Urteil des LG Düsseldorf vom 17.05.2006

LG Düsseldorf: oper, umkehr der beweislast, umkehrung der beweislast, musik, handschrift, theater, verfügung, beweislastverteilung, verbreitung, druck

Landgericht Düsseldorf, 12 O 538/05
Datum:
17.05.2006
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12 Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 O 538/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d :
1
Der klagende Verein, eine chor- und konzertausübende Gesellschaft bürgerlicher
Musikpflege in langer Tradition, begehrt Auskunfts- und Schadensersatz wegen der von
der Beklagten veranstalteten Aufführungen der Oper "Motezuma” von Antonio Vivaldi
RV 723 gemäß der im Jahr 2005 veröffentlichen Handschrift SA 1214 aus dem Archiv
des Klägers (Anlage K 1).
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Der 1741 gestorbene venezianische Komponist Antonio Vivaldi schuf die Oper
"Motezuma”, die am 14. November 1733 unter seiner Leitung im venezianischen
Theater San Angelo uraufgeführt wurde. Während das von Alvise oder Girolamo Giusti
stammende Libretto der Oper bekannt blieb, galt die Komposition lange als verloren.
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2002 entdeckte der Musikwissenschaftler Steffen Voss aus Hamburg in der Handschrift
mit der Signatur SA 1214 des Archivs des Klägers die - nicht ganz vollständig - Musik zu
der Oper. Der Kläger ließ im Januar 2005 50 gebundene Vervielfältigungenstücke der
Handschrift -Faksimilekopien ohne weitere Bearbeitung - erstellen und bot diese auf
seiner Internetseite zum Preis von jeweils 60,00 € an.
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Die Beklagte arbeitete mit dem Musikwissenschaftler, Komponisten und Dirigenten
Frederico Maria Sardelli aus Florenz, Mitglied des in Venedig ansässigen Instituto
Italiano "Antonio Vivaldi”, zusammen, der seinerseits gemeinsam mit Steffen Voss an
der Musik die für eine Aufführung des Werks notwendige Ergänzungen vornahm und
das Werk bei einer konzertranten Aufführung am 11. Juni 2005 in Rotterdam
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künstlerisch leitete. Diese Aufführung war von der Klägerin genehmigt worden. Für
weitere von der Beklagten geplante Aufführungen im Rahmen des von ihr veranstalteten
"Altstadthberst Kulturfestivals” in Düsseldorf sowie eines Festivals in Barga, Italien, an
dem die Beklagte als Koproduzentin mitwirkte, verweigerte der Antragsteller die
Genehmigung.
Nachdem der Beklagten in einem vom dem Kläger angestrengten einstweiligen
Verfügungsverfahren durch Urteil der Kammer vom 11. Juli 2005 - 12 O 355/05 - die
Aufführung der Oper untersagt worden ist, dieses Urteil dann durch die Entscheidung
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. August 2005 - I - 20 U 123/05 - abgeändert
und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist, hat
die Beklagte die Oper "Motezuma” von Antonio Vivaldi am 21., 23., 24. und 25.
September 2005 in Düsseldorf im Rahmen des Altstadtherbstes aufgeführt.
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Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits hat die Beklagte mit Schriftsatz vom
20.04.2006 eine strafbewährte Unterlassungserklärung abgegeben.
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Der Kläger trägt vor:
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Die streitgegenständliche Oper sei allein am 14. November 1733 ein einziges Mal im
venezianischen Theater San Angelo aufgeführt worden. Bei der von der Beklagten in
Bezug genommenen Aufführung im Jahre 1772 handele es sich um die dreiaktige Oper
"Motezuma” mit Musik des italienischen Barockkomponisten Baldassare Galuppi. Bei
der Musik der Oper Vivaldis handele es sich um ein nicht erschienenes Werk.
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Im Hinblick auf die Unterlassungserklärung haben die Parteien den Rechtsstreit
hinsichtlich des geltend gemachten Unterlassungsanspruches übereinstimmend erledigt
erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen,
12
I.
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über die durch die Aufführungen der Oper "Motezuma” von Antonio Vivaldi am 21.,
23., 24. und 25. September 2005 erzielten Einnahmen Auskunft zu erteilen und
Rechnung zu legen sowie die Richtigkeit und Vollständigkeit der zu erteilenden
Auskünfte an Eides statt zu versichern,
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II.
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an ihn einen angemessenen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe von der
nach Ziffer II. zu erteilenden Auskunft und Rechnungslegung abhängt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor:
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Im Hinblick auf die aufgefundene Handschrift, die aus einer professionellen betriebenen
Kopistenwerkstatt stamme und der damaligen Praxis der Verbreitung von
Opernmusikabschriften, sei das Erscheinen belegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist abzuweisen.
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Über die im Wege der Stufenklage geltend gemachten Ansprüche ist einheitlich zu
entscheiden, da eine Schadensersatzpflicht des Beklagten aus § 97 UrhG in
Verbindung mit § 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 UrhG nicht besteht. Der in Anspruch
genommene Leistungsschutz an einem sogenannten nachgelassenen Werk kommt dem
Kläger hinsichtlich der Opernmusik Vivaldis nicht zu.
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Es ist weder festzustellen, dass die Musik zur Oper "Motezuma” vor 2005 nicht
erschienen ist, noch ist feststellbar, dass dies der Fall war. Die Kammer ist nunmehr der
Auffassung, dass der Umstand, dass die Opernmusik, soweit die Erinnerung reicht,
verschollen war, nicht ausschließt, dass die Musik zuvor doch erschienen war. Vielmehr
können Vervielfältigungsstücke der Musik, auf die es für ein früheres Erscheinen
ankommt, bis auf die beim Kläger gefundene Handschrift endgültig verloren gegangen
oder sie können
Vervielfältigungsstücken im Anschluss an die Urausführung der Oper 1733 ist nicht etwa
deshalb ausgeschlossen, weil die Partitur schon zu Lebzeiten Vivaldi 1741 bereits als
verschollen gegolten hätte. Der Kläger, der sich im einstweiligen Verfügungsverfahren
für diese Behauptung - wie im Urteil des Oberlandesgerichts vom 16. August 2005
festgehalten ist - zu Unrecht auf das Werk Mario Renaldis "Il Teatro Mofciale de Antonio
Vivaldi” , Florenz 1979, berufen hat, hat nunmehr sein Vorbringen insoweit nicht ergänzt.
Er hat insbesondere keine weiteren Quellen genannt, die davon ausgehen, dass die
Partitur bereits zu Lebzeiten Vivaldis verschwunden ist.
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Soweit der Kläger sich auf die als Anlag K 13 vorgelegte Stellungnahme der
Geschäftsführerin Barbara Scheuch-Vötterle des Bärenreiter-Verlages, Kassel, beruft,
rechtfertigt diese als Parteivorbringen zu wertende Stellungnahme nicht den Schluss
darauf, dass die streitgegenständliche Musik nicht erschienen ist. Soweit in der
Stellungnahme ausgeführt wird, dass zu Lebzeiten Vivaldis außerhalb von Italien,
insbesondere in den Niederlanden, diese Oper "ohne weiteres” hätte gedruckt werden
können, ist dies unerheblich. Auch die Stellungnahme geht davon aus, dass im
damaligen Italien Opern eher nicht im Druck erschienen. Soweit weiter ausgeführt wird,
dass, "wenn eine große Nachfrage weiterer Exemplare an dieser Oper tatsächlich
bestanden hätte, Vivaldi sich in diesem Fall der Möglichkeit des Druckes bedient hätte”,
wird in der genannten Stellungnahme sogleich davon abgerückt mit dem Hinweis, dass
sich "darauf schließen lässt, dass auch im Fall "Motezuma” die übliche Praxis galt, nach
der die Abschriften bei dem aufführenden Theater verblieben sind und – dies mag
stattgefunden haben – dem einen oder anderen Interessenten weitergeleitet wurden”.
Weitere Indizien, die gegen ein Erscheinen der Partitur sprechen, sind der als Anlage K
13 vorgelegten Stellungnahme nicht zu entnehmen. Soweit diese in dem Fazit mündet,
es sei keinesfalls so gewesen, dass jeder Interessent an dieser Oper eine Abschrift des
Werkes erhalten konnte, weil dies die Kopierwerkstätten komplett überfordert und nicht
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der Praxis der damaligen Zeit entsprochen habe, lässt die Stellungnahme in keiner
Weise erkennen, inwieweit sie auf der tatsächlichen Kenntnis der damaligen
Verhältnisse beruht. Das klägerische Vorbringen steht insoweit im Widerspruch zu den
von der Beklagten als Anlage B 5 und B 6 vorgelegten Werken von Strohm und Talbot.
Namentlich Talbot beschreibt in seiner Biographie von Antonio Vivaldi, dass Kopisten
"als selbständige Unternehmer” tätig waren und - entgegen der Erklärung von Barbara
Scheuch-Vötterle - auf diesem Wege sehr wohl Opernmusik der interessierten
Öffentlichkeit, die sich naturgemäß auf einen Vergleich zum heutigen Publikum kleinen
Kreis von Adligen und wohlhabenden Bürgern beschränkte, zugänglich war.
Auch die vom Kläger als Anlage K 16 vorgelegte Stellungnahme des Prof. Dr. Beer
rechtfertigt nicht den Schluss darauf, dass das streitgegenständliche Werk nicht
erschienen ist. Zum Einen steht die Feststellung "eine Veröffentlichung ... einer Oper im
Druck oder auch durch handschriftliche Vervielfältigung wäre absolut sinnlos gewesen”
im Widerspruch zur Praxis der handschriftlichen Kopierens, die sich aus den bereits
vorstehend genannten von der Beklagten überreichten Anlagen ergibt. Zum Anderen
aber wird insbesondere aus der Zusammenfassung deutlich, dass Prof. Dr. Axel Beer
nicht ausschließen kann, dass das Werk zu Lebzeiten Vivaldis in der Weise erschienen
ist, dass handschriftliche Abschriften Interessierten zur Verfügung gestellt wurden. In der
Zusammenfassung heißt es lediglich, dass Deutungsmöglichkeiten nicht zu übersehen
seien, nach denen die Herstellung nur eines einzigen Exemplars (das bis heute
fragmentarisch erhaltene) denkbar wäre. Hieraus kann indessen nicht der Schluss
gezogen werden, dass tatsächlich nur eine Abschrift erstellt worden ist. Weitere
Tatsachen, die gegen ein Erscheinen der Partitur sprechen, hat der Kläger nicht
dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies geht zu seinen Lasten. Denn der Kläger trägt
nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für das anspruchsbegründende
Tatbestandsmerkmal des Nichterschienenseins im Sinne des § 71 UrhG.
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Allein aus dem Umstand, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal des
Nichterscheinens um eine sogenannte negative Tatsache handelt, führt nicht zu einer
Umkehrung der Beweislast (vergl. BGH NJW 1985, 1774 f.). Eine abweichende
Beweislastverteilung aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit kommt nicht in Betracht
(Rüberg, Montezumas späte Rache, ZUM 2006, 122, 126f.). Eine abweichende
Beweislastverteilung ergibt sich auch nicht aus der Auslegung des § 71 UrhG. Der
Wortlaut des § 71 Abs. 1 Satz 1 u. 2 UrhG ordnet das Merkmal, dass das betreffende
Werk nicht schon erschienen sein darf, als anspruchsbegründendes
Tatbestandsmerkmal ein, obwohl sich der Gesetzgeber, wie sich aus der Begründung
zu § 81 des Urhebergesetzentwurfes 1962 ergibt, der tatsächlichen Schwierigkeiten der
Beweisführung bewusst war. Gleichwohl ist das Tatbestandsmerkmal des
Nichterschienenseins nicht als Ausnahmetatbestand formuliert worden. Dies entspricht
dem Wesen der Norm als eng auszulegender Ausnahmevorschrift (OLG Düsseldorf,
Urteil vom 16. August 2005 - I 20 U 123/05, Seite 25). Vor diesen Hintergrund kann der
Entscheidung des Landgerichts Magdeburg (GRUR 2004, 672, 673f. Himmelsscheibe
von Nebra), die davon ausgeht, dass derjenige der aufgrund eines
Leistungsschutzrechts an Werken nach § 71 UrhG in Anspruch genommen wird,
seinerseits beweisen müsste, dass das betreffende Werk zuvor schon erschienen ist,
nicht gefolgt werden.
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Die Umkehr der Beweislast kann auch nicht durch Hinweis auf andere gewerbliche
Schutzrechte begründet werden, namentlich die Vermutung der Schutzfähigkeit eines
eingetragenen Geschmackmusters (so aber: Wandke/Bullinger/Thom, § 71 Rdnr. 13).
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Diese Begründung ist deshalb nicht tragfähig, weil das Geschmackmustergesetz
ausdrücklich eine entsprechende Vermutung anordnet (vergl. § 13
Geschmacksmustergesetz a.F. sowie § 39 Geschmacksmustergesetz n.F.). An einer
solchen gesetzlichen Regelung, die vor dem Hintergrund steht, dass das
Geschmacksmuster ein Registerrecht ist, das eine Eintragung voraussetzt, fehlt es für §
71 UrhG.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 91 a ZPO. Aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt sich, dass die Klage von Anfang an insgesamt unbegründet war, so
dass der Kläger die Kosten zu tragen hat, soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für
erledigt erklärt worden ist.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Streitwert: bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung im Termin am 26.04.2006:
250.000,00 €.
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Danach: 125.000,00 €.
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v. Gregory
Dr .Wirtz
Dr. Kohlhofs-Mann
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