Urteil des LG Dortmund vom 16.10.2008

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Landgericht Dortmund, 13 O 123/08 Kart.
Datum:
16.10.2008
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
II. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 O 123/08 Kart.
Tenor:
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung werden
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Verfügungskläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Verfügungskläger bleibt
nachgelassen, die Vollstreckung durch den Verfügungsbeklagten
abzuwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages, wenn nicht zuvor der Verfügungskläger
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Verfügungskläger ist Profispringreiter und aktuell Nr. # der Weltrangliste. Er wurde
in J geboren und hat seinen Wohnsitz seit mehreren Jahren in Deutschland. Dort
betreibt er seit 2003 eine Reitsportanlage, auf der fünf Angestellte mit der Pflege der
Berittpferde beschäftigt sind. Er verdient seinen eigenen Unterhalt und den seiner
Familie durch die Teilnahme an nationalen und internationalen Springreitturnieren, bei
denen er die Möglichkeit hat, Preisgelder und Sachwerte zu gewinnen, durch gute
Resultate den Marktwert der von ihm gerittenen Pferde zu steigern, potientielle Käufer
für die von ihm gerittenen Pferde zu finden und Werbung für seine Sponsoren zu
machen. Neben diesen Verdienstmöglichkeiten erzielt er bei den Turnieren
Wettkampfpunkte, die seine Platzierung in der Weltrangliste beeinflussen. Bei einer
Platzierung in der Weltrangliste unter den Top 25 ist er automatisch für die
bedeutendsten internationalen Turniere qualifiziert. Nimmt er an den Turnieren nicht teil,
sinkt er automatisch in der Weltrangliste und kann sich nur durch eine Teilnahme an
kleineren Turnieren für größere Turniere qualifizieren.
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Der Verfügungsbeklagte ist ein Verein nach schweizerischem Recht mit Sitz in
Lausanne und der Weltdachverband aller olympischen Pferdesportarten. Seine
Mitglieder, die nationalen Verbände, sind an seine Statuten, die General Regulations,
die Sport-Rules und sämtliche Entscheidungen seiner Instanzen gebunden und habe
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diese umzusetzen. An Turnieren des Verfügungsbeklagten oder Turnieren der
Nationalverbände dürfen nur Athleten teilnehmen, die sich einem Nationalverband
anschließen, welcher an die Reglements und Entscheidungen des
Verfügungsbeklagten gebunden ist. Zum Inhalt der Statuten des Verfügungsbeklagten,
seiner General Regulations (GR), seiner Veterinary Rules (Vet-R), seiner Anti-Doping
and Medications Control Rules (EADMCR) und seiner Olympic Rules wird auf Blatt 55
bis 304 d. A.) Bezug genommen.
Der Verfügungskläger wurde von seiner J Heimatföderation zu den Olympischen
Spielen in Peking nominiert und nahm am Springturnier in Hongkong teil. Sein Pferd M
wurde unmittelbar nach der Ankunft in Hongkong und vor dem Zusammentreffen mit
anderen Pferden am 14. August 2008 einem umfassenden Veterinär-Check unterzogen.
Es zeigten sich keine Auffälligkeiten, auch nicht beim zweiten Veterinär-Check und den
jeweils bei Verlassen des Parcours durchgeführten Bandagen und
Gamaschenkontrollen.
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Am 18.08.2008 wurde bei dem Pferd M im Rahmen einer Dopingkontrolle eine Urin- und
Blutprobe entnommen. Das im Auftrage des Verfügungsbeklagten tätig werdende
Analyselabor des Hongkong Jockey Clubs stellte am 19.08.2008 fest, dass die dem
Pferd zugeordnete Blut- und Urinprobe den pflanzlichen Wirkstoff Capsaicin beinhaltete.
Zum Inhalt des Testreports vom 19.08.2008 und der Medication Controlform wird auf
Blatt 478 bis 493 d. A. verwiesen.
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In den Mittagsstunden des 21.08.2008 informierte der Verfügungsbeklagte über den
Nationalverband den Verfügungskläger über den Befund der A-Probe und dass gemäß
Art. 7.2 EADMCR eine vorläufige Sperre für die Wettkämpfe des Verfügungsbeklagten
und aller Mitgliedsverbände verhängt sei. Dem Schreiben beigefügt war u. a. eine
Stellungnahme des Veterinary Commission Office des Verfügungsbeklagten. Zum Inhalt
der Mitteilung wird auf Blatt 305 bis 312 d. A. Bezug genommen.
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Der Verfügungskläger wurde noch am 21.08.2008 gegen 15.00 Uhr vor dem Preliminary
Panel des Verfügungsbeklagten, besetzt mit einem Mitglied des Tribunals des
Verfügungsbeklagten, vorläufig angehört. Er erklärte dabei, seit Jahren das Mittel
"EquiBlock" auf den Rücken seines Pferdes einmassiert zu haben. Das Mittel trägt die
Bezeichnung "Topical Pain Reliever". Zum Erscheinungsbild des Mittels und seiner
Verpackung wird auf Blatt 527 d. A. Bezug genommen.
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Die vorläufige Sperre wurde aufrechterhalten, was der Verfügungsbeklagte per
Newsletter öffentlich bekannt machte.
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Die vom Verfügungskläger beantragte B-Proben-Analyse vom 25.08.2008 ergab für
Urin- und Blut des Pferdes die Feststellung der Substanz Capsaicin. Auf Blatt 493 bis
508 d. A. wird insoweit verwiesen.
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Der Verfügungskläger wurde vor dem Tribunal des Verfügungsbeklagten angehört am
06.09.2008. Das Tribunal des Verfügungsbeklagten lehnte am 08.09.2008 ab, die
vorläufige Sperre aufzuheben. Es setzte eine endgültige Entscheidung für den
30.09.2008 in Aussicht. Auf Blatt 324 bis 328 d. A. wird insoweit Bezug genommen.
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Der Verfügungskläger beantragte mit Antragsschrift vom 19.09.2008, dem
Verfügungsbeklagten im Wege einstweiliger Verfügung aufzugeben, seinen Beschluss
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vom 21.08.2008 und dessen Bestätigung vom 06.09.2008 bis zur Entscheidung in der
Hauptsache auszusetzen und ihm Startgenehmigungen für internationale und nationale
Reitsportturniere nicht zu versagen mit der Begründung, ihm seien Doping- oder
Medication A-Verstoß während der Olympischen Spiele 2008 anzulasten, ferner dem
Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes zu untersagen, ihn an der
Teilnahme an nationalen oder internationalen Reitturnieren zu hindern, soweit dies auf
den Beschluss vom 21.08.2008 oder die Entscheidung vom 06.09.2008 gestützt wird. Er
beantragte zudem am 23.08.2008 einstweiligen Rechtsschutz beim internationalen
Sportschiedsgerichtshof in Lausanne und erhob dort Klage gegen die Entscheidungen
vom 21.08.2008 und 08.09.2008. Der Schiedsgerichtshof wies den Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 29. September 2008 zurück. Zum Inhalt
der Entscheidung und zum Inhalt der Klageschrift wird auf Blatt 445 bis 475 d. A. Bezug
genommen.
Der Verfügungskläger hält das angerufene Gericht zuständig. Eine
Schiedsvereinbarung, die sich auch auf den einstweiligen Rechtsschutz beziehe, liege
nicht vor. Der Beschluss des Verfügungsbeklagten vom 21.08.2008 sei offensichtlich
rechtswidrig. Es sei nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen, dass ein Verstoß
gegen Regularien vorliegen, welche zu einer vorläufigen Sperre ermächtigen. Ein
Verstoß gegen das Anti-Doping-Reglements des Verfügungsbeklagten sei weder
erwiesen noch indiziert. Ein Doping-Verstoß, der voraussetze, dass Beine oder
Gamaschen des Pferdes mit einer verbotenen Substanz sensibilisiert wurden, liege, wie
die negativen Veterinär-Checks und die Gamaschenkontrollen belegten, nicht vor. Auch
eine Einordnung als eine in den Listen der Medication Class A und B genannte oder mit
dieser vergleichbaren Substanz sei nicht vorzunehmen. Die Analyse der entnommenen
Urin- und Blutproben leide an einer Vielzahl von Unzulänglichkeiten. Es werde nicht
klar, welche Analysemethode bei der Durchführung der Analyse der A-Probe eingesetzt
wurde und ob diese Anlayse-Methode internen Standards entsprächen. Da mehrere
Proben in der gleichen Zeit vom gleichen Labor mit den gleichen Messgeräten
analysiert wurden, sei es naheliegend, zumindest aber nicht auszuschließen, dass es
zu Verwechselung oder Verunreinigung gekommen sei. Wenn tatsächlich in einem
ordnungsgemäßen Analyseverfahren Restspuren von Capsaicin nachgewiesen seien,
könne dies sich allenfalls damit erklären, dass die Muskulatur des Pferdes seit mehreren
Jahren wie bei nahezu allen anderen Pferden im Turnier und teilweise auch im
Hobbybereich zum Wohl des Tieres mit dem Mittel EquiBlock massiert worden sei. Es
handele sich dabei um eine weit verbreitete Salbe, die in Reitsportgeschäften und auf
praktisch allen Turnierplätzen Europas angeboten werde und leicht capsaicinhaltig sei.
Sie fördere die Durchblutung und wirke gegen Muskelverspannungen und Verhärtungen
und gehöre wie ähnliche Salben zur Standardausrüstung in Turnierställen. Angesichts
einer nur geringen Wirkstoffkonzentration sei das Mittel nicht geeignet, eine
medizinisch-therapeutische Wirkung zu erzielen. Er habe das Mittel auch ausschließlich
als Pflegemittel gekannt und habe davon ausgehen müssen, dass der
Verfügungsbeklagte nicht den Verkauf von verbotenen Substanzen dulden und auf den
eigenen Turnieren unterstützen würde. Er habe nur zum Wohl und zur Pflege seines
Pferdes gehandelt und sei nicht einmal auf die Idee gekommen, etwas eventuell
Verbotenes zu tun.
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Die Verhängung einer Sperre wegen Verwendung eines Mittels, von dessen Existenz
und Verwendung im Reitsport der Verfügungsbeklagte jahrelang Kenntnis gehabt habe
ohne jemals eine Warnung vor dem Gebrauch auszusprechen, verstoße gegen Treu
und Glauben. Die Regelungen des Art. 7 EADMCR verstoße darüber hinaus mit Artikel
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10.9 EADMCR und Annex III der VR gegen internationales und nationales Kartellrecht,
gegen §§ 307 ff., 242 BGB und gegen Artikel 12 GG.
Art. 7.2 EADMCR führe zu einer automatischen und unbefristeten vorläufigen Sperre
allein aufgrund eines schlichten, nicht weiter verifizierten Verdachts, bei dem
Verdachtsmomente mangels Positivliste und klarer Grenzwertfestlegung zu unbestimmt
seien. Das Ende der vorläufigen Sperre sei wegen fehlender zeitlicher Fixierung und
mangels aufschiebender Wirkung eines Rechtsmittels nicht absehbar. Eine vorläufige
Sperre sei auch zur wirksamen Dopingbekämpfung weder notwendig noch
verhältnismäßig.
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Durch die Startsperre drohe ihm als Berufssportler der persönliche und finanzielle Ruin.
Ihm werde durch die sofortige und auf nicht absehbare Zeit andauernde Startsperre
nicht nur eine wesentliche Einnahmequelle entzogen, sondern auch versagt, seine
vertraglichen Werbeverpflichtungen gegenüber den Sponsoren nachzukommen. Der
Verlust von Wettkampfpunkten habe Auswirkungen nicht nur auf die unmittelbar
anstehenden Turniere, sondern auch auf das nächste Wettkampfjahr und seine gesamte
Karriere als Berufssportler.
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Der Verfügungskläger beantragt unter teilweiser Antragsrücknahme nunmehr,
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1. dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, seinen Beschluss
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vom 21.08.2008 und dessen Bestätigung vom 06.09.2008 bis zur
Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
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2. dem Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungs-
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geldes zu untersagen, ihn durch einen neuen vorläufigen Beschluss an der
Teilnahme an nationalen und internationalen Reitturnieren zu hindern, soweit
dies auf den Tatbestand des Beschlusses vom 21.08.2008 oder der
Entscheidung vom 06.09.2008 gestützt wird.
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Der Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Der Verfügungsbeklagte beruft sich auf eine durch die Teilnahme an den Wettkämpfen
erfolgte Anerkennung seiner Regeln geschlossene Schiedsvereinbarung zu Gunsten
des Internationalen Schiedsgerichtshofs.
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Er hält die vorläufige Sperre nach seinem rechtmäßigen Regelwerk für gerechtfertigt.
Sie diene wie seine Dopingregeln überhaupt dem berechtigten Interesse, die
Chancengleichheit im Rahmen der Wettkämpfe, den Schutz der Gesundheit der Pferde
und die Ehrlichkeit und den Ruf des Reitsports zu wahren. Die Sperre sei notwendig,
diese Ziele zu erreichen. Im Hinblick auf diese Ziele sei sie auch verhältnismäßig. Bei
exogenen, nur von außen in den Organismus gelangenden Substanzen wie dem
streitgegenständlichen Capsaicin könne ein Missbrauch nur durch Verzicht auf
Schwellenwerte ausgeschlossen werden. Es sei auch ausreichend, die Substanzen
lediglich mit den erzielten Effekten zu charakterisieren. Aufgrund der Vielfalt verfügbarer
Mittel sei es unmöglich, jedes Mittel und jeden Wirkstoff in die Verbotsliste
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aufzunehmen. Andernfalls könne das Dopingkontrollziel nicht erreicht werden.
Angesichts der für den Athleten bestehenden Möglichkeit, zeitnah die B-Proben-
Analyse zu erreichen, käme es auch keineswegs zu einer mehrmonatigen Sperre
aufgrund eines schlichten Verdachts lediglich aufgrund einer positiven A-Probe. Ihr
Regelwerk biete vielmehr dem Athleten zeitnahe und umfassende Möglichkeiten, den
durch eine positive A-Probe begründeten Anscheinsbeweis für einen schuldhaften
Dopingregelverstoß zu widerlegen. Es liege auch sowohl ein Verstoß gegen die Anti-
Doping-Regelung als auch ein Verstoß gegen die Medikamentenkontrollregelung vor.
Die Eignung zur Hypersensibilisierung der Vorderbeine reiche für eine Einordnung als
verbotene Dopingsubstanz. Ein Medical Class A-Verstoß sei anzunehmen, weil
Capsaicin eine Substanz sei, die für Schmerzlinderung eingesetzt werde und bei der
eine medizinische Wirkung indiziert sei.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Anträge sind zulässig, aber nicht begründet.
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Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet. Ob eine staatlichen
einstweiligen Rechtsschutz abbedingende Schiedsabrede auch ohne ausdrückliche
schriftliche Vereinbarung zustande gekommen ist, kann dahinstehen. Die Regelungen
in Art. 12.2 EADMCR und Art. 35 der Statuten des Verfügungsbeklagten stellen nicht
ausreichend klar, dass auch eine kartellrechtliche Überprüfung durch staatliche Gerichte
abbedungen sein soll.
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Die internationale und nationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist gegeben
nach Art. 5 Lugano-Übereinkommen, § 32 ZPO, § 87 GWB.
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Auch die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Dringlichkeit liegt vor. Die
vorläufige Sperre beschränkt den Verfügungskläger in erheblichem Maße in seiner
wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit. Er erleidet gravierende, möglicherweise sogar
existenzbedrohende Nachteile, die nur eingeschränkt durch Schadensersatzansprüche
kompensiert werden können.
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Die Anträge sind aber unbegründet. Ein Verfügungsanspruch nach §§ 940, 935 ZPO ist
für beide Anträge zu bejahen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vorläufige
Sperre nicht angeordnet werden durfte oder zu einem späteren Zeitpunkt aufzuheben
oder auszusetzen war. Beides ist zu verneinen.
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Die Anordnung der vorläufigen Sperre vom 21.08.2008 ist zu Recht erfolgt. Sie beruht
auf Art. 7.2 EADMCR, einer Vorschrift, die rechtlich nicht zu beanstanden ist.
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Vereinssanktionen, die eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben und in die
Berufsausübungsfreiheit eingreifen, sind nur zulässig, wenn die Anwendung der
konkreten Vorschriften im Einzelfall durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt und die
mit der Regelung einhergehende die Handlungsfreiheit beschränkende Wirkung unter
Berücksichtigung der mit der Regelung erstrebten Zielsetzung notwendig und
verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzungen sind sämtlich erfüllt. Dopingbekämpfung ist
ein legitimer Zweck. Er zielt, wovon auch die Parteien übereinstimmend ausgehen,
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darauf ab, einen freien Wettkamp unter Wahrung der Chancengleichheit der Beteiligten
zu ermöglichen, Gesundheit der Tiere zu schützen, Ehrlichkeit und Objektivität des
Wettkampfes zu gewährleisten und ethische Werte des Sportes zu betonen. Da diese
Zielsetzung nicht immer und nicht von allen Sportlern beachtet wird, sind Kontrollen,
Sanktionsandrohung und Sanktionsverkündungen unerlässlich. Dies gilt auch für
vorläufige Sanktionen wie eine vorläufige Sperre. Im Gleichbehandlungsinteresse der
Mitbewerber, aus Tierschutzgesichtspunkten und zur Wahrung des Ansehens des
Sportes sind Sanktionen zu verlängern, sobald sich der dringende Verdacht eines
Doping- und oder Medikationsmissbrauchs ergibt. Die Verhängung einer Sanktion erst
nach Abschluss von möglicherweise auch langwierigen Ermittlungen läuft den
vorgenannten Zielsetzungen entgegen und stellt eine wirksame
Missbrauchsbekämpfung geradezu in Frage. Dass sich als Folge einer vorläufigen
Sanktion für den Missbrauchsverdächtigten Einschränkungen seiner Betätigungsfreiheit
ergeben, die im Falle einer Nichtbestätigung des Verdachts nicht rückgängig zu machen
sind, ist zwangsläufig und hinzunehmen.
Das Gebot der Erforderlichkeit wird vom Regelwerk des Verfügungsbeklagten beachtet.
Das Vorliegen eines dringenden Verdachts setzt Art. 7.2 EADMCR ausdrücklich voraus.
Ein dringender Verdacht ist stets gegeben, wenn eine positive Probe vorliegt.
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Die Regelung in Art. 7.2 EADMCR berücksichtigt auch das Gebot der
Verhältnismäßigkeit. Die Regelung ist nach Art. 2 EADMCR in Verbindung mit Annex III
der VR inhaltlich ausreichend bestimmt. Dafür genügt, dass die Sustanzen nur mit ihren
möglichen Effekten charakterisiert werden. Aufgrund der Vielfalt bereits vorhandener
und noch zu entwickelnder Mittel und Wirkstoffe ist es nicht möglich, jedes Mittel und
jeden Wirkstoff namentlich in der Liste der verbotenen Substanzen zu bezeichnen. Eine
solche Positivliste veraltet rasch. Eine Missbrauchsbekämpfung, die der aktuellen
Entwicklung stets hinterher läuft, ist aber ineffizient und letztlich wirkungslos. Aus
denselben Erwägungen ist die Generalklausel in den Verbotslisten nicht zu
beanstanden.
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Auch das Fehlen von Grenz- und/oder Schwellwerten ist unschädlich. Bei
körperfremden verbotenen Substanzen ist die Zufuhr per se und auch in geringsten
Mengen unzulässig.
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Das Fehlen ausdrücklicher zeitlicher Begrenzung der Sperre macht die Regelung in Art.
7.2 EADMCR nicht unverhältnismäßig. Wie die vergleichbare Regelung zur vorläufigen
Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO zeigt, ist eine ausdrückliche
zeitliche Begrenzung bei vorläufigen Sanktionierungen aus Rechtsstaatsgründen nicht
erforderlich. Dass sich bei Anwendung schweizerischen Rechts eine andere
Beurteilung ergibt, ist nicht dargetan. Eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung ist auch
nicht aus kartellrechtlichen Erwägungen oder nach Treu und Glauben erforderlich. Die
Regelung führt nämlich nicht, wie vom Verfügungsbeklagten behauptet, zu einer
automatischen unbefristeten Sperre aufgrund eines nicht verifizierten A-Proben-
Anfangsverdachtes. Zusammen mit anderen Regelungen des Regelwerks, etwa der
Anrechnungsklausel, der Angabe der Dauer der endgültigen Sanktion, der Regelung
zur Überprüfung der A-Probe durch die B-Probe und der zeitlichen Vorgaben zur
Anhörung ergibt sich viel mehr, dass eine vorläufige Sperre stets im engen zeitlichen
Kontext steht zum Missbrauchsvorwurf und zur endgültigen Sanktion. Dass ein
Rechtsmittel gegen die vorläufige Sanktion ohne aufschiebende Wirkung ist, ist dabei
nicht zu beanstanden. Die Regelungen in Art. 7.8 + 12 EADMCR geben dem von einer
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Sanktion Betroffenen ausreichende Möglichkeit, eine sofortige Überprüfung der
Sanktion durch das Tribunal des Verfügungsbeklagten und dem Schiedsgerichtshof zu
erreichen.
Die Anordnung der vorläufigen Sperre erfolgte unter Beachtung der Vorgaben von Art.
7.2 EADMCR. Bei dem Pferd des Verfügungsklägers wurde mit dem Wirkstoff Capsaicin
eine nach der Liste Annex III VR verbotene Substanz für eine Medication Class A
gefunden. Hiernach verboten sind Wirkstoffe, die die Leistungsfähigkeit durch die
Linderung von Schmerzen beeinflussen können. Capsaicin ist eine solche Substanz.
Dies wird nicht nur durch die vom Verfügungsbeklagten vorgelegten Stellungsnahmen
bestätigt, sondern auch durch die Beschreibung auf dem Mittel selbst und seiner
Verpackung, wo die schmerzlindernde Wirkung herausgestellt wird.
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Dass die Substanz Capsaicin auch tatsächlich gefunden wurde beim Pferd des
Verfügungsbeklagten, ist anzunehmen aufgrund der vorgelegten Analyseberichte für die
A- und B-Probe. Von der Richtigkeit der Probenanalyse ist auszugehen. Die vom
Verfügungskläger geäußerten allgemeinen Zweifel an der Beachtung internationaler
Analysestandards durch das Analyselabor werden durch die ausführliche
Stellungnahme des Labors entkräftet.
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Es ist auch davon auszugehen, dass die verbotene Substanz dem Pferd des
Verfügungsklägers durch diesen oder durch für ihn mit seinem Wissen und Wollen tätige
Mitarbeiter zugeführt wurde. Der Verfügungskläger selbst trägt vor, eine capsaicinhaltige
Salbe aufgetragen zu haben. Diese Möglichkeit der Substanzzufuhr ist wahrscheinlicher
als die vom Verfügungskläger nur allgemein aufgezeigte Möglichkeit einer
Substanzzufuhr durch capsaicinhaltige Nahrung.
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Der Medication Class A-Verstoß ist auch schuldhaft begangen worden. Dass der
Verfügungskläger die Salbe nicht als Schmerzmittel, sondern als Pflegemittel gewertet
und nur als solche zum Einsatz gebracht hat, ist ihm nicht abzunehmen und auch ohne
rechtliche Relevanz. Die Kennzeichnung des Mittels als Schmerzmittel ist so deutlich
und klar, dass sie vom Anwender weder übersehen noch missverstanden werden kann.
Wenn der Anwender eines Schmerzmittels sich der Erkenntnis verschließt, ein solches
zu verabreichen, führt dies nicht dazu, dass das Mittel seine schmerzlindernde Wirkung
verliert und als bloßes Pflegemittel einzuordnen ist.
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Ob die Substanz Capsaicin auch eine verbotene Dopingsubstanz ist, kann dahinstehen.
Dies steht der Annahme eines Verstoßes gegen die Medication Class A-Vorschrift, der
nach den bisherigen Ausführungen auf jeden Fall gegeben ist, nicht entgegen. Ein
Verstoß nur gegen die Medication Class B Vorschrift ist dagegen ausgeschlossen.
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Der Verstoß gegen die Medication Class A-Vorschrift rechtfertigt nach Art. 10 EADMCR
die Verhängung einer endgültigen Sperre von bis zu einem Jahr. Zum Zeitpunkt der
Anordnung der vorläufigen Sperre und der Entscheidung über ihre Aufrechterhaltung bis
zu endgültigen Entscheidung und auch noch heute ist davon auszugehen, dass eine
endgültige Sperre nach der vorgenannten Vorschrift verhängt wird. Die Verwendung des
schmerzlindernden Mittels durch den Verfügungskläger wurde und wird von diesem
eingeräumt. Für die Annahme einer Fehlvorstellung im Hinblick auf die
schmerzlindernde Wirkung bestand angesichts der unübersehbaren und
unmissverständlichen Kennzeichnung des Mittels keine Veranlassung. Dass die Salbe
EquiBlock frei verkäuflich ist und nach Behauptung des Verfügungsklägers als
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Pflegemittel gehandelt wird, steht der Anordnung einer Sperre nicht entgegen. Die
Salbe ist, wie ausgeführt, ein Schmerzlinderungsmittel und kein Pflegemittel. Dass die
Verwendung der Salbe als Schmerzlinderungsmittel vom Verfügungsbeklagten
geduldet wird, hat der Verfügungskläger nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.
Die vorläufige Sperre ist auch nicht aufzuheben, weil trotz Ankündigung eine endgültige
Sperre bislang nicht angeordnet wurde. Die Höchstdauer der zu verhängenden Sperre
ist erheblich länger, als die bisher verstrichene Zeit der vorläufigen Sperre. Es ist auch
zu erwarten, dass eine endgültige Entscheidung demnächst ergehen wird. Sollte das
Tribunal des Verfügungsbeklagten eine solche aber verzögern über einen Zeitraum, der
über die Dauer einer angemessenen endgültigen Sperre hinaus geht, wird dies anders
zu beurteilen sein.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 269 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 6, 711 ZPO.
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