Urteil des LG Düsseldorf vom 19.08.2004

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Landgericht Düsseldorf, 4b O 199/04
Datum:
19.08.2004
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4b Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4b O 199/04
Tenor:
I. Die einstweilige Verfügung vom 11.05.2004 wird aufrechterhalten.
II. Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu
tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die
Zwangsvollstreckung der An-tragstellerin durch Sicherheitsleistung von
250.000 EUR abwenden, wenn nicht die Antragstellerin zuvor Sicher-
heit in gleicher Höhe geleistet hat.
IV. Der Streitwert für das Widerspruchsverfah-ren wird auf 250.000 EUR
festgesetzt.
T a t b e s t a n d:
1
Die Antragstellerin ist eingetragene Inhaberin der – unter anderem für die
Bundesrepublik Deutschland erteilten – europäischen Patente X und X. Das zuerst
genannte Schutzrecht (X), welches vorliegend allein noch interessiert, betrifft ein
Verfahren und eine Vorrichtung zum Beschneiden von Druckprodukten. Patentanspruch
1 hat folgenden Wortlaut:
2
"Verfahren zum Beschneiden von kontinuierlich geförderten mehrlagigen
Druckprodukten (2) in einem Durchlauf-Prozess, wobei jedem einzelnen oder
mehreren Druckprodukten (2) gemeinsam mindestens ein erster Messerteil (3, 31)
zugeordnet wird, wobei der mindestens eine erste Messerteil (3, 31) und das
zugehörige Druckprodukt (2) mit im Wesentlichen gleicher Geschwindigkeit bewegt
sowie entlang mindestens einer vorgesehenen Schnittkante (4) zueinander in
Anlage gebracht werden,
3
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t,
4
dass der erste Messerteil und das zugehörige Druckprodukt an einem zweiten
ortsfest gelagerten Messerteil (5, 14, 15, 16, 18, 19) vorbeigeführt werden, um mit
5
ortsfest gelagerten Messerteil (5, 14, 15, 16, 18, 19) vorbeigeführt werden, um mit
diesem in Schneideingriff gebracht zu werden, so dass das Druckprodukt
mindestens entlang einer vorgesehenen Schnittkante beschnitten wird.”
Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1a, 1b, 2 und 11 der Verfügungspatentschrift)
zeigen bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung.
6
X
7
Anlässlich der diesjährigen "drupa”-Fachmesse in Düsseldorf stellte die
Antragsgegnerin unter der Bezeichnung "X” eine Maschine mit Schneidtrommel aus,
deren nähere Einzelheiten sich, soweit für das Verfahren von Belang, aus den
nachstehend wiedergegebenen Abbildungen des Anlagenkonvoluts 2 ergeben.
8
X
9
Aus Figur 1 ist - nach dem Vortrag der Antragstellerin - ersichtlich, dass die zunächst in
Form eines Schuppenstromes vorliegenden Druckerzeugnisse mit Hilfe eines
Zellenrades (2) in der Weise vereinzelt werden, dass in jede Aufnahmetasche des
Zellenrades ein Druckerzeugnis abgelegt und nachfolgend fixiert wird. Nach ihrer
Vereinzelung gelangen die Druckprodukte in den Bereich zweier Schneideinrichtungen,
die die Bezugszeichen (8a) und (8b) tragen und dazu vorgesehen sind, die
Druckprodukte an ihren seitlichen Rändern zu beschneiden. Wie dies im Einzelnen
geschieht, erschließt sich aus Figur 2, die eine schematische Schnittdarstellung
senkrecht zur Zylinderachse (16) wiedergibt. Jede der beiden Schneidtrommeln verfügt
über ein stationäres Messer (14) sowie mehrere, um das ortsfeste Messer kreisende
bewegliche Messer (15). Die Anordnung ist so getroffen, dass sich jeweils ein
rotierendes Messer an den seitlich über die Zellenwand (6) hinausragenden Teil des
Druckproduktes anlegt, kurz bevor das Druckprodukt in den Bereich des stationären
Messers (14) einläuft. Das bewegliche Messer (15) und das mit ihm in Anlage
befindliche Druckprodukt werden infolgedessen an dem ortsfesten Messer (14)
vorbeigeführt und mit diesem in Schneideingriff gebracht, woraufhin das Druckprodukt
entlang seiner Seitenkante beschnitten wird.
10
Gestützt auf beide europäischen Patente der Antragstellerin (X und X) hat die Kammer
mit Beschlussverfügung vom 11.05.2004 wie folgt gegen die Antragsgegnerin erkannt:
11
I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung, und zwar wegen
der besonderen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung, untersagt,
12
13
1. im räumlichen Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patents X
Vorrichtungen zur Durchführung eines Verfahrens anzubieten oder zu liefern oder
ein Verfahren zu gebrauchen,
14
15
wenn dieses Folgendes umfasst:
16
Verfahren zum Beschneiden von kontinuierlich geförderten mehrlagigen
Druckprodukten in einem Durchlauf-Prozess, wobei jedem einzelnen oder
mehreren Druckprodukten gemeinsam mindestens ein erster Messerteil
zugeordnet wird, wobei der mindestens eine erste Messerteil und das
zugehörige Druckprodukt mit im Wesentlichen gleicher Geschwindigkeit
bewegt sowie entlang mindestens einer vorgesehenen Schnittkante
zueinander in Anlage gebracht werden, dadurch gekennzeichnet, dass der
erste Messerteil und das dazugehörige Druckprodukt an einem zweiten
ortsfest gelagerten Messerteil vorbeigeführt werden, um mit diesem in
Schneideingriff gebracht zu werden, so dass das Druckprodukt mindestens
entlang einer vorgesehenen Schnittkante beschnitten wird,
17
2. im räumlichen Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patents X
18
19
a. Vorrichtungen zur Durchführung eines Verfahrens anzubieten oder zu liefern oder
ein Verfahren zu gebrauchen,
20
21
wenn dieses Folgendes umfasst:
22
Verfahren zur Stabilisierung und Positionierung von flächigen
Gegenständen, die von Fördermitteln gehalten, beispielsweise
hängend, gefördert werden, insbesondere von Druckprodukten, die
wenig steif sind und mit hoher Geschwindigkeit gefördert werden,
dadurch gekennzeichnet, dass über einen bestimmten Abschnitt der
Förderstrecke Führungselemente in den Förderstrom eingeführt und in
Förderrichtung mit bewegt werden und dass die Führungselemente die
Druckprodukte über mindestens einen Teil dieses Abschnittes derart
führen, dass sie an mindestens einer Stelle eine definierte, stabile, von
der Fördergeschwindigkeit unabhängige Lage haben;
23
b. Vorrichtungen anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den
genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen
24
25
zur Durchführung eines Verfahrens nach Ziffer 2.a), dadurch
gekennzeichnet, dass die Vorrichtungen Führungselemente aufweisen,
die in regelmäßigen Abständen an mindestens einem angetriebenen
Element befestigt sind, und dass das angetriebene Element derart
angeordnet ist, dass ein Teil der Führungselemente in den Förderstrom
hineinragt;
26
c. ein Verfahren nach Ziffer 2.a) zu verwenden
27
28
für die Zuführung von hängend geförderten Druckprodukten zu einer
Verarbeitungsvorrichtung,
29
3. wobei der Antragsgegnerin gestattet ist, die auf der "drupa 2004” derzeit
ausgestellte Maschine X
30
a. bis zum 19.05.2004 dort zu belassen und vorzuführen, jedoch nicht, die Maschine
X Dritten anzubieten und/oder Aufträge von Dritten entgegenzunehmen,
31
32
und
33
b. an Unternehmen des X ausschließlich zu Testzwecken weiterzugeben.
34
35
I. Der Antragsgegnerin werden für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses
gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Ordnungsgeld bis zu
250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, und Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten angedroht.
36
37
II. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
38
39
Mit ihrem Widerspruch wendet sich die Antragsgegnerin gegen das
Unterlassungsgebot, soweit es auf das europäische Patent X (Beschlusstenor zu I.1.)
gestützt ist. Sie ist der Auffassung, dass die streitbefangene X-Maschine bereits keinen
Gebrauch von der technischen Lehre des X mache. Bei zutreffendem Verständnis
verlange das besagte Schutzrecht nämlich, dass die beiden Messerteile unabhängig
voneinander angeordnet sein müssten und nicht – wie bei der angegriffenen
Ausführungsform der Fall – Teil ein- und desselben Schneidapparates sein dürften. Im
Übrigen setze das Verfügungspatent voraus, dass sich das erste Messerteil bereits
während des Transportes – und nicht erst kurz vor dem Schneideingriff – in Anlage zu
dem zu schneidenden Druckprodukt befinde. Auch in diesem Punkt weiche die
streitbefangene Vorrichtung von der Lehre des Verfügungspatents ab. Das gleiche gelte
im Hinblick darauf, dass das Druckprodukt einerseits und das erste Messerteil
andererseits nicht dieselbe Bewegungsrichtung besäßen, die Bewegungsbahn des
Druckproduktes vielmehr um 90° versetzt zu der Umlaufbahn der Schneidtrommel
verlaufe. Schließlich besitze die angegriffene Vorrichtung auch keine zwei, sondern
lediglich ein Messer, nämlich das ortsfest angeordnete.
40
Selbst wenn von einer Patentbenutzung auszugehen sein sollte, könne die
Beschlussverfügung jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil das
Verfügungspatent im Umfang seines geltend gemachten Anspruchs 1 im Stand der
Technik neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Die Antragsgegnerin verweist
insoweit auf die deutsche Patentschrift X vom 9. Oktober 1918.
41
Die Antragsgegnerin beantragt,
42
die Beschlussverfügung vom 11.05.2004 im Umfang des Tenors zu I.1.
aufzuheben und den hierauf gerichteten Verfügungsantrag der Antragstellerin
zurückzuweisen.
43
Die Antragstellerin beantragt,
44
die Beschlussverfügung im angefochtenen Umfang aufrechtzuerhalten.
45
Sie ist unverändert der Auffassung, dass die X-Maschine der Antragsgegnerin dem
Wortsinn nach das Verfügungspatent mittelbar verletzt, weil für die von der
Antragsgegnerin vorgenommene einschränkende Interpretation kein Anlass bestehe.
Der Rechtsbestand des X sei ebenfalls nicht zweifelhaft, weil die entgegengehaltene
Druckschrift kein im Scherschnitt arbeitendes Messerpaar offenbare und deshalb dem
Fachmann keine Anregung geben könne, eine eben solche Vorrichtung (wie sie dem
Verfügungspatent zugrunde liege) fortzubilden.
46
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
47
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
48
Auf den Teilwiderspruch der Antragsgegnerin hin ist die einstweilige Verfügung der
Kammer vom 11.05.2004 aufrechtzuerhalten. Das Unterlassungsgebot ist, auch soweit
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es sich auf das X gründet, zu Recht ergangen, weil die Antragsgegnerin mit dem
Angebot ihrer X-Maschine während der "drupa 2004” mittelbar das Verfügungspatent
verletzt hat. Da die streitbefangene Vorrichtung ausschließlich nach dem
patentgeschützten Verfahren arbeiten kann, rechtfertigt sich das ausgesprochene
uneingeschränkte Unterlassungsgebot.
I.
50
1.
51
Das Verfügungspatent betrifft ein Verfahren zum Beschneiden von mehrlagigen
Druckprodukten (z. B. Zeitschriften) im dynamischen Produktionsprozess bei voller
Rotationsleistung (von z. B. 80.000 Exemplaren/Stunde).
52
Nach den Erläuterungen der Verfügungspatentschrift sind aus dem vorbekannten Stand
der Technik zwei unterschiedliche Arten von Schneidvorrichtungen bekannt.
53
Die erste Maschinengattung, wie sie in der X sowie der X dokumentiert ist, betrifft
Einrichtungen zum seitlichen Beschneiden von Papierbogen, die während des
Schneidvorganges in Form eines Schuppenstromes vorliegen (Spalte 1 Zeilen 18 bis
26). Das Verfügungspatent lehnt diese Art von Schneidverfahren wegen der ihr
anhaftenden Nachteile prinzipiell ab. Es sei – so heißt es – schwierig und aufwändig,
die einzelnen Druckprodukte im Schuppenstrom exakt auszurichten. Zudem entstehe
beim Schuppenstrom ein Hohlraum zwischen den einzelnen zu schneidenden
Druckprodukten und ihrer Unterlage, was vor allem bei dickerem Schneidgut zu einem
Einreißen der Schneidkanten und zu unregelmäßigen Schneidspuren führe. Sofern die
Druckprodukte nicht nur auf den zur Förderrichtung parallelen Seiten beschnitten
werden sollten, sei es außerdem erforderlich, den Schuppenstrom um 90° umzulenken
oder aber die Druckprodukte einzeln zu drehen, was einer optimalen räumlichen
Anordnung der Fertigungsstraße entgegen stehe und außerdem mit einem
beträchtlichen technischen Aufwand verbunden sei (Spalte 1 Zeilen 29 bis 42).
54
Angesichts dieser Unzulänglichkeiten wendet sich das Verfügungspatent einer anderen
Gattung von Schneidmaschinen zu, wie sie in der X beschrieben ist. Bei ihr werden die
Druckprodukte einzeln beschnitten, so, wie dies aus der nachfolgend wiedergegebenen
Figur 3 der X ersichtlich ist.
55
X
56
Die Abbildung zeigt ein rotierendes Zellenrad, dessen einzelne Zellen zur Aufnahme
jeweils eines Druckproduktes bestimmt sind. Jede Radzelle verfügt über bewegliche
Messer (48‘) und damit zusammenwirkende Gegenmesser (49‘), die über gemeinsame
Steuerkurven betätigt werden.
57
Trotz ihrer grundsätzlichen Vorzüge gegenüber einem Beschneidvorgang im
Schuppenstrom erwähnt die Verfügungspatentschrift auch im Hinblick auf diesen Stand
der Technik zwei Nachteile. Die erste Kritik richtet sich gegen die Komplexität der
Schneideinrichtung und den hieraus resultierenden Konstruktions- und
Unterhaltungsaufwand (Spalte 1 Zeile 57 bis Spalte 2 Zeile 1). Dem Fachmann ist
einsichtig, dass die Verfügungspatentschrift mit der zitierten Bemerkung konkret den
Umstand anspricht, dass eine der Zahl der Radzellen entsprechende Anzahl von
58
Messern und Gegenmessern vorhanden sein muss, die nicht nur gefertigt und montiert,
sondern im Betrieb auch gewartet und ggf. instandgesetzt werden müssen. Die zweite
Unzulänglichkeit sieht die Verfügungspatentschrift in der Schnittqualität, die bei
dynamischen Hochleistungsprozessen den gegebenen Anforderungen nicht gerecht
werde. Im Einzelnen wird ausgeführt, dass sich auch mit den bewegbaren Messern und
Gegenmessern nicht diejenige Schnittgenauigkeit erzielen lässt, wie sie mit statischen
Schneidverfahren erreicht wird, bei denen das Schnittgut auf einer stationären, als
Gegenmesser wirkenden Unterlage ruht, mit der ein Schwing- oder Fallmesser
zusammen wirkt (Spalte 2 Zeilen 2 bis 17).
Die Verfügungspatentschrift (Spalte 2 Zeilen 18 bis 27) bezeichnet es demgemäß als
Aufgabe der Erfindung, ausgehend vom Stand der Technik nach der X ein
zuverlässiges und präzises Verfahren zu schaffen, mit welchem ein hochqualitatives
Beschneiden von mehrlagigen Druckprodukten im kontinuierlichen Durchlauf-Prozess
möglich ist.
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Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Patentanspruch 1 des Verfügungspatents die
Kombination folgender Merkmale vor:
60
1. Verfahren zum Beschneiden von kontinuierlich geförderten mehrlagigen
Druckprodukten (2) in einem Durchlauf-Prozess.
61
62
2. Jedem einzelnen oder mehreren Druckprodukten (2) gemeinsam wird mindestens
ein erster Messerteil (3) zugeordnet.
63
64
3. Der mindestens erste Messerteil (3, 31) und das zugehörige Druckprodukt (2)
werden
65
66
a. mit im Wesentlichen gleicher Geschwindigkeit bewegt und
b. entlang mindestens einer vorgesehenen Schnittkante (4) zueinander in Anlage
gebracht.
67
68
1. Der erste Messerteil (3, 31) und das zugehörige Druckprodukt (2) werden an
einem zweiten ortsfest gelagerten Messerteil (5, 14, 15, 16, 18, 19) vorbeigeführt,
69
70
a. um mit dem ersten Messerteil (3, 31) in Schneideingriff gebracht zu werden,
b. so dass das Druckprodukt (2) mindestens entlang einer vorgesehenen
Schnittkante (4) beschnitten wird.
71
72
Die Lösung des Verfügungspatents besteht mithin darin, dass die bisherige Einheit von
Messer und Gegenmesser, die einander paarweise und fest zugeordnet sind, aufgelöst
wird. Statt dessen ist vorgesehen, die eine Komponente (vorzugsweise das
Gegenmesser) stationär anzuordnen, wodurch sich eine Schnittqualität erzielen lässt,
wie sie für völlig statische Schneidverfahren (mit ortsfestem Gegenmesser und
ortsfestem Schwing- oder Fallmesser) charakteristisch ist. Die andere Komponente
(vorzugsweise das Messer) wird als beweglicher Teil ausgebildet, der sich in den
dynamischen Fertigungsprozess integrieren lässt (Spalte 2 Zeile 30 bis Spalte 3 Zeile
11).
73
2.
74
Für den Durchschnittsfachmann besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass sich das
Verfügungspatent auf ein sogenanntes Scherschnitt-Verfahren bezieht, bei dem zwei
Messer zum Einsatz kommen, die miteinander scheren und auf diese Weise (d.h. durch
Scherwirkung an Ober- und Untermesser) das Druckprodukt schneiden, so, wie dies in
der nachfolgenden Abbildung schematisch dargestellt ist.
75
X
76
Zu dieser Einsicht führt den Fachmann bereits der Umstand, dass sich das
Verfügungspatent mit einem Schneidverfahren für mehrlagige Druckprodukte wie
Zeitschriften und dergleichen befasst, die typischerweise im Scherschnitt-Verfahren
bearbeitet werden (Anlage AST 9, Seite 76; Anlage AST 13 Seite 3). Abgesehen davon
fordert Patentanspruch 1 ausdrücklich das Vorhandensein von zwei Messern, nämlich
einem ortsfesten und einem beweglichen Messer, die zur Ausführung des
Schneidvorganges miteinander in Schneideingriff gebracht werden. Der Sache nach ist
damit eindeutig und ausschließlich ein Scherschnitt-Verfahren beschrieben, welches –
wie dargelegt – zwei miteinander in Schereingriff gelangende Messer (Ober- und
Untermesser bzw. Messer und Gegenmesser) voraussetzt. Andere Schneidverfahren
verfügen demgegenüber nur über ein einziges Messer, das – wie in den nachfolgenden
Abbildungen verdeutlicht –
77
X
78
entweder gegen eine feste Unterlage (Messerschnitt) oder gegen das gespannt
gehaltene Schnittgut (Berstschnitt) arbeitet. Die Antragsgegnerin kann dem nicht mit
Erfolg die Figur 11 der Verfügungspatentschrift entgegen halten. Es bedarf keiner
abschließenden Entscheidung, ob der Fachmann der zeichnerischen Darstellung als
solcher entnimmt, dass auch die Zellenwand (31) im linken Randbereich abgeschrägt
und somit als Messer ausgebildet ist. Dass dem erfindungsgemäß so zu sein hat, stellt
in jedem Fall der korrespondierende Erläuterungstext unmißverständlich fest. In Spalte
10 Zeilen 46 bis 50 heißt es:
79
"Figur 11 zeigt ein vergrößertes Detail einer Zelle mit einem Druckprodukt (2)
unmittelbar vor dem Eingriff des Schneidmessers (14). Deutlich erkennbar ist hier,
wie die Zellenwand (31) gleichzeitig als Gegenmesser für das Schneidmesser (14)
wirkt.”
80
Liegt dem Verfügungspatent ein Scherschnitt-Verfahren zugrunde, so ist sich der
Fachmann darüber im Klaren, dass die in Patentanspruch 1 in Bezug auf den
beweglichen Messerteil formulierten Anforderungen dahingehend, dass das Messer
entlang der vorgesehenen Schnittkante mit dem Druckprodukt in Anlage gebracht wird
und sich mit diesem gleichförmig bewegt, dem für einen ordnungsgemäßen Scherschnitt
unverzichtbaren Zweck dient, das Druckprodukt im Schnittbereich abzustützen, wenn es
zum scherenden Schneideingriff der beiden Messer kommt. Es ist offensichtlich, dass
eine akzeptable Schnittqualität nicht erreicht werden könnte, wenn das bewegliche
Messer im Zeitpunkt des Schneideingriffs einen Abstand zu dem zu schneidenden
Druckprodukt einhalten würde. Vor dem dargelegten Hintergrund müssen die geforderte
Anlage am Druckprodukt und die Bewegung des ersten Messerteils mit gleicher
Geschwindigkeit während des Schneidvorganges gewährleistet sein, d.h. vorliegen,
bevor der Schneidprozess eingeleitet wird und beibehalten werden, solange der
Schneidvorgang anhält. Ob und über welche Dauer davor und danach eine Anlage und
Mitbewegung des ersten Messerteils stattfindet, ist demgegenüber für die Ausführung
des patentierten Schneidverfahrens ersichtlich ohne Belang. Hierzu verhält sich
demgemäß auch Patentanspruch 1 nicht näher, der gleichermaßen die konstruktive
Ausgestaltung der Messerteile und ihrer Zuordnung zu dem Druckprodukt gänzlich offen
lässt. Es gibt deswegen keinen Anlass für die Annahme, das Verfügungspatent verlange
zwingend, dass die beiden Messerteile nicht an demselben Schneidapparat angeordnet
werden können, und setze voraus, dass das erste Messerteil dieselbe
Bewegungsrichtung wie das zu schneidende Druckprodukt aufweise. Vom
Verfügungspatent gefordert wird einzig und allein, dass sich der erste Messerteil vor
Beginn des Schneidvorganges in Anlage mit dem Druckprodukt befindet und diese
Anlagesituation (aufgrund der Mitbewegung des ersten Messerteils mit gleicher
Geschwindigkeit) fortbesteht, solange der Schneidvorgang andauert. Durch welche
konkrete Bewegungskinematik von erstem Messerteil einerseits und zugehörigem
Druckprodukt andererseits diese Anforderung erfüllt wird, ist nicht Gegenstand von
Patentanspruch 1 und deshalb dem freien Belieben des Fachmanns überlassen.
81
II.
82
In Anbetracht des vorstehend erläuterten Inhalts des Verfügungspatents besteht kein
Zweifel daran, dass die angegriffene X-Maschine der Antragsgegnerin (ausschließlich)
dazu geeignet und bestimmt ist, das Schneidverfahren nach Patentanspruch 1
wortsinngemäß auszuführen.
83
Soweit die Antragsgegnerin dies mit dem Argument bestreitet, die beiden Messerteile
seien Bestandteil desselben Schneidapparates, der erste Messerteil liege nicht schon
während des Transportes am Druckprodukt an und der erste Messerteil und das
Druckprodukt wiesen nicht dieselbe Bewegungsrichtung auf, sind die Einwände – wie
dargelegt – sämtlich unerheblich.
84
Ohne Erfolg bleibt gleichfalls die Einlassung der Antragsgegnerin, die angegriffene
Ausführungsform verfüge über lediglich ein (und nicht zwei) Messer. Im
Verhandlungstermin vom 29.07.2004 hat die Antragstellerin wiederholt darauf
hingewiesen, dass der als Anlage AST 15 vorgelegte redaktionelle Beitrag, welcher
sich mit der X-Maschine der Antragsgegnerin befasst, auf deren eigenen Angaben
beruht und insofern zutreffend die tatsächliche Ausgestaltung der Vorrichtung
wiedergibt. Am angegebenen Ort (Seite 63 rechte Spalte) heißt es:
85
"Über ein Schaufelrad werden die Produkte einzeln mit dem Rücken voran in die
Trommel übergeben, wo sie gefasst und zunächst gleichzeitig an Kopf und Fuß
(maximal 30 mm), danach an der Vorderkante (maximal 45 mm) beschnitten
werden. Der exakte Scherenschnitt erfolgt mit einer patentierten Schneidtrommel,
wobei ein feststehendes Schneidmesser und 6 rotierende Gegenmesser eingesetzt
werden.”
86
Unter den gegebenen Umständen hätte es der Antragsgegnerin oblegen, im Einzelnen
darzutun, inwiefern diese (auf ihren eigenen Angaben beruhende) Darstellung mit der
tatsächlichen Ausgestaltung der X-Maschine nicht übereinstimmen soll. Nachdem ein
dahingehender substantiierter Sachvortrag unterblieben ist, besteht für die Kammer kein
Zweifel daran, dass die streitbefangene Vorrichtung nach dem Prinzip des Scherschnitts
arbeitet und demgemäß nicht nur mit einem stationären Messer, sondern auch mit
umlaufenden beweglichen Messern ausgestattet ist.
87
III.
88
Der von der Antragsgegnerin entgegengehaltene Stand der Technik nach der
deutschen Patentschrift X ist nicht geeignet, den Rechtsbestand des Verfügungspatents
in Frage zu stellen.
89
Die genannte Druckschrift betrifft eine Maschine zum Beschneiden von Büchern und
dergleichen, die – wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht –
90
X
91
über ein Zellenrad verfügt, in dessen einzelne Zellen (b) die zu beschneidenden
Buchpakete aufgenommen werden. Nachdem das Buchpaket mit Hilfe einer
beweglichen Schwinge (e) in der Zelle (b) festgeklemmt ist, gelangt es infolge der
Rotationsbewegung der Trommel in den Einwirkungsbereich eines feststehenden
Schneidmessers (d).
92
Der Antragstellerin ist in ihrer Auffassung beizutreten, dass der vorbeschriebene
Gegenstand ein gänzlich anderes Schnittverfahren betrifft als das Verfügungspatent. Es
ist lediglich ein einziges stationäres Messer (d) vorhanden, das den Beschnitt des
Druckproduktes nach dem Prinzip des Messerschnitts vornimmt. Soweit die
Antragsgegnerin geltend macht, die das Buchpaket rückwärtig abstützende
93
Zellenwandkante bilde ein zweites Messer, fehlt hierfür jeglicher Anhalt. In der
deutschen Patentschrift 308 330 selbst wird lediglich das Bauteil mit dem
Bezugszeichen (d) als "Messer” bezeichnet. Schon dies spricht dagegen, dass die
Oberkante der hinteren Zellenwand ebenfalls als Messer ausgebildet ist. Hinzu kommt,
dass die vorbekannte Maschine – wie die wiedergegebene Figur veranschaulicht – dem
Beschnitt dickformatiger Bücher dient, für die sich ein Beschnitt nach dem Scherschnitt-
Verfahren verbietet, weil es bei Anwendung dieses Verfahrens zu Quetschungen und
infolgedessen zu einer mangelhaften Schnittqualität kommen kann. Würde die
entgegengehaltene Schneidmaschine nach dem Prinzip des Scherschnitts arbeiten,
müsste es während der Rotation des Zellenrades zu einer scherenden Berührung
zwischen der Schneidkante des stationären Messers (d) und der Oberkante der
rückwärtigen Zellenwand kommen. Dass die Schneidmaschine nach der X in dieser
Weise arbeitet, wird der Fachmann für ausgeschlossen halten. Da die Oberseite der
rückwärtigen Zellenwände auf derselben Ebene wie die seitlichen Trommelwände des
Zellenrades liegen, d.h. nicht nach oben über letztere hinausragen, würde das
stationäre Messer (d) während des Schereingriffs entlang der gesamten Oberfläche des
Zellenrades entlang schleifen. Berücksichtigt man das Datum der Entgegenhaltung
(1918) und die zu dieser Zeit mögliche Fertigungsqualität, so muss der Fachmann es als
ausgeschlossen ansehen, dass ein derartiger Schereingriff mit dem Zellenrad
vorgesehen ist, die bereits nach kurzer Zeit zu einer Beschädigung des ortsfesten
Messers (d) führen muss. Aus der Sicht des Fachmanns kann der Schneidvorgang bei
der bekannten Maschine vielmehr nur in der Weise vonstatten gehen, dass der
Schneideingriff des stationären Messers (d) mit dem herangeführten Buchpaket
oberhalb der Ebene des Zellenrades statt findet. Die X betrifft damit eine
Schneidvorrichtung, die nach dem Messerschnitt-Verfahren funktioniert und deshalb ein
grundlegend anderes Schneidverfahren betrifft, als es dem Verfügungspatent zugrunde
liegt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, wie der Durchschnittsfachmann –
ohne unzulässige rückschauende Betrachtung in Kenntnis der Lehre des
Verfügungspatents – aus der deutschen Patentschrift X irgendeine Anregung erhalten
haben soll, das Scherschnitt-Verfahren in der dem Verfügungspatent entsprechenden
Weise weiter zu entwickeln.
IV.
94
Nach alledem steht für die Kammer ohne irgend einen Zweifel fest, dass die
angegriffene X-Maschine der Antragsgegnerin nicht nur eine Anwendung des
patentgeschützten Verfahrens der Antragstellerin erlaubt, sondern dass das
Verfügungspatent schutzfähig ist und sich als rechtsbeständig erweisen wird. Unter
solchen Umständen ist es nicht zu vertreten, die Antragstellerin für die Durchsetzung
ihres Unterlassungsanspruchs auf ein Hauptsacheverfahren zu verweisen. Da dessen
der Antragstellerin günstiger Ausgang bereits jetzt abzusehen ist, erscheint vielmehr
eine Unterlassungsverfügung nicht nur gerechtfertigt, sondern im überwiegenden
Interesse der Antragstellerin auch geboten.
95
V.
96
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
97
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 6, 711,
108 ZPO.
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