Urteil des LG Dortmund vom 15.12.2005

LG Dortmund: grobe fahrlässigkeit, treu und glauben, abtretungsverbot, fahrzeug, steuer, einnicken, auflage, sorgfalt, testament, anzeichen

Landgericht Dortmund, 2 O 1/05
Datum:
15.12.2005
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 1/05
Normen:
AKB § 3 Nr. 2,4 ; VVG § 61
Leitsätze:
1) Zur Treuwidrigen Berufung auf das Abtretungsverbot aus § 3 AKB
2) Einnicken am Steuer als grobe Fahrlässigkeit, § 61 VVG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden nach einem
Streitwert in Höhe von 10.880,00 € der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Frau I kaufte im Jahre 2003 einen Neuwagen I5, den sie über einen Kredit der I2 GmbH,
der Klägerin, finanzierte. Mit Kreditvertrag vom 26.09. ############ trat sie unter
anderem den Anspruch auf Leistungen aus Fahrzeugversicherung an die Klägerin ab
und übereignete dieser das Fahrzeug zur Sicherheit.
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Frau I nahm bei der Beklagten eine Kfz-Versicherung, welche das Vollkaskorisiko
umfasste. Der Versicherung lagen die AKB in der bei Prölss/Martin, VVG, 26. Auflage,
Seite 1492 ff. abgedruckten Fassung zu Grunde. Ein Sicherungsschein wurde weder
beantragt noch ausgestellt.
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Die Versicherungsnehmerin I verunglückte am 23.05.2004 mit dem versicherten Pkw.
Es herrschte Dunkelheit, als sie gegen 21.55 Uhr die C Straße in L – aus Richtung B
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Straße kommend – in Richtung Q befuhr. Die Straße verlief gerade, sie war trocken. In
Höhe der C Straße/Abschnitt 6/kurz vor Blumen K wurde das Fahrzeug nach links über
die Gegenfahrbahn hinweg auf den auf der linken Fahrbahnseite vorhandenen
unbefestigten Seitenstreifen gelenkt. Das Fahrzeug stieß sodann frontal mittig gegen
einen Straßenbaum mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 60 bis 65 km/h. Weder
Bremsspuren noch Spuren eines Hindernisse waren festzustellen. Die
Versicherungsnehmerin war angeschnallt, der Airbag löste aus. Die
Versicherungsnehmerin erlag noch in der Nacht ihren schweren Verletzungen.
Der von der Polizei eingeschaltete Gutachter I3 kam in seinem Gutachten vom
14.06.2004 (Anlage zur Klageerwiderung vom 09.02.2005, Bl. 32 ff d.A.; wegen der
Verkehrsunfallanzeige und der Unfallskizze vgl. Bl. 28-31 d.A.) zu dem Ergebnis, dass
es sich nach der Spurenlage um einen Alleinunfall gehandelt habe, der aus verkehrs-
technischer Sicht allen Umständen entsprechend auf körperliche oder geistige Mängel –
ggf. kurzfristige oder kurzzeitige – zurückzuführen sei. An dem Fahrzeug entstand
Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert zum Unfallzeitpunkt betrug nach einem für
die Beklagte eingeholten Gutachten vom 02.06.2004 11.310,00 € brutto bei einem
Restwert von 300,00 €.
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Mit Schreiben vom 15.06.2004 meldete sich der Nachlasspfleger der Verstorbenen,
Rechtsanwalt W, bei der Beklagten. Die Beklagte versagte der Verstorbenen (!) mit
Schreiben vom 16.07.2004 Versicherungsschutz und informierte hiervon Rechtsanwalt
W mit Schreiben vom gleichen Tag unter Übersendung der
"Originalversicherungsschutzversagung zur Kenntnis". Das Schreiben an die
Verstorbene enthielt eine Fristsetzung und eine Belehrung nach § 8 AKB.
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Der Bruder der Verstorbenen sowie dessen Kinder schlugen am 03.06.2005 die
Erbschaft aus. Mit Schreiben vom 02.11.2005 teilte Rechtsanwalt W der Klägerin mit,
dass er Ansprüche gegen die Beklagte nicht verfolgt habe, da die Ansprüche gegen den
Versicherer aus einem Vollkaskoschaden im Rahmen des Darlehensvertrages von der
Verstorbenen an die Klägerin abgetreten worden seien.
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Die Klägerin behauptet, die Verstorbene habe kein Testament hinterlassen. Weitere
Erben existierten nicht.
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Die Klägerin hält es für möglich, dass die Verstorbene aus Übermüdung am Steuer
eingeschlafen sei. In einem solchen Fall sei die grobe Fahrlässigkeit zu verneinen.
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Die Klägerin verlangt mit der Klage den zum Todeszeitpunkt offenen Darlehensbetrag.
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Sie beantragt daher,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.880,00 € nebst 8 % Zinsen über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2004 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie beruft sich auf das Abtretungsverbot aus § 3 Nr. 2, Nr. 4 AKB. Sie beruft sich ferner
auf § 61 VVG. Sie meint, die Klägerin müsste ent-lastende Umstände hinsichtlich des
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Unfallgeschehens vortragen. Da dies nicht geschehen sei, müsse auf Grund des
äußeren Geschehensablaufes von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I.
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Der Geltendmachung der Klageforderung durch die Klägerin steht § 3 Nr. 2, Nr. 4 AKB
vorliegend nicht entgegen. Zwar ist hierin ein Abtretungsverbot enthalten, jedoch kann
die Beklagte sich vorliegend nach Treu und Glauben auf dieses nicht berufen. Dies gilt
unabhängig davon, welcher Zweck dem Abtretungsverbot zu Grunde liegt. Nimmt man
an, Zweck des Abtretungsverbotes sei allein, eine Vernehmung des
Versicherungsnehmers als Zeugen in Versicherungsangelegenheiten zu verhindern
(Stiefel/Hofmann, AKB, 17. Auflage, § 3 AKB, Rdnr. 80; OLG Düsseldorf, VersR 1983,
625 zu § 7 Abs. 3 AHB), so kommt die Berufung auf das Abtretungsverbot auf Grund des
Todes der Versicherungsnehmerin von vornherein nicht in Betracht. Stellt man
demgegenüber darauf ab, dass der Versicherer es nur mit seinem Vertragspartner und
nicht einem beliebigen Dritten zu tun haben soll (Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage,
§ 3 AKB, Rdnr. 7 m.w.N.) wäre eine Berufung auf das Abtretungsverbot ebenfalls
treuwidrig. Denn es kann vorliegend ausgeschlossen werden, dass die Beklagte noch
von Erben in Anspruch genommen wird. Die einzig bekannt gewordenen gesetzlichen
Erben haben am 03.06.2005 die Erbschaft ausgeschlagen. Die hier fernliegende
Möglichkeit, dass eine Anfechtung der Erbausschlagung noch erfolgt oder nunmehr
noch ein Testament/weitere Erben aufgefunden werden, kann als bloße theoretische
Möglichkeit im Rahmen der Abwägung nach § 242 BGB vernachlässigt werden.
Unerheblich ist auch, dass die Möglichkeit bestand, dass der Nachlasspfleger selbst
den Anspruch gegen die Beklagte hätte geltend machen können. Denn die Beklagte
kann jedenfalls sicher davon ausgehen, dass eine Inanspruchnahme durch den
Nachlasspfleger nicht mehr in Betracht kommt und sie sich nunmehr nur noch der
Klägerin als Anspruchsgegnerin ausgesetzt sieht. Der Beklagten steht damit nunmehr
ein Anspruchsgegner gegenüber, dessen Bonität sicher höher eingeschätzt werden
kann als die der Kreditnehmerin.
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II.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte sich mit Erfolg auf Leistungsfreiheit
gemäß § 61 VVG beruft. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt in hohem Maße außer Acht lässt, d. h., objektiv einen besonders groben, über
das gewöhnliche Maß hinausgehenden Verstoß gegen die Sorgfalts- und
Verkehrspflichten und auch subjektiv eine in besonderer Weise vorwerfbares Verhalten
zeigt, also ein beträchtliches und erhebliches schuldhaftes Versagen gegenüber den zu
stellenden Anforderungen an die Achtsamkeit und Sorgfalt (BGH, VersR 1989, 469;
OLG Oldenburg, VersR 1996, 841). Die Voraussetzungen sind in objektiver Hinsicht
erfüllt. Das Fahrverhalten der Verstorbenen wie es sich aus den Unfallspuren ergibt, war
ersichtlich grob verkehrswidrig. Der Grund für das Fahrverhalten der Klägerin ist
ungeklärt. Hieraus folgt jedoch nicht, dass zugunsten der Klägerin abstrakt anzunehmen
wäre, dass ein Sachverhalt vorlag, welcher nicht zu einer Leistungsfreiheit gemäß § 61
VVG führte. Vielmehr ist zu prüfen, ob nach den Umständen des Einzelfalles vorliegend
eine Sachverhaltsvariante ernstlich in Betracht kam, auf Grund derer Leistungsfreiheit
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eine Sachverhaltsvariante ernstlich in Betracht kam, auf Grund derer Leistungsfreiheit
gemäß § 61 VVG zu verneinen wäre (vgl. OLG Hamm, VersR 1997, 961).
1. Denkbar wäre, dass der Unfall durch einen kurzfristigen Bewusst-seinsverlust der
Fahrerin, einer sog. Synkope, verursacht wurde. In diesem Fall wäre sie für ihr
Verhalten nicht verantwortlich gewesen. Jedoch ist für die Voraussetzungen des
auch im Rahmen des § 61 VVG entsprechend anwendbaren § 827 Satz 1 BGB die
Klägerin beweisbelastet (vgl. BGH, VersR 1990, 888; OLG Hamm, a. a. O.).
Diesen Beweis kann die Klägerin nicht führen.
2. Soweit die Klägerin geltend macht, mögliche Ursache sei ein Einschlafen der
Fahrerin gewesen, so entlastet dieses im Ergebnis nicht. Nach der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm, der die Kammer folgt, ist davon
auszugehen, dass einem Einnicken am Steuer stets unübersehbare Zeichen
vorausgehen, deren Nichtbeachtung dem Fahrer in der Regel zum groben
Verschulden gereicht, sofern nicht im Einzelfall Anhaltspunkte bestehen, die das
Verhalten des Fahrers in einem milderen Licht erscheinen lassen (OLG Hamm,
VersR 1998, 1276; OLG Hamm, VersR 1997, 961, OLG Frankfurt, NJW-RR 1993,
102 f; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 30, Rdnr.
62; vgl. Prölss/Martin, a. a. O., § 12 AKB, Rdnr. 97). Die Gegenauffassung, wonach
es darüber hinaus im Einzelfall einer Feststellung bedarf, wonach die Anzeichen
vor dem Einschlafen hinreichend deutlich gewesen sein müssen, um den Vorwurf
der groben Fahrlässigkeit zu rechtfertigen (OLG Oldenburg, VersR 1999, 1105,
Thüringer OLG, OLG-NL 2003, 80) verdient dagegen keine Zustimmung, weil sie
nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Anzeichen vor dem Einnicken stets für
den Fahrer unübersehbar und damit zu beachten sind. Die von der Klägerin in
Bezug genommene Fundstelle (Berliner Kommentar/Beckmann, § 61, Rdnr. 78)
streitet nicht für ihre Position. Mit dieser werden lediglich Einzelfälle aus der
Judikatur aufgelistet. Da vorliegend Anhaltspunkte, welche das Verhalten der
Fahrerin in einem milderen Licht erscheinen lassen, weder vorgetragen noch
ersichtlich sind, war mithin von grober Fahrlässigkeit auszugehen.
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Nach alledem war zu erkennen wie geschehen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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