Urteil des LG Düsseldorf vom 22.03.2007

LG Düsseldorf: stand der technik, kanal, trennvorrichtung, vergleichende darstellung, erfindung, gerichtsakte, gestatten, auskunft, stift, sicherheitsleistung

Landgericht Düsseldorf, 4a O 563/05
Datum:
22.03.2007
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4a. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4a O 563/05
Tenor:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je-weils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche,
unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in
der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank
oder Sparkasse erbracht werden.
(Tatbestand:
1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents
x x xxx (nachfolgend: Klagepatent). Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache
Englisch ist, wurde am 20. Januar 1995 angemeldet, seine Erteilung am 17. März 1999
veröffentlicht. Der deutsche Teil des Klagepatents, der von dem Deutschen Patent- und
Markenamt unter dem Aktenzeichen xx xxx xxx xxx.x geführt wird, steht in Kraft. Die
Klägerin, eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft, die sich mit der Entwicklung,
Herstellung und dem Vertrieb so genannter elektronischer Artikelsicherungssysteme
("EAS-Systeme") befasst, nimmt die Beklagte mit der vorliegenden Klage gestützt auf
das Klagepatent auf Unterlassung, Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung
sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Anspruch.
2
Das Klagepatent betrifft ein (auch als "EAS-Etikett" bezeichnetes) Sicherheitsetikett
mit einem bogenförmigen Kanal (Ansprüche 1 bis 27), eine Federklemme zur
Verwendung in einem EAS-Etikett (Ansprüche 28 bis 33) sowie eine
3
Trennvorrichtung für EAS-Etikett (Ansprüche 34 bis 44). Elektronische
Artikelsicherungssysteme werden zur Lagerbestandskontrolle und zur Verhinderung
unbefugter Entwendung von Waren aus einem kontrollierten Bereich verwendet. Der
im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents hat in
der englischsprachigen Fassung folgenden Wortlaut:
An EAS tag (1) comprising:
4
a tag body (1A),
5
means for attaching said tag body (1A) to an article (51), said attaching means
having a part receivable in said tag body (1A),
6
means (6) within said tag body (1A) for releasably preventing said part of said
attaching means from being withdrawn from said tag body (1A) and a detectable
EAS sensor (5), characterized by
7
means within said tag body (1A) defining an arcuate channel (7) leading from
the exterior of said tag body (1A) to said preventing means (6), said arcuate
channel (7) being adapted to receive and guide an arcuate probe (8) to said
preventing means (6) for releasing said preventing means (6) from preventing
said part of said attaching means from being withdrawn from said tag body (1A).
8
In der veröffentlichten Übersetzung der T2-Schrift nach Anlage K1 lautet Anspruch 1
wie folgt:
9
EAS-Etikett (1), das folgendes umfasst:
10
einen Etikettenkörper (1A),
11
ein Mittel zur Befestigung des Etikettenkörpers (1A) an einem Artikel (51), wobei
das Befestigungsmittel einen in dem Etikettenkörper (1A) aufnehmbaren Teil
aufweist,
12
ein Mittel (6) in dem Etikettenkörper (1A) zum Verhindern auf lösbare Weise,
dass der Teil des Befestigungsmittels aus dem Etikettenkörper (1A)
herausgezogen wird,
13
und einen erfassbaren EAS-Sensor (5),
14
gekennzeichnet durch ein Mittel in dem Etikettenkörper (1A), das einen
bogenförmigen Kanal (7) definiert, der von der Außenseite des Etikettenkörpers
(1A) zu dem Verhinderungsmittel (6) führt, wobei der bogenförmige Kanal (7) so
ausgeführt ist, dass er einen bogenförmigen Finger (8) aufnimmt und zu dem
Verhinderungsmittel (6) führt, um das Verhinderungsmittel (6) davon
freizugeben, dass es den Teil des Befestigungsmittels daran hindert, aus dem
Etikettenkörper (1A) herausgezogen zu werden.
15
Zur Veranschaulichung werden nachfolgend die Figuren 3 und 6A der
Klagepatentschrift (jeweils in verkleinerter Darstellung) wiedergegeben. Sie zeigen eine
Innenansicht des unteren Gehäuses eines patentgemäßen EAS-Etiketts (Figur 3) bzw.
16
eine Teilansicht des unteren Gehäuses, bei welcher der Öffnungsfinger in den
bogenförmigen Kanal eingeführt ist (Figur 6A):
Die Beklagte, die am 24. Februar 2005 gegründet wurde, befasst sich mit Verkauf,
Planung, Errichtung und Wartung sicherheitstechnischer Anlagen, insbesondere von
EAS-Systemen, Videoüberwachungsanlagen und von RFID-Systemen. In der
Bundesrepublik Deutschland bietet an und vertreibt die Beklagte EAS-Systeme der EAS
SensorSense Inc., die in Konkurrenz zur Klägerin EAS-Systeme herstellt. Unter
anderem bietet an und vertreibt die Beklagte EAS-Etiketten unter der Bezeichnung
"Super-Sensor Tags" mit Stiftvorrichtungen ("Pins"), die aus einem länglichen Stiftkörper
und einem vergrößerten Stiftkopf bestehen. Diese EAS-Etiketten (nachfolgend:
angegriffene Ausführungsformen) sind mit den EAS-Systemen der Klägerin insofern
kompatibel, als sie alternativ zu einem Öffnen mittels eines starken Magneten auch mit
den (mechanischen) Trennvorrichtungen der Klägerin auf mechanischem Wege
entsperrt werden können. Die Beklagte bietet einen magnetischen Öffner für die
angegriffenen EAS-Etiketten an, nicht jedoch ein Gerät zum mechanischen Entsperren
der Verriegelung des Pins. Als Anlagen K9 und K10 hat die Klägerin mehrere Muster
der angegriffenen Ausführungsform vorgelegt, wobei die Muster nach Anlagen K10 von
ihr in Längsrichtung geöffnet und untersucht wurden. Ein weiteres Muster der
angegriffenen Ausführungsform nebst Öffnungsfinger aus einer Trennvorrichtung der
Klägerin zum mechanischen Entsperren der angegriffenen EAS-Etiketten ließ die
Beklagte im Verhandlungstermin zur Gerichtsakte reichen.
17
Nachfolgend werden (in leichter Verkleinerung der Anlagen K11a bis K11d, K12a/12b
und K13a/13b) einige Abbildungen der angegriffenen "Super-Sensor Tags"
wiedergegeben. Die Anmerkungen an allen folgenden Abbildungen stammen von der
Klägerin:
18
Die nachfolgend wiedergegebenen Abbildungen (Anlage K16a bis K16c) zeigen an der
Oberschale der in Längsrichtung geöffneten angegriffenen Ausführungsform den
Bewegungsvorgang eines Fingers der Trennvorrichtung der Klägerin:
19
In den folgenden Abbildungen nach Anlagen K17a bis K17c ist die Unterschale der
angegriffenen Ausführungsform in die (zu Illustrationszwecken geöffnete)
Entriegelungsvorrichtung der Klägerin eingelegt, während sich der Finger hineinbewegt
und in drei verschiedenen Stadien der Bewegung gezeigt wird:
20
Hinsichtlich sämtlicher vorstehend wiedergegebener Abbildungen behauptet die
Beklagte, sie bezögen sich auf einen Prototyp, den das amerikanische
Partnerunternehmen der Beklagten der Klägerin im August 2003 zur Verfügung gestellt
habe. Sie - die Beklagte - vertreibe das abgebildete Etikett jedoch nicht, sondern ein
entsprechend der Anlage K10 und dem im Termin von der Beklagten vorgelegten
Muster ausgestaltetes Etikett, bei dem der Öffnungshebel des Klemmverschlusses in der
Verriegelungsstellung um etwa 45° weiter von der Öffnung des Etikettenkörpers
weggedreht sei, als in einigen der vorstehenden Abbildungen gezeigt. Insoweit wird
ergänzend auf die Muster nach Anlage K10 und das im Termin von der Beklagten
überreichte Exemplar Bezug genommen.
21
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen "Super-Sensor Tags" der Beklagten
machten von sämtlichen Merkmalen des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß
Gebrauch. Soweit die Beklagte die angegriffene Ausführungsform zusammen mit den
22
Sicherungspins anbiete und vertreibe, macht die Klägerin eine unmittelbare Verletzung
des Vorrichtungsanspruchs 1 nach § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG geltend. Da - wie die Klägerin
behauptet - die mit den Super-Sensor Tags verwendbaren Sicherungspins als
Befestigungsmittel von Abnehmern der angegriffenen Ausführungsform auch getrennt
von den angegriffenen EAS-Etiketten in Übrigen (bestehend aus Etikettenkörper,
Verhinderungsmittel und EAS-Sensor) bestellt und bezogen würden, was die Beklagte
bestreitet, macht die Klägerin zudem eine mittelbare Verletzung des Patentanspruchs 1
durch Anbieten und Liefern der EAS-Etiketten (bestehend aus Etikettenkörper,
Verhinderungsmittel und EAS-Sensor) ohne Pins geltend.
Die Klägerin beantragt - nachdem sie ihre Anträge ursprünglich ausschließlich am
Anspruchswortlaut ausgerichtet hatte, nunmehr in Konkretisierung nach der
Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform, welche die Beklagte unstreitig
vertreibt -,
23
I. die Beklagte zu verurteilen,
24
25
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes
bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im
Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren,
26
27
zu unterlassen,
28
a) EAS-Etiketten mit
29
einem Etikettenkörper,
einem Befestigungsmittel zur Befestigung des Etikettenkörpers an einem Artikel,
das einen in dem Etikettenkörper aufnehmbaren Teil aufweist,
einem Verhinderungsmittel in dem Etikettenkörper zum Verhindern auf lösbare
Weise, dass der Teil des Befestigungsmittels aus dem Etikettenkörper
herausgezogen wird,
einem erfassbaren EAS-Sensor
30
31
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu
bringen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder in die
Bundesrepublik Deutschland einzuführen, bei denen
32
Mittel in dem Etikettenkörper, insbesondere die in der nachfolgend
eingeblendeten Abbildung der Unterschale des Etikettenkörpers
33
mit a bis c gekennzeichneten Mittel, einen bogenförmigen Kanal
definieren, der von der Außenseite des Etikettenkörpers zu dem
Verhinderungsmittel führt, wobei der bogenförmige Kanal,
insbesondere entsprechend der nachfolgend eingeblendeten
Abbildung
34
ist, dass er einen bogenförmigen Finger aufnimmt und zu dem
Verhinderungsmittel führt, um das Verhinderungsmittel davon
freizugeben, dass es den Teil des Befestigungsmittels daran hindert,
aus dem Etikettenkörper herausgezogen zu werden,
35
und/oder
36
b) EAS-Etiketten mit
37
einem Etikettenkörper,
einem Verhinderungsmittel in dem Etikettenkörper,
38
39
-- das dazu bestimmt und geeignet ist, ein Befestigungsmittel
zur Befestigung des Etikettenkörpers an einem Artikel, das
einen in dem Etikettenkörper aufnehmbaren Teil aufweist,
aufzunehmen,
40
-- das zum Verhindern auf lösbare Weise dient, dass der Teil
des Befestigungsmittels aus dem Etikettenkörper
herausgezogen wird,
41
einem erfassbaren EAS-Sensor
42
43
in der Bundesrepublik Deutschland Dritten dort selbst zur Benutzung
anzubieten oder zu liefern, bei denen
44
Mittel in dem Etikettenkörper, insbesondere die in der nachfolgend
eingeblendeten Abbildung der Unterschale des Etikettenkörpers
45
mit a bis c gekennzeichneten Mittel, einen bogenförmigen Kanal
definieren, der von der Außenseite des Etikettenkörpers zu dem
46
Verhinderungsmittel führt, wobei der bogenförmige Kanal,
insbesondere entsprechend der nachfolgend eingeblendeten
Abbildung
so ausgeführt ist, dass er einen bogenförmigen Finger aufnimmt und
zu dem Verhinderungsmittel führt, um das Verhinderungsmittel davon
freizugeben, dass es den Teil des Befestigungsmittels daran hindert,
aus dem Etikettenkörper herausgezogen zu werden;
47
2. der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung darüber zu legen, in
welchem Umfang die in Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Handlungen
seit 24. Februar 2005 begangen worden sind, und zwar insbesondere
unter Angabe
48
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der
Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
Vorbesitzer,
49
b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -
preisen nebst Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der
gewerblichen Abnehmer,
c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -
preisen nebst Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der
gewerblichen Angebotsempfänger,
d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und
des erzielten Gewinns;
50
51
II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu
erstatten, der ihr durch die in Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten, seit 24. Februar
2005 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entsteht;
52
53
III. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von
11.056,60 € zu erstatten.
54
55
Die Beklagte beantragt,
56
die Klage abzuweisen.
57
Die Beklagte bestreitet, das von der Klägerin den Lichtbildern nach Anlagen K11a bis
K17c zugrunde gelegte Etikett zu vertreiben, das lediglich einen "Prototyp" darstelle. Sie
vertreibe vielmehr ein Etikett, bei dem der Öffnungshebel des Klemmverschlusses (wie
bereits oben im Anschluss an die Wiedergabe der Abbildungen nach Anlagen K17a bis
K17c ausgeführt) in der Verriegelungsstellung eine Position entsprechend der Anlage
K10 und dem seitens der Beklagten im Termin überreichten Muster einnimmt.
58
Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffenen "Super-Sensor Tags" verwirklichten
weder in der Ausgestaltung des Prototyps noch in derjenigen der tatsächlich
vertriebenen Etiketten sämtliche Merkmale des Klagepatentsanspruchs 1. So verfügten
sie beide im Etikettenkörper nicht über einen bogenförmigen Kanal im Sinne des
Merkmals 5 des Anspruchs 1 (vgl. die in den Entscheidungsgründen unter I.
wiedergegebene Merkmalsgliederung), der gemäß Merkmal 6 so ausgeführt ist, dass er
einen bogenförmigen Finger aufnimmt und zu dem Verhinderungsmittel führt. Auch das
Verhinderungsmittel nach Merkmal 3 des Anspruchs 1 sei grundlegend anders als bei
der Klägerin ausgebildet und verletze das Klagepatent daher nicht.
59
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
60
Entscheidungsgründe:
61
Die Klage ist zulässig, mangels Verletzung des Klagepatents jedoch nicht
begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf
Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Schadensersatz sowie Erstattung
vorgerichtlicher Kosten aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ in Verbindung mit §§ 139 Abs. 1 und
2; 140b Abs. 1 und 2 PatG; §§ 242; 259; 683; 670 BGB nicht zu.
62
I. Das Klagepatent betrifft unter anderem die Beschaffenheit eines
Sicherheitsetiketts (EAS-Etiketts), wie es beispielsweise zur elektronischen
Warensicherung in Kaufhäusern allgemein bekannt ist. Elektronische
Artikelsicherungssysteme werden sowohl zur Lagerbestandskontrolle als auch dazu
verwendet, eine unbefugte Entfernung von Artikeln aus einem kontrollierten Bereich
zu verhindern. EAS-Systeme bestehen aus einem Systemsender und einem
Systemempfänger, durch die eine Überwachungszone hergestellt wird, die von allen
Artikeln durchquert werden muss, die aus dem kontrollierten Bereich entfernt
werden.
63
Zu diesem Zweck wird an jedem zu sichernden Artikel ein EAS-Etikett mit einem
Sensor angebracht, der mit einem Signal zusammenwirkt, das von dem
Systemsender in die Überwachungszone gesendet wird. Wird ein mit einem
Sicherungsetikett versehener Artikel durch die Überwachungszone bewegt, wird in
ihr ein weiteres Signal erzeugt, das von dem Systemempfänger empfangen wird und
das unbefugte Vorhandensein eines etikettierten Artikels in der Zone anzeigt. Damit
ein beispielsweise rechtmäßig erworbener Artikel vom Kunden durch die
Überwachungszone bewegt werden kann, muss das Sicherungsetikett zuvor durch
befugtes Personal entfernt werden.
64
Aus dem Stand der Technik waren EAS-Etiketten mit folgenden Merkmalen des
Anspruchs 1 des Klagepatents bekannt:
65
EAS-Etikett mit
66
1. einem Etikettenkörper,
2. einem Befestigungsmittel zur Befestigung des Etikettenkörpers an einem Artikel,
das einen in dem Etikettenkörper aufnehmbaren Teil aufweist,
3. einem Verhinderungsmittel in dem Etikettenkörper zum Verhindern auf lösbare
Weise, dass der aufnehmbare Teil des Befestigungsmittels aus dem
Etikettenkörper herausgezogen wird, und
4. einem erfassbaren EAS-Sensor.
67
68
Ein derartiges EAS-Etikett war beispielsweise aus der US-Patentschrift xxxxxxxxxx
(Anlage K2) bekannt. Dort umfasste die Befestigungsvorrichtung in Form einer
Stiftvorrichtung einen vergrößerten Kopf und einen Stiftkörper mit spitzem Ende, der
zum Durchstechen eines Artikels dient, im Etikettenkörper aufgenommen und darin
durch eine Greifvorrichtung in Gestalt einer Federklemme gehalten wird. Um den
Stift durch befugtes Personal aus der Greifverriegelung lösen zu können und so das
Entfernen des Sicherungsetiketts von dem Artikel zu ermöglichen, muss bei dem
Etikett nach Anlage K2 mittels einer Trennvorrichtung eine Biegekraft auf den
Etikettenkörper ausgeübt werden, welche die Greifverriegelung derart verformt, dass
ihre Klauen auseinandergespreizt werden und den Stift freigeben, so dass dieser
aus dem Etikettenkörper herausgezogen werden kann. An diesem Stand der
Technik kritisiert es die Klagepatentschrift als nachteilig (T2-Schrift, Anlage K1,
Seite 2 Zeile 37 bis Seite 3 Zeile 15), dass der Etikettenkörper, um eine Verformung
der Greifverriegelung zu ermöglichen, aus einem flexiblem Material hergestellt sein
muss, das leicht eingeschnitten und beschädigt werden könne, was die Gefahr der
unbefugten Entfernung des Etiketts mit dem EAS-Sensorteil von dem Artikel erhöhe.
Des Weiteren müsse der Etikettenkörper nach diesem Stand der Technik relativ
groß sein, damit er sich leichter biegen lässt, was dem Aussehen der Artikel, an
denen diese Etiketten befestigt werden, abträglich sei.
69
Aus der US-Patentschrift xxxxxxx (Anlage K3) war ein so genannter Halter für eine
CD bekannt, der einen starren Kunststoffrahmen umfasst, dessen eine Seite mit
einem vergrößerten Abschnitt versehen ist. In ihm seien, wie die Klagepatentschrift
ausführt (Anlage K1, Seite 3 Zeile 25 bis Seite 4 Zeile 11), eine stiftartige
Knopfvorrichtung und eine Federklemme untergebracht, die den Stift im
eingedrückten Zustand mit zwei Klauen in der Verriegelungsstellung halte. Zum
Lösen der Verriegelung sei der vergrößerte Abschnitt des Rahmens mit einander
gegenüber liegenden linearen Schlitzen versehen, in die geeignete lineare Finger
eingeführt werden können, um die Klauen nach außen zu biegen und den Knopf
freizugeben. An dieser Vorrichtung kritisiert das Klagepatent (Anlage K1, Seite 4
Zeilen 15-27), dass es die zu der Federklemme führenden geraden Schlitze
gestatten würden, auf die (in einer Linie sichtbare) Klemme in einer Linie (d.h. auf
70
geradem Weg) zuzugreifen. Die Federklemme aus dem Stand der Technik könne
damit auch durch nicht autorisierte Personen leicht außer Kraft gesetzt werden,
indem lineare Gegenstände in die Schlitze eingeführt würden. Ein weiterer Nachteil
liege darin, dass die Finger der Trennvorrichtung eine hohe Präzision aufweisen
müssten, was Kosten und Komplexität der Trennvorrichtung erhöhe.
Eine weitere EAS-Etikettenart beschreibe das deutsche Gebrauchsmuster xx xx xx
xxx (Anlage K4), bei dem eine Stiftvorrichtung mit einem vergrößerten Stiftkopf und
einem länglichem Stiftkörper von einer Spezialkugelsperre als Verriegelungsmittel
gehalten und an einem Herausziehen aus einem Gehäuse und dem zu sichernden
Artikel gehindert werde (Anlage K1, Seite 4 Zeile 28 bis Seite 5 Zeile 9). Für ein
mechanisches Lösen müsse der untere Gehäuseteil so verformt werden, dass die
Kugeln frei beweglich sind (Anlage K1, Seite 5 Zeilen 10-15). Dies sei deshalb von
Nachteil, weil eine dauerhafte Beanspruchung einen Materialfehler verursachen
könne (Anlage K1, Seite 5 Zeilen 16-19). Ein alternatives Lösen der Verriegelung
mittels eines Magnetmechanismus, bei dem der ferromagnetische Teil nach unten
gezogen wird, sei problematisch, weil die Magnetwirkung nach einiger Zeit
nachlassen könne (Anlage K1, Seite 5 Zeilen 14f. und 19f.).
71
Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt der Erfindung nach dem
Klagepatent die Aufgabe (das "technische Problem") zugrunde (vgl. auch Anlage
K1, Seite 5 Zeilen 21-33), ein EAS-Etikett bereitzustellen, das nicht mit den
Nachteilen der vorbekannten EAS-Etiketten behaftet ist, einen harten
Etikettenkörper aufweisen kann und so ausgeführt ist, dass es sich einerseits durch
befugte Personen leicht und einfach von dem Artikel lösen lässt, andererseits durch
Unbefugte nicht so leicht außer Kraft gesetzt werden kann.
72
Zur Lösung fügt Anspruch 1 des Klagepatents den aus dem Stand der Technik
bekannten Merkmalen folgende weitere Merkmale hinzu:
73
5. Mittel in dem Etikettenkörper definieren einen bogenförmigen Kanal, der
von der Außenseite des Etikettenkörpers zu dem Verhinderungsmittel führt;
74
6. der bogenförmige Kanal ist so ausgeführt, dass er einen bogenförmigen
Finger aufnimmt und zu dem Verhinderungsmittel führt, um das
Verhinderungsmittel davon freizugeben, dass es den Teil des
Befestigungsmittels daran hindert, aus dem Etikettenkörper herausgezogen
zu werden.
75
Die der T2-Schrift zugrunde liegende Übersetzung der englischsprachigen
Anspruchswortlauts ("means ... defining ...") spricht demgegenüber nur von einem
Mittel (Singular) in dem Etikettenkörper, das einen bogenförmigen Kanal definiert
(Merkmal 5). Dies steht zu dem Wortlaut der nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ verbindlichen
englischsprachigen Anspruchsfassung zwar nicht in Widerspruch, weil der
englische Begriff "means" auch für den Singular stehen kann, verträgt sich aber
nicht mit der Beschreibung der in der Klagepatentschrift dargestellten bevorzugten
Ausführungsform. Hinsichtlich ihrer geht die Klagepatentschrift offensichtlich davon
aus, dass der Kanal auch durch mehrere Mittel definiert werden kann, so etwa durch
eine "gekrümmte Innenwand 7A" (Anlage K1, Seite 10 Zeilen 10f.) und durch eine
"zweite gekrümmte Wand 7B" (Anlage K1, Seite 10 Zeilen 31-34). Da aber auch die
bevorzugte Ausführungsform dem Anspruch 1 des Klagepatents entsprechen muss,
76
umfasst die klagepatentgemäße technische Lehre über den Wortlaut der deutschen
Übersetzung hinaus auch mehrere Mittel, die im Sinne des Merkmals 5 des
Anspruchs 1 den bogenförmigen Kanal (7) definieren, was mit der englischen
Anspruchsfassung ("means ... defining ...") ebenfalls im Einklang steht. Dies ist in
der oben wiedergegebenen Merkmalsgliederung bereits berücksichtigt.
II. Zwischen den Parteien steht die Verwirklichung der Merkmale 3, 5 und 6 durch
die angegriffene Ausführungsform in Streit.
77
1. Merkmal 3
78
Merkmal 3 setzt das aus dem Stand der Technik bereits bekannte Vorhandensein
eines Verhinderungsmittels in dem Etikettenkörper voraus, der auf lösbare Weise
verhindert, dass der gemäß Merkmal 2 im Etikettenkörper aufnehmbare Teil des
Befestigungsmittels aus dem Etikettenkörper herausgezogen wird. Dies beinhaltet
lediglich eine bestimmte funktionale Definition eines Bauteils in dem
Etikettenkörper, dem die Aufgabe zukommt, das Befestigungsmittel mit seinem
aufgenommenen Teil im Etikettenkörper (zum Zwecke der Entfernung vom
gesicherten Artikel: auf lösbare Weise) festzuhalten. Eine bestimmte baulich-
konstruktive Ausgestaltung des Verhinderungsmittels, mittels derer diese
Funktionalität erzielt wird, sieht Anspruch 1 des Klagepatents auch mit Merkmal 3
nicht vor. Die Gestaltung der in den bevorzugten Ausführungsbeispielen des
Klagepatents gezeigten und beschriebenen Federklemme als Verhinderungsmittel
ist vielmehr erst Gegenstand des selbständigen Anspruchs 28 und der auf ihn
rückbezogenen Unteransprüche 29-33, die im vorliegenden Rechtsstreit jedoch
nicht geltend gemacht werden.
79
Mit dem Verweis auf eine bestimmte konstruktive Ausgestaltung des
Kugelmechanismus der angegriffenen Ausführungsform kann die Beklagte die
Verwirklichung des Merkmals 3 daher schon im Ansatzpunkt nicht in Abrede stellen,
solange der Kugelmechanismus ein Herausziehen des Befestigungsmittels im
verriegelten Zustand verhindert und in eine Öffnungsposition bewegt werden kann,
in welcher er das Befestigungsmittel freigibt. Wenn und soweit der
Kugelmechanismus der angegriffenen Ausführungsform diese Funktionalitäten
erfüllt, stellt er ein Verhinderungsmittel im Sinne des Merkmals 3 dar, ohne dass es
darauf ankommt, wie diese Funktion in baulich-konstruktiver Hinsicht erreicht wird.
80
2. Merkmale 5 und 6
81
Merkmal 5 verlangt, dass Mittel in dem Etikettenkörper einen bogenförmigen Kanal
definieren, der von der Außenseite des Etikettenkörpers zu dem
Verhinderungsmittel (präziser: zu demjenigen Bereich des Verhinderungsmittels, an
welchem angreifend dieses von einer Sperr- in eine Lösestellung verschoben wird)
führt. Merkmal 6 konkretisiert die Ausgestaltung des bogenförmigen Kanals dahin,
dass dieser so ausgeführt sein müsse, dass er einen bogenförmigen Finger
aufnimmt und zu dem Verhinderungsmittel führt, um das Verhinderungsmittel davon
freizugeben, den (in dem Etikettenkörper aufgenommenen) Teil des
Befestigungsmittels daran zu hindern, aus dem Etikettenkörper herausgezogen zu
werden, mit anderen Worten: um das Verhinderungsmittel aus der Sperrposition, in
der es das Befestigungsmittel im Etikettenkörper festhält, in eine Öffnungs- oder
Freigabeposition zu bewegen.
82
Welche Anforderungen an einen patentgemäß "bogenförmigen Kanal" zu stellen
sind, erläutert die Klagepatentschrift nicht abstrakt, sondern lediglich im
Zusammenhang mit der bevorzugten Ausführungsform, die in den figürlichen
Abbildungen des Klagepatents dargestellt ist. Maßgeblich ist jedoch in erster Linie
der Wortlaut des Patentanspruchs, wobei zu seiner Auslegung Beschreibung und
Zeichnungen des Patents mit herangezogen werden (Art. 69 Abs. 1 EPÜ nebst
Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ; § 14 PatG). Die Auslegung darf
weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer Einengung des durch den
Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstandes führen (vgl. BGH, GRUR
2004, 1023, xxxx – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung). Durch welche Mittel im
Etikettenkörper der bogenförmige Kanal im Einzelfall definiert wird, darf damit
jedenfalls nicht abschließend aus den Darstellungen bevorzugter
Ausführungsbeispiele der Erfindung abgeleitet werden.
83
Geht man von dem sich aus dem Stand der Technik ergebenden technischen
Problem aus, dessen Lösung die Erfindung nach dem Klagepatent bezweckt und
das bei der Auslegung der Anspruchsmerkmale als Richtschnur herangezogen
werden kann, verfolgt die technische Lehre des Klagepatents mit den Merkmalen 5
und 6 in Wesentlichen zwei Hauptziele:
84
(1) Durch die Ausbildung eines "bogenförmigen Kanals" durch Mittel in dem
Etikettenkörper soll eine unbefugte Öffnung, wie sie bei einem linearen
(geradlinigen) Zugriff auf das Verhinderungsmittel in besonderer Weise zu
befürchten ist, erschwert werden (Sicherheitsaspekt).
85
(2) Zugleich soll die Öffnung durch befugte Personen (Warenhauspersonal)
vereinfacht werden (Vereinfachungseffekt).
86
Die beiden genannten Ziele ergeben sich nicht nur mittelbar aus der Kritik, die das
Klagepatent am Stand der Technik äußert, sondern ausdrücklich auch aus der
(subjektiven) Aufgabenstellung in seiner Beschreibung (Anlage K1, Seite 5 Zeilen
21-33). Diese benennt als bei der Bereitstellung eines EAS-Etiketts zu lösende
Aufgabe sowohl die Vermeidung der zuvor dargestellten Nachteile aus dem Stand
der Technik (Anlage K1, Seite 5 Zeilen 21-24) als auch - positiv - die Erreichung der
Sicherheits- (Zeilen 30-33) wie des Vereinfachungseffekts (Zeilen 25-29).
87
So soll der Sicherheitsaspekt in Abgrenzung zum Stand der Technik nach Anlage
K3 (US-Patentschrift 5,031,756) dadurch erreicht werden, dass kein linearer Zugriff
von außen auf das Verhinderungsmittel möglich ist, durch den etwa ein
Schraubenzieher oder ein gerades Drahtstück geführt werden könnte, um das
Verhinderungsmittel zu entriegeln. Die Lehre des Klagepatents ersetzt diesen
ausdrücklich unerwünschten geradlinigen (linearen; Anlage K1, Seite 4 Zeilen 15-
18) Zugriff durch einen bogenförmigen Kanal, der vom Äußeren des
Etikettenkörpers zum Verhinderungsmittel führt. Daraus lässt sich als
Mindestanforderung an einen bogenförmigen Kanal ableiten, dass Mittel in dem
Etikettenkörper einen linearen Zugriff auf das Verhinderungsmittel verhindern
müssen, der es gestatten würde, das Verhinderungsmittel im Wege einer linearen
Beeinflussung von außen von einer Sperr- in die Öffnungsposition zu verstellen.
Das Mittel der Wahl nach der patentgemäßen Lehre ist es, den Zugriff auf das
Verhinderungsmittel durch Mittel in dem Etikettenkörper ausschließlich über eine
88
bogenförmig auszuführende Bewegung zu gestatten (vgl. Merkmal 5). Als
Gegenstück zu diesem durch einen bogenförmigen Kanal ausgeschlossenen
linearen Zugriff verlangt die klagepatentgemäße Vorrichtung nach einem ebenfalls
bogenförmigen Finger (vgl. Merkmal 6), der von dem bogenförmigen Kanal
aufgenommen und zu dem Verhinderungsmittel geführt wird. Die Beschreibung der
Klagepatentschrift führt insoweit im Zusammenhang mit dem bevorzugten
Ausführungsbeispiel aus (Anlage K1, Seite 10 Zeilen 5-9):
"Bei dieser Konfiguration wird ein spezieller bogenförmiger Finger 8 benötigt,
um das Mittel 6 zu erreichen und freizugeben und somit die Stiftvorrichtung 4
und den Artikel von dem Etikettenkörper 1A zu trennen."
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Ausweislich der Einleitung des betreffenden Abschnitts der Beschreibung
(beginnend auf Seite 9 in Zeile 35 der Anlage K1) handelt es sich bei dem
Erfordernis eines "speziellen bogenförmigen Fingers" um einen Aspekt, der über
das konkrete Ausführungsbeispiel hinaus für den Gegenstand des Patentanspruchs
1 verallgemeinerungsfähig ist. So weist die Beschreibung in der Einleitung dieses
Abschnitts selbst darauf hin, dass "gemäß den Grundlagen der vorliegenden
Erfindung" ein Zugriff auf das Verhinderungsmittel (im Ausführungsbeispiel das
"Mittel (6)") zu seinem Lösen - außer für befugtes Personal - erschwert werde
(Anlage K1, Seite 9 Zeilen 35-38). Dazu sei der Etikettenkörper so konfiguriert, dass
der Zugriff auf das Verhinderungsmittel durch den im Falle des bevorzugten
Ausführungsbeispiels durch diverse Mittel definierten bogenförmigen Kanal erfolgt
und daher ("bei dieser Konfiguration", Anlage K1, Seite 10 Zeilen 5/6) ein spezieller
bogenförmiger Finger benötigt wird (Anlage K1, Seite 9 Zeile 38 bis Seite 10 Zeile
9).
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Im Rahmen des Sicherheitsaspekts soll mithin patentgemäß der Zugriff auf das
Verhinderungsmittel nur mittels eines Öffnungsfingers möglich sein, der an einen
bestimmten bogenförmigen Kanal hinsichtlich seiner eigenen Bogenform (vgl.
Merkmal 6) angepasst ist, wobei die konkrete Ausgestaltung der Bogenform des
Kanals wie des Fingers dem Fachmann bei der Entwicklung der konkreten
Vorrichtung überlassen bleibt. Auf nähere Vorgaben zur Bogenform verzichtet die
Klagepatentschrift. Entscheidend für die technische Lehre des Klagepatents ist
allein, dass mit diesem (nach Auswahl durch den Fachmann: gegebenen) Finger
unter Führung durch Mittel in dem Etikettenkörper (vgl. Merkmal 5) eine Entriegelung
des Verhinderungsmittels erfolgt. Ein in diesem Sinne "spezieller" Öffnungsfinger ist
ein solcher, dessen Radius an die Krümmung des bogenförmigen Kanals angepasst
ist, weil sich ein Öffnungsfinger mit einem anderen Radius im bogenförmigen Kanal
verkeilen und das Verhinderungsmittel so nicht erreichen würde.
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Zugleich soll durch die Maßnahmen nach Merkmalen 5 und 6 aber auch die Öffnung
des EAS-Etiketts durch befugtes Personal erleichtert werden (Vereinfachungseffekt).
Das hat in Merkmal 6 seinen Niederschlag darin gefunden, dass der bogenförmige
Kanal den bogenförmigen Finger nicht nur aufnimmt, sondern auch zu dem
Verhinderungsmittel "führt". Ob bereits aus der unterschiedlichen Sprachwahl des
englischsprachigen Anspruchs 1 für Merkmal 5 einerseits und für Merkmal 6
andererseits inhaltliche Schlussfolgerungen für das "Führen" im Sinne des
Merkmals 6 gezogen werden können, erscheint zweifelhaft, kann für die vorliegende
Entscheidung aber offen bleiben. Der englischsprachige Anspruch 1 verwendet im
Zusammenhang mit Merkmal 5 für den Kanal, der von der Außenseite des
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Etikettenkörpers zum Verhinderungsmittel "führt", die Verlaufsform des Verbs "to
lead" ("an arcuate channel (7) leading ...", xx x xxx xxx xx nach der ersten Anlage
K1, Spalte 11 Zeile 49f.), für das "Führen" des aufgenommenen bogenförmigen
Fingers nach Merkmal 6 hingegen das Verb "to guide", was die deutsche
Übersetzung mit dem in beiden Zusammenhängen verwendeten Verb "führen" nicht
differenziert abbilden kann. Ob sich bereits mit der unterschiedlichen Begrifflichkeit
des englischsprachigen Anspruchs 1 eine besondere Vorstellung von der Art der
"Führung" nach Merkmal 6 verbindet, vermag die Kammer nicht zu beurteilen.
Unabhängig davon ist für eine Führung im Sinne des Merkmals 6 aber zumindest
ein zielgerichtetes Hinführen des gegebenen bogenförmigen Öffnungsfingers zum
Verhinderungsmittel durch den bogenförmigen Kanal erforderlich, und zwar
wiederum allein durch Mittel in dem Etikettenkörper, die den bogenförmigen Kanal
gemäß Merkmal 5 definieren. Mittel in dem Etikettenkörper müssen mithin durch die
Bildung eines bogenförmigen Kanals dazu beitragen, dass der Öffnungsfinger mit
größerer Sicherheit sein Ziel, das Verhinderungsmittel in dem Etikettenkörper,
erreicht. Denn nur durch eine derartige Führung des bogenförmigen Fingers seitens
des bogenförmigen Kanals (im Sinne eines "Hinführens zum Verhinderungsmittel")
vermag die technische Lehre des Klagepatents die Aufgabe zu erfüllen, dass sich
das EAS-Etikett "leicht und einfach von einem Artikel lösen lässt" (Anlage K1, Seite
5 Zeilen 28f.).
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Ob dem weitergehenden, von der Beklagten aufgestellten Postulat zu folgen ist,
Merkmal 6 verlange gar eine "Zwangsführung" des bogenförmigen Fingers
dergestalt, dass jegliche Bewegungsabweichungen von einem vorgegebenen
Bewegungsweg im bogenförmigen Kanal verhindert werden, kann dahin stehen. Es
erscheint schon angesichts des in der patentgemäßen bevorzugten
Ausführungsform nach Figuren 3 und 6A/6B gezeigten Abzweigs in den
Verschlussbereich (13) (Anlage K1, Seite 11 Zeilen 28-35) zweifelhaft, ob die
Anforderungen an eine "Führung" so hoch angesetzt werden können. Denn auch
der bogenförmige Kanal in diesem Beispiel (vgl. insbesondere die oben
wiedergegebene Figur 6A, die den unmittelbaren Vergleich mit dem bogenförmigen
Finger erlaubt) ist stellenweise doppelt so breit wie der bogenförmige Finger und
verjüngt sich erst jenseits der Abzweigung wieder auf eine Breite in etwa
entsprechend der des bogenförmigen Fingers. Die patentgemäße Lehre verlangt
jedenfalls unterhalb einer "Zwangsführung" überhaupt ein Mindestmaß an Führung
des bogenförmigen Fingers durch Mittel in dem Etikettenkörper, die geeignet ist,
eine Erleichterung und Vereinfachung des Öffnungsvorgangs zu bewirken und
damit die Aufgabe des Klagepatents auch hinsichtlich des Vereinfachungsaspekts
zu erfüllen.
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Schließlich kommt es für das durch Merkmal 6 vorausgesetzte Mindestmaß an
Führung nicht darauf an, ob der Öffnungsfinger bei Betätigung des
Verhinderungsmittels eine irgendwie geartete Abstützung durch Teile des
Etikettenkörpers erfährt, wie die Beklagte möglicherweise durch die vergleichende
Darstellung in dem von ihr gefertigten Film gemäß Anlage B19 suggerieren möchte.
Zum einen sind für die Auslegung der klagepatentgemäßen Lehre nicht Produkte
der Klägerin maßgeblich, sondern allein die Patentansprüche unter Zuhilfenahme
der Beschreibung und der Zeichnungen des Klagepatents. Zum anderen bietet die
Klagepatentschrift für die Annahme, der bogenförmige Kanal müsse den
Öffnungsfinger bei Betätigung des Verhinderungsmittels abstützen, ihm ein
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Widerlager bieten, keinerlei Anhalt. Dem Klagepatent geht es vielmehr
ausschließlich um den Weg, den der bogenförmige Öffnungsfinger von dem
Äußeren des Etikettenkörpers zum Verhinderungsmittel zurücklegen muss, um
dieses zu erreichen. Die anschließende Betätigung des Verhinderungsmittels steht
erkennbar nicht mehr im Blickpunkt der technischen Lehre des Klagepatents.
III. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmale 5 und 6 der unter I.
wiedergegebenen Merkmalsgliederung nicht, so dass keine Benutzungshandlung
nach § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG gegeben ist. Unterstellt man die - bestrittene -
Behauptung der Klägerin zu ihren Gunsten als richtig, die Beklagte biete an und
liefere die angegriffene Ausführungsform auch ohne Befestigungsmittel (Pins) an
ihre Abnehmer, handelt es sich daher auch nicht um eine mittelbare Verletzung des
Klagepatents nach § 10 Abs. 1 PatG, weil die angegriffene Ausführungsform auch
mit diesem Lieferumfang nicht objektiv dazu geeignet oder dazu bestimmt ist, für die
Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.
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Die angegriffene Ausführungsform bietet dem in sie eingeführten gegebenen
Öffnungsfinger (bei dem es sich zwangsläufig um einen Öffnungsfinger der Klägerin
handelt, weil die Beklagte selbst nur einen magnetisch wirksamen
Öffnungsmechanismus zur magnetischen Entsperrung der Kugelklemme vertreibt)
nicht das für eine "Führung" im Sinne des Merkmals 6 erforderliche Mindestmaß an
Hinführung zum Klemmverschluss als dem patentgemäßen Verhinderungsmittel.
Dabei haben sämtliche Maßnahmen außerhalb des Etikettengehäuses, die in der
Anwendungssituation eine Fixierung des gegebenen Öffnungsfingers relativ zur
angegriffenen Ausführungsform herstellen, als nicht patentgemäße Mittel außer Acht
zu bleiben. Denn Merkmal 5 sieht für den bogenförmigen Kanal, der die Führung im
Sinne des Merkmals 6 in patentgemäßer Weise bewirken muss, ausdrücklich vor,
dass dieser durch Mittel in dem Etikettenkörper definiert wird.
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Die Klägerin ist der Ansicht, bei der angegriffenen Ausführungsform definierten die
in der jeweils ersten Abbildung der Unterlassungsanträge mit a, b und c
bezeichneten Mittel einen bogenförmigen Kanal, der den Öffnungsfinger aufnehme
und zu dem Verhinderungsmittel führe. Dabei handele es sich um die beiden
seitlichen Kanten (a) der Öffnung des Etikettengehäuses, die querstehende,
zwischen Ober- und Unterschale durchgehende Innenwandung (b) sowie die
gebogene Innenseite der seitlichen Wandung (c). Zutreffend und insbesondere
anhand des von der Beklagten im Termin zur Gerichtsakte gereichten Exemplars
der angegriffenen Ausführungsform nachvollziehbar ist, dass ein linearer Zugriff auf
den drehbar gelagerten Öffnungshebel des Klemmverschlusses von außen nicht
möglich ist. Dem steht die Querwandung (b) entgegen, die für eine Betätigung des
Klemmverschlusses, also eine Drehung des Öffnungshebels entgegen dem
Uhrzeigersinn (bei Betrachtung von der Ober- in Richtung Unterschale), in einer
bogenförmigen Bewegung seitlich umgriffen werden muss. Damit trägt die
Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform aber ausschließlich dem
Sicherheitsaspekt Rechnung. Ein bogenförmiger Kanal könnte in dem innerhalb des
Etikettenkörpers verbleibenden Freiraum, durch den sich der Öffnungsfinger der
Klägerin an der Querwandung seitlich vorbei bis zum Öffnungshebel der
Klemmvorrichtung bewegen kann, nur dann gesehen werden, wenn er das für eine
Führung des bogenförmigen Öffnungsfingers erforderliche Mindestmaß an
"Führung" aufbringen könnte (Vereinfachungseffekt).
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Dieses notwendige Mindestmaß an Führung ist bei der angegriffenen
Ausführungsform nicht vorhanden. Wie sich anhand des in der mündlichen
Verhandlung zur Gerichtsakte gereichten bogenförmigen Öffnungsfingers und dem
von der Beklagten ebenfalls überreichten Muster einer angegriffenen
Ausführungsform nachvollziehen lässt, ist es ohne weiteres möglich, den Finger so
in den Etikettenkörper seitlich an der inneren Querwand vorbei einzuführen, dass er
den Öffnungshebel der Klemmvorrichtung verfehlt. Wenn er in einem zu engen
Bogen eingeführt wird, prallt die Fingerspitze bereits gegen die Vorderseite der
Querwand und kann diese nicht passieren. Selbst wenn man diesen Fall aber
vernachlässigt und den Finger an der Querwand vorbei bewegt, reichen die
Vorgaben durch die seitlichen Kanten der Öffnung, die rechte Kante der Querwand
und die Innenseite der seitlichen Wandung des Etikettenkörpers nicht aus, um den
Finger zum Öffnungshebel hinreichend sicher zu führen. Insbesondere dann, wenn
der Öffnungsfinger insgesamt so weit wie möglich am äußersten Rand
entlanggeführt wird (mithin so weit, wie es die bei dem im Termin überreichten
Muster nur noch ansatzweise vorhandene linke seitliche Kante der Öffnung (a)
gestattet), geht die Spitze des Fingers außen an dem Öffnungshebel vorbei und
betätigt ihn nicht.
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Die Klägerin sieht eine ausreichende Führung des Öffnungsfingers bei der
angegriffenen Ausführungsform darin, dass der gegebene Öffnungsfinger lediglich
mit seiner Innenflanke an die rechte Kante der Querwand angelegt und mit seiner
Außenflanke an der rechten Kante der Öffnung anliegend eingeführt werden müsse,
um den Öffnungshebel sicher zu betätigen. Diese Maßnahme reicht für eine
"Führung" im Sinne des Merkmals 6 jedoch nicht aus. Denn sie setzt voraus, dass
der Anwender (ein manuelles Einführen des isolierten Öffnungsfingers
vorausgesetzt, weil das äußere Einspannen des Etiketts außer Betracht bleiben
muss) weiß, dass er für den Finger die beiden genannten "Fixpunkte" wählen muss,
um das Verhinderungsmittel nicht zu verfehlen und so die Freigabe des
Befestigungsmittels zu erreichen. Ein solches Wissen darf aber auch für befugte
Benutzer nicht vorausgesetzt werden, weil die patentgemäße "Führung" des
bogenförmigen Öffnungsfingers gerade zugrunde legt, dass eine solche Kenntnis
auch bei dem befugten Personal nicht zwingend vorhanden ist. Denn wenn die
konkrete Bewegung des Öffnungsfingers auch durch befugtes Personal gezielt
daran ausgerichtet werden müsste, bei der bogenförmigen Bewegung die rechte
Kante der Querwandung und die rechte Kante der Öffnung fortwährend mit dem
Öffnungsfinger berühren zu müssen, könnte der erstrebte Vereinfachungseffekt nicht
erzielt werden.
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Folgende Kontrollüberlegung, die insbesondere die Darstellung des bevorzugten
Ausführungsbeispiels nach Figur 6A in den Blick nimmt, mag das Fehlen einer
ausreichenden Führung des Öffnungsfingers durch die angegriffene
Ausführungsform verdeutlichen: Wie Merkmal 6 erkennen lässt, sollen die
Bogenform des Kanals einerseits und die des von ihm aufgenommenen und
"geführten" Fingers andererseits miteinander zusammenwirken, um für den befugten
Anwender die erstrebte Vereinfachung bei der Öffnung des Verhinderungsmittels zu
bewirken. Die Klägerin weist darauf hin, dass eine Verbreiterung des
bogenförmigen Kanals in Teilbereichen für die Verwirklichung der
klagepatentgemäßen Lehre unschädlich sein müsse, weil auch die Darstellung
eines patentgemäßen Etiketts in Figur 6A eine nicht unerhebliche Aufweitung des
Kanals vor dem Verschlussbereich (13) zeige. Dies spricht zwar dagegen, eine
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"Zwangsführung" des Öffnungsfingers durch den bogenförmigen Kanal zu
verlangen, lässt aber nicht den weitergehenden Schluss zu, das Verfehlen des
Verhinderungsmittels sei unschädlich für die Verwirklichung der patentgemäßen
Lehre. Denn auch bei dem Etikett nach Figur 6A darf es nicht möglich sein, dass der
gegebene Finger (8) mit einer zu weit außen geführten Bewegung versehentlich in
den Verschlussbereich (13) gelangt und dort "in die Falle geht", weil in diesem Fall
der erstrebte Vereinfachungseffekt nicht erreicht werden könnte. Bei dem EAS-
Etikett nach Figur 6A muss daher in einer für den Fachmann erkennbaren Weise
schon durch die Kanalgeometrie vor Erreichen der Aufweitung, die zum
Verschlussbereich (13) führt, sichergestellt sein, dass der gegebene Öffnungsfinger
ausschließlich den Weg zum Verhinderungsmittel nimmt. Lediglich mit einem
größeren Radius gebogene (oder aber flexible) Gegenstände, die von Unbefugten
in das Etikettengehäuse eingeschoben werden, könnten dann in den
Verschlussbereich (13) geraten, nicht jedoch der gegebene, zur befugten Öffnung
bestimmte Öffnungsfinger, der an den Radius des bogenförmigen und zum
Verhinderungsmittel führenden Kanals angepasst ist und durch die Geometrie des
Kanals im Eingangsbereich auf der richtigen Bahn gehalten wird.
Die vorstehenden Überlegungen mögen aus Sicht des praktischen Anwenders
insofern hypothetisch erscheinen, als die bestimmungsgemäße Öffnung der
angegriffenen Ausführungsform in der Praxis nicht mit einem isolierten
Öffnungsfinger vorgenommen wird, sondern unter Verwendung einer
Trennvorrichtung der Klägerin, mittels deren der Öffnungsfinger einen ohnehin
vorgegebenen Bewegungsweg vollführt. Das angegriffene Etikett weist eine äußere
Formgebung auf, die an die mechanische Trennvorrichtung der Klägerin angepasst
ist; dadurch wird es zwingend mit einer vorgegebenen Ausrichtung in die
Trennvorrichtung eingelegt. Bei Betätigung des Öffnungsfingers wird das Etikett der
angegriffenen Ausführungsform durch geeignete Mittel relativ zur Trennvorrichtung
fixiert (vgl. die in den Abbildungen Anlage K17a bis K17c erkennbare hakenförmige
Arretierung im jeweils oberen Bildbereich). Einer patentgemäßen "Führung" des
Öffnungsfingers durch Mittel in dem Etikettenkörper bedarf es in der Praxis daher
nicht, weil der Bewegungsweg bereits durch andere Maßnahmen (das Einspannen
des Etiketts in die Trennvorrichtung und die relativ zur Trennvorrichtung und damit
mittelbar auch zum Etikett festgelegte Bewegung des Öffnungsfingers) fest
vorgegeben ist. In patentgemäßer Weise kann es auf diese Maßnahmen jedoch
nicht ankommen, weil der bogenförmige Kanal, dem die Führungsfunktion nach
Merkmal 6 zukommt, allein durch Mittel in dem Etikettenkörper definiert wird
(Merkmal 5).
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) ZPO.
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V. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 709 Satz 1 und 2;
108 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 1.250.000,- € festgesetzt.
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