Urteil des LG Düsseldorf vom 08.07.1992

LG Düsseldorf (kläger, ärztliche untersuchung, untersuchung, körperliche untersuchung, lege artis, diagnose, arzt, zeuge, höhe, schmerzensgeld)

Landgericht Düsseldorf, 2 O 286/90
Datum:
08.07.1992
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 286/90
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.000,-- DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 14. Mai 1990 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60 % und die
Beklagte 40 % mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des
unzuständigen Landgerichts Köln entstanden sind, die der Kläger allein
zu tragen hat.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
3.000,-DM uno für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Der Kläger Kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,-- DM abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den
Parteien bleibt nachgelassen, die jeweiliqe Sicherheit auch in Form
einer Bürgschaft einer bundesdeutschen Großbank oder Sparkasse zu
erbringen.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger nimmt die Beklagte als Anstellungskörperschaft wegen
Amtspflichtverletzung ihrer Bediensteten auf Schmerzensgeld in Anspruch.
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Der Kläger wurde am 8.7.1987 gegen 16.30 Uhr bei der Einreise aus den Niederlanden
am Grenzübergang Straelen wegen des Verdachts unerlaubter Betäubungsmitteleinfuhr
angehalten und körperlich durchsucht.
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Bereits durch Urteil des Landgerichts Essen vom 12.2.1987 war der Kläger wegen
Betäubungsmittelhandels in nicht geringen Mengen bestraft worden.
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Bei der körperlichen Untersuchung des Klägers stellten die Zollbeamten ZOS X. X
Cremespuren am After des Klägers und einen geröteten Schließmuskel fest.
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Sie ordneten daraufhin eine körperliche Untersuchung des Klägers im X Schwalmtal an.
Dort nahm der untersuchende Arzt, Herr X, eine röntgenologische und proktologische
Untersuchung vor.
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Bei der röntgenologischen Untersuchung meinte der Zeuge X einen 16 cm langen und 4
cm breiten, röntgenologisch scharf begrenzten Fremdkörper im Darm des Klägers auf
dem Röntgenbild zu erkennen.
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Bei der anschließenden digitalen Mastdarmuntersuchung meinte der Zeuge X diesen
Fremdkörper auch abtasten zu können. Aufgrund der Untersuchung schloß er, daß der
Fremdkörper in Kunststoff verpackt sein könne.
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Der Zeuge X führte daraufhin eine Einlaufbehandlung durch. Anschließend ließ sich der
vermeintliche Fremdkörper nicht mehr durch digitale Mastdarmuntersuchung
nachweisen, auch nicht durch eine Proktoskopie. Gleichwohl äußerte der Zeuge X in
dem von ihm am gleichen Tage unterschriebenen Vermerk den dringenden Verdacht,
daß sich im Darm des Klägers ein inkorporierter Fremdkörper von größerer Ausdehnung
befinde.
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Daraufhin wurde bei dem Kläger von dem Zeugen X eine erneute röntgenologische
Untersuchung vorgenommen. Auch auf der neuen Röntgenaufnahme meinte der Zeuge
X den Fremdkörper zu erkennen.
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Nach Stellung der ärztlichen Diagnose wurde der Kläger wegen des Verdachts der
unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln um 20.50 Uhr vorläufig festgenommen. Bei
seiner Vernehmung machte er keine Angaben zur Sache. Er wurde dann im Zollamt X
bis zum 9.7.1987 festgehalten und bewacht. Hierbei wurde der Kläger mit einer Hand
mit einer Handschelle an die Heizung gefesselt, über Nacht wurden ihm zusätzlich auch
die Füße mit Handschellen gefesselt. Am Mittag des 9.7.1987 gegen 14.00 Uhr wurde
der Kläger dem Haftrichter beim Amtsgericht Geldern vorgeführt. Dieser erließ
Haftbefehl gegen den Kläger. Anschließend wurde der Kläger in das
Justizvollzugskrankenhaus NW in Fröndenberg eingeliefert.
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Im Justizkrankenhaus Fröndenberg wurde nach einer weiteren röntgenologischen
Untersuchung, bei der die behandelnden Ärzte nichts Außergewöhnliches feststellen
konnten, und der Verabreichung von Abführmitteln festgestellt, daß sich im Darm des
Klägers kein Fremdkörper befand.
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Der Kläger wurde daraufhin am 10.7.1987 aus der Untersuchungshaft entlassen, daß
Strafverfahren gegen ihn wurde eingestellt.
13
Der Kläger behauptet, die Diagnose des Zeugen X sei grob falsch gewesen.
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Aufgrund dieser falschen Diagnose sei er in seiner körperlichen Unversehrtheit und
seiner körperlichen Bewegungsfreiheit erheblich verletzt worden. Die ärztliche
Untersuchung sei mit starken Schmerzen verbunden gewesen. Angesichts der
Beeinträchtigungen und der grob kunstfehlerhaften Diagnose hält er ein
Schmerzensgeld von nicht unter 5.000,-- DM für angemessen.
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Die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 %
Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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Sie behauptet, die ärztliche Untersuchung sei lege artis und ohne besondere
Beschwerden für den Kläger durchgeführt worden. Der Fremdkörper im Darm aes
Klägers sei vorhanden gewesen. Daher seien auch alle weiteren Untersuchungen
gerechtfertigt gewesen.
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Sie meint, für die Handlungen nach Erlaß des Haftbefehls durch das Amtsgericht
Geldern am 9.7.1987 zwischen 14.00 und 15.00 Uhr sei sie nicht mehr passivlegitimiert,
da die Zollbehörde ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Herrin des Verfahrens gewesen sei
und das Ermittlungsverfahren nicht mehr selbständig durchgeführt habe. Für alle nach
Erlaß des Haftbefehls erlittenen Beeinträchtigungen seien die Bediensteten des Landes
NW verantwortlich.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluß vom 27.2.1991 (Bl. 43 6A) durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das röntgenologische Gutachten vom
5.2.1992 (Bl. 65-68 GA).
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist gemäß §§ 839, 847 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG in dem
tenorierten Umfang begründet.
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Die Beklagte verletzte ihre gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht, da sie für die
Kunstfehlerhafte Diagnose des Herrn X verantwortlich ist und der Kläger durch diese
falsche Diagnose in seiner Körperlichen Unversehrtheit, seiner Bewegungsfreiheit und
seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wurde.
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Aufgrund der durch die Beamten des Zollkommissariats X angeordneten Körperlichen
Zwangsmaßnahmen trifft die Beklagte als AnstellungsKörperschaft die Haftung für die
fahrlässige Falschdiagnose des X, da der Arzt im Auftrage und auf Anordnung des
Zollkommissariats die röntgenologische und proktologische Untersuchung bei dem
Kläger vornahm. Während die erste röntgenologische Untersuchung noch durch den
gegen den einschlägig vorbestraften Kläger bestehenden Anfangsverdachts
gerechtfertigt war, beruhen alle weiteren Zwangsmaßnahmen bis zur Entlassung des
Klägers auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung eines Bediensteten der Beklagten.
Die sich daraus ergebende Entschädigungspflicht umfaßt auch einen
Schmerzensgeldanspruch gemäß § 847 BGB.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht aufgrund des überzeugenden
röntgenologischen Gutachtens des Herrn X (Bl. 65-68 GA) fest, daß beide am 8.7.1987
im X in Schwalmtal durch den Arzt X angefertigten und ausgewerteten
Röntgenaufnahmen des Beckens des Klägers Keinen Anhalt für das Vorliegen eines
inkorporierten Fremdkörpers ergaben. Der im Befund des X vom 6.7.1987 beschriebene
16 cm lange und 4 cm breite röntgenologisch scharf begrenzte Fremdkörper war auf den
Röntgenaufnahmen nicht nachweisbar. Vielmehr stellten sich nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme die Weichteilstrukturen im Bereich des Beckens des Klägers sowie
die mit abgebildeten Anteile des Abdomens, der Blase und des Darms in unauffälligem
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Normalbefund dar.
Dem untersuchenden Arzt oblagen bei der Auswertung der Röntgenaufnahmen wegen
der ihm bekannten Tragweite seiner Diagnose ganz besondere Sorgfaltspflichten. Diese
hat er fahrlässig verletzt. Bei genauer Auswertung bereits der ersten Röntgenaufnahme
hätte Herr X erkennen können und müssen, daß lediglich partielle Luftfüllungen von
Darmabschnitten des Klägers, nicht jedoch ein Fremdkörper vorhanden waren. Nach
dem Gutachten des X stellt das Vorhandensein von Luft einen Normalbefund dar. X
hätte daher die Möglichkeit von Luftfüllungen in einzelnen Darmabschnitten in Betracht
ziehen müssen. Dies gilt für die Auswertung der zweiten Röntgenaufnahme um so mehr,
als sich bei der nach der ersten Röntgenaufnahme durchgeführten Proktoskopie auch
nach dem Vortrag der Beklagten (Bl. 28 d.A.) kein Fremdkörper nachweisen ließ.
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Gleichwohl äußerte der Arzt aufgrund der fehlerhaften Auswertung der Röntgenbilder
den dringenden Verdacht auf einen "inkorporierten Fremdkörper von größerer
Ausdehnung". Diese Falschdiagnose führte dazu, daß der Kläger vorläufig
festgenommen wurde, eine über zwei Nächte und 1 ½ Tage dauernde
Freitheitsentziehung erlitt und im Justizkrankenhaus Fröndenberg sich einer weiteren
röntgenologischen Untersuchung sowie der Verabreichung von Abführmitteln
unterziehen mußte. Die erlittenen Beeinträchtigungen rechtfertigen nach Auffassung der
Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,-- DM als angemessen aber auch
ausreichend.
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Schmerzensgelderhöhend war zu berücksichtigen, daß der Kläger während der
gesamten Dauer der Freiheitsentziehung ständig überwacht wurde und überwiegend
gefesselt war, in der Nacht vom 8.7. auf den 9.7.1987 sogar außer mit einer Handschelle
mit einer Hand an einer Heizung auch an beiden Fußgelenken mit einer Handschelle.
Insbesondere war bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, daß
der Kläger sowohl bei den körperlichen Untersuchungen als auch bei den
Toilettengängen beobachtet wurde, um seine Ausscheidungen zu überwachen.
Hierdurch wurde der Kläger nicht nur in seiner körperlichen Unversehrheit, sondern
auch in seiner Würde und Intimsphäre verletzt.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese auch für die erlittenen
Beeinträchtigungen nach Erlaß des Haftbefehls passiv legitimiert. Soweit der Kläger
seinen Schmerzensgeldanspruch auf den Freiheitsentzug nach Übergabe an die
Bediensteten der JVA Moers und auf die weiteren körperlichen Zwangsmaßnahmen in
dem Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg stützt, richtet sich dieser ebenfalls gegen
die Beklagte, da auch diese Maßnahmen adäquat kausal durch die Falschdiagnose des
X verursacht wurden. Ohne diese Falschdiagnose wäre es nicht zu einer Vorführung
beim Haftrichter und der anschließenden Einweisung nach Fröndenberg gekommen.
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Soweit seitens des Klägers noch mit Schriftsatz vom 11.5.1992 ein Gedächnisprotokol1
des Klägers zur Akte gereicht und in Bezug genommen wurde, wonach er vor
Schmerzen zweimal vom Tisch gerutscht und ihm deshalb Gewalt angedroht worden
sei, außerdem die Handschellen an den Fußgelenken zu eng gewesen seien und er
von einem jungen Zollfahnder auf den Hinterkopf geschlagen worden sei, so kann
dieser Vortrag, der durch nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 29.5.1992 als
verspätet gerügt und im übrigen bestritten wurde, bei der Entscheidung keine
Berücksichtigung finden, weil die Bezugnahme auf das Schreiben des nicht
postulationsfähigen Klägers unzulässig ist. Im Anwaltsprozeß können nur Schriftsätze,
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die von einem bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben
worden sind, durch Bezugnahme zum Inhalt eines bestimmenden Schriftsatzes gemacht
werden (BGHZ 111, 339, 344 f).
Nach allem war der Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben,
wobei der zuerkannte Zinsanspruch auf §§ 291, 288 I BGB beruht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 281 Abs. 3 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709,
711, 108 ZPO.
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