Beklagte zu 2) auch nach dem Jahr 2002 an Aktionärsversammlungen teilgenommen
hat, an der 2004 sogar persönlich. Das ist unverständlich, wenn die Beklagte zu 2) nicht
mehr Aktionärin war.
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Sie hat auch jedenfalls über ihren Vertreter, ihren Ehemann X, entscheidenden
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tatsächlichen Einfluss auf die Fassung des streitgegenständlichen Prospektes und
seine Herausgabe ausgeübt. Insofern ist unstreitig, dass der Prospektinhalt zunächst
zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Ehemann der Beklagten zu 2) abgestimmt
worden ist, bevor er den Aufsichtsratsmitgliedern vorgelegt wurde. Deren geäußerten
Bedenken am Prospektinhalt wurden ignoriert. Die sich widersetzenden
Aufsichtsratsmitglieder, die angekündigt hatten, den Beklagten zu 1) nicht entlasten zu
wollen, wurden abberufen. Letzteres war ebenso wie die Bestellung neuer
Aufsichtsratsmitglieder gem. §§ 119 I Nr.1, 101 I 1, 103 I 1 AktG alleiniges Recht der
Beklagten zu 2) als (Allein)Aktionärin. Wer die neuen Aufsichtsratsmitglieder
"ausgesucht" hat, ist deshalb unerheblich. Durch dieses Verhalten hat die Beklagte zu
2) entscheidend auf den Prospekt nicht nur in seinem Inhalt, sondern auch in Bezug auf
die Herbeiführung seiner Herausgabe entscheidenden Einfluss ausgeübt, da letztere
unter dem alten Aufsichtsrat nicht möglich gewesen wäre. Diese Einflussnahme erfolgt
vor dem Hintergrund eines vehementen wirtschaftlichen Eigeninteresses der Beklagten
zu 2). Ohne weitere Einlagen hätte die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht
einmal mehr die Zinsen der bereits ausgegebenen Anleihen bedienen können und die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragen müssen.
Inwieweit die Beklagte zu 2) persönlich über Kenntnisse den Prospekt und die
Geschäftsinterna betreffend verfügte, kann dahinstehen. Die Kenntnisse und
Erklärungen ihres sie vertretenden Ehemannes muss sie sich gem. §§ 164, 166 BGB
zurechnen lassen. Jedenfalls dieser hatte Kenntnis davon, dass die Gesellschaft seit
2002 operativ keine Gewinne mehr erwirtschaftete. Er wusste, dass dies im Prospekt
keine Erwähnung fand. Er kannte die Bedenken und Absichtserklärungen der alten
Aufsichtsratsmitglieder. Diese Kenntnisse werden durch das Schreiben des Beklagten
zu 1) vom 15.07.2004 nicht beseitigt.
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Aufgrund des fehlenden Hinweises auf die seit mehreren Jahren fehlenden operativen
Gewinne war der Prospektinhalt unvollständig. Ein Prospekt muss über sämtliche
Umstände, die für die Anlageentscheidung von Bedeutung sind, richtig und vollständig
informieren. Dass die Gesellschaft seit 2002 operativ keine Gewinne mehr
erwirtschaftete, war ein für die Anlageentscheidung der Interessenten entscheidender
Umstand. Wären die Interessenten zutreffend über die sich hieraus ergebende desolate
Situation der Gesellschaft informiert worden, hätten sie ihre Gelder der Gesellschaft
nicht zur Verfügung gestellt, da der Verlust derselben unter diesen Umständen mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.
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Die Ursächlichkeit des Prospektmangels für die Anlageentscheidung wird nach der
Rechtsprechung vermutet (vgl. BGH NJW-RR 2006, 685 (688)). Umstände, aus denen
sich auch nur ansatzweise ergeben könnte, dass der Kläger den ihm vorliegenden
Prospekt vor seiner Anlageentscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, sind von der
Beklagten zu 2) nicht, auch nicht ansatzweise dargelegt.
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Dass die Beklagten vorprozessual in Verzug gesetzt worden sind, weshalb sie sich in
Annahmeverzug befinden, ist ebenso unstreitig wie die Höhe des dem Kläger
entgangenen Gewinns.
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Die Verurteilung in die Zinsen folgt aus § 291 BGB i.V.m. § 288 I BGB.
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